Читать книгу Dunkler Garten - Nancy Taylor Rosenberg - Страница 3
Kapitel 1
ОглавлениеSt. Louis, Missouri
Als die Sonne unterging und die Dunkelheit hereinbrach, legte sich der Tod auf die Lauer. Draußen heulte der Wind und ließ die Fensterläden des kleinen, voll gestellten Wohnzimmers klappern.
Eleanor Beckworth machte sich auf den Weg ins Badezimmer, um sich bettfertig zu machen. Sogar durch die Hausschuhe spürte sie die kalten Holzdielen an ihren Fußsohlen. Sie war eine zierliche Frau und hatte ihr Gewicht immer konstant unter sechzig Kilo gehalten. In jüngeren Jahren war sie fast einen Meter sechzig groß gewesen, doch inzwischen brachte sie es gerade einmal auf einen Meter fünfzig. Das Alter hatte nicht nur ihre Haut zusammenschrumpeln lassen, sondern auch ihre Wirbelsäule.
Unvermittelt blieb Eleanor stehen und spitzte die Ohren. Sie glaubte, eine atmosphärische Veränderung wahrzunehmen. Hatte sich der Luftdruck geändert? Vielleicht stellte sich das für morgen vorhergesagte Unwetter schon früher ein. Das wäre ärgerlich, da ihr Dach dringend eine Reparatur benötigte und der Heizkessel wieder einmal verrückt spielte. Widerwillig hatte sie heute Mitch, einen befreundeten Handwerker, angerufen. Vielleicht könnte Mitch das Dach ausbessern, wie er es schon letztes Jahr gemacht hatte.
Eleanor versuchte, mit dem Geld auszukommen, das sie von der Sozialhilfe bezog. Es reichte jedoch kaum aus, um die Hypothek abzubezahlen und Lebensmittel zu kaufen. Sie hatte zwanzigtausend auf dem Sparkonto und den bescheidenen Restwert ihres Hauses. Im Laufe der Jahre hatte sie den größten Teil des Hauses beliehen, doch wenn sie starb, wollte sie ihrer Enkeltochter etwas hinterlassen.
Als ihr Blick in der Diele auf Elizabeths Fotos fiel, die aufgereiht an den Wänden hingen, legte sie einen Finger auf den Mund und drückte ihn dann auf das Gesicht ihrer Enkeltochter. Eleanors Tochter Anna war an Leukämie gestorben, als Elizabeth drei Jahre alt war, und so hatte Eleanor das Kind bei sich aufgenommen. Da Anna den Vater ihrer Tochter nicht geheiratet hatte, war der junge Mann sehr bald auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Eleanor hatte die Mutterrolle bei Elizabeth gern übernommen.
Elizabeth war ein so liebenswertes Mädchen, dachte Eleanor, hatte aber kein Glück mit Männern. Sie war fünf Jahre lang mit einem jungen Mann zusammen gewesen, der ebenfalls bei ihr gewohnt hatte. Der Kerl hatte nie auch nur einen Penny zur Miete beigesteuert, lediglich ein, zwei Tage in der Woche gearbeitet und immer gekniffen, wenn es darum ging, sich zu der Beziehung zu bekennen. Schließlich war Elizabeth keine andere Wahl geblieben, als den Schmarotzer hinauszuwerfen. Doch ihr kleines Herz war dabei zerbrochen.
Was waren das nur für Männer, die sich von Frauen aushalten ließen?, dachte Eleanor verächtlich. Früher hatte ein Mann einer Frau die Autotür aufgehalten, sie in ein nettes Restaurant eingeladen, sie wie eine Dame behandelt. Die Männer hatten sich nicht wie die Geier auf einsame Frauen gestürzt, sie wie Prostituierte benutzt und sich aus dem Staub gemacht, sobald sie sich langweilten oder zu der Überzeugung gelangten, es sei für sie nichts mehr zu holen.
