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Kapitel 15

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Hank Sawyer setzte sich hinter das Steuer seines schwarzen Dienstwagens, ein Ford. Wie jeden Morgen um sechs fuhr er zu Denny’s Restaurant, um dort zu frühstücken. Nachdem er Eier mit Speck und Toast runtergeschlungen und drei Tassen Kaffee getrunken hatte, legte er zwei Geldscheine auf den Tisch und schwatzte ein paar Minuten mit der Kellnerin. Betty war zwar nicht mehr die Jüngste und sie wog ein paar Pfund zu viel, aber sie war eine hübsche Blondine mit sehr freundlichem Wesen.

»Wann gehst du endlich mal mit mir abends zum Essen?«, fragte Hank und griff sich ein paar Zahnstocher vom Tresen.

»Du hast doch meine Telefonnummer, Hank«, antwortete Betty und lehnte sich über die Theke. »Du sagst immer, dass du anrufst, aber du tust es nie. Wie lange geht das jetzt schon so? Zwei Jahre.«

»Tanzt du gern?«

»Na klar«, sagte Betty. »Früher ging ich dauernd zum Tanzen. Ich kenne einen Schuppen, da gibt’s Samstagabend klasse Countrymusic. Wenn man Lust hat, kann man dort sogar Unterricht nehmen. Und sie machen eines der besten Barbecues in der Stadt.«

»Ich habe im Moment ziemlich viel um die Ohren«, erklärte Hank. »Vielleicht kann ich mir nächste Woche einen Abend freinehmen. Wahrscheinlich trete ich dir aber auf die Füße«, fügte er mit einem Blick auf seinen Wanst hinzu. »Das heißt, nur wenn du mir beim Tanzen sehr nahe kommen solltest.«

»Hör auf, so viel Speck zu essen«, entgegnete Betty lachend. »Ich mache nur Spaß, Süßer. Denn mir gefällt nur ein Mann mit gesundem Appetit. Und dabei meine ich nicht nur das Essen. Doch langsam wird es Zeit, dass du dein Versprechen einlöst und mich anrufst.«

»Nächsten Samstag!«, rief Hank und marschierte zur Tür. »Da bist du mit mir verabredet. Ich rufe dich Freitag sicherheitshalber noch mal an.«

»Ich glaube erst daran, wenn es so weit ist«, rief Betty zurück und eilte zum Tisch eines Gastes.

Hanks Laune besserte sich beträchtlich. Seit seine Frau ihn verlassen hatte, lebte er nur noch für seine Arbeit. Natürlich war sein Beruf auch teilweise am Scheitern seiner Ehe schuld gewesen. Wahrscheinlich war es höchste Zeit, dass er diesem Trott ein Ende machte.

Er rief Carolyn zu Hause an. Als sie nicht abhob, wählte er ihre Handynummer. »Sind Sie schon wach?«

»Jetzt bin ich es wohl oder übel«, antwortete sie mürrisch. »Habt ihr Downly schon geschnappt?«

»Wo sind Sie im Moment?«

»Bei meinem Bruder«, flüsterte Carolyn. »Wir sind erst um vier Uhr früh aus dem Krankenhaus gekommen. Da bin ich lieber bei meinem Bruder untergekrochen als nach Hause zu fahren.«

»Geben Sie mir die Adresse Ihres Bruders«, sagte Hank. »Ich muss mit Ihnen reden, ehe ich nach Los Angeles fahre, um mir Charles Harrison vorzuknöpfen.«

Carolyn gab ihm die Adresse und Hank sagte, er werde in zehn Minuten bei ihr sein.

»Wir müssen uns in Ihrem Auto unterhalten«, sagte sie und ging mit ihrem Handy ins Wohnzimmer. »Neil arbeitet nachts und schläft tagsüber.«

»Das hört sich ja wie Dracula an.«

»Der Vergleich würde ihm gefallen«, sagte Carolyn. »Haben Sie heute früh schon getrunken?«

Hank unterbrach frustriert die Verbindung. Es ärgerte ihn, dass die Leute noch immer nicht vergessen hatten, dass er mal an der Flasche gehangen hatte. Aber jetzt war er schon seit fünf Jahren trocken.

