Читать книгу Dunkler Garten - Nancy Taylor Rosenberg - Страница 10
Kapitel 8
ОглавлениеSamstag, 16. September 2006, 12.47 Uhr
Marcus und Carolyn folgten dem Abschleppwagen zur Werkstatt, die sich im Außenbezirk von Ventura am Ende einer Sackgasse befand. Auf dem Parkplatz standen fast ausschließlich Luxusautos jeden Alters und Modells. Carolyn verwünschte sich dafür, dass sie Marcus freie Hand gelassen hatte. Die Preise mussten hier exorbitant sein.
Ein freundlich aussehender Latino, auf dessen Hemd Emilio stand, nahm sie beide in Empfang. Er behandelte Marcus, als sei er eine Berühmtheit. Während er ihnen die Tür zum Büro aufhielt, fragte er, ob er ihnen eine Tasse Kaffee oder etwas Kaltes zu trinken anbieten dürfe. Als sie ablehnten, sagte er: »Nehmen Sie bitte Platz. Ich muss noch rasch etwas mit einem Kunden besprechen, ehe ich mir Ihre beiden Autos ansehe. Es wird höchstens fünf Minuten dauern.«
»Emilio wird Ihren Wagen bis Montag fertig haben«, sagte Marcus mit zuversichtlichem Lächeln. »Der Bursche arbeitet sieben Tage in der Woche. Deshalb ist er auch der beste. Ich habe Hochachtung vor Menschen, die bereit sind, für ihren Lebensunterhalt schwere Arbeit zu leisten.«
»Ja, finde ich auch«, bemerkte Carolyn beeindruckt.
»Okay, wir werden uns um die Reparatur kümmern«, sagte Emilio, als er zurückkehrte und hinter dem verwitterten Eichenschreibtisch Platz nahm. »Für meinen Freund, Mr. Wright, tue ich alles. Der Infiniti müsste bis Mittwoch fertig sein.«
»Montag wäre besser«, sagte Marcus und warf Carolyn einen raschen Blick zu. »Die Dame braucht ihren Wagen, um damit zur Arbeit zu fahren. Sie hat einen sehr wichtigen Beruf.«
»Kein Problem«, erklärte Emilio leicht nervös. »Dann muss ich ihn heute noch lackieren, damit die Farbe trocknen kann.«
»Wie viel wird das kosten?«, unterbrach Carolyn. »Können Sie mir einen schriftlichen Kostenvoranschlag geben? Einfach nur, damit keine Missverständnisse aufkommen.«
Ehe Emilio antworten konnte, sagte Marcus: »Da ich Sie hierher gelockt habe, werde ich natürlich auch die Reparaturkosten übernehmen.«
»Um Gottes willen, nein!«, protestierte Carolyn und sah ihn entgeistert an. »Ich habe den Unfall verursacht. »Wenn überhaupt, dann sollte ich für Ihren Schaden aufkommen.«
Marcus stand auf, nahm Carolyn bei der Hand und zog sie zur Tür. An der Schwelle drehte er sich noch einmal zu dem Mechaniker um und sagte bestimmt: »Ich erwarte erstklassige Arbeit, Emilio. Das ist eine besondere Kundin.«
»Ja, Mr. Wright«, sagte Emilio, während er ihnen beflissen die Tür öffnete. »Soll der Jaguar auch gleich repariert werden? Ich kann Ihnen einen exzellenten Leihwagen geben. Einen Mercedes oder einen BMW. Was immer Sie wollen.«
Statt einer Antwort winkte Marcus ihm zum Abschied zu und zog Carolyn mit sich nach draußen. Carolyn beschloss, das Thema Rechnung nicht mehr anzuschneiden. Wenn sie den Wagen am Montag abholte, würde Marcus nicht dabei sein, und sie war sich sicher, dass Emilio, so gefällig er auch sein mochte, ihr Geld mehr als bereitwillig annehmen würde. Sie hatte eine Visitenkarte von ihm eingesteckt und würde ihn, sobald sie zu Hause wäre, sofort anrufen und um einen Kostenvoranschlag bitten.
