Читать книгу Sullivans Gesetz/ Sullivans Rache/ Dunkler Garten - Nancy Taylor Rosenberg - Страница 20

Kapitel 14

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»Ich habe schlechte Neuigkeiten«, sagte Brad Preston. In der Leitung schien es zu knistern, so wütend klang er. »Eddie Downly wurde versehentlich aus dem Gefängnis entlassen.«

Carolyn stand an der Kasse des Supermarkts. Vor Schreck ließ sie den Karton mit der Kaffeekanne fallen und hörte das Splittern des Glases. Sie sagte schnell: »Einen Moment bitte, Brad«, packte Rebeccas Hand und lief auf die Straße.

»Du hast die Kanne zerbrochen, Mom«, sagte Rebecca vorwurfsvoll. »Du musst sie bezahlen. Wir können doch nicht ...«

»Das mache ich morgen«, fiel Carolyn ihrer Tochter ins Wort. Als beide in dem Toyota saßen, verriegelte sie die Türen. »Halt jetzt den Mund, Schatz. Das ist ein äußerst dringender Anruf.«

Brad redete weiter: »Okay. Ein Mann namens Edward James Downy wurde heute ins Gefängnis eingeliefert. Der Computer hat ihm dieselbe Registriernummer wie dem Schnellen Eddie zugeteilt. Der Dienst habende Deputy hat wohl den Namen falsch eingegeben. Der Festgenommene hat dieselben Vornamen und sogar dasselbe Geburtsdatum wie Downly. Der Sheriff gibt dem Computer die Schuld an der Verwechslung, da das Programm einem bereits Inhaftierten normalerweise nie dieselbe Nummer zuteilt.«

»Dasselbe Geburtsdatum!«, sagte Carolyn ungläubig und schüttelte den Kopf. »So einen Zufall gibt es nicht. Da ist etwas ganz Schlimmes im Gang, Brad. Ich war doch bei Downly und bin dir begegnet, kurz nachdem ich aus dem Gefängnis gekommen bin. Kannst du dich erinnern, wann das gewesen ist?«

»Gegen zwölf«, sagte Brad. »Der andere Kerl wurde eine halbe Stunde später eingeliefert. Da hatte der Deputy, der dich reingelassen hat, Mittagspause. Mit den Aufnahmeformalitäten hat der sowieso nichts zu tun.«

Carolyn schwirrte der Kopf. »Wir haben es hier mit einer Verschwörung im großen Stil innerhalb des Justizwesens zu tun.«

»Wir wollen die Sache nicht überbewerten«, sagte Brad beruhigend, weil er merkte, dass Carolyn der Hysterie nahe war. »Erst müssen wir alle Fakten kennen. So eine Verwechslung ist letztes Jahr zweimal passiert. Nicht alle Zufälle lassen auf eine Verschwörung schließen. Mir tut am meisten die Familie des kleinen Mädchens Leid.«

Da Rebecca bei ihr war, bemühte sich Carolyn, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Am liebsten hätte sie mit der Faust die Windschutzscheibe zertrümmert.

»Hast du Hank informiert?«

»Das hat schon das Gefängnis getan.«

Downly hatte ein abscheuliches Verbrechen begangen, das sie vielleicht hätte verhindern können, wäre sie ihrer Pflicht nachgekommen. Und jetzt lief dieser brutale Vergewaltiger wieder frei herum. Und ein Mann, der – wie sie glaubte – dreiundzwanzig Jahre unschuldig im Gefängnis gesessen hatte, war niedergeschossen worden: ein Verbrechen, das vielleicht der zweithöchste Polizeibeamte in Los Angeles, Deputy Chief Charles Harrison in Auftrag gegeben hatte. Wem kann ich überhaupt noch trauen?, fragte sich Carolyn.

