Читать книгу Sullivans Gesetz/ Sullivans Rache/ Dunkler Garten - Nancy Taylor Rosenberg - Страница 19

Kapitel 13

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Nach ihrem Treffen mit Richter in Shoeffel kehrte Carolyn in ihr Büro zurück, nahm die Sandoval-Akte und diktierte in einem der Räume ihren Bericht über die Schießerei.

Zwar hatte sich das siebenundsechzigjährige Opfer, Lois Mason, von der Schusswunde in ihrer Schulter erholt, doch sie würde immer unter den psychischen Folgen ihrer Verletzung leiden. Während Carolyn die Frau befragte, hatte diese mit im Schoß gefalteten Händen dagesessen und jede Frage emotionslos – so als wäre sie vor Gericht in den Zeugenstand gerufen worden – einfach mit Ja oder Nein beantwortet.

Verlief eine solche Befragung derart ergebnislos, wandte sich Carolyn in ihrer Eigenschaft als Gerichtshelferin an den nächsten Angehörigen. Als sie daraufhin Mrs. Masons Tochter anrief, hatte die Frau geweint.

»Früher hatte meine Mom vor nichts und niemandem Angst. Doch jetzt geht sie nicht mehr aus dem Haus. Sie isst nicht mehr und sie will nicht einmal mehr mit uns reden. Wir müssen sie wahrscheinlich in eine psychiatrische Anstalt bringen.«

Carolyn konnte nur einen Trost spenden: dass der Täter, Carlos Sandoval, zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt werden würde, dem für dieses Delikt vorgesehenen Strafmaß. Sie hatte aber nicht das Herz, der Tochter zu sagen, dass der Täter wahrscheinlich vor Verbüßung der Gesamtstrafe freigelassen werden würde.

Doch selbst die Versicherung, dass der Täter angemessen bestraft werden würde, half Lois Mason nicht. Denn sie wusste, es liefen noch viele andere Männer wie Sandoval frei herum. Und so erschien ihr der Tod als eine Erleichterung, ein Ereignis, das sie in ihrer Angst als Befreiung willkommen hieß – so dramatisch hatte sich ihr Leben verändert.

Als Carolyn ihren Bericht diktiert hatte, war es schon Viertel vor drei und sie hatte sich weder mit Daniel in Verbindung gesetzt, noch ihre Kinder von der Schule abgeholt. Da die beiden jetzt Handys hatten, machte sie sich nicht mehr so viele Sorgen. Aber sie musste in der Schule anrufen und um die Erlaubnis bitten, dass John und Rebecca ihre Handys während des Unterrichts eingeschaltet lassen durften, damit sie die beiden im Notfall erreichen konnte. Außerdem musste sie ein Auto mieten. Schließlich konnte sie Professor Leightons BMW nicht ewig fahren und sie wollte sich auf irgendeine Weise für seine Großzügigkeit erkenntlich zeigen. Mit einer Einladung zum Dinner war es wohl nicht getan, da musste sie sich etwas anderes einfallen lassen.

Im Internet hatte Carolyn Informationen über Liam Armstrong und Nolan Houston eingeholt. Armstrong war Immobilienmakler in Los Angeles, und Houston gehörte eine Kette von Golf-Läden mit dem Namen Hole in One.

Sie überflog noch einmal den vor einigen Jahren in der Lokalpresse erschienenen Zeitungsartikel über Nolan Houston – die typische Erfolgsgeschichte eines jungen einheimischen Sportlers. Der ehemalige Footballspieler war professioneller Golfspieler geworden und hatte es zu Ruhm und Geld gebracht. Vor fünf Jahren hatte er sich aus dem aktiven Sport zurückgezogen und dank seines Namens eine aus einundzwanzig Geschäften bestehende Ladenkette aufgezogen.

Carolyn wollte gerade mehr über Liam Armstrong herausfinden, als ihr Telefon klingelte.

»Auf Ihren Schützling wurde geschossen«, sagte Hank. »Ich bin am Tatort. Es passierte gegen Viertel nach zwei.«

»Metroix?«, fragte Carolyn fassungslos.

