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Kapitel 7

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Samstag, 16. September 2006, 8.47 Uhr

Carolyn lag noch im Tiefschlaf, als das Telefon klingelte. »Carolyn, Margaret am Apparat, Margaret Overton vom Immobilienbüro Harbor Reality.«

»Wie spät ist es?«, stammelte Carolyn, in der Annahme, es sei mitten in der Nacht. Offenbar war sie erschöpfter gewesen, als sie gedacht hatte. Sie war zu Bett gegangen, ohne ihre Schlaftablette zu nehmen. Nachdem sie ihr halbes Leben gegen ihre Schlaflosigkeit angekämpft hatte, schlief sie ohne Pillen nur selten eine Nacht durch. Jetzt hatte sie so lange geschlafen, dass sich ihre Lider anfühlten, als würden sie zusammenkleben.

»Entschuldigen Sie die frühe Störung«, sagte die Maklerin. »Ich habe gestern mit Ihrer Tochter gesprochen und um Ihren Rückruf gebeten, aber wahrscheinlich hat sie vergessen, es Ihnen auszurichten. Ich würde heute gern eine Hausbesichtigung durchführen. Natürlich nur, wenn es Ihnen recht ist.«

»Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist.« Carolyn ging zum Fenster und blickte durch einen Spalt in den Jalousien in den Garten hinaus. Zu ihrer Überraschung war der Rasen gemäht. Offenbar war John schon bei Tagesanbruch aufgestanden. Er musste bis mittags an seinem Arbeitsplatz sein, und das Restaurant, in dem er jobbte, befand sich im San Fernando Valley, fast eine Autostunde entfernt.

»Ich habe für heute mehrere Interessenten. Wenn man sie alle zusammen kommen lässt, fördert das die Konkurrenz. Würde Ihnen elf Uhr passen?«

»Ich dachte, Sie wollen noch warten, bis ich einige Schönheitsreparaturen vorgenommen habe.«

»Ich habe mich wohl nicht ganz klar ausgedrückt«, entgegnete Margaret besänftigend. »Das Haus wurde letzte Woche in die Liste aufgenommen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich auch ohne Reparaturen verkaufen lässt. Die neuen Besitzer werden es vermutlich umbauen. Der Grund ist ja sehr viel mehr wert als das Haus.«

Carolyn begann, mit der freien Hand ihr Bett zu machen. »Okay, aber bitte nicht vor elf Uhr. Ich muss noch ein wenig aufräumen.«

»Tausend Dank für Ihre Mitarbeit. Denken Sie daran, das Wichtigste ist, dass wir Ihr Haus schnell und zum höchstmöglichen Preis verkaufen. Auf diese Weise werden Sie die wenigsten Unannehmlichkeiten haben.«

»Klingt gut«, murmelte Carolyn wenig überzeugt. Das ging ihr alles viel zu schnell. Aber je eher sie die Sache hinter sich brachte, desto besser. Obwohl sie es Rebecca gegenüber nie zugeben würde, hasste auch sie die Vorstellung, dass fremde Leute durch ihr Haus liefen und in ihrer Privatsphäre herumschnüffelten.

»Ach, übrigens«, fügte Margaret hinzu, »es ist immer besser, wenn die Besitzer bei den Hausbesichtigungen nicht anwesend sind. Die Leute wollen gern ungestört herumspazieren, sich mit ihren Partnern besprechen, Maß nehmen. Na, Sie wissen schon.«

»Ja, sicher«, erwiderte Carolyn. »Ich habe im Büro sowieso noch etwas zu erledigen.«

Sobald sie aufgelegt hatte, schlüpfte sie in den Morgenmantel, rannte in den Flur hinaus und brüllte ins Treppenhaus: »John! Rebecca!«

»Was gibt’s?«, schrie John aus der Küche. »Ich habe dir Kaffee gekocht.«

»Die Maklerin möchte um elf Uhr mit ein paar Interessenten einen Rundgang machen.« Carolyn eilte in die Küche, umfasste Johns Gesicht mit beiden Händen und gab ihm einen Kuss. »Danke fürs Rasenmähen, Schatz. Ist dein Zimmer aufgeräumt?«

»Klar«, sagte er, ohne zu zögern. Er schenkte eine Tasse Kaffee ein und reichte sie ihr. »Trink deinen Kaffee, Mom. Und entspann dich. Jeder weiß, dass dies kein Musterhaus ist. Rebecca ist vor einer halben Stunde gegangen. Ich weiß allerdings nicht, ob sie aufgeräumt hat. Sie sagte, du hast ihr erlaubt, mit Hillary heute zu Knott’s Berry Farm zu fahren. Oder war das geschwindelt?«

