Читать книгу Sullivans Gesetz/ Sullivans Rache/ Dunkler Garten - Nancy Taylor Rosenberg - Страница 12

Kapitel 6

Оглавление

John griff durch das Gitter am Krankenhausbett und streichelte sanft die Hand seiner Mutter.

»Bald geht’s dir wieder gut, Mom«, sagte er besorgt. »Du bist in der Notaufnahme des Good Samaritan Hospitals. Der Arzt hat gesagt, dass du in ein paar Stunden nach Hause gehen kannst.«

Carolyn versuchte sich aufzurichten, sank aber wieder kraftlos in die Kissen zurück. Ihre Knie und Ellbogen taten weh und an einem Ständer am Bett hing eine Infusionsflasche. Weil man ihr Sauerstoff gegeben hatte, brannte ihre Kehle, als hätte sie Säure getrunken.

»Gib mir etwas Wasser«, bat sie ihren Sohn leise.

John nahm eine Tasse mit Eiswürfeln vom Nachttisch und löffelte ein paar davon in den Mund seiner Mutter.

»Die Krankenschwester hat gesagt, du darfst wegen der Narkose nur Eis lutschen«, erklärte er. »Die Schnitte an deinen Knien und Ellbogen mussten genäht werden. Du sollst nicht viel Wasser trinken, damit dir nicht schlecht wird.«

Carolyn fasste an ihre Brust und fragte: »Wo ist mein Anhänger? Das Silberkreuz, das mir meine Mutter geschenkt hat.« Sie hatte Angst, es während der Explosion verloren zu haben.

»Die Schwester hat es mir gegeben«, sagte John. »Und auch deine Manschettenknöpfe und deine Uhr. Da, lutsch noch ein paar Eiswürfel.«

Das Eis linderte den brennenden Schmerz in ihrer Kehle. Bestimmt hat man mir Morphium gegeben, dachte sie. Ihr Körper war schlaff wie ein nasser Sack und sie hatte Schwierigkeiten, ihren Blick zu fokussieren.

»Bist du mit Neil gekommen?«

»Nein«, sagte John. »Ich habe ihn angerufen, aber wie immer, wenn er nachts malt, hatte er sein Telefon abgestellt. Professor Leighton hat mich hergefahren.«

Es dauerte eine Weile, bis Carolyn mit dem Namen etwas anfangen konnte. Noch immer war ihr Hirn von der Detonation, dem Rauch und der Narkose benebelt.

»Unser neuer Nachbar?«, fragte sie schließlich und sah ihren Sohn liebevoll an.

»Als jemand vom Krankenhaus anrief«, sagte John, »wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich habe versucht, Dad zu erreichen, aber sein Telefon ist mal wieder abgestellt. Ein Taxi konnte ich nicht nehmen, weil ich nicht genug Geld hatte. Und Rebecca hat heute mit Professor Leightons Tochter zu Mittag gegessen, deswegen hatte sie seine Telefonnummer. Er ist wirklich ein sehr netter Mann, Mom.«

»Wo ist deine Schwester jetzt? Du hast sie doch hoffentlich nicht allein gelassen?«

»Nein«, beruhigte John seine Mutter. »Professor Leighton hat eine Haushälterin. Rebecca schläft heute Nacht dort. Mach dir keine Sorgen, Mom, alles wird gut. Du musst dich jetzt ausruhen, sonst lässt dich der Arzt nicht gehen.«

»Was ist mit Daniel Metroix?«

»Du meinst diesen Psychopathen?«, sagte John und schnitt eine Grimasse. »Professor Leighton kann nicht verstehen, warum du zu diesem Typen ins Motel gegangen bist. Du hast Glück, dass er dich nicht umgebracht hat.«

Die Bemerkung war Carolyn unangenehm, denn sie wollte nicht, dass sich plötzlich ein Fremder in ihr Leben einmischte.

