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Kapitel 16

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Ein paar Minuten nach zehn am Freitagmorgen saßen Carolyn und Rebecca in Paul Leightons Wohnzimmer.

»Sie fallen mir überhaupt nicht zur Last«, sagte der Professor. »Möchten Sie etwas trinken? Kaffee, Tee oder Milch?«

»Nein, danke«, entgegnete Carolyn und legte ihre Hand auf Rebeccas. »Eigentlich wollte ich meine Tochter bei meinem Bruder lassen«, fügte sie hinzu und erklärte dann, Neil sei völlig übermüdet gewesen, als sie um vier Uhr morgens zu ihm gekommen seien, denn er habe die ganze Nacht gearbeitet. Ihr Bruder reagiere auch sehr empfindlich, was Eindringlinge in seine Privatsphäre betreffe. Models und Freundinnen seien ihm zwar willkommen, aber mit Kindern habe er Probleme.

»Meine Mutter könnte sich um Rebecca kümmern«, fuhr Carolyn fort. »Aber nach den Ereignissen der letzten Nacht ...«

»Das haben Sie mir alles schon am Telefon erklärt, Carolyn«, fiel der Professor ihr ins Wort und hob die Hand.

Pauls Haus war sparsam, aber geschmackvoll eingerichtet. Er hatte den Teppichboden entfernen und das Parkett abziehen und versiegeln lassen. Die Wand zwischen Ess- und Wohnzimmer war abgerissen worden, damit der dadurch entstandene offene Raum mehr Platz bot. In der Mitte stand ein hellbraunes Sofa mit dazu passenden Sesseln. Auf dem Couchtisch dazwischen stapelten sich Bücher und Zeitschriften. Das ursprüngliche Esszimmer war zu Bibliothek und Arbeitszimmer umfunktioniert worden. Bis auf die zwei Fensternischen standen deckenhohe Regale an allen drei Wänden. Der Schreibtisch war ungewöhnlich klein, kaum größer als der, den Carolyn vor ein paar Jahren für John gekauft hatte. Darauf standen eine Lampe, ein Bleistifthalter und ein gerahmtes Foto von seiner Tochter. Davor lag ein Schreibblock. Sonst nichts.

In einer Ecke stand noch ein kleiner Tisch mit Computer und Drucker. Carolyn fand ihre Vermutung bestätigt: Der Professor war ein äußerst ordentlicher Mann. Außerdem konnte er sich den Luxus leisten, eine Haushälterin zu beschäftigen.

»Isobel wird sich um Rebeccas Mittagessen kümmern«, sagte Paul jetzt. »Und sie kann sich Lucys DVDs anschauen. Meine Tochter freut sich bestimmt, dass ihre Freundin hier ist, wenn sie aus der Schule kommt.« Er wirkte etwas verlegen, als er hinzufügte: »Ich möchte nicht, dass Sie den Eindruck gewinnen, meine Tochter sei verwöhnt. Sie hat nur so viele DVDs, weil ich mich nicht so um sie kümmern kann, wie ich eigentlich sollte. Wenn ich arbeite, vergesse ich die Zeit.«

»Der Arzt hat gesagt, Rebecca soll ihren Fuß hochlegen«, sagte Carolyn und nahm ein Medikamentenfläschchen aus ihrer Handtasche. »Wenn sie Schmerzen hat, können Sie ihr alle vier Stunden eine Tablette geben. Der Knöchel ist nur verstaucht und sollte bald heilen. Bestimmt kann sie am Montag wieder zur Schule gehen.«

»Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Paul und lächelte Rebecca an. »Wir kümmern uns um Ihre Tochter.«

»Ich muss zu einer Besprechung mit meinem Vorgesetzten«, sagte Carolyn nach einem nervösen Blick auf ihre Armbanduhr. »Die sollte nicht länger als ein paar Stunden dauern. Müssen Sie heute aus dem Haus oder ...«

»Nein«, sagte Paul Leighton, der den Ernst der Situation begriffen hatte. Mit dem Kopf deutete er zu einem verglasten Waffenschrank und ließ Carolyn damit wissen, dass er Rebecca im Notfall beschützen konnte. »Und was meine Arbeit betrifft«, fügte er hinzu, »so sitze ich seit einer Woche vor leeren Blättern.«

Carolyn holte Daniels Pläne und Berechnungen aus ihrem Rucksack.