»Nein, nein.« Carolyn hatte das völlig vergessen. Auf dem Weg zum Zimmer ihrer Tochter verschüttete sie in der Diele ein paar Spritzer Kaffee. John blieb ihr dicht auf den Fersen. Als sie die Zimmertür öffnete, stockte ihr der Atem. Bis auf die Kleidungsstücke, die Rebecca in ihren Schrank geschmissen hatte, sah das Zimmer noch genauso aus wie am Abend zuvor. »Irgendwann drehe ich ihr den Hals um.«

»Oh, diese Aufgabe würde ich gern übernehmen«, grinste John und nahm ihr vorsichtshalber die Kaffeetasse ab, damit sie nicht auf dem Teppichboden landete. »Verlang jetzt bitte nicht von mir, dass ich hinter ihr herräume. Ich muss gleich zur Arbeit und will vorher noch duschen. Samstags gibt’s immer fette Trinkgelder. Ich habe seit sechs Uhr früh im Garten gearbeitet und mache heute eine Doppelschicht.«

»Was ist das für ein Geruch?«

John schnupperte. »Ich rieche nichts.«

Carolyn folgte ihrer Nase zum ungemachten Bett ihrer Tochter. Sie kniete sich vor das Bett, griff tastend darunter und zog schließlich einen Aschenbecher mit einer halb gerauchten Zigarette hervor, die verdächtig nach einem Marihuana-Joint aussah. »Sie raucht Dope! Was treibt deine Schwester sonst noch, wovon ich keine Ahnung habe?«

»Hey«, rief John und hob abwehrend die Hände hoch, »lass mich da bitte raus. Ich rühr das Zeug nicht an. Was nicht heißt, dass ich es nicht ein paar Mal versucht hätte. Rebecca ist fünfzehn, Mom. Sie experimentiert herum. Mach ihr bloß keine Szene, sonst wird sie es noch bunter treiben.« Er nahm ihr den Aschenbecher aus der Hand. »Ich leer ihn aus. Gegen den Geruch kannst du irgendein Raumspray nehmen. So, wenn ich jetzt nicht gehe, komme ich zu spät zur Arbeit.«

Carolyn stand unter der Dusche und spürte, wie sich ihre verspannten Muskeln unter dem heißen Wasser lockerten. Sie hatte keine Lust ins Büro zu gehen; Rebeccas verdrecktes Zimmer aufzuräumen, war Arbeit genug gewesen. Vielleicht könnte sie einen Strandspaziergang machen. Der Strand war nur wenige Meilen entfernt, und es war eine Schande, wie selten sie das ausnutzte. Nach der gestrigen Begegnung mit Holden würde ihr ein Spaziergang an der frischen Luft bestimmt guttun.

Nachdem sie ihr Haar mit dem Handtuch trocken gerubbelt hatte, schlängelte sie sich in ihren pfirsichfarbenen Badeanzug und zog ein Strandkleid mit Blümchenmuster darüber, das knapp ihre Knie bedeckte. Dann zog sie ihren Gymnastikbeutel aus der Versenkung hervor und packte Sonnenschutzmittel und eine Flasche Wasser hinein. Sie hatte seit Jahren keinen Nachmittag mehr für sich gehabt. Was sollte sie nur mit Rebecca machen? Es musste auf jeden Fall eine Maßnahme sein, die nachhaltige Wirkung zeigte.

Sie erinnerte sich an eine Episode, als Rebecca zehn Jahre alt und kaum zu bändigen gewesen war. Carolyn hatte Rebecca und John der Obhut eines Babysitters überlassen, damit sie in Ruhe ihre Einkäufe erledigen konnte. Es war immer schwierig gewesen, Rebecca in ein Geschäft mitzunehmen, da das Mädchen alles, was es sah, haben wollte und so lange herumbrüllte, bis Carolyn entweder das Gewünschte kaufte oder Rebecca aus dem Laden zerrte. An jenem besonderen Tag nun war Rebecca ihr bis auf die Straße nachgerannt und hatte »Kinderquälerin!« gekreischt. Carolyn hatte sich verletzt gefühlt und gleichzeitig gefürchtet, die Nachbarn könnten Rebeccas Vorwurf ernst nehmen und die Polizei verständigen.