Als er in die Auffahrt einbog, wartete Carolyn mit einer Thermoskanne Kaffee und zwei Bechern auf ihn. Sie trug ein mit Farben bekleckstes Sweatshirt und Bermudas.

Carolyns Bruder muss Kohle haben, dachte Hank. Denn sein Haus lag in den Hügeln, mit einem herrlichen Blick aufs Meer.

Sie ging barfuß über den gepflasterten Weg zu ihm, machte die Tür auf und setzte sich auf den Beifahrersitz.

»Schönes Haus hat er da«, sagte Hank. »Wie verdient Ihr Bruder seinen Lebensunterhalt? Als Bankräuber?«

»Warum hacken Sie auf meinem Bruder rum?«, fragte Carolyn.

Sie bot dem Detective Kaffee an. Als er ablehnte, schenkte sie sich einen Becher ein und stellte die Thermoskanne neben sich auf den Sitz.

»Ich trinke nicht mehr«, sagte Hank und starrte aus dem Fenster. »Dachten Sie, Sie müssten mich mit einer Portion Kaffee nüchtern machen?«

»Ich hätte im Moment nichts gegen einen ordentlichen Drink«, entgegnete sie. »Regen Sie sich nicht auf, Hank. Und was meinen Bruder angeht, er ist Maler. Aber er malt keine Häuser an, sondern Bilder. Neil ist ein anerkannter Künstler.«

»Was haben Sie mir da heute Nacht erzählt?«, fragte Hank und nahm Bezug auf Carolyns Anruf vom Krankenhaus. »Glauben Sie wirklich, dass es Charles Harrison gelungen ist, den Schnellen Eddie aus dem Knast loszueisen, damit er Metroix erschießt?«

»Um ganz ehrlich zu sein, ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Zeitlich käme es hin. Nur die Explosion kann er nicht ausgelöst haben. Vielleicht hat Harrison jemand anderen damit beauftragt. Außerdem handelt es sich um ganz verschiedene Verbrechen.«

Carolyn hatte mit ihren Überlegungen Recht, auch wenn Hank das nicht zugeben wollte. Auf jemanden zu zielen und abzudrücken war ein anderer Job als eine Explosion auszulösen. Letzteres konnte nur von einem Mann mit gewissen Fähigkeiten erledigt werden. Während jeder kleine Ganove aus einem Auto auf jemanden schießen konnte.

»Und dann ist da noch Stephen Lackner, der Gefängnisdirektor«, erinnerte Carolyn ihn. »Hat die Spurensicherung Metroix’ Zimmer im Comfort Inn gründlich durchsucht?«

»Natürlich«, antwortete Hank. »Wir haben nur einen Haufen Papier und ein altes Foto gefunden.«

»Wurden seine Sachen als Beweismittel registriert?«

»Nein«, sagte Hank und fischte einen Zahnstocher aus seiner Tasche. »Da nichts Relevantes für diesen Fall dabei war, wollte ich ihm seine Sachen ins Krankenhaus bringen lassen. Er braucht doch etwas zum Anziehen, wenn er entlassen wird.«

Er unterbrach sich, weil Carolyn ihn so ängstlich ansah.

»Die Operation hat er gut überstanden, wenn es das ist, worum Sie sich Sorgen machen. Aber er kann uns noch keine Fragen beantworten.«

»Sie erwähnten Papiere. Waren manche davon mit Zeichnungen bedeckt oder Berechnungen, die wie Gleichungen aussehen?«

»Ja«, antwortete Hank. »Für mich ergab das Zeug keinen Sinn.« Er deutete mit dem Daumen nach hinten. »Es liegt alles im Kofferraum, wenn Sie es sich anschauen möchten.«

»Holen Sie’s bitte«, sagte Carolyn aufgeregt. »Wahrscheinlich wurden alle Unterlagen von Daniels Arbeiten durch die Explosion zerstört.«

Hank kam mit einer Plastiktüte zurück.

Carolyn legte die paar Kleidungsstücke auf den Rücksitz und nahm eine zweite Tüte mit etwa dreißig Seiten beschriebenem Papier und einem Foto aus der großen Tüte. Sie kurbelte das Fenster in der Hoffnung herunter, die kühle Morgenluft werde sie wach halten, während sie versuchte, die komplizierten Gleichungen zu verstehen. Ein paar dieser Berechnungen hatte sie schon gesehen. Daniel hatte verzweifelt versucht, seine Arbeit zu rekonstruieren.