»Es gehört zu meinem Beruf, dass ich Hausbesuche bei bedingt Haftentlassenen mache, weil ich mich über ihre Lebensumstände informieren muss. Und dieser Mann ist in ein Motel gezogen, bis er eine passende Wohnung findet.«

»Vielleicht solltest du dir einen anderen Job suchen«, sagte John. »Wir brauchen dich, Mom. Was wird aus Rebecca und mir, sollte dir mal was passieren?«

»Mir passiert schon nichts«, sagte Carolyn und umklammerte Johns Hand. »Heute Abend sind mir nur ein paar Trümmer um die Ohren geflogen. Mr. Metroix ist nicht schuld daran. Er wollte mir nichts antun. Wahrscheinlich war die Explosion ein Unfall. Versprich mir jedoch, mit niemandem mehr darüber zu reden, was ich dir über meine Arbeit erzähle. Ist das klar?«

»Du bist nicht fair«, entgegnete John mit starrer Miene. »Was hätte ich denn tun sollen? Als das Krankenhaus anrief, hieß es, ein Familienmitglied solle kommen und dich abholen. Weißt du eigentlich, wie peinlich es mir war, einen Mann um Hilfe zu bitten, den ich kaum kenne? Auf der Fahrt hierher hat mir Professor Leighton eine Menge Fragen gestellt. Wo ist dein Vater? Wo leben deine Großeltern? Warum geht dein Onkel nicht ans Telefon?«

»Du hast doch hoffentlich nicht deine Großmutter angerufen, oder?«, fragte Carolyn. Sie wollte nicht, dass sich ihre Mutter Sorgen machte.

»Nein«, entgegnete John. »Ich weiß doch, dass Großmutter nachts nicht mehr Auto fährt.«

»Du hättest Veronica Campbell anrufen können«, sagte Carolyn. Es beunruhigte sie, wie viel Feindseligkeit sich in John aufgestaut hatte. »Ihre Nummer hängt am schwarzen Brett neben dem Telefon. Und Brads Nummer. Auch Jane Baily hätte dir geholfen. Sie kümmert sich doch schon seit Jahren um dich und deine Schwester.«

»Mrs. Baily ist weggezogen«, sagte der Junge. »Professor Leighton hat ihr Haus gekauft. Es hat sechs Monate zum Verkauf gestanden. Weißt du das denn nicht mehr, Mom?«

Carolyn war beschämt. Wieder einmal hatte ihr Sohn Recht.

»Und diese Veronica habe ich nur einmal gesehen«, redete John in demselben verzweifelten Ton weiter. »Es hätte mir zwar nicht gepasst, wenn du Brad geheiratet hättest, aber irgendwie war es doch schön, einen Mann in der Familie zu haben. Seit er dein Boss ist, meckerst du nur an ihm rum. Wenigstens hat er uns manchmal besucht, zum Grillen in seinem Garten und zum Schwimmen in seinem Pool eingeladen. Er mag ja ein Blödmann sein, aber er hat sich um uns gekümmert. Jetzt kommt uns niemand mehr besuchen.«

Carolyn seufzte. Sie war zu schwach und müde, um weiter mit John zu diskutieren.

»Ich brauche jetzt Ruhe«, sagte sie. »Sag Mr. Leighton, dass er nach Hause fahren kann. Wir nehmen ein Taxi.«

»Er ist Professor, Mom«, erinnerte John seine Mutter. »Warum sollen wir Geld für ein Taxi ausgeben?«

»Bedanke dich bei dem Professor und sag ihm, es gebe keinen Grund, dass er noch länger hier bleibt. Fahr mit ihm nach Hause.«

»Du bist mir böse, nicht wahr?«, sagte John mit Tränen in den Augen.

»Nein, überhaupt nicht«, entgegnete Carolyn. »Wir reden morgen nach der Schule darüber.«

John ging zur Tür, drehte sich noch einmal um, kam ans Bett zurück, beugte sich über seine Mutter und küsste sie auf die Wange.

»Ich verlange eine Menge von dir«, sagte Carolyn und umfasste sein Gesicht. »Es tut mir Leid, dass ich dir so viel aufbürde, aber manchmal bleibt mir keine Wahl. Alles, was du mir heute Abend gesagt hast, habe ich klar und deutlich gehört und verstanden. Fahr jetzt mit diesem netten Nachbarn nach Hause. Morgen sehen wir weiter.«

Carolyn war eingenickt. Dann hörte sie eine männliche Stimme ihren Namen sagen. Sie öffnete die Augen und sah Detective Hank Sawyer und einen jüngeren Polizeibeamten in Uniform neben ihrem Bett stehen. Sie rieb sich die Augen und warf einen Blick zur Wanduhr. Es war Viertel nach zwei Uhr früh. Warum hat mich der Stationsarzt nicht nach Hause geschickt, fragte sie sich. Wahrscheinlich hat die Nachtschwester gesehen, dass ich schlafe, und geglaubt, ich sei noch zu sediert, um entlassen zu werden.

»Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen«, sagte Hank. »Das hier ist Trevor White. Der Arzt hat mir gesagt, dass Sie sich bei diesem Schlamassel im Motel nur ein paar schlimme Schnittwunden und Abschürfungen geholt haben. Sie haben unverschämtes Glück gehabt.«

Carolyn schaute zu den beiden Männern hoch. Mit Hank Sawyer arbeitete sie schon seit Jahren zusammen. Der Detective war auch Sergeant der Kommission zur Aufklärung von Gewaltverbrechen. Hank war fünfundvierzig, knapp einsachtzig groß und hatte etwa zehn Kilo Übergewicht, das sich als Fettwulst um seine Taille angesammelt hatte, schütteres Haar und eine gesunde Gesichtsfarbe.

Der Detective war ein gewitzter und hoch angesehener Kriminalbeamter. Er hatte vor ein paar Jahren in einem Fall, in dem Carolyn ermittelt hatte, den Mörder aufgespürt und festgenommen. Dabei war er von einer Kugel in den Unterleib getroffen und schwer verletzt worden. Und zu Carolyns Erstaunen hatte er bereits drei Wochen nach seiner Verletzung den Dienst wieder aufgenommen.

Officer Trevor White sah aus wie Mitte zwanzig und kaschierte seine offensichtlich mangelnde Erfahrung mit einer steifen militärischen Pose. Wahrscheinlich ist er ein Greenhorn, dachte Carolyn.

»Erzählen Sie mir, was passiert ist, Hank«, sagte sie und drückte einen Knopf, um das Kopfteil ihres Bettes höher zu stellen. »Ist in dem Zimmer eine Bombe explodiert?«

»Bis die Ermittlungen unserer Sprengstoff-Experten abgeschlossen sind, gehen wir davon aus, dass es ein Sprengkörper war«, sagte Hank.

»Wie viele Menschen wurden verletzt?«

»Sie und ein Mann namens Daniel Metroix. Im Strafregister steht, dass Metroix erst kürzlich auf Bewährung aus Chino entlassen wurde. Er behauptet, Sie seien seine Bewährungshelferin. Stimmt das?«

»Ja«, sagte Carolyn. »Wo ist er jetzt?«

»Der Festgenommene ist ins Gefängnis überstellt worden«, sagte Officer White und legte die Hand auf den Griff seiner Waffe. Er war etliche Zentimeter kleiner als sein Vorgesetzter, hatte kurz geschorenes Haar und kleine graue Augen.

»Holen Sie mir eine Tasse Kaffee!«, befahl Hank und verwies den jüngeren Mann mit einem strengen Blick auf seinen Platz. »Und dazu einen Snicker’s-Riegel.«

Er fischte eine Hand voll Münzen aus seiner Tasche und warf sie dem Officer zu. Da Trevor White nicht schnell genug reagierte, fielen die Münzen zu Boden und er musste sie einzeln aufsammeln.

Als der Officer gegangen war, drehte sich Hank zu Carolyn um und sagte grollend: »Kids! Ich werde allmählich zu alt für diesen Ausbildungsscheiß. Was hat der Junge falsch gemacht?«

»Er hat Informationen preisgegeben«, sagte Carolyn, die sich aufgrund des eben Gehörten nicht für die Personalprobleme der Polizei interessierte. »Warum haben Sie Metroix festgenommen, Hank? Er hat mit der Explosion nichts zu tun. Ich war mit ihm in dem Motel verabredet und wollte nur seine Lebensumstände überprüfen.«

»Wie haben Sie es geschafft da rauszukommen, ehe das ganze Gebäude in die Luft geflogen ist?«