»Hör mir zu, Brad«, sagte sie eindringlich. »Ruf Hank an. Und wenn du ihn nicht erreichen kannst, dann sprich mit dem Captain, dem Lieutenant oder sonst jemandem im Department. Bestimmt wird die Nachricht, dass Downly irrtümlich entlassen worden ist, im Fernsehen verbreitet. Es müssen alle Beweise, die Downly mit der Vergewaltigung in Verbindung bringen, publik gemacht werden. Sollte Eddie glauben, er habe eine Chance davonzukommen, wenn das Mädchen nicht gegen ihn aussagen kann, wird er versuchen, sie zu töten.«

»Das weiß die Polizei doch.«

»Metroix und Downly sind nicht die einzigen Fälle, die die Polizei zu bearbeiten hat«, widersprach Carolyn. »Vergiss nicht die Überfälle, Einbrüche, häuslichen Gewalttaten, Gang-Schießereien, Verkehrsunfälle und was sonst noch innerhalb der nächsten fünf Minuten passieren kann.«

»Du hast Recht«, sagte Brad. »Beruhige dich, okay? Alle verfügbaren Polizisten sind im Einsatz. Die erwischen diesen Scheißkerl bestimmt bald wieder.«

»Wer ist Edward James Downy?«

»Ein Mann, der zu viele Strafzettel nicht bezahlt hat«, sagte Brad. »Er wurde gegen Kaution freigelassen. Der Schnelle Eddie wurde um Viertel nach eins entlassen. Die Gefängnisverwaltung hat ihren Irrtum erst entdeckt, als Downy vor ein paar Stunden Krach geschlagen hat. Da haben sie gemerkt, dass der falsche Mann entlassen wurde.«

Carolyn ließ den Kopf aufs Lenkrad sinken und sagte: »Ich kann jetzt nicht länger darüber reden. Rebecca ist bei mir. Ich muss nach Hause.«

»Ich habe den Streifendienst gebeten, dein Haus im Auge zu behalten. Was gibt’s Neues von Metroix? Ist er noch im OP?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Carolyn. »Ruf mich später noch mal an.« Sie wollte das Gespräch gerade beenden, als ihr noch etwas einfiel. »Der Schnelle Eddie hat einen Cousin, der in Compton wohnt. Es könnte sein, dass er sich dort versteckt, bis er genug Geld hat, um die Stadt zu verlassen.«

»Steht die Adresse dieses Cousins in seiner Akte?«

»Ja«, sagte Carolyn. »Sollte mir noch was einfallen, verständige ich die Polizei.«

»Sag dir immer wieder, dass du nur deinen Job machst«, riet Brad ihr. »Und ich muss dir noch in etwas anderem Recht geben: Du hättest befördert werden müssen, nicht ich.«

Carolyn sah, dass Rebecca, den Kopf ans Seitenfenster gelehnt, eingeschlafen war. Sie wölbte die Hand über die Sprechmuschel und flüsterte: »Danke«, um ihre Tochter nicht zu wecken.

»Vergiss dein Jurastudium«, sagte Brad. »Wir brauchen dich bei uns und nicht als Strafverteidigerin. Ich vermisse dich, Carolyn.«

»Ich dich auch«, wisperte Carolyn mit tränenüberströmtem Gesicht.

Ein paar Blocks vom Supermarkt entfernt sah Carolyn während des Fahrens im Rückspiegel Scheinwerfer und warf einen Blick auf den Tacho. Sie fuhr nicht zu schnell.

Das kann nicht die Verkehrspolizei sein, weil der Wagen kein Blaulicht hat, dachte sie. Jedenfalls fährt er zu dicht auf.

Sie durchforschte ihr Gedächtnis nach irgendwelchen Einzelheiten, die sie in Downlys Akte vielleicht übersehen hatte. Sie kannte diesen Mann besser als andere Mitarbeiter der Behörde, weil sie mit ihm drei Jahre lang jeden Monat gesprochen hatte. Aber in ihrem Gehirn herrschte im Augenblick nur Leere.

Da schwenkte das Fahrzeug hinter ihr plötzlich nach links und fuhr dann auf der Überholspur neben ihr her – eine schwarze Corvette neueren Modells mit dunkel getönten Scheiben.

Carolyn ging vom Gas, um den Wagen vorbeizulassen, doch die Corvette blieb nur ein paar Zentimeter von ihrem Toyota entfernt auf ihrer Höhe. Sie streckte die Hand aus und rüttelte ihre Tochter wach.