Sie rückte näher an den Detective und hielt ein Blatt in die Höhe. »Dies ist die Zeichnung eines Exoskeletts.«

»Ich glaube, ich habe schon mal so was in einem Sciencefictionfilm gesehen«, sagte Hank uninteressiert.

»Ich habe Ihnen doch bereits erklärt, dass das Militär seit Jahren an der Perfektionierung dieser Exoskelette arbeitet«, sagte Carolyn mit vor lauter Frustration scharfer Stimme. »Und diese anderen Aufzeichnungen sind nichts als Berechnungen für Energiequellen, damit das Exoskelett richtig funktionieren kann.«

»Woher wissen Sie das?«, fragte Hank und ließ seinen Zahnstocher von einem Mundwinkel in den anderen gleiten.

»Meine Eltern waren Naturwissenschaftler«, antwortete Carolyn. »Wäre ich nicht schwanger geworden, hätte ich dasselbe studiert, Hank. Mein Vater wäre fast verrückt geworden, weil er ein mathematisches Problem lösen wollte. Schließlich gab er auf und unterrichtete Mathematik an der High School. Als Teenager lebte ich mit solchem Zeug Tag und Nacht.«

Hank starrte über ihre Schulter.

»Manches verstehe ich nicht, aber Daniel könnte ein wesentliches Problem gelöst haben.« Sie klopfte auf das Bündel Papier auf ihrem Schoß. »Wir reden hier über das ganz große Geld.«

»Wie groß?«

»Millionen«, antwortete Carolyn. »Aber verstehen Sie mich nicht falsch. Ich kann nicht entscheiden, ob Daniel ein Genie ist, oder ob diese Unterlagen es wert sind, dafür jemanden zu ermorden. Daniel hat mir nur erzählt, dass er schon seit Jahren daran arbeitet.« Sie räusperte sich und trank einen Schluck Kaffee. »Ich habe mit Richterin Shoeffel darüber gesprochen und sie hält es für möglich, dass der Gefängnisdirektor in diese Geschichte involviert sein könnte. Daniel hat mir erzählt, er habe für die gelähmte Tochter eines der Aufseher einen Anzug konstruiert, damit sie wieder gehen kann. Doch dieser Bewegungsanzug – wie er ihn nannte – funktionierte nicht richtig, weil er sich die nötigen Materialien nicht beschaffen konnte. Trotzdem konnte sich das Mädchen damit wieder bewegen. Das ist Jahre her. Und seitdem hat er seine Erfindung verbessert.«

Jetzt war Hank beeindruckt. »Der Junge hat etwas erfunden, damit Gelähmte wieder gehen können?«

»Nicht unbedingt«, sagte Carolyn mit erhobenem Zeigefinger. »Ob das von ihm erfundene Exoskelett richtig funktioniert, ist eigentlich nicht wichtig. Verstehen Sie mich nicht falsch. Es wäre natürlich eine Sensation, aber darauf kommt es eigentlich gar nicht an. Ich vermute, dass der Gefängnisdirektor jemandem außerhalb des Gefängnisses Daniels Arbeiten gezeigt hat. Sagen wir mal, einem Mitarbeiter eines privaten Forschungslabors, oder irgendjemandem, der die Bedeutung dieser Arbeiten erkannte.«

Sie machte eine Pause, damit der Detective ihrem Gedankengang besser folgen konnte.

»Dann passiert Folgendes: Dieser Wissenschaftler oder Erfinder entwickelt nun anhand von Daniels Berechnungen einen Prototyp. Dann verkauft er seine Erfindung oder lässt sich von einer bedeutenden Firma anstellen. Die lassen nun ihre eigenen Leute an diesem Prototypen weiterarbeiten. Sollte der Gefängnisdirektor Daniels Zeichnungen verkauft haben, darf natürlich nie publik werden, dass Daniel der eigentliche Urheber ist. Denn dann könnte Mr. Lackner strafrechtlich verfolgt werden, selbst wenn er nur versuchte, sie zu verkaufen. Und das weiß ich aus berufenem Munde.«

»Von Richterin Shoeffel?«

Carolyn nickte.

