Читать книгу Im Westen gegen den Strom - Natascha N. Hoefer - Страница 7

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1. Rauch über Spézet

Die schwarze Wolke zog sich am tiefblauen Himmel hoch wie die Schwinge eines riesigen Raben. Yohann beschleunigte. Vom Rücksitz schob sich eine witternde schwarze Nase über seine Schulter. »Riechst du das Feuer, Babou?«, fragte er und schob die Hündin behutsam zurück. Die Rauchschwinge schien immer weiter anzuschwellen, sich auszudehnen; sie lag ziemlich genau vor ihm - und vor ihm lag Spézet! Was war es, das im Nachbardorf brannte?

Endlich passierte er das Ortsschild Spézets; ein beißender Geruch drang über das Gebläse in den Wagen. Die Rußwolke stand jetzt links von ihm am Himmel; er bog aufs Geratewohl von der Hauptstraße ab - und da sah er es: Ein Haus stand in Flammen!

Er hielt am Straßenrand, flüsterte seiner Hündin ein paar beruhigende Worte zu, stieg aus und ging auf eine Gruppe Schaulustiger zu. Als er näher kam, schnappte er Wortfetzen auf: »Die armen Meuniers!« »Schrecklich, in ihrem Alter!« »Was soll aus ihnen werden?« Dann entdeckte er, einige Schritte von dem Grüppchen entfernt, Roland Leroux. Er steuerte auf den Bürgermeister von Spézet zu und registrierte, wie ihm hier, nicht mehr weit von den Feuerwehrfahrzeugen, der heiße Rauch in Augen und Nase brannte und die Hitze der Flammen ihm sengend ins Gesicht schlug. Doch die Feuerwehr hatte den Brand anscheinend im Griff: Der Dachstuhl auf der rechten Seite des Bruchsteinhauses war verbrannt, aber gelöscht; nun richteten sich alle Schläuche auf die linke Hausseite, wo ein Rest des Schieferdaches noch stand und wo durch ein Fenster letzte Flammen hochzüngelten.

Er musste husten; erst das schreckte den Bürgermeister auf und ließ ihn den Neuankömmling bemerken. »Ah, Yohann! Sind Sie gekommen, um zu helfen?«, fragte Leroux, mit leichter Ironie.

»Ich war unterwegs und habe den Rauch am Horizont gesehen«, gab Yohann schlicht zurück und sah beklommen auf den verwüsteten Garten, die Osterglocken im Qualm. Ein Teppich gelber Osterglocken, nun niedergestampft. »Was ist mit den Bewohnern?«

Der Bürgermeister hustete und wies nach links. »Da hinten. Das alte Ehepaar.«

Yohann sah hinüber zu dem schlohweiß behaarten, hageren Mann, der mit seinem gebeugten Rücken nicht größer war als das Weiblein in Küchenkittel an seiner Seite, dem er den Arm um die Schultern gelegt hatte. Der Alte wollte seine Frau stützen und hatte selbst Mühe, sich auf den eigenen Beinen zu halten. Ihr Anblick gab Yohann einen Stich. Da regten die alten Leute sich plötzlich. Der Mann suchte mit dem Blick den Bürgermeister, er sah zornig aus; die Frau legte ihrem Gatten eine Hand auf den Arm und schien ihn beschwichtigen zu wollen. Aber er ließ sich nicht aufhalten, sondern kam, auf seinen Stock gestützt, langsam, doch unaufhaltsam auf Leroux zu. Seine Frau folgte ihm mit unsicheren Schritten.

»Monsieur le Maire«, rief der alte Mann schon von weitem, »ich weiß, warum das Feuer ausgebrochen ist!«

Der Bürgermeister hob abwehrend die Hände. »Jaja, Kurzschluss in der Waschmaschine, habe ich bereits erfahren.«

Nun war Meunier angekommen, baute sich so aufrecht wie möglich vor dem Bürgermeister auf. »Ja und nein, Monsieur le Maire, ja und nein. Es war die Waschmaschine; aber die war fast neu. Seit zwei Monaten hatten wir sie, und sie funktionierte! Aber heute Morgen, da haben wir ein anderes Gerät neu gekriegt. Es war der Linky!«, und Meunier ballte die Hand zur Faust.

Yohann sah den alten Mann erschrocken an; der Bürgermeister aber winkte ab: »Ach was!«

»Der Linky wurde heute Morgen um neun Uhr installiert; und zwei Stunden später, Feuer!«, beharrte Meunier, und seine Frau, die sich dicht neben ihn gestellt hatte, nickte bekräftigend.

»Es war Ihre Waschmaschine, haben Sie gesagt. Entschuldigen Sie, ich muss Sie kurz verlassen.« Und der Bürgermeister wandte sich ab und ging ein paar Schritte fort, um ein Telefon aus der Tasche zu ziehen und es sich ans Ohr zu halten.