»Wer denn sonst?«

»Wie geht es ihm?«, fragte sie.

»Das weiß ich noch nicht«, schrie Hank zurück, um den Verkehrslärm zu übertönen. »Es sieht so aus, als hätte der Schütze auf sein Herz gezielt, stattdessen aber den Magen getroffen. Dieses Mal tut mir Metroix wirklich Leid. Ich habe dasselbe durchgemacht und das ist wahrhaftig kein Zuckerschlecken.«

»Wo ist es passiert?«

»Auf dem Anchors Way, in der Nähe des Seagull Motels. Den Zeugenaussagen nach wurde er aus einem vorbeifahrenden Auto angeschossen. Ich schicke jetzt Trevor White ins Krankenhaus. Der war bei mir, als wir Metroix festgenommen haben.«

Warum habe ich ihn nicht angerufen?, fragte sich Carolyn. Daniel musste es allein in dem Zimmer nicht mehr ausgehalten haben.

Ihr wurde schwindelig und sie hielt sich schnell an ihrem Schreibtisch fest, als sie sagte: »Dabei habe ich ihm befohlen, sein Hotelzimmer nicht zu verlassen.«

»Was für ein Hotelzimmer?«, fragte Hank. »Hat er etwa wieder im Seagull kampiert? Du meine Güte, warum haben Sie ihn nicht irgendwo anders einquartiert?«

»Das habe ich ja«, wehrte sich Carolyn. »Direkt vom Gefängnis habe ich ihn zum Comfort Inn gefahren. Warum hätte er zum Seagull zurückkehren sollen? Er hat keinen Führerschein und das Motel ist meilenweit entfernt.«

»Das konnte ich ja nicht wissen.«

»Wurde er ins Good Samaritan Hospital gebracht?«, fragte Carolyn. Sie war am Boden zerstört, weil Daniel Metroix wieder Opfer eines Anschlags geworden war.

»Nein«, antwortete Hank. »Er liegt im Methodist, weil dort die chirurgische Versorgung besser ist.«

Carolyns Kehle war wie ausgetrocknet. Sie trank gierig aus der Wasserflasche, die auf ihrem Schreibtisch stand, und fragte dann: »Wer hat das getan, Hank?«

»Wir wissen nur, dass aus einem dunklen Geländewagen heraus geschossen wurde, entweder einem schwarzen oder einem dunkelgrünen. Unsere beste Zeugin kennt sich mit Autos nicht aus. Sie sagt, sie könne Geländewagen nicht unterscheiden und glaubt, auf dem Nummernschild eine Drei erkannt zu haben und dass der erste Buchstabe ein G oder ein O gewesen sein könnte.«

»War Metroix bei Bewusstsein?«

»Anfangs schon«, sagte der Detective. »Aber Mrs. Olson kam es nicht in den Sinn, ihm Fragen zu stellen. Dafür kann man sie nicht verantwortlich machen. Sie war über und über mit Blut beschmiert und sie sagte, Metroix habe sie dauernd gefragt, ob sie ihn schlagen wolle. Jetzt muss er erst einmal operiert und wieder zusammengeflickt werden. Alles hängt davon ab, welche Munition der Schütze verwendet hat. Vielleicht kommt er durch und kann uns dann eine Beschreibung der Täter und des Autos geben.« Er schwieg und fügte dann hinzu: »Jetzt brauchen Sie mich nicht mehr davon zu überzeugen, dass jemand Metroix umbringen will, Carolyn. In diesem Punkt stehe ich voll hinter Ihnen. Und ich scheiße darauf, sollte Charles Harrison früher einmal eine große Nummer bei der CIA gewesen sein. Wenn er dahinter steckt, muss er dafür wie jeder andere Kriminelle zur Rechenschaft gezogen werden.«

»Ich rufe Sie später noch mal an«, sagte Carolyn und griff nach ihrer Handtasche. »Ich fahre jetzt ins Krankenhaus.«