»Und jetzt lassen Sie uns den Unfall vergessen«, sagte Marcus, während er sie über den überfüllten Parkplatz führte. »Einen so schönen Tag sollte man sich nicht durch solch eine Lappalie verderben lassen.«
»Was ist mit Ihrem Wagen?«, fragte Carolyn. »Lassen Sie ihn nicht reparieren?«
»Vorerst nicht«, antwortete er. »Ich werde ihn bei Gelegenheit vorbeibringen. Ich habe noch andere Autos, mit denen ich fahren kann. Wo wohnen Sie?«
»Nehmen Sie am besten den Freeway nach Victoria«, wies sie ihn an. »Ich wohne in der Nähe des Ventura College.« Sie dachte kurz nach und entschied sich dann um. »Setzen Sie mich lieber bei Barnes and Noble in der Telefone Road ab. Ich bin gerade dabei, mein Haus zu verkaufen, und heute findet eine Besichtigung statt. Ich werde einen Freund anrufen, der mich in etwa einer Stunde abholen kommt. Notfalls könnte ich von dort auch zu Fuß nach Hause gehen.«
»Ich sehe das nicht als Problem an, sondern als eine gute Gelegenheit«, sagte Marcus mit breitem Grinsen. »Kann ich Sie für ein Mittagessen mit mir gewinnen? Ich sterbe vor Hunger.«
Carolyn wollte nicht zu begeistert erscheinen. »Hm, na gut«, sagte sie gedehnt, »aber unter einer Bedingung.«
»Und die wäre?«
»Die Rechnung geht auf mich.«
Marcus lachte. »Sie sind eine harte Verhandlungspartnerin.«
»Keine Bange«, erwiderte Carolyn schlagfertig. »Ich werde Sie ins Olive Garden einladen und nicht in ein Fünfsternerestaurant.«
Was für eine seltsame Ereigniskette, dachte sie, während sie sich in dem weichen Sitz des Jaguar zurücklehnte und den Fahrtwind genoss, der durch ihr Haar strich. Hätte sie ihr Haus nur wenige Sekunden früher oder später verlassen, wäre es nicht zu dem Unfall gekommen und sie wäre Marcus nie begegnet. Oder jemand anderer wäre in sie hineingefahren, und sie wäre jetzt tot. Oder, viel schlimmer noch, durch ihre unachtsame Fahrweise wäre ein anderer Mensch ums Leben gekommen. Allem Anschein nach war Marcus ein freundlicher, interessanter Mann. Er trug keinen Ring, was jedoch nichts zu bedeuten hatte. Viele verheiratete Männer trugen keinen Ehering. Und selbst wenn er nicht verheiratet war, hatte er an Frauen sicher keinen Mangel. Sie klappte die Sonnenblende herunter und musterte sich im Spiegel. War das nicht wieder typisch?, dachte sie. Sie war auf dem Weg zum Strand gewesen, ungeschminkt, die Haare feucht vom Duschen und in einen uralten Fummel gekleidet, den sie schon vor Jahren hätte ausrangieren sollen. Sie zog ihren Lippenstift aus der Tasche, obwohl das jetzt auch nichts mehr retten würde. Er hatte bereits die Sommersprossen auf ihrer Nase gesehen und vermutlich auch bemerkt, dass ihre Augenbrauen mal wieder gezupft werden müssten. Verstohlen besah sie sich ihre Hände. Die Fingernägel waren zum Teil abgebrochen und die Nagelhaut abgekaut, eine Angewohnheit, die sie seit der Kindheit hatte. Als sie seinen Blick bemerkte, sagte sie rasch: »Ihr Auto ist wunderschön.«
»Danke«, sagte er, mit seinen langen Fingern das schimmernde hölzerne Lenkrad umfassend. »Es fährt sich angenehm weich. Und ich kann einen ganzen Tag lang darin sitzen, ohne Platzangst zu kriegen.« Er blickte aus dem Fenster. »Sind wir hier richtig? Ich weiß, dass es hier irgendwo ein Olive Garden gibt.«
»Wir sind gerade daran vorbeigefahren«, sagte sie, nach draußen deutend. »Biegen Sie hier ab.«
Nachdem sie im Lokal Platz genommen und ihre Bestellung aufgegeben hatten, fragte Carolyn: »Leben Sie in L.A.?«