»Dann ist vielleicht Lackner der Drahtzieher und nicht Chief Harrison.«

»Das versuche ich Ihnen die ganze Zeit klar zu machen«, sagte Carolyn und schenkte sich noch einen Becher Kaffee ein. »Lassen Sie mich zum Ende kommen. Das Gefängnis könnte mit einer Firma im Rahmen eines so genannten Joint-Venture-Programms einen Vertrag mit einer Firma abgeschlossen haben. Das ist nicht illegal. Lackner erwähnte so etwas am Telefon. Er will uns loswerden. Und er ist sehr nervös. Als ich das letzte Mal mit ihm redete, hat er einfach aufgelegt.«

»Haben Sie schon mal überlegt, dass er zu viel zu tun haben könnte, um sich groß über einen Exknackie auszulassen?«, fragte Hank ironisch.

»Das ist eine Möglichkeit. Aber ich merke normalerweise, wenn jemand lügt. Es ist durchaus möglich, dass das Gefängnis mit dem Militär zusammenarbeitet. Aber da bin ich mir nicht sicher.«

»Moment mal«, wandte Hank ein. »Wie könnte ein Gefängnisdirektor denn behaupten, er habe so etwas wie dieses Exoskelett erfunden?«

»Ach, unter der Hand werden dergleichen Geschäfte doch jeden Tag abgewickelt«, entgegnete Carolyn. »Vor allem, wenn es sich um so etwas Wertvolles handelt. Lackner brauchte doch nur einem Wissenschaftler einen Teil von Metroix’ Arbeit als Köder vor die Nase zu halten. Der Mann frisiert das Ganze etwas um und behauptet, es sei auf seinem Mist gewachsen. Oder Lackner behauptet, er habe die Arbeit in einer Kiste auf dem Speicher eines verstorbenen Cousins gefunden.«

»Das ist ziemlich unwahrscheinlich«, sagte Hank und schüttelte den Kopf. »Sie brauchen jetzt etwas Schlaf. Wir reden später noch einmal darüber. Ich muss nach Los Angeles. Chief Harrison ist seit zwei Wochen krankgeschrieben, aber ich habe seine Privatadresse. Und was Ihre Hypothese bezüglich Lackner betrifft, so glaube ich, dass Sie da schief liegen.«

»Darf ich das behalten?«, fragte Carolyn und sammelte die Papiere ein. »Ich kenne jemanden, der Daniels Aufzeichnungen bewerten kann.«

»Kein Problem«, antwortete Hank. »Wie geht’s Rebecca?«

»Ihr Fuß wurde eingegipst«, sagte Carolyn. »Schmerzen hat sie nicht mehr, aber dafür viel Angst. John hat die Nacht bei einem Freund verbracht. Kann ich ihn heute in die Schule gehen lassen?‚

»Wahrscheinlich ist er in der Schule sicherer als bei Ihnen«, sagte Hank, obwohl er sich nicht gern so festnageln ließ.

Er kannte Carolyns Kinder nicht. Aber die Mutter ist wirklich in Ordnung, dachte er. Die arme Frau hat seit Tagen nicht richtig geschlafen und arbeitet unermüdlich. Tut alles in ihrer Kraft Stehende, um ihre Kinder und andere Menschen zu schützen.

»Glauben Sie, dass Rebecca und ich zu Hause sicher sind?«

»Ich habe angeordnet, dass so oft wie möglich ein Streifenwagen bei Ihnen vorbeifährt«, antwortete der Detective. »Leider habe ich nicht genügend Leute, um Ihr Haus rund um die Uhr bewachen zu lassen. Ich könnte White und seine Ablösung vom Krankenhaus abziehen. Außerdem lasse ich Luisa Cortez Tag und Nacht bewachen. Sogar der Bürgermeister besteht darauf.«

»Machen Sie sich um mich keine Sorgen«, sagte Carolyn und öffnete die Beifahrertür. »Ich kann auf mich selbst aufpassen. Aber ich will nicht, dass meinen Kindern etwas angetan wird.«

Hank fuhr am Revier vorbei und nahm einen uniformierten Officer namens Mike Russell als Verstärkung mit, auch wenn er sich kaum vorstellen konnte, dass Chief Harrison einen anderen Cop auf seinem Grund und Boden niederschießen würde.