»Holen Sie zuerst Ihre Kinder ab, ehe Sie irgendwas unternehmen«, riet Hank ihr. »Ach ja, und ich habe White zu Metroix’ Bewachung abkommandiert. Diese Geschichte macht uns allmählich zu schaffen. Harrison ist krank. Und damit meine ich nicht nur seine Leber. Auftragskiller sind böse. Sie scheren sich einen Dreck darum, wer stirbt. Dieser Abschaum ist nur am Geld interessiert.«

Carolyn fuhr zuerst zur Jefferson Junior High School und holte Rebecca ab, dann fuhr sie zur Ventura High School und holte John ab.

Im Auto erzählte sie den beiden, was passiert war.

»Muss er sterben?«, fragte Rebecca vom Rücksitz her.

»Das hoffe ich nicht, Liebling«, antwortete Carolyn. »Ich weiß, dass ihr Hausaufgaben machen müsst. Aber ich will euch nicht allein lassen. Deshalb müsst ihr mich ins Krankenhaus begleiten. Dort könnt ihr im Wartezimmer damit anfangen. Ich brauche nicht lange.«

»Ich muss eine Menge nachholen«, sagte John und warf seiner Mutter einen scharfen Blick zu. »Wir schreiben morgen eine Mathearbeit. Nimm Rebecca mit, aber mich nicht. Ich kann in einem Wartezimmer nicht arbeiten. Dort ist es zu laut.«

Carolyns Herz raste. Sie und ihre Kinder hatten in letzter Zeit zu viel Stress gehabt. Aber das jetzt war keine normale Situation mehr, denn Hank Sawyer hätte sie nicht ohne triftige Gründe gewarnt.

»Du tust, was ich sage, John!«, befahl sie deshalb. »Mir ist es nämlich lieber, wenn du eine Prüfung vermasselst anstatt dich im Leichenschauhaus wieder zu sehen.«

John atmete tief ein und sagte: »Es tut mir ja Leid, dass dein Schützling angeschossen wurde, aber was hat das mit uns zu tun? Also fahr mich nach Hause.«

»Ich treffe hier die Entscheidungen«, entgegnete Carolyn, genervt über die Widerspenstigkeit ihres Sohns. »Und ich will nicht, dass du alleine zu Hause bist.«

Sie fuhr an den Bordstein und hielt.

»Warum ist das Leben für uns so schwer?«, beklagte sich John. »Warum können wir nicht wie andere Familien sein? Ich tue doch alles, um aus meinem Leben etwas zu machen. Du solltest dir lieber um mich Sorgen machen als um einen Fremden, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde.«

Er öffnete die Beifahrertür und stieg aus.

»Bleib sitzen«, sagte Carolyn zu ihrer Tochter. »Ich schließe jetzt den Wagen ab, gehe aber nur so weit, dass du mich immer sehen kannst. Ist das okay?«

Rebecca nickte und legte sich ihren Rucksack auf den Schoß.

»Wie kannst du es wagen, dich mir zu widersetzen?«, sagte Carolyn, als sie ihren Sohn eingeholt hatte. »Du glaubst doch wohl nicht, dass das Leben für mich einfach ist, wie? Ich ersticke in Arbeit und studiere außerdem Jura. Dein Vater hat seit Jahren keinen Cent mehr für euch bezahlt. Und du willst auf die teuerste Uni, die anderen sind ja nicht gut genug für dich. Hast du dir mal überlegt, dass ich auch noch Rebeccas Ausbildung finanzieren muss?«

»Ich dachte, Neil zahlt uns das College«, entgegnete John. »Er hat doch letztes Jahr ein Sparkonto auf unsere Namen eröffnet.«

»Dein Onkel konnte damals ein paar seiner Gemälde sehr gut verkaufen«, erklärte Carolyn. »Doch seitdem haben wir eine Wirtschaftsflaute. Und wenn die Geschäfte nicht laufen, kaufen die Leute auch keine Bilder. Neil hat zwar ein Konto für euch eröffnet, bisher aber nur wenig eingezahlt. Diese Summe deckt bei weitem nicht eure Ausbildung. Und vielleicht heiratet Neil und gründet eine eigene Familie. Ich will dir damit nur klar machen, dass wir von anderen nicht finanziell abhängig sein dürfen.«

John starrte zu Boden. Jetzt hob er langsam den Kopf und sah seine Mutter an. Beide schwiegen und atmeten schwer.

