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Die Anfangszeit

Nachdem das auf die Verabschiedung folgende Wochenende vergangen war, schellte am Montagmorgen der Wecker um 5:30 Uhr; nun war es fix, Gregor war endgültig Auszubildender. Sein Dienst begann an diesem seinem ersten Ausbildungstag in seiner neuen OGS um 7 Uhr.

Gregor nahm sich vor, sich gegenüber dem Profil seiner neuen Einrichtung, in die er heute zum ersten Mal kommen würde, neutral zu verhalten. Lediglich seinen individuellen Umgang mit den Kindern musste man ihm in einer demokratischen Gesellschaft schon zugestehen.

Die Chefin der Offenen Ganztagsschule, in der er gleich seinen Dienst anzutreten hatte, hieß Mathilda Zimmermann-Kowalewski, Doppelname, der durfte nicht fehlen, schließlich hatte es die Frauenbewegung gegeben, so dass frau einen Zeichen setzen und Flagge zeigen musste. Allerdings war dies eine unzulässige Gehässigkeit, da Mathilda, die Gregor gleich im Vorstellungsgespräch das Du angeboten hatte, nett zu sein schien.

Gregor kam aus dem Bad und gönnte sich ein durchaus üppiges Frühstück. Anschließend setzte er sich ins Auto und fuhr los. Die Uhr zeigte 6:30 Uhr. Es war noch dunkel.

Nun also stand der erste Arbeitstag des Ausbildungsjahres kurz bevor. Gregor parkte und wenige Momente später begrüßte er die bereits anwesenden neuen Kolleginnen und Mathilda, die Frau, die nun für ein Jahr seine Chefin sein würde. Mathilda zeigte ihm die Räumlichkeiten und gab einen kurzen Abriss der Abläufe, zeigte ihm die Dienstpläne und erklärte eine Liste, in welcher stand, in welchem Raum sich welche Kollegin wann aufhalten sollte, um Aufsicht zu führen – so weit, so gut. Die ersten Kinder trudelten ein. Gregor begrüßte sie, stellte sich vor und setzte sich mit einigen von ihnen an einen Tisch, um ein Gesellschaftsspiel zu spielen – so etwas kannte er ja gut aus den letzten Jahren.

Nachdem drei Stunden vergangen waren, es war mittlerweile hell geworden, wollte ihm seine neue Chefin das Außengelände der Einrichtung und die Schule zeigen.

Die Ganztagsbetreuung bestand aus einem Gebäude, das angrenzend an das Schulgebäude errichtet worden war. Vor diesen Gebäuden befand sich der Schulhof, der übliche asphaltierte, wenig inspirierende Hof mit den üblichen Spielgeräten: Schaukel, Rutsche, Klettergerüst. Auf dem Schulhof lernte Gregor von Mathilda, dass es sich bei diesem nicht um den Schulhof handelte, dieser Begriff traf höchstens noch für die Schulpausen zu, sondern um eine Lernumgebung: Der asphaltierte Hof, der auch als Außenspielbereich für die Ganztagsbetreuung diente, war also eine Lernumgebung. Gregor lernte, dass die Kinder nicht nach der Schule in die Betreuung kamen, um ihre Hausaufgaben zu erledigen, um zu essen und um anschließend, in ihrer Freizeit, zu spielen, sondern sie sollten ununterbrochen lernen beziehungsweise lernten ununterbrochen durch die für sie vorbereitete Lernumgebung – davon war Mathilda überzeugt.

Es ging also nicht darum, wie in früheren Zeiten, als solche Betreuungseinrichtungen noch die Ausnahme gewesen waren, spielend, wie es Kinder eben tun, die Freizeit mit Freunden zu verbringen, nun eben in der Einrichtung, sondern es handelte sich um eine Umgebung, in der der Nachwuchs, angeregt durch didaktische Kniffe der Erzieherinnen, beständig lernen sollte – dafür waren die Anregungen unbedingt notwendig, wie Gregor von seiner neuen Chefin erfuhr.