Außerdem war es noch nicht einmal neun Uhr und der Gedanke, dass Harrison diese Verbrechen persönlich begangen haben sollte, war einfach lächerlich.

Doch Eddie Downlys versehentliche Entlassung aus dem Gefängnis war eine Katastrophe. Die Geschichte war auf den Titelseiten fast aller kalifornischer Tageszeitungen erschienen und sogar durchs Internet landesweit verbreitet worden. Hank war nur froh, dass seine Dienststelle nichts damit zu tun hatte. Carolyns Theorie, dass Harrison für Downlys Entlassung verantwortlich war und den Mann damit beauftragt hatte, Daniel Metroix zu ermorden, kam ihm abwegig vor. Downly war ein Kinderschänder, kein Berufskiller. Und als es noch keine Computer gab, kamen solche gravierenden Pannen seltener vor.

Trotzdem war alles möglich, denn Downly war bis Montag ein freier Mann gewesen. Und Carolyn wusste nicht, dass er herausgefunden hatte, dass sie Downly im letzten Jahr seiner vierjährigen Bewährungsfrist nicht mehr überwacht hatte. Hank war ein gewissenhafter Polizist, der die Akten von Gewaltverbrechern immer aufmerksam las. Doch warum sollte er den Ruf dieser sonst vorbildlichen Bewährungshelferin zerstören, wo er doch wusste, wie überlastet sie war.

Hank hatte während seiner beruflichen Laufbahn auch schon falsche Entscheidungen getroffen und nicht nur zu der Zeit, als er getrunken hatte. Außerdem war er wie alle seine Kollegen mit Arbeit überlastet und verfolgte nur noch gefährliche Kriminelle. Für die kleinen Ganoven war keine Zeit mehr. Das war die Realität.

Mike Rüssel, ein ehemaliger Marine, war ein großer Mann von stoischer Gelassenheit. Russell fuhr, so dass sich Hank in aller Ruhe überlegen konnte, welche Taktik er bei Harrison anwenden sollte. Selbst wenn der Chief einen Schläger bei sich haben sollte – was ziemlich unwahrscheinlich war –, würde dieser Typ keine große Bedrohung darstellen. Das wusste er aus Erfahrung.

Die meisten Kriminellen waren nachts aktiv. Dann verbreiteten sie Angst und Schrecken. Die Polizei nutzte diese Erkenntnis seit Jahren und führte Hausdurchsuchungen und Razzien immer in den frühen Morgenstunden durch, was zu weniger Verletzten bei den Beamten führte.

Hank war erst zwei Jahre bei der Polizei, als Charles Harrison zum Chief befördert worden war. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie geachtet der Chief gewesen war – und nicht nur wegen seiner Postition, sondern weil er sich im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen nicht um die Politik, sondern um seine Männer gekümmert hatte.

Mit seinen Ermittlungen über die Explosion im Seagull Motel kam er ebenfalls nicht weiter. Die Abbruchfirma, Barrow and Kline, hatte bestätigt, alle Zimmer des Gebäudes verdrahtet zu haben. Ralph Kline, einer der Teilhaber, war der Meinung, dass der Täter ein paar Drähte vom Hauptsystem isoliert und mit dem Telefon und einem Sprengkörper verbunden haben musste, der bei Läuten des Telefons gezündet wurde. Ein guter Elektriker hätte durchaus so etwas installieren können, aber Kline hielt das für wenig wahrscheinlich. Seiner Meinung nach musste der Täter Sprengstoffexperte gewesen sein und Hank fragte sich, ob dieser Mann früher einmal Polizist gewesen war und möglicherweise unter Chief Harrison gedient hatte.

Alles in allem hatte Kline ihm jedoch nichts Neues sagen können.

»Wir sind fast da, Sir«, sagte Russell jetzt zu ihm. »Die Adresse lautet doch 5036 Eagle Drive, richtig? Da ist Nummer 5034, aber 5036 kann ich nicht entdecken.«

Er hielt vor einem Grundstück, das unbebaut schien. Es war mit Bäumen und dichtem Gebüsch bewachsen.

