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Kapitel 2 ZWISCHEN ANTIFA UND FLÜGLERN

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Der Weg in die AfD II: Schule, Kirche und Karriere

Alexander Leschik

Meine Mutter war 19, als sie nach Deutschland kam, mit einem kleinen Fiat, zwei Koffern und ihrem Bruder. Zu Hause, in einem kleinen Dorf unweit von Opole (Oppeln) in Oberschlesien, das seit 1945 zu Polen gehört, zählte sie zur deutschen Minderheit. Sie hatte nur ein Urlaubsvisum. Meine Mutter kam als Flüchtling aus dem damals kommunistischen Polen.

Man mochte Leute wie meine Mutter nicht in Oberschlesien, nicht direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht 1970 nach dem Kniefall des deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt am Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos und auch noch nicht Mitte der 1980er-Jahre. Sie galten als Deutsche, als Nachfahren der Nationalsozialisten, auch wenn sie kein Wort Deutsch sprachen. In der Schule wurden sie und andere Schüler der deutschen Minderheit manchmal »Hitlerkinder« genannt. Wer auf dem Schulgelände deutsche Worte benutzte, bekam Ärger mit den Lehrern.

Meine Mutter hat ihre Heimat als fremden-, zumindest als deutschfeindlich in Erinnerung. 1985 verließ sie Oberschlesien. Ihre Mutter und weitere Geschwister kamen nach.

Mein Vater, ebenfalls im Südwesten Polens aufgewachsen, erreichte Deutschland im selben Jahr mithilfe eines Ausreiseantrags. Vom Auffanglager Friedland in Niedersachsen machte er sich nach Nordrhein-Westfalen auf, finanziell unterstützt von der Otto Benecke Stiftung, die Projekte zur Integration von DDR-Flüchtlingen und Spätaussiedlern durchführte. In Geilenkirchen bei Aachen lernte er auf einem Internat Deutsch. Und er traf meine Mutter. Beide machten ihr deutsches Abitur und zogen anschließend nach Münster, um zu studieren. Meine Mutter kam an der medizinischen Fakultät bis zum Physikum, mein Vater schaffte in Jura das Examen nicht und verließ die Universität ohne akademischen Abschluss. Er arbeitete erst einmal als SAP-Berater, dann als Bauleiter und Übersetzer auf Großbaustellen. Meine Mutter ist Krankenschwester.

Ich bin wie meine jüngere Schwester ein Kind zweier Flüchtlinge. Meine Eltern bekamen in Deutschland eine Chance. Warum wurde ich Mitglied einer Partei, die sich seit Jahren vor allem definiert, indem sie vor Flüchtlingen warnt, sie kritisiert und oft auch gegen sie hetzt? Ich versuche später, das zu erklären.

Meine Eltern lebten in Münster zuerst in einer kleinen Wohnung; später konnten sie ein Haus in einem gutbürgerlichen Viertel bauen. Chance bekommen, Chance ergriffen, sozialer Aufstieg gelungen – sie verkörpern, finde ich, perfekt das Aufsteigerideal der SPD. Und tatsächlich haben meine Eltern in Deutschland jahrelang die Sozialdemokraten gewählt.

2013 waren sie glühende Anhänger des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Mir ging es genauso. Ich sehe mich noch, wie ich versuchte, meine Tante mit Artikeln aus dem »Handelsblatt« zu überzeugen, sie solle bei der Bundestagswahl diesmal bloß Steinbrück wählen und nicht CDU.

In dieser Zeit begann ich damit, Bücher über die deutsche und die europäische Geschichte zu lesen. Ich googelte nach den Jugendorganisationen der Volksparteien. Als Erstes besuchte ich ein Treffen der Jusos und wurde dort auch freundlich begrüßt – man sah es gern, dass so junge Leute wie ich Interesse zeigten. Doch in politischen Fragen, das wurde mir schnell klar, war ich nicht immer einer Meinung mit dem SPD-Nachwuchs, beim Euro zum Beispiel oder bei der Inklusion. Ich hatte einige Wochen zuvor ein Praktikum bei dem Pastoralreferenten meiner Pfarrgemeinde gemacht und ihn auch in eine Förderschule begleitet, wo er Religionsunterricht gab. Dort hatte ich unglaublich liebe Kinder getroffen, die meist aus sehr schwierigen Verhältnissen kamen. Ein Junge war so verängstigt, dass er sich immer in die Hose machte, wenn ihn etwas überforderte oder wenn er auch nur mit jemandem diskutieren musste. Diese Kinder, das war mein Eindruck, brauchten eine eigene, besonders behütete Umgebung. Entsprechend wenig hielt ich von dem Vorhaben der damals rot-grünen Landesregierung, die Förderschulen aufzulösen und diese Kinder ohne Wahlmöglichkeit auf die Regelschulen zu schicken.