Gregor sah ein, dass Kinder durch ihr Tun beständig irgendetwas lernten, aber dass sie das nur unter didaktischer Anleitung taten, war ihm neu.

Mathilda erklärte ihm, dass sich die Einrichtung in Lernumgebung Innenbereich und Lernumgebung Außenbereich unterteilte. Danach musste sie dringend weg, denn sie hatte ein sehr wichtiges Gespräch mit einer Mutter, bei dem es um deren Kind ging, dass sich nicht adäquat verhalten hatte: Es hatte den Anschein, dass es Mathilda viel bedeutete, wichtig zu erscheinen. Gregor war froh, sie erst einmal los zu sein, denn dass der buckelige Asphalthof eine Lernumgebung war, das musste sacken – irgendwie klang Lernumgebung nach Schönfärberei: Es schien sich um ein Phänomen der aktuellen Zeit, um einen Zeitgeist, zu handeln, der für alles schöne Worte fand, dabei allerdings das Tatsächliche lediglich beschönigte beziehungsweise das Tatsächliche verfremdete – wie beim Wort Putzfrau, das durch Raumpflegerinnen und Raumpfleger ersetzt worden war.

Schlimm war nur, dachte Gregor, wenn Menschen solche schönen Worte als Realität ansahen, also als wahr, dann konnte es ungemütlich werden – Mathilda schien von ihren Aussagen überzeugt zu sein, was kein gutes Zeichen war. Aber auf dieses Spielchen musste er sich wohl einlassen, wollte er als Auszubildender bestehen.

Kurz nachdem Mathilda Gregor verlassen hatte, lief eine Frau über den Schulhof, bei der es sich, ihre Tasche ließ es vermuten, um eine Lehrerin der Schule handeln musste – ein Lichtblick nach diesem Vortrag Mathildas. Gregor nahm sich vor, zu den Lehrerinnen der Schule ein gutes Verhältnis aufzubauen, um einen Ausgleich gegenüber seiner Ausbildungsstätte zu haben: Da er aufgrund des Verhaltens seiner Lehrerinnen vom Berufskolleg während seiner praktischen Prüfung in seiner ehemaligen OGS nicht davon ausging, dass seine Ausbildung glatt und angenehm verlaufen würde, musste er andere Akzente setzen – hier war er realistisch, ließ sich aber natürlich gerne eines Besseren belehren. Das Jahr würde es zeigen.

Gregor beschloss kurzerhand, der Lehrerin zu folgen, um sich, sofern sie Zeit und Lust hatte, von ihr die Schule zeigen zu lassen, weil Mathilda daran durch ihren gewichtigen Termin gehindert worden war.

Als er sie eingeholt hatte, sprach er sie an, stellte sich vor und berichtete: „Es handelt sich um meinen ersten Tag hier an der Schule. Daher wäre es großartig, wenn Sie mir die Schule zeigen könnten.“

Die Lehrerin zeigte sich angenehm überrascht, auch einmal einen Mann an ihrer Arbeitsstelle anzutreffen: Wie er von ihr erfuhr, war er, neben dem Hausmeister, der einzige männliche Erwachsene an der gesamten Schule. Sie meinte, dass sich die Kinder sicher freuen würden und dass es gerade für die Jungen gut sei, männliche Handlungsweisen vorgelebt zu bekommen.

Nachdem sie sich auf diese Weise miteinander bekannt gemacht hatten, gingen sie gemeinsam durch das Schulgebäude und Anna, so hieß sie, hatte die spontane Idee, Gregor in allen Klassen kurz vorzustellen. Daher betraten die beiden den Klassenraum der ersten Klasse, wo die Kleinen gerade den Buchstaben C lernten, der nicht so leicht war, da es sich schwierig gestaltete, Wörter zu finden, die mit C anfingen. Anna sprach mit der Klassenlehrerin, und Gregor durfte sich den Kleinen vorstellen. Anschließend setzten sie ihre begonnene Runde durch die Schule fort: Die Lehrerinnen schienen sympathisch zu sein.

Es wurde für Gregor nun langsam Zeit, in die Betreuung zurückzukehren – er wollte nicht direkt am ersten Tag aufgrund von Abwesenheit unangenehm auffallen.