»Sind Sie sicher, dass man Ihnen die richtige Adresse gegeben hat?«

»Ja«, antwortete Hank. »Ich habe sie zweimal überprüft.«

Er konnte keine Hausnummer sehen und auch der Briefkasten fehlte. Als er mit seinem Fernglas durch die Wildnis spähte, entdeckte er das Haus. Offensichtlich wollte Harrison nicht gefunden werden.

Hank stieg aus dem Ford und warf einen Blick zum wolkenverhangenen Himmel empor. Hier, so nah am Meer, herrschte morgens oft Nebel. Aber der würde sich heute nicht lichten.

Hank war schon seit zehn Jahren geschieden. Seine Exfrau Martha hatte nach der Scheidung wieder geheiratet und war nach Florida gezogen. Er hatte sich hingegen geschworen, nie wieder zu heiraten. Dass seine Frau ihn verlassen hatte, war ein schwerer Schlag für ihn gewesen, so schwer, dass er damals angefangen hatte zu trinken.

Betty war zwar auch eine nette Person, aber er betrachtete Martha immer noch als seine Frau. Vielleicht würde die Kellnerin ihm eine nette Gefährtin sein. Und etwas Sex dann und wann wäre ebenfalls nicht schlecht, dachte er. Besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach, wie ihm einer seiner Kumpel neulich gesagt hatte.

Wenn man schon einem todkranken Mann einen Besuch abstatten muss, ist es besser, dass die Sonne nicht scheint, dachte Hank. Und selbst wenn sich der Chief als unschuldig erweisen sollte, so wird es mir gut tun, einen Mann zu sehen, der mit dem Trinken nicht hat aufhören können.

Officer Russell ging voran und bahnte Hank einen Weg über den mit Sträuchern fast zugewachsenen Pfad zum Haus. Der Detective läutete, während Russell neben ihm stand, die Hand am Dienstrevolver.

Als niemand öffnete, warf Hank einen Blick nach oben zu einem Zimmer, in dem Licht brannte. Er drückte erneut auf den Klingelknopf und ließ ihn erst wieder los, als er Schritte im Inneren des Hauses hörte.

»Bleiben Sie außer Sicht, bis ich Sie brauche«, sagte er schnell zu Russell. »Wir haben keinen Durchsuchungsbeschluss. Ich habe nur Erfolg, wenn Harrison glaubt, es handele sich um einen inoffiziellen Besuch.«

Eine kleine dunkelhäutige Frau öffnete die Tür einen Spalt und sagte: »Gehen Sie!« Dann machte sie die Tür wieder zu.

»Öffnen Sie!«, rief der Detective. »Ihr Chef und ich sind alte Freunde. Ich weiß, dass er krank ist. Sagen Sie ihm, dass Hank Sawyer aus Ventura ihn besuchen möchte.«

Kurz darauf kam die Frau wieder zurück. Sie war eine Latina und er hielt sie für Harrisons Haushälterin.

»Haben Sie einen Durchsuchungsbeschluss?«

Diese Leute lernen schnell, dachte Hank und fragte sich, wie lange sie schon für Harrison arbeitete. Er hatte gerüchteweise gehört, dass die Frau des Chiefs seit dem Tod ihres Sohnes in einer geschlossenen Anstalt lebte. Damals hatte sie einen Nervenzusammenbruch erlitten. Harrison hatte immer versucht, die Erkrankung seiner Frau herunterzuspielen und von einem chronischen Leiden gesprochen. Doch jeder wusste, dass er die Wahrheit nicht zugeben wollte. Vielleicht war diese kleine Frau mit dem seidigen schwarzen Haar und dem schönen Körper mehr als seine Haushälterin.

»Ich brauche keinen Durchsuchungsbeschluss, Lady«, sagte er mit möglichst sanfter Stimme. »Wie ich schon erwähnte, Charles und ich kennen uns von früher. Ich möchte mit ihm über alte Zeiten reden, ihn etwas aufmuntern.«

Die kleine Frau presste die Hand vor den Mund und fing an zu weinen. Ihre Schultern bebten. Kurz darauf fasste sie sich wieder und wischte sich mit dem Saum ihres Kittels die Tränen vom Gesicht.