Sie beschloss, nicht über den Freeway zu fahren, sondern über die Foothill Road in Richtung des alten Teils von Ventura und dann die Abzweigung zum Strand zu nehmen. Ihre Gedanken wanderten zu Holden. Sie musste eine Möglichkeit finden, ihn ins Gefängnis zu bringen, bevor er wieder eine Frau vergewaltigte und ermordete. Ein potenzielles Verbrechen zu verhindern, war keine leichte Aufgabe.

Das laute Gellen einer Hupe riss Carolyn wieder in die Gegenwart zurück. Sie blickte nach rechts, und im selben Moment krachte ein Wagen in die Beifahrerseite ihres Infiniti. Es regnete Glassplitter, und instinktiv warf Carolyn die Hände hoch, um ihr Gesicht zu schützen, und stieg auf die Bremse. Der Wagen schleuderte ein paar Mal, ehe er zum Stehen kam.

»Sind Sie in Ordnung?«, ertönte kurz darauf eine männliche Stimme.

»Äh, ich glaube schon«, antwortete Carolyn benommen.

»Nicht bewegen«, sagte der Mann, während er die Tür an der Fahrerseite öffnete und Carolyns Sicherheitsgurt löste.

Carolyn blickte auf, direkt in das Gesicht des Fremden. Die Glassplitter von ihrem Strandkleid fegend, fragte sie: »Was ist passiert?«

»Sie haben ein Stoppschild übersehen«, sagte er. »Keine Bange, mein Wagen hat kaum etwas abbekommen. Ich mache mir eher Sorgen um Sie. Versuchen Sie, ihren Kopf langsam von links nach rechts zu drehen.«

Sie folgte seiner Aufforderung. »Ich komme mir zwar wie ein Idiot vor, aber ich bin okay«, sagte sie und stieg aus. »Es tut mir so leid.« Mit der Hand schirmte sie die Augen gegen die Sonne ab. Der Mann fuhr ein cremefarbenes Jaguar-Cabrio. »Was ist mit Ihnen? Sind Sie verletzt?«

»Mir fehlt nichts«, sagte er lächelnd und klopfte sein Sakko ab. »Zum Glück sind wir beide nicht schnell gefahren. Lassen Sie uns die Autos erst einmal am Straßenrand abstellen, bevor wir Adressen und Versicherungsnummern austauschen.«

Carolyn wunderte sich über sein freundliches Benehmen. Die meisten Leute wären fuchsteufelswild, wenn ihnen jemand den Wagen demolierte. Er trug einen dünnen schwarzen Rollkragenpullover, der aussah, als sei er aus Seide oder einem anderen teuren Material, eine legere Bügelfaltenhose und ein modisches Sakko mit einem silbernen Emblem darauf, das an die Abzeichen auf Pilotenuniformen erinnerte. Das Sonnenlicht spiegelte sich auf seiner auffälligen Golduhr, die gut zu seiner gebräunten Haut passte. Fasziniert betrachtete Carolyn das große, kompliziert aussehende Ziffernblatt; sie hatte nicht gewusst, dass Cartier auch Uhren für Männer herstellte. Sein Haar war von ein paar grauen Strähnen durchzogen, doch er wirkte nicht älter als vierzig. »Sollen wir nicht lieber auf die Polizei warten, bevor wir die Autos bewegen?«

»Wozu?« Er streckte ihr die Hand entgegen. »Ich heiße Marcus Wright. Die Umstände sind zwar nicht die besten, aber nett, Sie kennen zu lernen, Miss …«

»Sullivan«, sagte sie. »Carolyn Sullivan.« Zum Glück sprang ihr Infiniti an und schaffte es bis an den Randstein, ehe der Motor zu stottern begann und abstarb. Die Beifahrertür war eingedellt und ließ sich nicht öffnen, und das Glas des Seitenfensters war kaputt. Der Mann parkte hinter ihr. Sie fragte sich, was er wohl beruflich machte. Er sah aus wie jemand aus der Filmbranche, ein Produzent oder dergleichen. Auf jeden Fall war er kein Durchschnittstyp.

Carolyn holte ihre Autoversicherungskarte aus dem Handschuhfach und stieg aus dem Wagen. Der Mann telefonierte gerade auf seinem Handy; während er redete, schlüpfte er behände aus seinem Sakko und warf es auf den Rücksitz. Was für ein attraktiver, charmanter Mann, dachte Carolyn. Vermutlich war er mit einer großen, gertenschlanken Blondine verheiratet, hatte zwei perfekte Kinder und lebte in einer herrschaftlichen Villa in Beverly Hills. Was hatte er in diesem Teil von Ventura verloren? Wäre sie ihm am Yachthafen begegnet, würde das noch irgendeinen Sinn ergeben. Andererseits sah er auch nicht wie ein Segler aus.