»Wie wär’s, wenn du mich bei Turner absetzt? Das Haus seiner Eltern ist nur fünf Block entfernt und seine Mutter arbeitet nicht. Und außerdem hat er noch zwei bärenstarke Brüder.«

»Das kann ich akzeptieren«, sagte Carolyn. »Aber ich warte noch immer auf eine Entschuldigung.«

John legte seinen Arm um die Schultern seiner Mutter und sagte: »Entschuldige. Es tut mir Leid.« Er trat ein paar Schritte zurück und fügte hinzu: »Komm, wir wollen uns beeilen. Wenn ich ein Stipendium haben will, kann ich mir keine Zeitverschwendung leisten.«

John würde es schaffen, da war sich Carolyn sicher. Denn er war nicht nur intelligent, er besaß auch den nötigen Ehrgeiz und die Ausdauer dazu. Doch das war keine Entschuldigung für seine Respektlosigkeit. Selbst wenn er der reichste Mann der Welt würde und es ihm an Respekt für seine Mitmenschen fehlte, würde man ihn verachten.

»Könntest du über Nacht bei deinem Freund Turner bleiben?«

»Klar«, antwortete John. »Kein Problem. Seine Mutter hat mir schon gesagt, dass ich jederzeit kommen könne.«

»Sehr gut«, meinte Carolyn offen heraus. »Ich akzeptiere deine Entschuldigung.«

Ohne auf eine mögliche Antwort zu warten, drehte sie sich um und marschierte zum Auto zurück.

Währenddessen wurde Daniel Metroix für die Operation vorbereitet.

In Begleitung ihrer Tochter betrat Carolyn das Krankenhaus und sprach mit einer hübschen schwarzen, ganz in Grün gekleideten OP-Schwester namens Ann Brookings.

»Glücklicherweise hat die Kugel keine lebenswichtigen Organe verletzt«, sagte die Schwester. »Deshalb rechnet der Operateur, Dr. Silver, nicht mit gravierenden Problemen während des Eingriffs. Und da Mr. Metroix physisch gesehen in gutem Zustand ist, stehen die Chancen nicht schlecht.«

Carolyn warf Trevor White einen Blick zu, der in der Nähe an der Wand lehnte. Sie alle standen außerhalb einer roten Linie am Boden, unter der stand Eintritt verboten.

Carolyn flüsterte der Schwester zu: »Vergewissern Sie sich, dass der Officer seinen Posten nicht verlässt. Es geht um mehr als nur um die Unversehrtheit des Patienten. Und sollte Ihnen oder dem Team irgendetwas Ungewöhnliches auffallen, setzen Sie bitte sofort Officer White darüber in Kenntnis oder wählen Sie 911.«

»Ist die Lage wirklich so ernst?«, fragte Schwester Ann.

»Ja«, antwortete Carolyn. »Wie lange wird die Operation dauern?«

»Wenigstens zwei Stunden«, antwortete sie. »Dann bleibt der Patient noch mindestens zwei Stunden im Aufwachraum, wenn nicht länger. An Ihrer Stelle würde ich jetzt mit Ihrer Tochter nach Hause fahren.«

»Bald wird sich ein Detective namens Hank Sawyer auf Ihrer Station melden«, sagte Carolyn. »Sollte Mr. Metroix irgendetwas sagen, das in Zusammenhang mit dem Verbrechen steht, notieren Sie es sich bitte oder informieren Sie die Polizei. Wir müssen wissen, ob er den Mann, der auf ihn geschossen hat, gesehen hat.«