»Nicht wirklich«, antwortete Marcus. »Ich habe ein Haus, ungefähr eine halbe Autostunde von hier entfernt. In L.A. übernachte ich nur, wenn ich bis über den Hals in Arbeit stecke.« Er hatte eine Flasche Rotwein bestellt und schenkte ihr ein Glas ein. »Ich kannte mal einen Typen, der zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war. Er musste sich jeden Monat melden und auf Drogen untersuchen lassen. Entspricht das in etwa Ihrer Arbeit?«
»Nur zum Teil«, sagte Carolyn und stützte das Kinn auf die Hand. Gleich darauf legte sie hastig beide Hände in den Schoß, da sie sich der Mahnung ihrer Mutter entsann, die Ellbogen niemals auf den Tisch zu legen. Etikette, dachte sie und fragte sich dann, ob heutzutage überhaupt noch jemand etwas mit diesem Begriff anfangen konnte. Die Leute in ihrer Einkommensklasse konnten sich keine Spitzenrestaurants leisten. Sie aßen in Fast-Food-Restaurants oder in einfachen Lokalen wie diesem hier, wo man ordentliches Essen zu günstigen Preisen bekam. »Ich arbeite in einer Abteilung, die man als Gerichtshilfe bezeichnet. Meine Aufgabe besteht darin, im Vorfeld der Hauptverhandlung zu ermitteln, Gespräche mit den verschiedenen Parteien zu führen, strafverschärfende oder strafmildernde Umstände festzustellen und nachzuschlagen, welches Strafmaß sich anwenden lässt. Der Urteilsspruch eines Richters beruht in hohem Maße auf der Empfehlung des jeweiligen Gerichts- und Bewährungshelfers.«
»Faszinierend«, bemerkte er, sichtlich interessiert. »Haben Sie einen Juraabschluss?«
»Nein.« Sie trank einen Schluck Wein. »Ich war ein Jahr lang an der juristischen Fakultät, musste das Studium dann aber abbrechen. Mir blieb kaum noch Zeit für meine Kinder, und die Studiengebühren gruben ein zu tiefes Loch in mein Budget. Aber irgendwann nehme ich das Studium wieder auf, spätestens, wenn ich meine Kinder durch das College gebracht habe.«
»Und Ihr Mann?«, fragte Marcus. »Was arbeitet er?«
»Oh.« Carolyns Miene verdüsterte sich. »Ich bin schon seit langem geschieden. Mein Ex beteiligt sich nicht an den Kosten für die Kinder. Aber was soll’s? Er war nicht gerade ein vorbildlicher Ehemann. Und was ist mit Ihnen? Haben Sie Frau und Kinder?«
»Weder noch«, sagte er. Seine Knie streiften unter dem Tisch flüchtig die ihren. »Ich bin nie verheiratet gewesen. Das heißt nicht, dass ich generell gegen die Ehe bin«, fügte er achselzuckend hinzu, »aber vermutlich bin ich der Richtigen noch nicht begegnet. Und Sie? Sind Sie wieder liiert?«
Stand ihr Mond in Konjunktion zur Venus oder etwas in der Art?, dachte Carolyn. War es möglich, dass dieser Traummann, der förmlich aus dem Nichts aufgetaucht war, ihr tatsächlich Avancen machte? Wenn sie ihm erzählte, dass sie seit neun Monaten kein Date mehr gehabt hatte, würde er denken, mit ihr stimme etwas nicht. Wer wollte schon etwas haben, das andere verschmähten? »Ich war eine Weile mit einem Rennfahrer zusammen«, sagte sie, ihre ehemalige Beziehung mit Brad Preston ins Feld führend. Warum sollte sie erzählen, dass Brad und sie zusammen arbeiteten und die Affäre schon seit Jahren vorbei war? Es war keine richtige Lüge, eher eine Art Unterlassungssünde. »Wir haben beschlossen, die Sache zu beenden. Und ich bin so beschäftigt, dass Verabredungen nicht unbedingt Priorität haben.«
Marcus warf ihr einen verwunderten Blick zu. Carolyn kam sich wie eine Idiotin vor. Sie war schon so lange nicht mehr mit einem Mann zusammen gewesen, dass sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte. Ehe sie Gelegenheit hatte, noch mehr Schwachsinn von sich zu geben, tauchte zum Glück der Kellner mit ihren Gerichten auf. Den Blick auf den Teller gesenkt, aß Carolyn ihr Kalbfleisch; sie bemühte sich, in kleinen Happen zu essen und sich zwischendurch immer wieder den Mund mit der Serviette abzutupfen.