Da die meisten Kinder noch Schule hatten, war es in der OGS relativ ruhig, so dass er sich mit den anwesenden Kolleginnen unterhalten konnte, die ihm weitere Dinge zeigten, wo sich Bastelmaterial für die Kinder befand und so weiter. Anschließend setzte er sich zu einigen Kindern, die mit ihm Bilder malen wollten. Zuerst malte er mit einem Jungen ein schnelles und wild aussehendes Rennauto, das dieser später am Tag stolz seinem Vater zeigte, als dieser ihn abholte.

Gregor verbrachte den Rest des Tages an Mal- und Basteltischen, und um 15 Uhr hatte er seinen ersten Arbeitstag hinter sich und damit gleichzeitig den unangenehmsten Tag der Woche, da er immer montags die Frühschicht hatte, die um 7 Uhr begann. An den anderen Tagen begann sein Dienst jeweils um 9 Uhr, eine deutlich freundlichere Zeit, wie er es empfand.

Die Betreuung war täglich ab 7 Uhr geöffnet, damit Eltern, die früh arbeiten mussten, ihre Kinder schon vor Schulbeginn unterbringen konnten. Um 8 Uhr begann die Schule, so dass dann eigentlich keine Kinder mehr in der Betreuung anwesend waren. Diese blieb jedoch geöffnet, obwohl die erste Klasse erst um 11:30 Uhr Schulschluss hatte: Es war Brauch an dieser Schule, dass verschiedene Kinder während der Unterrichtszeit immer wieder mal in die Betreuung kamen, um Gruppenarbeiten zu erledigen, die sie von ihrer Lehrerin bekommen hatten. Außerdem kamen sie, um in Ruhe Lesen zu üben, oder sie hatten eine Freistunde oder ähnliche Dinge. Die Anwesenheit einiger Erzieherinnen diente dazu, die Kinder beaufsichtigt zu wissen.

In den folgenden Tagen und Wochen lebte Gregor sich gut ein, musste jedoch feststellen, dass das Verhältnis zu den meisten seiner eigentlichen Kolleginnen eher distanziert blieb, was in seiner alten Betreuung anders gewesen war. Zu einigen Lehrerinnen der Schule hatte er allerdings engeren Kontakt und stieß hier auf einen herzlichen, ja entspannten Umgang, mit Anna sowieso – ob dies wohl daran lag, dass seine Kolleginnen in ihm den Auszubildenden sahen und die Lehrerinnen schlicht einen Kollegen?

Gregor durchschaute das Spielchen noch nicht vollends, nahm sich aber vor, es zu ergründen.

Mathilda war nicht immer den ganzen Tag in der Betreuung anwesend; sie schien noch irgendwo einen anderen Job zu haben, wie Gregor aus Gesprächen seiner Kolleginnen entnommen hatte. War sie da, saß sie im Grunde immer in ihrem Büro und wühlte in Papierhaufen. Gregor fragte sich, was es im Büro wohl alles zu bewältigen gab, denn bis auf den einen oder anderen Elternbrief, einige Anmeldeformulare, die die Eltern der zukünftigen neuen Erstklässler einreichten, und einige ähnlich kleine Angelegenheiten, gab es in der Ganztagsbetreuung eigentlich keine regelmäßigen Verwaltungsaufgaben. Seine ehemalige Chefin war im Schnitt circa eine Stunde pro Woche von der Verwaltung in Anspruch genommen worden, die sie bezahlt bekam und zu Hause erledigte. Ansonsten war sie, wie alle anderen, mit den Kindern beschäftigt. Es hatte überhaupt kein Büro gegeben: Was machte Mathilda also viele, viele Stunden in der Woche in ihrer Schaltzentrale? Außerdem hatte sie Gregor erzählt, dass sie manchmal abends noch für ein paar Stunden in ihr Büro fuhr und weiterarbeitete – allerdings waren dann immer zwei ihrer Freundinnen dabei, wie Gregor gehört hatte. Die geleerten Sektflaschen, die nach abendlicher Büroarbeit im Mülleimer lagen, zeigten recht deutlich, welcher Art Arbeit die Chefin an solchen Abenden nachging. Aber offiziell war dem Auszubildenden mitgeteilt worden, dass sie so viel zu tun habe, dass sie abends zum Teil noch die Betreuung aufsuchen müsse, die Belastung sei enorm: Natürlich hatte Gregor anerkennend ob so viel Fleiß genickt.