»Gib mir die Waffe aus meiner Handtasche!«, schrie sie. »Schnell!«

»Was ist denn los?«, fragte Rebecca schlaftrunken. »Wo sind wir?«

»Tu, was ich dir sage!«, schrie Carolyn wieder und drückte das Gaspedal durch. »Gib mir die Waffe!«

Rebecca griff nach der Handtasche ihrer Mutter, die ihr jedoch aus der Hand rutschte, weil sie jetzt mit Tempo hundertzwanzig dahinrasten.

»Bleib mit dem Kopf unten«, rief Carolyn über das Dröhnen des Motors hinweg. »Gib mir die Waffe und dann rufst du mit dem Handy 911 an. Sag der Zentrale, dass wir auf der California Street ostwärts fahren. An der Elkwood Street sind wir schon vorbei. Jemand versucht, uns von der Straße zu drängen. Der Beifahrer könnte bewaffnet sein. Wenn du die Polizei an der Strippe hast, gibst du ihr unsere Position weiter durch.«

»Ich will nicht sterben«, rief Rebecca, fischte die Ruger aus der Tasche und gab sie ihrer Mutter.

Die Corvette fuhr weiter dicht neben ihr, aber auf der Seite des Gegenverkehrs, da die Straße jetzt nur zweispurig war. Carolyn versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Rechts abbiegen konnte sie nicht, weil sie sich einem großen mit Bäumen bestandenen Park näherten. Eine Kollision mit einem Baum bei diesem Tempo würden sie beide nicht überleben.

Carolyn rutschte etwas tiefer in ihren Sitz hinein und umklammerte das Lenkrad noch fester. Vor ihr tauchte ein Straßenschild auf, doch ehe sie eine Entscheidung treffen konnte, waren sie schon mit hundertfünfzig an der Einmündung zu einer Seitenstraße vorbeigerast.

»Ich kann die Nummer nicht wählen«, schrie Rebecca vornübergebeugt. »Du musst langsamer fahren.«

»Setz dich aufrecht hin!«, befahl Carolyn keuchend. Die Corvette drängte ihren Toyota jetzt aufs Bankett. Sie konnte nicht länger auf der Hauptstraße bleiben, sondern musste irgendwo abbiegen. »Stemm dich mit beiden Händen und Füßen gegen das Armaturenbrett.«

Aus den Augenwinkeln sah Carolyn, dass das Seitenfenster der Corvette jetzt offen war, aber sie konnte den Blick nicht lange genug von der Straße abwenden, um die Insassen deutlich zu sehen. Sie glaubte jedoch, den Lauf einer Waffe zu erkennen.

Als das nächste Straßenschild auftauchte, nahm Carolyn den Fuß vom Gas, riss das Lenkrad herum und schlidderte mit quietschenden Reifen in die Kurve.

Das Heck des Toyota krachte gegen die Vorderseite der Corvette, die seitlich wegrutschte und sich um die eigene Achse drehte. Rebecca schrie wie am Spieß.

Sie waren jetzt in einer Wohngegend. Am Straßenrand parkten Autos. Zwischen zwei Häusern entdeckte Carolyn eine Lücke, fuhr über den Randstein und den Grasstreifen auf das unbebaute Grundstück und trat auf die Bremse.

»Spring raus!«, schrie Carolyn. »Und lauf los.«

Beide sprangen gleichzeitig aus dem Auto, Carolyn packte Rebeccas Hand und zerrte sie in die schmale Straße hinter den Häusern. In der Ferne hörte sie das Dröhnen des Motors der Corvette. Am Steuer musste ein geübter Fahrer sitzen, sonst hätte sich der Wagen wohl überschlagen.

So wie der Toyota auf ihr abruptes Manöver reagiert hatte, schloss Carolyn, dass am Heck ein Schaden entstanden war. Gott sei Dank ist das Auto fahrtüchtig geblieben, dachte sie, sonst wären Rebecca und ich wohl erschossen worden.