»Ich wollte gerade gehen, als das Telefon läutete«, sagte Carolyn und starrte zur Decke, während sie versuchte, sich an die Ereignisse vor der Explosion zu erinnern. »Und als ich die Drähte an der Decke sah, wusste ich sofort, dass irgendetwas nicht stimmte. Und dann habe ich das ans Telefon angeschlossene Kabel entdeckt. Ich habe Metroix gesagt, wir müssten sofort das Gebäude verlassen. Wir hatten es fast bis zur Treppe geschafft, als Metroix keine Luft mehr bekam und ohnmächtig wurde. Mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung habe ich ihn wiederbelebt. Wir konnten uns dann gerade noch retten.«

Carolyn streckte die Hand nach dem Wasserkrug auf dem Nachttisch aus. Hank nahm ihn ihr ab und goss Wasser in eine Tasse, gab sie ihr und wartete, bis sie getrunken hatte.

»Meine Kehle ist noch immer wie ausgedörrt«, krächzte Carolyn.

»Das kommt vom Rauch«, sagte Hank. »Ich war früher bei der Feuerwehr und habe genug von dem Zeug schlucken müssen.«

»Was werfen Sie Daniel Metroix vor?«, fragte Carolyn.

»Im Augenblick nur einen Verstoß gegen seine Bewährungsauflagen«, entgegnete der Detective. »Je nachdem, welche Beweise wir vorlegen können, wird der Staatsanwalt wohl morgen Nachmittag Klage wegen Mordversuch erheben. Wir hoffen, dass Sie uns helfen können, diesen Fall zu klären.«

»Daniel Metroix hat nicht gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen, Hank«, protestierte Carolyn und stellte die Plastiktasse auf den Nachttisch. »Er wäre bei diesem Anschlag beinahe ums Leben gekommen.«

Der Detective rückte das Revers seiner Jacke zurecht, ehe er antwortete: »Sie wissen doch, was ein Selbstmordattentäter ist, nicht wahr, Carolyn?«

»Natürlich«, entgegnete Carolyn. »Aber Daniel Metroix ist kein Selbstmordattentäter.« Sie dachte kurz nach und fragte dann: »Warum gab es nicht mehr Verletzte? Was ist mit den anderen Gästen des Motels? Ich hatte Angst, das ganze Gebäude würde einstürzen.«

»Offen gesagt«, entgegnete Hank, »haben wir es hier mit einer sehr seltsamen Situation zu tun. Das Motel war gar nicht geöffnet, deshalb gab es keine weiteren Verletzten. Das Gebäude sollte kommenden Montag abgerissen werden. Schon seit über einem Monat wurden keine Zimmer mehr vermietet.«

»Und wie sollte das Gebäude demoliert werden?«

»Durch eine Implosion. Barrow und Kline, das Abbruchunternehmen, hatte mehrere Warnschilder aufgestellt und einen Wachmann auf dem Gelände patroullieren lassen. Wir haben mit ihm gesprochen und er hat behauptet, das Motel sei unbewohnt gewesen. Haben Sie die Schilder nicht gesehen?«

»Nein«, sagte Carolyn. »Ich war in Eile, weil ich mich verspätet hatte. Vor dem Büro stand ein Pick-up, ein schwarzer Chevy. Ich dachte, das Motel stehe leer, weil es in einem so schlechten Zustand war. Als das Telefon läutete, habe ich Metroix gefragt, ob er jemandem seine Nummer gegeben habe. Er verneinte. Und nachdem ich die Drähte entdeckt hatte, musste ich an die beiden FBI-Agenten denken, die bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommen sind. Gleich bei meiner Ankunft hatte ich ein komisches Gefühl. So als ob irgendwas nicht stimmt. Als würde mich jemand beobachten oder mir folgen.«

»Haben Sie diesen Jemand gesehen?«

»Nein«, sagte Carolyn. »Und wenn ein Wachmann das Gebäude observiert hat, warum hat er dann nicht gewusst, dass Metroix dort ein Zimmer gemietet hatte? Als ich auf den Parkplatz fuhr, habe ich ihn an seinem Fenster im zweiten Stock sitzen sehen. Ich konnte ihn deutlich erkennen, denn das Licht brannte und die Vorhänge waren zurückgezogen. Ihr Wachmann lügt.«