»Nun ja«, seufzte sie und ging ins Badezimmer. Sie hängte ihre Kleidung an einen Haken, um sie morgen Früh griffbereit zu haben, und schlüpfte in ihr blaues Flanellnachthemd. Nachdem sie ihr Gebiss herausgenommen und ihren Morgenmantel übergezogen hatte, machte sie wie jeden Abend ihren Rundgang durch das Haus. Sie überprüfte, ob alle Türen und Fenster geschlossen waren, goss die Pflanzen, die auf einem Regal über dem Spülbecken standen, zählte die Pillen ab, die sie jede Nacht brauchte und legte sie in eine kleine Plastikdose.
Eleanor hatte immer gedacht, ihre Enkeltochter würde irgendwann heiraten und in der Nähe leben. Sie schaute auf die Uhr und fragte sich, warum Elizabeth noch nicht angerufen hatte. Sie telefonierten einmal in der Woche, genauer gesagt, jeden Sonntagabend. Eleanor rief Elizabeth so gut wie nie an, da Elizabeth manchmal stundenlang telefonierte. Abgesehen davon wären Ferngespräche nach Kalifornien, wo Elizabeth nun lebte, auf Dauer auch zu teuer. Elizabeth musste sich in der Zeit vertan haben. Sie war Computertechnikerin und arbeitete außer Haus.
Als das Telefon klingelte, stürzte Eleanor zum Nachttisch und hob den Hörer ab. »Bist du es, Liebes?«, rief sie. »Ich hatte schon befürchtet, ich würde heute Abend nichts mehr von dir hören.«
»Tut mir leid, dass ich nicht früher angerufen habe, Mom«, sagte ihre Enkeltochter. Seit ihrer Kindheit nannte sie Eleanor »Mutter«. »Matt und ich hatten einen fürchterlichen Streit.«
»O je«, sagte Eleanor. »Ich dachte, deine Ehe würde wunderbar funktionieren.«
»Das dachte ich auch«, erwiderte Elizabeth mit brüchiger Stimme. »Aber Matt ist nicht mehr der Mann, den ich einmal geheiratet habe.«
»Ach, Kindchen.« Bekümmert ließ sich Eleanor auf den Stuhl neben dem Telefon sinken. »Vielleicht sitzt du zu viel an deinem Computer und schenkst ihm nicht genügend Aufmerksamkeit. Männer brauchen sehr viel Beachtung, Liebes. Ich bin sicher, du wirst das wieder hinkriegen. Wo ist Matt jetzt?«
»Keine Ahnung. Er war so wütend, Mutter. So habe ich ihn noch nie erlebt. Er hat den ganzen Tag getobt. Vor ungefähr einer Stunde ist er gegangen, ohne mir zu sagen, wohin.«
»Wenn er uns hören würde, würde er wahrscheinlich noch wütender werden, Liebes. Was in einer Ehe passiert, geht nur den Mann und die Frau etwas an. Kein Mann möchte, dass sich andere Leute in seine Privatangelegenheiten einmischen.«
»Du hast recht«, bemerkte Elizabeth seufzend. »Ich hätte es gar nicht erwähnen sollen.« Sie hielt inne und flüsterte dann: »Ich glaube, ich höre Matt. Ich rufe dich nächste Woche wieder an.«
»Ich hab dich lieb«, sagte Eleanor, betrübt über das abrupte Ende des Telefongesprächs.