Als Carolyn ein offenes Garagentor entdeckte, schlüpfte sie schnell hinein und kroch unter einen Pick-up. Rebecca zerrte sie am Blusenzipfel hinter sich her. In der Garage war es dunkel und sie konnte nicht feststellen, ob jemand im Haus war.

»Mom, bitte. Ich habe mir den Knöchel verstaucht«, jammerte Rebecca.

Carolyn hielt ihrer Tochter den Mund zu.

»Sprich nicht«, flüsterte sie ihr ins Ohr. »Wir müssen ganz still sein, bis ich dir sage, dass wir in Sicherheit sind.«

In einer der Seitenstraßen hörte sie eine Polizeisirene. Mit angehaltenem Atem lauschte sie auf das Motorengeräusch der Corvette. Ihre Angst kehrte zurück, als sich das Sirenengeheul entfernte. Bei ihrer überstürzten Flucht hatte sie ihre Waffe, ihre Handtasche und ihr Handy im Auto zurückgelassen. Und weil Rebecca die 911 nicht hatte wählen können, wusste die Polizei nicht, wo sie waren und dass sie sich in Lebensgefahr befanden. Entweder hatte jemand die Polizei wegen der Autoraser informiert oder der Streifenwagen war zu einem anderen Tatort unterwegs.

Carolyn nahm die Hand vom Mund ihrer Tochter, streichelte ihre verschwitzte Stirn und fragte leise: »Bist du okay?«

»Mein Knöchel tut so weh«, stöhnte Rebecca. »Sind die Männer in dem Auto fort?«

»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Carolyn und stieß sich den Kopf an der Karosserie. »Vielleicht suchen sie uns jetzt zu Fuß. Du musst sehr tapfer sein und so wenig wie möglich sprechen. Ich mache mir auch Sorgen wegen der Leute, die hier wohnen. Sie könnten uns für Einbrecher halten.«

»Dann erschießen sie uns, nicht wahr?«, fragte Rebecca und streckte sich flach auf dem Betonboden aus. »Ich kriege kaum Luft hier unten. Und ich habe ekliges klebriges Zeug an meinen Händen und im Gesicht.«

»Das ist schon okay«, sagte Carolyn. »Wahrscheinlich verliert der Pick-up Öl.«

Aus Angst, ihre Verfolger könnten weiterhin die Umgebung nach ihnen absuchen, wollte Carolyn ihr Versteck noch nicht verlassen. Sie musste davon ausgehen, dass es dieselben Männer waren, die am Nachmittag Daniel niedergeschossen hatten. Sie hatten für ihre Verfolgungsjagd nur ein anderes Fahrzeug benutzt. Leider hatte sie versäumt, sich das Kennzeichen zu merken, und schalt sich wegen ihrer Nachlässigkeit. In Zukunft musste sie viel mehr auf der Hut sein. Aber die Corvette war wohl ebenso gestohlen worden wie der Geländewagen, aus dem Daniel niedergeschossen worden war. Hank hatte sie darauf hingewiesen, dass diese Männer Profis waren. Trotzdem würde die Spurensicherung an den irgendwo abgestellten Fahrzeugen Beweise finden, die eventuell zur Identifizierung der Täter beitrugen.

Rebecca war eingeschlafen und Carolyn schmiegte sich an ihre Tochter, um sie zu wärmen. Sie hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Die Zeiger ihrer Armbanduhr konnte sie nicht erkennen, weil es unter dem Pick-up stockdunkel war. Morgen kaufe ich mir eine Uhr mit Leuchtziffern, beschloss sie. Und schwor sich auch – sollten sie dieses Mal mit dem Leben davonkommen –, immer ihre Waffe im Schulterhalfter zu tragen. Brad Preston hatte sie oft genug gewarnt, aber sie war zu eigensinnig gewesen, um auf ihn zu hören.

Ein Geräusch in der kleinen Straße ließ sie zusammenschrecken. Ihr Körper versteifte sich. Dann hörte sei ein Geschrei, das wie das Schreien eines Babys klang, merkte jedoch bald, dass es das Gejaul zweier kämpfender Kater war, und entspannte sich wieder.