»Hören Sie, Carolyn«, sagte er und legte die Hand auf ihren Arm. Der Duft seines Rasierwassers stieg ihr in die Nase; er erinnerte sie an Vollblutpferde und Ledersättel, mit einem schwachen blumigen Unterton. »Sie brauchen Ihre Versicherung nicht zu informieren«, fuhr er fort. »Die erhöhen dann nur Ihre Beiträge. Der Schaden an meinem Wagen ist nicht der Rede wert. Ich denke, wir müssen das nicht einmal bei der Kraftfahrzeugstelle melden.«

Carolyn ging um seinen Wagen herum und entdeckte am Kotflügel einen weißen Farbstreifen und eine eindeutige Delle. Bei einem derart teuren Wagen würde die Reparatur ein Vermögen kosten. In der Jaguar-Werkstatt würde man ihm wahrscheinlich raten, den gesamten Kotflügel zu ersetzen. Wie sie die Sache einschätzte, blieb er nur deshalb so gelassen, weil er vorhatte, sie zu verklagen. Sie zog eine Visitenkarte aus der Handtasche, drehte sie um und machte sich daran, ihr Autokennzeichen zu notieren.

»Das Kennzeichen brauche ich nicht«, sagte Marcus. Behutsam schob er Carolyns Stift beiseite und nahm die Visitenkarte an sich. »Sind Sie das? Strafvollzugsbehörde von Ventura County. Wow, nicht schlecht.«

Carolyn nickte; sie war so durcheinander, dass ihr die Worte fehlten.

»Interessant«, sagte er, die Karte zwischen den Fingern drehend. »Sind Sie Polizistin?«

»Bewährungshelferin«, sagte sie und dachte, dass ihre Berufsbezeichnung genauso gut Hausmeisterin oder Verkäuferin sein könnte. Allein die Klamotten, die er am Leib trug, waren teurer als das, was sie in einem Monat verdiente. »Es tut mir wirklich leid. Die Sonne hat mich geblendet, und ich habe nicht aufgepasst.« Sie hörte das Nahen einer Sirene. Irgendein Passant musste die 911 angerufen haben. Gleich darauf tauchte ein Rettungswagen der Feuerwehr auf. Ein Mann sprang aus dem Heck des Wagens, ein anderer vom Beifahrersitz.

»Ma’am«, sagte der größere der beiden Männer zu Carolyn, »wir müssen Sie kurz untersuchen. Setzen Sie sich bitte hier auf den Randstein.« Er öffnete den Notfallkoffer und unterzog Carolyn einigen Routinetests, um ein Schädeltrauma auszuschließen. »Sie haben eine Schnittwunde unter dem Kinn.«

»Tatsächlich?«

Mit einem Stück Verbandsstoff wischte ihr der Feuerwehrmann das Blut ab. »Sie haben Glück gehabt. Das muss nicht genäht werden.« Er holte ein Pflaster aus dem Notfallkoffer und klebte es über die Schnittwunde. »Soll ich jemanden verständigen, der Ihren Wagen abholt und Sie nach Hause fährt?«

»Das ist nicht nötig«, mischte sich Marcus ein und trat neben den Feuerwehrmann. »Ich werde einen Abschleppwagen besorgen. Wenn Sie einverstanden sind«, sagte er, an Carolyn gewandt, »würde ich Sie gern nach Hause fahren. Dann brauchen wir diese Männer nicht länger aufzuhalten.«

»Danke«, sagte Carolyn lächelnd.

»Es ist mir ein Vergnügen«, erwiderte Marcus. Er wandte sich wieder dem Feuerwehrmann zu. »Sie und Ihre Kollegen leisten großartige Arbeit. In weniger als zehn Minuten auf einen Anruf zu reagieren – erstaunlich. Wirklich erstaunlich.«

Carolyn fand auch vieles erstaunlich, am wenigsten noch das Verhalten der Sanitäter. Sie beobachtete, wie Marcus zum Rettungswagen ging und mit den Männern noch ein paar Worte wechselte, ehe sie wegfuhren.

Als der Abschleppwagen erschien und der Fahrer Carolyn fragte, wohin er ihren Wagen bringen solle, mischte sich Marcus abermals ein. »Ganz in der Nähe befindet sich eine hervorragende Werkstatt«, sagte er. »Dort werden die Reparaturen schnell und vor allem günstig erledigt.«

»Okay, meinetwegen«, sagte Carolyn und zuckte ergeben mit den Achseln. »Ich werde Sie beim Wort nehmen.«

Dunkler Garten

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