Auch meine Kritik an der Eurorettungspolitik brachte mir bei den Jusos nicht viele Sympathien. Mich wiederum störte, dass manche Jusos offenbar doch einiges für die Ideen des Kommunismus übrighatten. Meine Eltern waren ja im Kommunismus aufgewachsen, ich war deshalb durch mit derlei Ideen. Wir unterhielten uns aber freundlich. Anschließend ging ich zweimal zur Jungen Union.

Dort, beim CDU-Nachwuchs, kam ich vergleichsweise wenig zu Wort. Ich fühlte mich auch nicht sonderlich ernst genommen. Als ich dann in den Westfälischen Nachrichten las, dass die AfD Ende November 2014 zum Vortragsabend mit einem Professor einlud, fragte ich meinen Vater, ob er mich begleiten könne. Ich war damals 14. Vorher hatte ich gerade den AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke in der Talkshow »Hart aber fair« gesehen. Mein Vater kam mit, und nach dem Vortrag ging ich dann allein und regelmäßig zum wöchentlichen Stammtisch.

Die Münster-AfD traf sich zum Stammtisch damals genau wie die Junge Union immer in dem Traditionslokal »Kruse Baimken« zwischen Innenstadt und Aasee. Das war auch allgemein bekannt. Zu dieser Zeit musste sich die AfD noch nicht verstecken.

Das änderte sich allerdings. Wenn wir einen Referenten beim Stammtisch hatten, stand irgendwann auch ein Polizeiwagen vor der Tür. Eines Tages kamen schwarz vermummte Antifa-Leute in die Gaststätte, gingen von Tisch zu Tisch und verteilten ein Flugblatt. Die Überschrift war als Frage formuliert und lautete: »Keine Lust, die leckeren Kaltgetränke zwischen rechter Hetze und rassistischen Stammtischparolen zu genießen?« Fröhliche Menschen im Biergarten wurden in dem Papier als »die eine Seite des Kruse Baimken« dargestellt, die andere Seite finde sich oben im Lokal in einem Hinterzimmer. Dort halte die AfD ihren Stammtisch ab.

Die Autoren des Flugblatts leiteten aus Zitaten von AfD-Spitzenpolitikern »gnadenlosen Populismus gepaart mit Rassismus« her und kamen dann zurück zum Lokal. Das »Kruse Baimken« sei der »zentrale Versammlungsort der AfD. Ohne die Überlassung von Räumen durch die Gaststätte wäre der Wirkungskreis der AfD in Münster viel kleiner.« Das Flugblatt empfahl, »Haltung« zu zeigen »und nicht wiederkommen – so lange, wie das ›Kruse Baimken‹ die AfD beherbergt. Es gibt genug schöne Kneipen und Restaurants in Münster. Diese muss es nicht sein.«

Liege ich falsch, wenn ich diese Aktion auch heute noch perfide finde? Der Wirt jedenfalls war damit erst einmal unter Druck gesetzt. Er stand als Nazikumpel da, wenn man das Flugblatt ernst nahm. Später hörten wir, dass manche seiner Mitarbeiter nach Feierabend von selbst ernannten Antifaschisten nach Hause »begleitet« wurden. Der Vorwurf, den sich die Kellner anhören mussten: Sie hätten Rechtsradikale bedient.

Der Wirt des »Kruse Baimken« büßte offenbar tatsächlich an Umsatz ein. Im Herbst 2016 sagte er uns, er könne sich das nicht mehr länger leisten. Wir waren draußen. Und innerlich gefestigt.

Im Bann der AfD

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