»Ich habe eine große Bitte: Würden Sie sich diese Unterlagen mal ansehen und mir dann sagen, was Sie davon halten?«

»Sind das Arbeiten Ihres Sohnes ...?«, fragte Paul Leighton, leicht verärgert.

»Nein«, unterbrach Carolyn ihn schnell. »Dieser Mann – seinen Namen darf ich Ihnen nicht nennen – will ein Exoskelett konstruieren.«

»Ein Exoskelett«, wiederholte Paul erstaunt und nahm ihr die Papiere aus der Hand. Nach einem flüchtigen Blick auf die Zeichnungen und Berechnungen sah er sie verwundert an. »Sind das etwa geheime Dokumente aus dem Verteidigungsministerium?«

»Natürlich nicht«, entgegnete Carolyn. »Ich habe keine Verbindungen zum Verteidigungsministerium.«

»Und warum können Sie mir dann den Namen des Konstrukteurs nicht nennen?«, fragte Paul. Als er merkte, dass Carolyn ihm diese Frage nicht beantworten würde, legte er die Unterlagen auf den Couchtisch.

»Niemand darf erfahren, dass Rebecca hier ist«, sagte Carolyn und streifte ihre Tochter mit einem besorgten Blick. Die Garagen in ihrer Straße lagen hinter den Häusern. Den gemieteten Toyota hatte Carolyn bei ihrem Bruder stehen lassen und war mit einem Taxi zu Professor Leighton gefahren. Der Fahrer würde sie auch zum Regierungsgebäude bringen und nach ihrer Besprechung mit Brad würde sie sich wohl oder übel ein Dienstfahrzeug nehmen müssen.

Sie stand auf und küsste ihre Tochter auf die Wange.

»Oh«, sagte sie dann und nahm aus ihrem Rucksack eines der Handys, die sie am Vortag gekauft hatte. »Wenn du mich brauchst, drück die Ziffer eins des automatischen Wählsystems. Unter Ziffer zwei ist die Polizei gespeichert. In einem Notfall rufst du zuerst die Polizei und dann mich an.«

»Cool«, sagte Rebecca und riss ihrer Mutter das Handy förmlich aus der Hand.

»Ich habe dir dieses Handy nicht gekauft, damit du mit deinen Freundinnen ratschen kannst, Lady«, warnte Carolyn ihre Tochter.

Rebecca machte ein langes Gesicht, sagte aber strahlend:

»Musst du nicht jeden Monat sowieso eine Grundgebühr bezahlen? Eine meiner Freundinnen hat ein Handy und sie darf immer eine Stunde lang oder so umsonst telefonieren.«

Carolyn sah Paul lächeln und sagte entschuldigend: »Die Kids heutzutage sind einfach zu clever.« Dann wandte sie sich wieder an ihre Tochter. »Du darfst ein paar Mal telefonieren. Übertreib’s aber nicht. Wenn das alles vorbei ist, gibst du mir das Handy wieder.«

»Muss John seins dann auch wieder abgeben?«, fragte Rebecca mit schmalen Augen. »Er glaubt nämlich, dass er es behalten darf.«

Auf der Fahrt zum Haus des Professors hatte Carolyn den Taxifahrer einen Umweg zu Turner Highlands Elternhaus machen lassen, wo John übernachtet hatte. Turners Mutter hatte versprochen, ihm das Handy zu geben und die beiden Jungen von der Schule abzuholen.

Da John sehr viel Verantwortung zu tragen hatte und nicht der Junge war, ein derartiges Privileg auszunützen, hatte sich Carolyn tatsächlich schon überlegt, ihm das Handy zu überlassen. Sie fragte sich nur, wie Rebecca dahintergekommen war oder ob John mit ihr darüber gesprochen hatte.

