Читать книгу Tara - Nancy Omreg - Страница 4
Erice
ОглавлениеEs war ein äußerst merkwürdiges Gefühl wieder hier zu sein. Auf der einen Seite freute ich mich, denn die Erinnerungen bewirkten, dass ich mich Tristan wieder so nah fühlte, als wäre er an meiner Seite. Umso schmerzlicher war es mir bewusst zu werden, dass ich dieses Mal allein hier stand.
Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen und sah uns als frisch verheiratetes Paar den Flughafen betreten, um nach Hause zu fliegen. Wären wir nur hiergeblieben, dann wären wir noch beieinander.
Ich öffnete wieder meine Augen und schob die trübseligen Gedanken beiseite. Was nützte es über „Hätte, Wenn und Aber“ nachzudenken? Die Situation war, wie sie nun einmal war. Man konnte sie nicht mehr ändern. Doch die Zukunft war beeinflussbar und diese sollte für uns nun zu einer besseren werden.
Ich steuerte zu dem Autoverleih, welchen Tristan damals aufgesucht hatte. Im Gegensatz zu ihm, begnügte ich mich mit einem kleinen Fiat. Ich legte meinen echten Führerschein auf den Tisch, den ich tatsächlich auf ehrliche Weise mit einer Fahrschule erworben hatte.
Der Fiat war nicht mehr der Jüngste. Insgeheim hoffte ich, er würde bis Erice durchhalten. Doch nachdem er beim Anlassen merkwürdig schnalzte und in den ersten beiden Gängen hoch schnaubte, rasselte der Motor nun gemütlich im Takt mit dem Klappern des Dachfensters die Autobahn entlang.
Tatsächlich erreichte ich mit ihm den Parkplatz, von welchem aus ich zu Fuß weitermusste, um mit der Seilbahn hinauf nach Erice zu fahren. Ich atmete noch einmal tief durch, bevor ich die schwankende Gondel betrat.
Die Aussicht raubte mir erneut den Atem. Doch dieses Mal war es nicht nur der überwältigende Anblick, der sich mir zeigte. Es war auch das nicht auszublendende Gefühl, dass Tristan nicht neben mir stand, um mich zu halten.
Meine Arme um mich schlingend, versuchte ich die Tränen zurückzuhalten. Ich war nicht die einzige in der Gondel. Eine Blutspur im Gesicht konnte ich mir nicht erlauben. Doch so schmerzerfüllt wie in diesem Augenblick hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Ich hatte Tristan immer vermisst. Doch mit diesen Erinnerungen konfrontiert, die ich hier nicht verdrängen konnte, war die Trauer unerträglich.
Als ich aus der Gondel stieg, rannte ich auf dem schnellsten Weg zu Pietros Haus. Ich hoffte, dass ich den Schmerz gleich nicht mehr fühlen müsste, weil er mir sagen würde, wo Tristan war.
Als ich vor der Tür von Pietro zum Stehen kam und die Hand zum Klopfen ausstreckte, zögerte ich.
Was wäre, wenn er nicht wüsste, wo Tristan war? All meine Hoffnung wäre zerstört. Der letzte Rettungsanker wäre für immer verloren.
Doch was wäre, wenn Tristan sich sogar bei Pietro befand? Ich könnte ihn sofort wieder in meine Arme schließen.
Nein, ich musste jetzt wissen, woran ich war. Ich konnte nicht noch länger warten und so klopfte meine zittrige Hand an das Tor.
Ein kleines Mädchen öffnete mir die Tür. Ich war verwirrt.
„Ich möchte zu Pietro“, erst als ich die Worte sprach, dämmerte es mir, dass sie mich gar nicht verstehen konnte.
Ich kauerte mich hin, um auf ihrer Augenhöhe zu sein und versuchte meine hart erlernten Italienischkenntnisse anzuwenden.
„Tua mamma o tuo papà sono a casa?”, fragte ich nach ihren Eltern. Die Kleine nickte und schloss wieder die Tür. Dahinter hörte ich sie rufen. Kurze Zeit später öffnete sich das Tor erneut und eine wunderhübsche, junge Frau stand vor mir.
“Scusa, voglio andare da Pietro”, versuchte ich es mit meinem Anliegen erneut.
Doch die junge Frau schüttelte unverständlich den Kopf. “Non c'è Pietro che vive qui.”
Wie, es wohnte kein Pietro hier? Wo sollte er denn sein?
Nach und nach erfuhr ich, dass die junge Frau mit ihrer Familie in diesem Haus zur Miete wohnte. Der Eigentümer war vor einiger Zeit ausgezogen. Wohin wusste niemand. Dann verabschiedete sich die Frau und ich blieb regungslos vor der Tür stehen.
Meine schlimmsten Befürchtungen waren eingetreten. Ohne Pietro konnte ich Tristan nicht suchen. Ohne Pietro konnte ich Tristan nicht finden..., niemals.