Es gab in der Einrichtung eine kleine Küche für die Mitarbeiterinnen, in der sie Kaffee kochen konnten. In dieser Küche befand sich auch ein Kühlschrank, den die Kinder unter keinen Umständen anrühren durften. In diesem standen immer einige Flaschen Sekt und Wein. Wie sich zeigte, gönnte Mathilda sich das eine oder andere Mal bereits mittags ein Gläschen – aber wenn jemand so schrecklich viel Arbeit und Stress wie Mathilda hatte, musste das natürlich nicht verwundern.

Mathilda war für ihre übermäßige Belastung, die sie tatsächlich zu empfinden schien, ganz offensichtlich selbst verantwortlich, da die Verwaltung der OGS ja eigentlich keine besonders umfangreiche Angelegenheit darstellte. Deshalb hätte sie eigentlich sehr erholt sein müssen. Gregor verstand bisher nicht, was sie in ihrem Büro machte, in dem sie tatsächlich immer zu arbeiten schien, was man durch ein Fenster, das sich oben in der Bürotür befand, sehen konnte.

Je länger der Auszubildende jedoch Teil des Kollegiums um Mathilda war, desto mehr bekam er von dem mit, was die Chefin veranstaltete: Wahrscheinlich, um ihren Arbeitsplatz zu rechtfertigen oder um sich nicht mit den Kindern beschäftigen zu müssen, so schien es, produzierte Mathilda beständig bürokratischen Unrat. Sie verschanzte sich hinter einem Berg von überflüssigen Regeln und Anordnungen, die alle schriftlich festgehalten und ausgedruckt wurden. Da sie dabei regelmäßig den Überblick zu verlieren schien, musste sie ständig Korrekturen vornehmen, so dass die Arbeit kein Ende haben konnte.

Ein Beispiel für ihr Vorgehen waren die Listen für die Anmeldung der Kinder, die sie mit Inbrunst immer wieder neu anfertigte. Aufgabe der für die Anmeldung eingeteilten Kollegin war es, hinter die Namen derjenigen Schüler einen Haken zu setzen, die nach der Schule in die Betreuung kamen. Auf diese Weise konnte nachvollzogen werden, wer anwesend war. Allerdings verzichtete Mathilda auf alphabetische Auflistung. Sie hatte stattdessen ein System entwickelt, das ganz offensichtlich niemand verstand und das sich außerdem in unregelmäßigen Abständen zu wandeln schien. Ein Merkmal dieses Systems war es, dass es überall Balken in verschiedenen Farben gab – und so bunt wie die Balken waren, so bunt waren auch die Namen der Kinder durcheinandergewürfelt. Daher musste die Suche immer vorne beginnen. Oft fehlten darüber hinaus Namen – und was besonders bemerkenswert war, in den Listen waren Kinder aufgeführt, die an der Schule nicht existierten, wobei es sich wahrscheinlich um diejenigen handelte, die vor Jahren die Schule verlassen hatten.

Mathildas Anmeldehilfen in Form der Listen führten dazu, dass diejenige Kollegin, die mit ihnen den Anmeldevorgang bewerkstelligen sollte, auch unvermeidlich der übermäßigen Belastung anheimfiel, weil sie die Namen der Kinder nicht oder nicht schnell genug finden konnte. Hinzu kam, dass die Schüler nur selten einzeln, sondern fast immer in größeren Gruppen nach Schulschluss in der OGS auftauchten, offenbar aber über den Anmeldevorgang nicht in Kenntnis gesetzt worden waren. Der Pulk ließ die eingeteilte Kollegin daher einfach links liegen, die wild blätternd an ihrem Stehtisch vorm Eingang der Betreuung stand und versuchte zu erfassen, wer soeben an ihr vorbeigelaufen war.