»Der Patient wird für mehrere Tage unter Narkotika stehen«, entgegnete Schwester Ann. »Und wenn er aufwacht, wird er konfuses Zeug reden, wegen der Medikamente.« Sie schwieg kurz und lächelte. »Normalerweise rede ich nicht so offen. Aber Sie scheinen mir ein netter Mensch zu sein. Deshalb sollen Sie wissen, wie die Dinge stehen.«

Sie streifte ihren Mundschutz über und wandte sich zum Gehen. Doch ehe sie die Schwingtüren zum OP-Bereich aufstieß, drehte sie sich noch einmal um und sagte: »Ihr Schützling hat sehr wahrscheinlich den Mann gesehen, der ihm das angetan hat. Es sei denn, der Kerl hat eine Maske getragen. Aber Masken sind heutzutage nicht mehr modern.«

»Nicht modern?«, fragte Carolyn konsterniert. Schließlich redeten sie über ein Verbrechen.

»Ich bin auf der Straße aufgewachsen«, sagte Schwester Ann, eine Hand auf ihre Hüfte gestemmt. »Können Sie sich noch an das Delikt Carjacking erinnern? Wie lange ist es her, dass Sie davon gehört haben? Der nette junge Polizist da drüben meint, Mr. Metroix könnte im Vorbeifahren angeschossen worden sein. Aber ich glaube das nicht. Denn Schüsse aus vorbeifahrenden Autos sind auch nicht mehr modern.«

»Und warum glauben Sie, dass Mr. Metroix den Schützen gesehen hat?«

»Weil er von vorn angeschossen wurde«, antwortete Schwester Ann lächelnd.

Als die beiden wieder in dem BMW saßen, sagte Rebecca zu ihrer Mutter: »Wenigstens brauche ich mir um meine Hausaufgaben keine Sorgen mehr zu machen. Das meiste davon habe ich im Auto erledigt. Als du dich mit John gestritten hast.«

»Wir haben uns nicht gestritten«, sagte Carolyn und steckte den Zündschlüssel ins Schloss. »Wir hatten eine Meinungsverschiedenheit. Das war alles.«

»Na ja«, sagte Rebecca und legte ihren Sicherheitsgurt an. »Für mich sah es aber ganz so aus, als hättet ihr gestritten. Und wohin fährst du jetzt mit mir? Zum Leichenschauhaus oder sonst wohin? Und werden wir wirklich von Gangstern gejagt oder hast du einen Nervenzusammenbruch?«

Carolyn atmete ein paar Mal tief durch, ehe sie antwortete.

»Ich tue so, als hätte ich das jetzt nicht gehört«, sagte sie lakonisch.

Sie legte den falschen Gang ein, fuhr vorwärts und stieß mit der Stoßstange gegen die Betoneinfassung.

Als sie ausstieg, um sich den Schaden anzusehen, hatte sie plötzlich das Gefühl, ihre Kinder wären zu Monstern mutiert. In der Chromstoßstange von Paul Leightons BMW war eine Delle. Die musste sie jetzt reparieren lassen. Ihre Versicherung würde nicht dafür aufkommen, denn die zahlte erst ab einer Selbstbeteiligung von tausend Dollar. Sie warf einen verzweifelten Blick zu dem großen Baum empor, als würde der gleich auf sie stürzen.

»Du willst also wissen, wohin wir fahren?«, sagte sie, als sie wieder im Auto saß. »Als Erstes mieten wir jetzt ein Auto.«

»Etwas zu essen wäre auch nicht schlecht«, sagte Rebecca. »Wenn ich keinen Hunger mehr habe, bin ich vielleicht weniger grantig.«

»Touché. Eins zu null für dich«, sagte Carolyn und tätschelte die Hand ihrer Tochter. Sie entdeckte ein Drive-in an der Ecke und fuhr dorthin.

Nachdem sich die beiden mit Hamburgern, Pommes und Milchshakes versorgt hatten, fuhr Carolyn auf einen Parkplatz.

»Ich dachte, touché wäre etwas, das Frauen für ihren Intimbereich benutzen«, sagte Rebecca.