Meine Beherrschung versagte. Ich rutschte mit dem Rücken an der Tür hinunter und kam schluchzend daran angelehnt zum Sitzen. Ich verbarg mein Gesicht hinter meinen Armen, damit niemand meine Blutstränen sehen konnte.
Deses Gefühl in mir war nicht in Worte zu fassen. All die Jahre hatte ich darauf vertraut, dass ich nur zu Pietro gehen brauchte, um zu erfahren, wo Tristan war. Er war mein Rettungsplan gewesen. Doch Pietro, der mir immer eine offene Tür zu seinem Haus versprochen hatte, war nicht mehr da. Mit seinem Verschwinden, schwand auch die letzte Chance Tristan je wiederzusehen.
In meinem Elend versunken spürte ich, wie mich etwas anstupste. Wieder und wieder bohrte sich etwas Spitzes in meinen Arm. Ich versuchte mit dem Ärmel mein Gesicht abzuwischen, eh ich aufblickte.
Eine sehr alte Frau stieß mich immer wieder mit ihrem Gehstock an. Als ich sie anschaute, erschrak sie kurz. Doch dann kam sie erneut näher.
Zunächst verstand ich kaum, was sie sagte. Ihre Stimme war leise und ihr Akzent war für meine ungeübten Ohren sehr schwer zu verstehen. Doch nach und nach begriff ich, was sie mir mitteilen wollte.
Sie fragte, ob ich den früheren Bewohner dieses Hauses suchte. Als ich dies bejahte, berichtete sie, dass eine junge Frau mit blonden Haaren vor einigen Jahren bei Pietro gewesen war. Sie hatte nur Wortfetzen gehört, aber die junge Frau schien ihm etwas gesagt zu haben, woraufhin Pietro erschrak und meinte, er würde ihn von dieser “Dummheit” abbringen. Irgendeine “Dummheit” hatte Tristan also geplant.
Ich war schockiert. Zum einen, dass mir eine wildfremde Frau so etwas erzählen konnte, wovon sie wahrscheinlich nie etwas hätte wissen sollen. Zum anderen, dass meine Vermutung richtig gewesen war. Pietro wusste wo Tristan ist. Doch wohin war er gegangen?
Die alte Frau meinte, dass Pietro noch in derselben Nacht Hals über Kopf Erice verlassen hatte und das Haus seitdem vermietet wurde. Wohin er aufgebrochen war, wusste sie nicht.
Ich musste unbedingt wissen, wie sie darauf kam, dass ich nach Pietro suchte. Daraufhin fing die alte Frau an noch leiser zu reden. Nur ein Flüstern vernahm ich, als sie nah an meinem Ohr sagte, dass sie mich erkannt hatte. Ich wäre wie er, wie Pietro. Ich würde genauso wenig altern wie der, den ich suchte.
Ich starrte die Frau an. Wusste sie Bescheid? Oder ahnte sie nur etwas? Und warum hatte sie keine Angst?
Stattdessen lächelte sie mich aufmunternd an. Dann entschuldigte sie sich, dass sie nicht weiter behilflich sein konnte und setzte ihren Weg fort.
Ich bedankte mich mehrfach bei ihr und versicherte dabei, dass sie mir mehr geholfen hatte, als sie annahm.
Denn was sie nicht wusste, mir war ein Geistesblitz durch mein Gehirn geschossen. “Dummheit”…, dass er in den Ätna gesprungen war, schloss ich aus, sonst hätte ich die Visionen von ihm nicht gehabt. Somit blieb nur eine Möglichkeit, die Pietro mit “Dummheit” gemeint haben konnte: Elisabeth!
Wahrscheinlich wollte Tristan wieder zu ihr zurück um den Schmerz über meinen Verlust nicht mehr spüren zu müssen. Vielleicht wollte er nie wieder fühlen müssen, so wie er es einst in ihrer Gesellschaft gehalten hatte.
Sagte die Alte nicht, dass sie eine junge Frau mit blonden Haaren bei Pietro gesehen hatte? War sie es gewesen, die Pietro aufgesucht hatte, um über ihren Siegeszug zu berichten und hatte er sich daraufhin aufgemacht, Tristan ins Gewissen zu reden und ihn zurückzuholen?
Die Eifersucht übermannte ich. Ich schwur mir Elisabeth umzubringen, sollte sie tatsächlich meinen Tristan berührt haben.
Doch wo konnte ich Elisabeth aufspüren? Ich blickte über die Mauern von Erice hinweg. Als ich den Blick über Trapani gleiten ließ, kam mir ein Gespräch mit Tristan in den Sinn. Elisabeth hatte Freunde in Rumänien. Dort war ihr Rückzugsort.
Folglich stand mein nächstes Reiseziel fest. Es würde nach Rumänien gehen.