Nun hätte sicherlich die Möglichkeit bestanden, an diesem Zustand etwas zu ändern. Jedoch traute sich keine der ergebenen Kolleginnen Mathildas, diese auf diesen Missstand hinzuweisen, weil die Chefin keine Fehler machte und tatsächlich von der Bedeutung ihrer Papierkreationen überzeugt zu sein schien.

Da die Aufsichtspersonen wissen mussten, wer anwesend war, um ihrer Aufsichtspflicht nachkommen zu können, sah Gregor die für die Anmeldung eingeteilte Kollegin regelmäßig noch lange nach der Anmeldung nachforschend durch die Räume und über den Schulhof streifen.

So kam es immer wieder vor, dass niemand wusste, wo einzelne Kinder sich aufhielten oder dass sie die Betreuung überhaupt aufgesucht hatten, was nicht gerade professionell wirkte, wollten Eltern ihre Kinder abholen. Aber in Mathildas Lernumgebung blieben häufiger wichtige Dinge auf der Strecke, die dann geheim gehalten werden mussten. Allerdings war Geheimhaltung schwierig, wusste niemand, wo einzelne Kinder waren, wollten ihre Eltern sie mitnehmen.

Wahrscheinlich, um möglichst wenig an die Oberfläche dringen zu lassen, hatte die Chefin die Direktive herausgegeben, dass niemand ihrer Untergebenen spontane Gespräche mit den Eltern führen durfte – Gespräche mit Eltern führte ausschließlich die Erste Pädagogin der Lernumgebung, also die Chefin persönlich, nach vorheriger Terminvereinbarung, damit nichts Unbedachtes nach außen dringen konnte.

Dieser Umstand erschwerte die tägliche Arbeit nicht unerheblich, da einfache Absprachen oder kurze Gespräche über Kinder, wie beispielsweise deren Tag gewesen war, nicht stattfinden konnten. Daher hatte sich Gregor schnell angewöhnt, mit den Eltern im Schulgebäude zu sprechen, also außerhalb des Blickfeldes Mathildas. Jedoch musste er dabei sehr vorsichtig sein, da die Wände Ohren zu haben schienen: Offensichtlich waren zumindest einige der Kolleginnen nicht nur Erzieherinnen, wenn sie es denn waren, viele waren es nicht, weder von ihrer Ausbildung her noch vor Ort, sondern hatten auch Spitzelaufgaben übernommen, um Mathilda Bericht erstatten zu können, um anschließend von ihr gelobt zu werden – es schien den Mitarbeiterinnen schon fast ein inneres Bedürfnis zu sein, dass Mathilda sie wohlwollend betrachtete.

Je länger Gregor in der Einrichtung arbeitete, desto mehr bekam er von dem mit, was unter der glänzenden Lernumgebungsoberfläche ablief. Außerdem musste er bemerken, dass Mathilda ihm zu misstrauen schien: Offensichtlich war ihr das ein oder andere zugetragen worden. Es deutete sich an, dass sie mit Gregors Arbeit unzufrieden war.

Ein weiteres Beispiel für Mathildas Verwaltungswahn war das Mittagessen:

Gregor erhielt den Auftrag, täglich mit einer Gruppe von fünfzehn Kindern zum Mittagessen zu gehen, das in der Schulküche eingenommen wurde, die angenehm gestaltet war und sich im Schulgebäude befand. Für das Essen war ein Zeitraum von dreißig Minuten vorgesehen. Anschließend gingen die Kinder in ihre betreuten Hausaufgabengruppen.

Es handelte sich also um einen Vorgang, den Gregor aus seiner Vergangenheit kannte, so dass er keinerlei Probleme erwartete. Jedoch gestaltete sich der Essensvorgang hier an seiner neuen Arbeitsstelle nicht so einfach – aber er war ja auch Auszubildender. Allerdings hatten auch seine ausgelernten Kolleginnen sehr ähnliche Probleme. Ursache war hier, dass Mathilda Listen mit den Namen der Kinder erstellt hatte, die an einen Aufsteller, der vor der Schulküche stand, gepinnt waren: Die Kinder sollten hinter ihren Namen einen Haken machen, wenn sie am Essen teilnahmen, denn Mathilda wollte überblicken können, wer gegessen hatte und wer nicht – davon ging Gregor jedenfalls aus.