Carolyn lachte laut und ihre Anspannung war verflogen. Eben noch hatte sie ihre Kinder zum Teufel gewünscht und jetzt wurde ihr wieder überdeutlich bewusst, wie öde das Leben ohne sie wäre.

»Meinst du vielleicht ein bestimmtes Duschgel? Eine Spülung?«

»Ja«, sagte Rebecca und biss von ihrem Hamburger ab. »In allen Zeitschriften machen sie dafür Reklame. Allisons Mutter hat das Zeug in ihrem Badezimmer stehen. Es heißt Baby Puder. Aber warum soll der Intimbereich einer Frau nach Baby Puder riechen?«

Carolyn musste derart lachen, dass sie nicht antworten konnte.

»Das ist nicht lustig, Mom«, sagte Rebecca. »Wenn man verheiratet ist, schnüffelt dein Mann dann wie ein Hund an deinem Hintern? Das ist doch ekelhaft. Ich heirate nie.«

»Das Wort, das ich gebraucht habe, fängt mit einem t an«, sagte Carolyn. »Touché ist französisch, Liebling. Und man benutzt es im Zusammenhang mit dem Fechten. Wenn ein Fechter seinen Gegner berührt hat, ruft er touché Das heißt getroffen. Wir werden über alle diese Dinge sprechen, wenn wir wieder genügend Zeit haben.«

Während Carolyn vom Parkplatz fuhr, kam ihr der Gedanke, dass die Jugend heutzutage viel aufgeklärter schien als zu ihrer Zeit. Aber in diesem Punkt hatte sie sich wieder einmal geirrt. Ihre Tochter war viel naiver, als sie angenommen hatte. Eine Tatsache, die sie jedoch beruhigend fand.

Die nächste Stunde verbrachten Mutter und Tochter bei einer Autovermietung, wo Carolyn einen Leihwagen mietete.

Als die beiden auf den Parkplatz gingen, wo die Fahrzeuge standen, fragte Carolyn: »Hast du vielleicht Professor Leightons Telefonnummer? Ich habe sie mir zwar aufgeschrieben, aber der Zettel ist zu Hause.«

»Warum denn?«

»Weil ich nicht weiß, was ich mit seinem BMW machen soll. Ich möchte ihn so schnell wie möglich zurückgeben, ehe mir noch ein Malheur passiert.«

Rebecca holte ihr Adressbüchlein aus ihrem Rucksack und schlug es unter Lucys Namen auf.

Sie gab es ihrer Mutter und sagte: »Ich mag Lucy. Sie ist wirklich nett und hat alle möglichen tollen Sachen, sogar einen Fernseher und einen DVD-Player in ihrem Zimmer. Jetzt, wo du das Auto ihres Vaters demoliert hast, wird sie wahrscheinlich nicht mehr mit mir reden.«

»Ich habe das Auto nicht demoliert«, entgegnete Carolyn, »ich habe nur eine Delle in die Stoßstange gefahren.«

Endlich entdeckte sie den bronzefarbenen Toyota Camry in Reihe 22 und bedeutete ihrer Tochter einzusteigen. Ehe sie losfuhr, rief sie Paul Leighton an und erklärte ihm, was passiert war.

»Machen Sie sich darüber keine Sorgen«, entgegnete er. »Ich glaube, in der Stoßstange war schon eine Delle. Und wenn Sie wollen, kann ich mein Auto gleich bei der Autovermietung abholen. Haben Sie schon gegessen? Sonst lade ich Sie zum Essen ein.«

»Nein, danke«, sagte Carolyn. »Ich habe Ihnen schon genug Ärger gemacht.«

»Das ist Unsinn«, sagte er, leise lachend. »Ich bin mir sicher, dass Lucy bald mehr Zeit bei Ihnen als zu Hause verbringen wird. Sie kann einen ganz schön auf Trab halten. In der Hinsicht ist sie wie ihre Mutter.«