»Könnte man dieses Essen nicht als eine Art erstes Rendezvous betrachten?«, sagte Marcus unvermittelt und suchte Carolyns Blick.
Carolyn hätte sich fast an ihrem Essen verschluckt. »Ähm«, stammelte sie und kippte den restlichen Wein hinunter, »ja … warum nicht?« Mit fahrigen Bewegungen deutete sie auf die Teller. »Wir essen zusammen, wir unterhalten uns.« Sie versuchte, sich gelassen und weltoffen zu geben, doch das war schwierig, wenn man so aufgeregt war. Unversehens legte sie die Hand vor den Mund und begann zu kichern. Marcus warf den Kopf zurück und brach gleichfalls in schallendes Gelächter aus. Der Stress der vergangenen Tage verflüchtigte sich und machte einem wunderbaren Gefühl von Verheißung Platz. Sie spürte, wenn etwas in der Luft lag, und zwischen ihr und diesem Mann lag etwas in der Luft. Die Chemie zwischen ihnen war so intensiv, dass Carolyn nicht überrascht gewesen wäre, wenn selbst der Kellner es bemerkt hätte. »Wir sind keine Teenager mehr«, sagte sie. »Wir sollten in der Lage sein, offen zu sagen, was wir wollen.« Als sie bemerkte, wie seine Miene aufleuchtete, fügte sie rasch hinzu: »Ich meine damit natürlich nichts Sexuelles, nur …«
»Du bist süß«, sagte er, während er ihr Wein nachschenkte. »Du bist intelligent.« Spielerisch tippte er auf ihre Nasenspitze. »Und ich mag deine niedliche, freche Stupsnase.«
»Du gefällst mir auch«, stieß Carolyn atemlos hervor. »Ich habe noch nie einen Mann mit Grübchen im Kinn gekannt. Wie rasierst du es?«
»Sehr vorsichtig«, grinste Marcus.
»Ich bin froh, dass ich heute dieses Stoppschild übersehen habe«, fuhr sie fort. »Es tut mir natürlich leid um deinen schönen Wagen. Und wir hatten Glück, dass keiner von uns beiden verletzt wurde.«
»Ich freue mich auch, dass du das Stoppschild übersehen hast«, sagte er. »Bist du fertig?«
»Oh … ja«, sagte Carolyn, worauf er dem Kellner mit einem Handzeichen zu verstehen gab, dass sie zahlen wollten. Mit leicht frivolem Lächeln sah sie zu, wie er eine Hand voll Geldscheine auf den Tisch warf und aufsprang, um ihren Stuhl zurückzuschieben.
Ein Mann hatte sie von einem benachbarten Tisch aus beobachtet. Er kam Carolyn vage bekannt vor, doch sie konnte ihn nicht einordnen. Sobald sie sich erhoben hatte, stand er gleichfalls auf und näherte sich ihr mit zorniger Miene. Jetzt erkannte sie ihn wieder und wusste, dass es Probleme geben würde.