Gleichzeitig mit Gregors Essensgruppe gingen noch zwei weitere Gruppen mit jeweils circa fünfzehn Schülern zum Essen, die von ihren Lehrerinnen, Ina und Daniela, betreut wurden, die sich in der Vergangenheit widerwillig bereit erklärt hatten, diese unsinnigen Listen zu führen – Mathilda konnte sehr penetrant sein. Sie war der Meinung, dass es die Selbstständigkeit und das Verantwortungsbewusstsein der Kinder fördern würde, wenn diese sich vor dem Essen in einer Liste abhakten, wie Gregor von Ina und Daniela aufgeklärt wurde.

In der Zeit, in der Gregor mit seiner Gruppe essen sollte, standen also ungefähr fünfundvierzig Kinder, die sich alle gleichzeitig abstreichen wollten, vor dem Aufsteller mit den Listen. Erschwerend kam hinzu, dass viele Erstklässler sehr lange brauchten, um ihren Namen zu finden – und gleichzeitig drängelten von hinten ungeduldig die anderen Kinder, so dass der wackelige Aufsteller regelmäßig umfiel, vergaßen Gregor, Ina oder Daniela, ihn festzuhalten. Einige Kinder vergaßen auch gerne diese Anmeldung, ob nun absichtlich oder nicht, Gregor konnte es ihnen nicht verdenken, und lärmten unbeaufsichtigt in der Küche.

Nach diesem Anmeldeakt war der Nachwuchs aufgewühlt, was in der Regel während der gesamten noch verbleibenden Essenszeit anhielt.

War die Anmeldung endlich erledigt, holten die vom Auftakt gezeichneten Schüler sich ihr Essen an der Ausgabetheke ab und aßen schnell, weil das Anmeldeverfahren jeweils ungefähr zwanzig Minuten in Anspruch nahm.

Gregor fragte sich, warum es in seiner ehemaligen OGS möglich gewesen war, in Ruhe mit einer Gruppe zum Essen zu gehen und einfach zu essen. Daher schaffte er bereits nach einigen Tagen die Anmeldung ab. Die von Mathilda verlangten Haken in der Namensliste seiner Gruppe setzte er nach dem Essen selbst, schließlich wusste er, welche Kinder dabei gewesen waren. Um Mathilda nicht auf den Plan zu rufen, machte er die Haken so, dass sie so aussahen, als ob die Kinder sie gemacht hätten.

Mathildas Vorhaben, durch die Listen, Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein zu fördern, hatte tatsächlich funktioniert, nur eben anders als geplant: Gregor setzte die Haken selbstständig – dafür fühlte er sich verlässlich verantwortlich.

Nachdem er nun dazu übergegangen war, die Haken selbst zu setzen, verging nicht viel Zeit, bis Ina und Daniela die Methode übernahmen – die Ruhe, die eintrat, war für alle wohltuend. Es war ein Glück, dass keine OGS-Kolleginnen mitaßen, denn dann wäre diese Erleichterung nicht möglich gewesen – die Mitarbeiterinnen der OGS wären niemals auf die Idee gekommen, dass die Unruhe beim Essen mit Mathildas Anmeldung in Verbindung stehen könnte. Sie glaubten, dass die Essensauswahl der Köchinnen daran schuld sei. Die Listen mussten gut sein, da sie von Mathilda, der Chefin, stammten: Den Frevel, Mathildas Listen selbst zu führen, hätten sie sich niemals erlaubt.

Gregor genoss täglich die Normalität, die in die Essenssituation eingezogen war. Mathilda archivierte ihre Listen und zeigte sich hochzufrieden, dass sie so ordentlich geführt wurden.

Der Auszubildende

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