»Sie können ihn nicht besuchen.«

»Und warum nicht?«, fragte Hank und fischte einen Zahnstocher aus seiner Tasche.

»Chief Harrison ist letzte Nacht gestorben«, antwortete sie verängstigt. »Und jetzt gehen Sie bitte.«

Hank spuckte den Zahnstocher aus, plötzlich hellwach, fragte er: »Liegt er da drinnen?«

»Nein«, sagte die Frau und starrte Officer Russell an, der sich schnell neben seinen Vorgesetzten gestellt hatte. »Die Leute vom Bestattungsinstitut haben ihn gestern Nacht abgeholt. Wir kümmern uns um die Beerdigung und benachrichtigen die Verwandten. Können Sie uns nicht in Ruhe lassen?«

»Ist Mrs. Harrison zu Hause?«

»Mrs. Harrison lebt in einem Sanatorium in Los Angeles. Sie weiß, dass ihr Mann gestorben ist. Wenn Sie mit ihr reden wollen, müssen Sie im Fairview Manor anrufen.«

»Und wer ist dann wir?«, fragte Hank und trat näher, so dass er einen Blick ins Haus werfen konnte. »Wer ist da noch?«

»Nur Mario«, antwortete sie und rührte sich nicht von der Stelle.

»Und wer ist Mario?«

»Der Gärtner.«

»Soll das heißen, Sie und der Gärtner kümmern sich um Charles Harrisons Begräbnis?«, fragte Hank entsetzt.

»Wir tun nur, was getan werden muss«, sagte sie und reckte ihr Kinn. »Chief Harrison hat genaue Anweisungen hinterlassen. Können Sie uns jetzt nicht in Ruhe lassen?«

»War die Polizei schon früher hier?«

»Nein«, antwortete die Frau, offensichtlich verwirrt. »Der Bestatter hat gesagt, es sei nicht nötig, die Polizei zu benachrichtigen, weil Charles ... ich meine, Chief Harrison ... in ärztlicher Behandlung war.«

Entweder war die Haushälterin Harrisons Geliebte, oder sie hatte sich mit dem Gärtner zusammengetan, damit sie beide in Harrisons Haus weiterleben konnten.

Der Detective zögerte. Er war überzeugt, dass der Chief sich diese Geschichte ausgedacht hatte, um Zeit zu gewinnen.

»Ich gehe jetzt, okay?«, sagte er schließlich, »aber zuerst nennen Sie mir noch den Namen des Bestattungsinstituts.«

»Arden Brothers.«

»Wird er beerdigt oder eingeäschert?«

»Eingeäschert«, sagte sie und schniefte wieder. »Er wollte nicht so viel Geld ausgeben.«

»Ach, du heilige Scheiße!«, sagte Hank und wandte sich zum Gehen. Die Bestatter in der Stadt gehörten alle dem Mob an. Und Jungs, die mit Toten wie mit Puppen spielten, konnte man leicht für ein paar Riesen kaufen.

Nach zwei vergeblichen Versuchen, Daniel Metroix umzulegen, schickt Harrison seine Killer hinter Carolyn Sullivan her, weil sie ständig seine Pläne durchkreuzt. Und als das ebenfalls fehlschlägt, inszeniert er seinen eigenen Tod und verschwindet aus der Stadt – natürlich in der Erwartung, dass sein Auftrag bald ausgeführt wird.

Hank stolperte über einen Baumstumpf und fiel auf sein linkes Knie, dasselbe, das vor zwei Jahren operiert werden musste. Russell beugte sich hinunter und zog ihn wieder auf die Füße.

»Danke«, sagte Hank. »Alles, was Harrison jetzt noch braucht, ist ein Pool voller Piranhas.«

»Der Mann mag wohl keine Besucher«, antwortete Russell und lachte.

Als die beiden wieder im Auto saßen, warf Hank noch einen Blick auf den überwucherten Garten. Wahrscheinlich war dieser Mario Harrisons Komplize. Denn Mario war alles andere, nur kein Gärtner.

Sullivans Gesetz/ Sullivans Rache/ Dunkler Garten

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