»Warum siehst du dir nicht einen Film an, wie Professor Leighton vorgeschlagen hat?«, sagte sie zu ihrer Tochter. »Noch besser wäre, du würdest ein paar Stunden Schlaf nachholen. Paul, haben Sie etwas dagegen, wenn sich Rebecca auf Ihr Sofa legt?«

»Geh doch in Lucys Zimmer und mach es dir dort bequem, Rebecca. Dort steht auch der DVD-Player. Solltest du Probleme mit der Technik haben, dann ruf mich über die Gegensprechanlage.«

Er drehte sich um, sah Carolyns müde Augen und fügte hinzu: »Und Sie sollten Ihren eigenen Rat befolgen und ebenfalls Schlaf nachholen. Ihre Tochter ist bei mir gut aufgehoben. Kommen Sie um sechs wieder zu uns. Und bringen Sie John mit. Isobel wird für uns alle kochen. Zum Abendessen ausgehen können wir auch noch nächste Woche. Bis dahin ist das alles hoffentlich vorüber.«

Carolyn sah ihrer Tochter nach, die auf Krücken über den Flur zu Lucys Zimmer humpelte. Paul stand jetzt dicht neben ihr und sie konnte sein herbes Aftershave riechen. Er strahlte viel Ruhe und Gelassenheit aus, ein tröstlicher Kontrast zu der Hektik der vergangenen Tage. Wieder fiel ihr auf, was für schöne hellblaue Augen er hatte. Und die Lesebrille verlieh ihm einen sehr distinguierten Ausdruck. Nein, korrigierte sich Carolyn, dieser Mann sah nicht nur so aus – er war distinguiert.

Da ging Carolyn ein anderer Gedanke durch den Kopf. John war einer der wenigen ihr bekannten Teenager, der tatsächlich betete. Darüber sprachen sie nicht viel, aber über seinem Schreibtisch hing ein Rosenkranz. Hat er vielleicht dafür gebetet, dass seine Mutter sich in ihren neuen Nachbarn verlieben möge? Oder erflehte er nur jede erdenkliche Hilfe, um sein Ziel, Physiker zu werden, zu erreichen?

Für die Frömmigkeit ihres Sohnes konnte es auch noch andere wichtige Gründe geben. Vielleicht lag ihm daran, dass Carolyn eine Beziehung zu dem Professor einging, ohne an eine Empfehlung für das MIT zu denken. Ihr Exmann hatte seine Kinder vernachlässigt. In vieler Hinsicht war es zwar ein Segen, dass Frank in John und Rebeccas Leben keine Rolle mehr spielte. Aber der Gedanke, dass ihrem Sohn ein männliches Vorbild fehlte, war beunruhigend. Andererseits stand die Lösung für dieses Problem vielleicht direkt vor ihr.

»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte Carolyn mit einem leichten Zittern in der Stimme.

»Ich bekomme allmählich das Gefühl, wir wären eine Familie«, sagte Paul lächelnd. »Das ist irgendwie nett. Wenn ich Vorlesungen halte, habe ich mehr Menschen um mich. Das Schreiben ist eine sehr einsame Tätigkeit.« Er verstummte kurz und fügte dann hinzu: »Was diesen Mann betrifft, der ein Exoskelett ...«

»Wir sehen uns dann beim Abendessen«, sagte Carolyn, charmant lächelnd. »Ich kann die Pläne wieder mitnehmen, wenn Sie zu beschäftigt sind, um einen Blick darauf zu werfen.«

»Nein«, sagte Paul missmutig. »Ich möchte nur wissen, wessen Arbeit ich beurteilen soll.«

»Ich rufe Sie später an und erkundige mich, wie es Rebecca geht.«

»Schlafen Sie lieber ein paar Stunden«, sagte Paul, und das klang eher wie ein Befehl als wie ein guter Rat. »Sie können sich ja kaum noch auf den Beinen halten.«

»Ich verspreche Ihnen, meine Zeit klug zu nutzen.«

Auf dem Weg zur Tür warf ihm Carolyn noch einen Blick über die Schulter zu. Ein Physiker von Paul Leightons Rang und Namen übte zwar eine gewisse Faszination auf sie aus, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass er auch sehr herrisch sein konnte. Noch war ihr eine heimliche Affäre mit Brad lieber als die Aussicht, zu einer Konstanten in einer der sozialen Gleichungen des Professors zu werden.

Sullivans Gesetz/ Sullivans Rache/ Dunkler Garten

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