»Ich hab dich auch lieb, Mom.«
Eleanor schreckte durch ein Geräusch hoch. Als sie auf den Wecker auf dem Nachttisch blickte, sah sie, dass es erst kurz nach fünf Uhr morgens war. Das war sicher die Müllabfuhr, dachte sie, beschloss aber, sicherheitshalber nachzusehen. Sie zog Morgenmantel und Hausschuhe an, tappte hinunter in die Diele und erstarrte vor Schreck, als vor ihr plötzlich eine große, dunkle Gestalt aufragte. »Raus hier!«, kreischte sie, die Hand auf die Brust gepresst. »Ich habe eine Waffe. Wenn Sie nicht augenblicklich verschwinden, erschieße ich Sie.«
Als sie sich umdrehte, um ins Schlafzimmer zurückzulaufen und die Polizei anzurufen, packte sie der Eindringling am Nacken und ließ sie plötzlich wieder los. Sie fiel mit dem Gesicht auf den Holzboden. Der Mann kauerte über ihr, sein heißer Atem drang in ihr Ohr. »In der Küche ist meine Handtasche«, keuchte sie, während ein greller Schmerz durch ihre linke Hüfte zuckte. »Da ist Bargeld drin … Nehmen Sie es … Davon können Sie Drogen kaufen.«
»Drogen, hm?«, wiederholte der Mann, während er ihr die Arme auf den Rücken bog. »Ich brauche keine Drogen. Ich werde vom Töten high. Hast du Angst zu sterben? Das solltest du nämlich.«
Er richtete sich auf und zerrte Eleanor hoch. Außerstande zu stehen, fiel sie gegen seinen Arm. »Ich glaube, meine Hüfte ist gebrochen«, stöhnte sie. In ihrem Alter war eine gebrochene Hüfte schlimmer als ein Herzinfarkt. Wenn sie nicht mehr für sich sorgen konnte, müsste sie in ein Pflegeheim gehen. »Ich werde nie wieder normal laufen können, Sie Ungeheuer!«, fauchte sie ihn an. »Dafür wird Gott Sie strafen.«
»Uh, da kriege ich ja richtig Angst.« Er packte sie bei den Haaren und schleifte sie hinter sich her. »Wenn es einen Gott gäbe, hätte er mich schon längst gestraft. Du hast ja keine Ahnung, was ich schon alles getan habe. Und ich bin immer ungeschoren davongekommen. Scheiße, eine alte Frau wie dich zu töten, ist genauso, als würde man eine Fliege zerquetschen.«
Als sie im Schlafzimmer angelangt waren, hob er sie hoch und warf sie auf das Bett. Panisch griff Eleanor nach dem Telefonhörer, doch der Mann riss das Telefon aus der Wand. Mit lautem Krachen fiel es zu Boden. Entsetzt beobachtete Eleanor, wie der schreckliche Mann das Telefonkabel um sein Handgelenk wickelte. Ans Kopfende des Bettes zurückweichend, flehte sie: »Oh, nein, bitte! Haben Sie Erbarmen mit mir!«
Er straffte die Schultern und wandte sich Eleanor zu. Die Zeit schien stillzustehen. Durch einen Spalt im Fensterladen drang der Lichtstrahl eines vorbeifahrenden Wagens herein und huschte über das Gesicht des Mannes. »Du!«, schrie Eleanor, vor Angst und Zorn am ganzen Leib bebend. »Um Himmels willen, das glaube ich einfach nicht!«
Der Mann ging um das Bett herum, sprang auf die Matratze und kauerte sich über Eleanor. »Du hast gute Augen«, sagte er, das Kabel um ihren Hals legend. »Zu gute Augen.«
Er drehte das Kabel in den Händen und beobachtete, wie es sich in Eleanors faltigen Hals grub. Dann stemmte er einen Fuß auf Eleanors Schlüsselbein, streckte langsam das Bein aus und schob Eleanor zum Fußende des Bettes, bis sie zu zappeln begann. »Ich bin der letzte Mensch, den du sehen wirst. Mach dir keine Vorwürfe. Ich hätte dich auch getötet, wenn du mich nicht erkannt hättest.«
Eleanor versuchte zu schreien, doch es ging nicht. Sie bekam keine Luft. Ihr Körper verkrampfte sich, und ihre Augen drohten aus den Höhlen zu quellen.
»He, entspann dich, altes Mädchen. In ein paar Minuten ist alles vorbei. Es ist genauso, als würdest du ein langes Nickerchen machen.« Der Mann stand nun auf dem Bett. Seine Beinmuskeln zitterten vor Anspannung, während er an dem Kabel zog, bis Eleanors Körper schlaff und leblos wurde. Dann starrte er auf sie hinunter und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Als er keinen Zweifel mehr daran hatte, dass sie tot war, wickelte er das Kabel um den Bettpfosten und befestigte es mit einem Knoten. Der Kopf seines Opfers baumelte nun mehrere Zentimeter über dem Kissen.
Er sprang vom Bett, warf die Heizdecke über die Leiche, knipste die Nachttischlampe an und begann, Eleanor Beckworths Kommoden und Schränke zu durchsuchen.