Wie hatten die Verfolger sie in dem gemieteten Toyota erkannt? Sie mussten ihr gefolgt sein. Wo hatten die Männer ihre Spur aufgenommen? Als sie aus dem Gericht gekommen war? Oder waren sie ihr vom Krankenhaus aus gefolgt?

Carolyn hatte versucht, sehr vorsichtig zu sein. Sie war nicht nach Hause gefahren, weil ihre Verfolger wussten, wo sie wohnte. Sie hatte angenommen, die Männer, die Daniel niedergeschossen hatten, würden untertauchen und warten, bis sie Gewissheit hatten, dass ihr Opfer tot war. Ihr Streit mit John hatte sie aufgehalten und dann hatte sie noch Zeit verloren, als sie ihn zu seinem Freund fuhr. In dieser Zeit könnten die Killer das Krankenhaus angerufen und herausgefunden haben, dass Daniel überleben würde. Waren sie dorthin gefahren, um ihren Job zu beenden und hatten Carolyn dort gesehen und beschlossen, sie aus dem Weg zu räumen, damit sie ihnen keine Schwierigkeiten mehr machte?

Ihre Gedanken schweiften zu Eddie Downly. Er war am Montag festgenommen und irrtümlich ein paar Stunden vor dem Anschlag auf Daniel Metroix entlassen worden. Aufgrund ihrer Hinweise hatte die Polizei ihn aufgespürt. Das und ihr Besuch im Gefängnis könnten für den Schnellen Eddie Grund genug sein, ihr nach dem Leben zu trachten. Noch wichtiger war jedoch die Tatsache, dass er sich nicht sicher sein konnte, was sie sonst noch über ihn wusste. Die Orte, an denen er verkehrt hatte, und die Menschen, die er kannte, musste er jetzt wie die Pest meiden. Carolyn fand es schwierig, eine Verbindung zwischen den beiden Situationen herzustellen, da zum Zeitpunkt der Explosion Eddie Downly im Gefängnis gesessen hatte. Die einzige plausible Erklärung für eine Verbindung zwischen Harrison und Downly war, dass Harrison die Freilassung von Downly arrangiert und ihn als Killer auf Daniel Metroix angesetzt hatte.

Würde ein stellvertretender Polizeipräsident einen Kinderschänder wieder in die Freiheit entlassen? Wenn er das getan hatte, so vermutete Carolyn, wollte Harrison ihn nur benutzen und dann umbringen. Und bei der Strafe, die Downly zu erwarten hatte, musste er ihn nicht einmal bezahlen, sondern ihn einfach nur mit dem Mord beauftragen.

Um sich zu vergewissern, dass die Luft rein war, kroch Carolyn jetzt zur Ecke des Garagentors und spähte in die dunkle kleine Straße. Bis auf ein paar erleuchtete Fenster in den Häusern war es stockfinster und still wie auf einem Friedhof. Sie hörte weder Hunde bellen noch ein Radio spielen. Die zwei Kater, deren Geschrei sie zuvor gehört hatte, waren ebenfalls verschwunden.

Da sich Carolyn ziemlich sicher war, dass ihre Verfolger aufgegeben und weggefahren waren, duckte sie sich noch einmal unter den Pick-up und weckte Rebecca.

»Bleib dicht bei mir«, sagte sie, als sie aus der Garage in die kleine Straße und zu ihrem Mietwagen zurückgingen. »Wenn ich deine Hand drücke, lässt du dich sofort zu Boden fallen und rührst dich nicht mehr.«

»Mein Knöchel«, wimmerte Rebecca. »Ich kann nicht auftreten, Mom.«

Carolyn war zwar nur klein von Statur, aber ihre mütterlichen Instinkte verliehen ihr ungeahnte Kräfte. Sie nahm ihre Tochter auf die Arme und trug sie zu dem noch immer auf dem unbebauten Grundstück stehenden Toyota. Wahrscheinlich wäre es gar nicht nötig gewesen, sich stundenlang in der Garage zu verstecken, da ihre Verfolger die Suche nach ihnen wohl längst aufgegeben hatten.