»Alles ist möglich«, sagte Hank und warf einen Blick über seine Schulter, als Officer White wieder ins Zimmer kam und ihm den Becher Kaffee und den Schoko-Riegel reichte. »Vielleicht hat sich der Wachmann gerade etwas zu essen geholt. Wann sind Sie am Motel angekommen?«

»Kurz vor sechs«, sagte Carolyn und warf dem jungen Officer, der von dem Detective absichtlich gedemütigt worden war, einen mitfühlenden Blick zu. »Das weiß ich genau, weil ich auf die Uhr geschaut habe. Wie schon gesagt, hatte ich mich verspätet. Ich war mit Metroix um halb sechs verabredet. Ich hatte schon Angst, ich würde ihn nicht mehr antreffen.«

»Der Wachmann hatte von zwölf bis acht Dienst«, sagte Hank, steckte den Snicker’s-Riegel in die Tasche und nippte an seinem Kaffee. »Gegen sechs hat er Pause gemacht. Das erklärt, warum Sie ihn nicht gesehen haben. Wie lange hat Metroix schon unerlaubt in diesem Motel gewohnt? Hat er sich etwa heimlich dort eingeschlichen?«

»Das weiß ich nicht«, entgegnete Carolyn und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Vor zwei Wochen wurde er auf Bewährung aus Chino entlassen. Er hat behauptet, er sei am Montag, als wir unser erstes Gespräch geführt haben, in die Stadt gekommen. Ich bezweifle, dass er sich heimlich in diesem Motel einquartiert hat, Hank. Der Mann hat von seiner Großmutter siebzig Riesen geerbt. Da ist irgendwas anderes im Busch.«

»Ach ja?«, meinte Hank. »Ich bin ganz Ohr.«

Carolyn wandte sich ab und ballte ihre Hände zu Fäusten. Jetzt musste sie sehr vorsichtig sein. Hank war zwar ein ehrlicher Cop, aber er wusste bestimmt, weswegen Daniel Metroix so lange gesessen hatte. Alles, was mit dem Motel zu tun hatte, könnte Teil eines raffinierten Plans sein, um den Mann, der Tim Harrison getötet hatte, aus dem Weg zu räumen. Dann war die Sachlage noch schlimmer, als sie befürchtet hatte, da dieser Anschlag von langer Hand vorbereitet worden war.

»Warum hätte Metroix damit einverstanden sein sollen, dass ihn seine Bewährungshelferin in diesem Motel aufsucht, wenn er sich dort illegal aufgehalten hat? Allein das wäre ein Verstoß gegen seine Auflagen gewesen und ich hätte ihn für den Rest sein Lebens wieder ins Gefängnis schicken können.«

Selbst wenn Daniel diese Schilder gesehen hat, überlegte Carolyn, kann es durchaus sein, dass er sie nicht gelesen hat. Dieser Mann ist nicht nur schizophren, sondern er lebt in ganz anderen Welten als die meisten Menschen. Aber jemand muss an der Rezeption gewesen sein, ihm das Zimmer vermietet und ihm die Schlüssel gegeben haben. Und dieser Jemand war Teil dieses Plans.

»Wer immer hinter dieser Geschichte steckt, könnte die Schilder am Montag, als Metroix im Motel eingecheckt hat, entfernt haben«, überlegte Carolyn laut weiter. »Und was den Wachmann betrifft – Sie wissen, wie diese Typen manchmal sind. Vielleicht war er betrunken oder völlig zugedröhnt.«

Daniel Metroix hatte behauptet, sie – Carolyn – als Kind gekannt zu haben, und war enttäuscht gewesen, als sie sich nicht an ihn erinnert hatte. Gab es zwischen ihr und diesem Mann irgendeine Verbindung? Andererseits hatte sie, seit sie mit seiner Betreuung beauftragt worden war, viele Nachforschungen angestellt. Es musste sich herumgesprochen haben, dass sie die Umstände von Tim Harrisons Tod neu untersuchen wollte. Konnte es sein, dass Charles Harrison sie dazu benutzt hatte, dass Daniel Metroix – sollte er bei der Explosion nicht ums Leben kommen – vom Gericht wegen der Ermordung einer Bewährungshelferin zum Tode verurteilt wurde? Nein, das wäre zu skrupellos, sagte sie sich. Dass Charles Harrison den Mann, der für den Tod seines Sohnes verantwortlich war, für immer hinter Gittern wissen wollte, war verständlich, vor allem, da der Chief davon überzeugt war, dass die beiden Überlebenden die Wahrheit gesagt hatten. Daniel Metroix zu töten, wäre die ultimative Rache, aber dafür den Tod einer Bewährungshelferin in Kauf zu nehmen, war Wahnsinn. Allerdings war es Verbrechern, die Sprengstoffanschläge verübten, gleichgültig, ob auch unschuldige Menschen verletzt oder getötet wurden.