»Wenn Sie Ihren Wagen abholen würden, wäre ich sehr froh«, sagte Carolyn, »aber nur, wenn Sie mir versprechen, dass ich Sie zum Abendessen einladen darf. Rebecca und ich haben bereits gegessen. Wir wär’s mit Samstag? Es sei denn, Sie haben schon etwas anderes vor oder mir kommt etwas dazwischen.« Sie schwieg kurz und fügte dann hinzu: »Und was die Delle betrifft, ich lasse die Stoßstange nächste Woche reparieren.«

»Das hat Zeit«, sagte Paul Leighton. »Machen Sie sich keine Sorgen um das Auto. Meine Haushälterin Isobel fährt mich hin. Und über die Delle reden wir dann beim Essen. Wann soll ich Sie abholen?«

»So gegen sieben«, antwortete Carolyn. Ihr fiel auf, dass Rebecca ihr einen seltsamen Blick zuwarf.

»Gut«, sagte Paul Leighton. »Hinterlegen Sie die Schlüssel des BMW bei der Leihwagenfirma und sagen Sie den Leuten, dass ich meinen Wagen innerhalb der nächsten Stunde abhole.«

Carolyn bedankte sich und verstaute ihr Handy in der Handtasche.

»Was starrst du mich so an?«, fragte sie ihre Tochter. »Der arme Mann hat genug mitgemacht. Das Mindeste, was ich tun kann, ist, ihn zum Essen einzuladen.«

»Musst du dir jetzt eine Spülung kaufen?«

»Nein«, sagte Carolyn und küsste Rebecca auf die Wange. »Trotzdem müssen wir mal über diese Dinge reden.«

Sie startete den Motor des Toyota, fuhr vorsichtig aus der Parklücke und hielt dann vor dem Büro, um die BMW-Schlüssel zu hinterlegen.

»Fahren wir jetzt nach Hause?«, fragte Rebecca. »Ich bin müde.«

»Ich muss nur noch schnell eine neue Kaffeekanne kaufen, weil mir unsere neulich kaputtgegangen ist.«

»Warum musst du die dämliche Kanne unbedingt jetzt kaufen? Kann das nicht bis morgen warten?«, jammerte Rebecca.

»Weil ich wach bleiben muss«, erklärte Carolyn. Der Gedanke, dass der Mann, der Daniel niedergeschossen hatte, wahrscheinlich auch ihren Wagen demoliert und die Drohbotschaft hinterlassen hatte, belastete sie immer mehr.

»Warum musst du denn wach bleiben?«, maulte Rebecca weiter. »Ich will nur so schnell wie möglich ins Bett.«

Weil ich dich und mich schützen muss, dachte Carolyn, aber sie sagte: »Ich habe mein Jurastudium vernachlässigt. Das muss ich aufholen. Es ist wichtig, dass ich mein Examen bestehe.«

Sie hielt vor dem Supermarkt, noch immer um die Sicherheit ihrer Tochter und ihre eigene besorgt.

Zielpersonen, die sich ständig bewegen, sind schwerer zu finden, überlegte sie. Deshalb war es so wichtig gewesen, nicht mehr den BMW zu fahren. Sie hatte auch in Erwägung gezogen, sich bei Neil oder in der Wohnung ihrer Mutter in Camarillo einzuquartieren. Da die Adressen der Gerichtshelfer der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren, hatte jemand aus dem Amt ihre Adresse preisgegeben, oder es war ihr jemand gefolgt. Und dass dieser Jemand ihr zu ihrer Mutter oder ihrem Bruder folgte, war das Letzte, was sie wollte.

Außerdem war Carolyn klar, dass der Mordversuch an Daniel Metroix nur zweierlei bedeuten konnte: Entweder eskalierte die Situation oder sie beruhigte sich. Und sie fürchtete sich vor nichts mehr auf der Welt als vor Profi-Killern. Sollten aber solche Leute darin involviert sein, dann war alles bisher Geschehene nichts als ein Vorspiel gewesen.

Sullivans Gesetz/ Sullivans Rache/ Dunkler Garten

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