»Monsieur, das war kein Zufall!«, wandte der alte Mann sich beschwörend an Yohann.

Der nickte vorsichtig. »Verstehe ich Sie richtig: Heute ist Ihr mechanischer Stromzähler gegen einen digitalen ausgetauscht worden?«

»Genau! Und kaum zwei Stunden später - Feuer! Und der eine Installateur, der jüngere Mann, der hatte noch gesagt, unsere Stromleitungen seien zu alt. Das hat er seinem Kollegen leise gesagt, aber wir haben es gehört, nicht wahr, Louise?«

»Ja, das hat er gesagt«, stimmte die alte Frau matt zu. »Aber es funktionierte doch alles! Und sie haben uns trotzdem den guten alten Zähler weggenommen und den neuen montiert.«

Yohann fuhr sich über die Stirn. »Ist der neue Zähler, der Linky, verbrannt?«

Alle drei sahen sie zu dem verkohlten Haus. Das Feuer war gelöscht; die Rauchschwaden stanken, Ruß wirbelte um sie herum.

»Am Treppenaufgang hing er. Der ist bestimmt hin«, murmelte Meunier.

»Die Brandursache wird untersucht werden. Sie muss untersucht werden«, versicherte Yohann.

Doch der alte Mann sackte buchstäblich um einige Zentimeter mehr in sich zusammen. Seine zornige Anklage hatte ihm den letzten Rest Energie geraubt, und er brachte nur noch heiser hervor: »Wer wird da was untersuchen? Die, die den Linky montiert haben? Die werden kaum zugeben, dass das Ding an allem Schuld war.«

Konnte Meunier damit Recht haben? Yohann suchte nach tröstlichen Worten, die ihm nicht kommen wollten; da näherte sich eine jüngere Frau mit schwarzen Haaren und energischem Schritt. »Louise!«, rief sie aus, und in dem Moment, in dem sie die alte Dame in die Arme nahm, begann diese plötzlich zu weinen. Erst leise; dann schluchzte sie, immer lauter, immer ungehemmter.

Betroffen schaute Yohann sich nach dem Bürgermeister um. Es lag auf der Hand, dass die Meuniers unter Schock standen und Hilfe brauchten. Auch näherte Leroux sich nun der Gruppe und sprach den alten Leuten zu, zunächst mit ihrer Nachbarin, der Schwarzhaarigen, mitzugehen, um sich bei ihr hinzusetzen und auszuruhen.

Als die Meuniers gegangen waren, fragte Yohann mehr sich selbst: »Was wird mit ihnen geschehen? - Und wenn etwas dran wäre?«

Der Bürgermeister hatte ihn gehört und fuhr auf: »Der Linky als Brandursache? Unsinn!«

»Ich habe Berichte über ähnliche Fälle gelesen«, meinte Yohann nachdenklich.

»Oh nein! Kein Wort mehr! Wenn wir aus der Mairie plötzlich Panik machen, nur weil es mal eine Neuerung gibt...«

Yohann hob die Brauen. »Was lässt Sie so sicher sein, dass der neue Zähler nichts mit dem Kurzschluss in der Waschmaschine zu tun hatte?«

Leroux erwiderte von oben herab: »Ganz einfach. Unser Staat würde kaum wollen, dass im Zuge der nächsten Jahre jeder Haushalt mit einem potentiellen Brandherd ausgestattet würde! Fragen Sie mal Ihren Chef, ob der nicht genauso wie ich denkt.«

Yohann biss sich auf die Lippen. Sein Chef, das war Pierric Le Bihan, der Bürgermeister von Saint-Hernin; und ja, natürlich würde er mit dem reden! Vorerst konnte er hier aber nichts weiter tun; so verabschiedete er sich von Leroux und ging.

Er fühlte sich aufgewühlt, schockiert, zutiefst beunruhigt. Und er dachte an den Brief; den Brief, den Simon ihm gestern gezeigt hatte. Simon war der erste von ihnen aus Saint-Hernin, der einen solchen Brief erhalten hatte: die Ankündigung eines neuen Stromzählers; eines - also wirklich brandgefährlichen Linkys?

Zurück am Auto, wurde Yohann von einer verunsicherten Babou begrüßt. Er kraulte sie hinter den Ohren, und sie beschnüffelte aufgeregt seinen Arm. Er musste durch und durch nach Lagerfeuer stinken - ein Geruch, den er loswerden wollte, möglichst schnell! Er musste sich umziehen und dann raus, in die Natur, einen langen Spaziergang mit Babou machen. Und darüber nachdenken, was nun zu tun war.

Als er Spézet verließ, prasselten erste Regentropfen aus finsteren Wolken. Zu spät, um beim Löschen zu helfen.

Im Westen gegen den Strom

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