Erst als Carolyn Hank Sawyer mit Officer White sprechen hörte, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. »Warum wurde der Strom nicht gesperrt, wenn das Motel nächste Woche gesprengt werden soll?«, fragte sie.

»Wahrscheinlich damit die Arbeiter der Abbruchfirma sehen können, was sie tun«, sagte Hank und zerdrückte den Plastikbecher in seiner Hand. »Das Gas wurde schon vor ein paar Tagen zugedreht. Ihr Schützling hatte nicht einmal heißes Wasser. Warum hat er sich nicht beschwert, wenn er für sein Zimmer bezahlt hat?«

Da hatte Hank Recht. Aber er kannte Daniel Metroix nicht. Schizophrene vernachlässigten oft ihre Körperpflege. Jetzt fiel Carolyn ein, dass er dieselben Sachen getragen hatte wie bei ihrer ersten Unterredung.

»Wie wurde die Explosion ausgelöst?«, fragte sie Hank.

»Das wissen wir noch nicht«, entgegnete der Detective und warf den Plastikbecher in den Papierkorb. »Ich vermute, dass Metroix einen der Sprengsätze, den die Abbruchfirma in der Nähe seines Zimmers installiert hat, so präpariert hat, dass er explodierte, als Sie bei ihm waren. Wir haben seine Gefängnisakte überprüft. In Chino war er als ›der Ingenieur‹ bekannt. Die Drähte waren schon verlegt. Ein geschickter Handwerker wie Metroix hätte den Sprengsatz im Handumdrehen scharf machen können.«

»Ihre Theorie ist Scheiße«, kanzelte Carolyn den Detective ab. »Kurz vor der Explosion hat Metroix einen Anruf bekommen. Er hat niemandem außer mir gesagt, dass er in diesem Motel wohnt und hat auch seine Telefonnummer nicht weitergegeben. Wer hat ihn also angerufen?«

»Jeder kann ein Telefon zum Läuten bringen«, sagte Hank und lächelte selbstgefällig. »Die Zentrale im Büro war mit einer Automatik ausgestattet, so dass Metroix nur einen Weckruf für eine bestimmte Zeit hätte einstellen müssen. Er hätte auch mit einem anderen Exhäftling zusammenarbeiten oder jemanden in Chino darum bitten können, ihn zu einer bestimmten Zeit anzurufen. Nichts, was diese Irren tun, macht Sinn.«

»Sie sind gegen diesen Mann wegen seiner Geisteskrankheit voreingenommen«, sagte Carolyn, über Hanks Engstirnigkeit verärgert.

»Vielleicht haben ihm die Stimmen gesagt, Sie seien der Teufel und er müsse Sie töten.«

Als Carolyn im Flur einen jungen Arzt mit der Schwester sprechen sah, beschloss sie, dieses Gespräch zu beenden. Jeden, der etwas mit der Polizeibehörde von Ventura zu tun hatte, musste sie als möglichen Verbündeten von Charles Harrison in Betracht ziehen. Indem sie sich jedoch mit Daniel Metroix verbündete, war sie vielleicht ein viel größeres Risiko eingegangen, als nur ihre Stelle zu verlieren. Sie musste so schnell wie möglich nach Hause zu ihren Kindern.