Sie setzte Rebecca auf den Beifahrersitz. Der linke Knöchel ihrer Tochter war stark angeschwollen und musste behandelt werden. Auf keinen Fall würde sie Rebecca ins Methodist Hospital bringen. Denn sich auch nur in der Nähe von Daniel Metroix aufzuhalten, hatte sich als äußerst gefährlich erwiesen. Sie würde mit Rebecca ins Good Samaritan Hospital fahren. Gott sei Dank war John nicht bei ihnen gewesen.

Sie ging um das Auto herum und öffnete die Fahrertür. Die Ruger lag auf dem Sitz. Hätte sie die Waffe bei sich gehabt, wäre sie nur halb so verängstigt gewesen. Aus dem Handschuhfach holte sie das Schulterhalfter, legte es an und steckte die Waffe hinein.

Daniel muss jetzt allein kämpfen, beschloss Carolyn, denn nun galt es dem Terror, der ihr und ihrer Familie drohte, ein Ende zu machen. Als Rebecca sie mit schmerzerfülltem Blick ansah, nahm sie die Ruger noch einmal in die Hand, überprüfte das Magazin und entsicherte die Waffe. Das war zwar gefährlich, aber es gab Situationen, in denen ein Augenblick des Zögerns sie und Rebecca das Leben kosten konnte. Vor Jahren noch weigerten sich Polizisten Sitzgurte anzulegen, weil sie dadurch gehindert wurden, in Notfällen möglichst schnell aus den Streifenwagen zu springen. Zu Hause würde sie die Waffe wieder sichern.

»Egal, was geschieht«, erklärte sie Rebecca und drehte den Schlüssel im Zündschloss, »lass die Finger von meiner Waffe. Wenn du den Abzug auch nur berührst, löst sich ein Schuss. Ich weiß, dass du müde bist und Schmerzen hast. Aber was ich dir sage, ist sehr wichtig. Hast du mich verstanden?«

»Ja«, sagte Rebecca mit finsterem Gesicht. »Und wenn noch einmal so was passiert? Du hast mir doch befohlen, die Waffe aus deiner Handtasche zu nehmen.«

»Solltest du doch einmal die Waffe in die Hand nehmen müssen«, sagte Carolyn, »kann es sein, dass ich dir befehle, damit zu schießen.«

Rebecca verstand, was ihre Mutter damit meinte, sagte jedoch völlig verängstigt: »Ich weiß nicht, wie man schießt. Und was ist, wenn ich die falsche Person töte?«

»Beruhige dich«, sagte Carolyn und musste an die mit Blut bespritzten Wände im Wohnzimmer ihres Onkels denken. »Wenn dein Knöchel wieder heil ist, übe ich mit dir und John auf einem Schießstand. Aber du hast mittlerweile wohl gemerkt, dass jemand es auf mich abgesehen hat. Und böse Menschen tun manchmal auch den nächsten Angehörigen etwas an, wenn sie einen nicht kriegen können. Und das werde ich nicht zulassen.«

Nach einem Blick in den Rückspiegel fuhr Carolyn rückwärts auf die Straße.

»Dein Onkel hat sich erschossen, nicht wahr?«, fragte Rebecca. »Und du hast dir immer gewünscht, alle Waffen würden aus der Welt verschwinden. Du hast auch gesagt, eine kleine Waffe wie deine sei nur dazu da, um Menschen zu verletzen.«

»Ich glaube, sogar ein schreckliches Ding wie eine Handfeuerwaffe erfüllt ihren Zweck«, entgegnete Carolyn.

Nie hätte sie gedacht, dass sie ihrer zwölfjährigen Tochter gegenüber eine derartige Erklärung abgeben würde. Doch gewisse Umstände ändern die Ansichtsweisen der Menschen.

»Abschaum ist Abschaum«, fuhr sie fort. »Wenn eine Person auf unschuldige Menschen schießt oder sie sonstwie verletzt, ist diese Person nichts anderes als menschlicher Abschaum.«

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