»Mir geht es nicht gut«, sagte sie und drückte ihre Hand auf den Bauch. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt gehen würden, damit ich mit dem Arzt sprechen kann.«

»Natürlich«, sagte Hank. »Erreichen wir Sie morgen in Ihrem Büro, falls wir weitere Fragen haben?«

»Da bin ich mir noch nicht sicher«, sagte Carolyn. »Aber meine Kollegen wissen, wo Sie mich erreichen können.«

Der Detective trat an ihr Bett und sagte: »Sie spielen ein gefährliches Spiel, Carolyn.« Mit seinem Blick gab er ihr zu verstehen, dass er ihren Vorwand, das Gespräch wegen angeblicher Schmerzen beenden zu wollen, durchschaut hatte. »Daniel Metroix ist ein Gewalttäter und er hatte es auf Sie abgesehen. Der Anruf war wahrscheinlich ein Trick, damit er das Zimmer verlassen konnte. Da Sie jedoch die Drähte an der Decke entdeckt haben, hat er ein paar Minuten verloren. Der Zünder war auf die Sekunde genau eingestellt. Sie sollten allein in diesem Zimmer sterben.«

»Mal angenommen, er hat wirklich versucht, mich zu töten«, sagte Carolyn. »Welches Motiv unterstellen Sie ihm?«

»Vielleicht mag er keine Bewährungshelfer«, wagte Officer White einzuwerfen.

»Sollte das ein Witz sein, Sie Trottel?«, fragte der Detective kopfschüttelnd.

»Nein, Sir«, entgegnete Trevor White und wurde blass. »Ich dachte ...«

»Nach drei Monaten im Dienst«, rüffelte Hank Sawyer den Polizisten, »haben Sie weder das Recht, ohne mein Einverständnis zu denken noch zu reden oder zu pinkeln. Zuhören, aufpassen und lernen heißt Ihre Devise. Kapiert? Wenn nicht, können Sie sich nächste Woche einen neuen Job suchen.«

Der Detective wandte sich wieder Carolyn zu und fragte: »Hat jemand gewusst, dass Sie gestern Abend zu dem Motel fahren wollten?«

»Nicht, dass ich wüsste«, entgegnete Carolyn und rief sich ihre Gespräche mit John und ihrem Bruder ins Gedächtnis zurück.

Nachdem Hank Sawyer zur Tür gedeutet und Office White den Raum verlassen hatte, sagte er zu Carolyn: »Sie sind eine kluge Frau. Warum setzen Sie sich für einen Mörder ein?«

Carolyn hielt den Atem an, bis auch der Detective gegangen war. Er ist wirklich gerissen, dachte sie. Aus seiner harschen Reaktion auf Officer Whites unbedachte Äußerung hätte ich etwas lernen müssen: Gib nie Informationen preis, es sei denn, du ziehst einen Nutzen daraus.

Lohnte es sich, über Hank Sawyers gut gemeinten Rat nachzudenken? Sie war mit Daniel Metroix hart umgesprungen, hatte dabei jedoch nur ihre Arbeit getan. Allerdings war er anders als »normale« bedingt Haftentlassene, die sie sonst betreute. Hätte er genug Zeit gehabt, um etwas so Kompliziertes wie eine minutengenaue Explosion zu installieren? Hatte ihr teilweise sehr barsches Verhalten ihm gegenüber ihn derart gegen sie aufgebracht, dass er sie hatte töten wollen? Schließlich war Daniel Metroix wegen Mordes verurteilt worden. War er zudem ein hinterhältiger, unberechenbarer Psychopath? Und hatte sie sich von seinen beeindruckenden Erfindungen zu sehr beeinflussen lassen?

Da kam ihr noch ein weiterer erschreckender Gedanke. Wie konnte sie wissen, ob nicht alles, was Daniel ihr erzählt hatte, keine Lügen oder Wahnvorstellungen waren? Die Zeichnungen und Berechnungen, die sie in seinem Motelzimmer gesehen hatte, wirkten auf den ersten Blick zwar beeindruckend, könnten sich jedoch bei näherer Überprüfung als wertlos erweisen.

Carolyn kletterte aus ihrem Krankenhausbett, riss sich die Infusionsnadel aus dem Arm, nahm ihre Kleider aus der am Fußende des Bettes hängenden Plastiktüte, zog sich an und machte sich auf die Suche nach einer Telefonzelle, um ein Taxi zu rufen. Als ihr einfiel, dass sie ihre Handtasche in dem Motelzimmer gelassen hatte, schlug sie die Hände vors Gesicht und weinte.

Sullivans Gesetz/ Sullivans Rache/ Dunkler Garten

Подняться наверх