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Mein Umfeld jenseits der Partei

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Ich zählte damals zu einer größeren Clique in meinem Jahrgang. Wir standen an der Rauchertreppe, einige von uns machten Krafttraining. Und einige besaßen, genauso wie ich, einen Migrationshintergrund. Einer meiner besten Freunde damals war Perser, Omid, ein Atheist, der aber einen Vollbart trug und äußerlich auch als islamischer Fundamentalist hätte durchgehen können. Omid sagte einmal zu mir: »Ich kenn dich ja, Alex. Auch wenn ich die AfD scheiße finde, weiß ich ja, dass du nichts gegen Ausländer hast. Du bist ja kein Nazi.«

Baran, ein anderer Kumpel von mir, ist Kurde und Kommunist. Einige wunderten sich, dass wir befreundet waren, aber das funktionierte eben. Manchmal tauschten wir unsere Ansichten aus, stritten dabei auch, warfen uns wechselseitig Verblendung vor. Danach konnten wir zusammen ein Bier trinken. Unsere politischen Ansichten haben uns in sechs Jahren Freundschaft nie getrennt. In meinem Freundeskreis spielten Politik und Religion ohnehin keine allzu große Rolle. Wir alle waren sehr verschieden, schätzten uns aber menschlich und konnten es aushalten, wenn jemand völlig anders dachte. Auch heute stehen die meisten meiner Freunde klar links der politischen Mitte.

Auch solcher Freundschaften wegen bin ich wahrscheinlich persönlich nie in eine fremdenfeindliche Haltung abgedriftet. Andere Parteifreunde, die zu tief in Filterblasen abtauchten, radikalisierten sich hingegen stark. Patriotisch habe ich gedacht, das schon, in dem Sinne, dass ich Deutschland und seine Kultur schätze und dankbar bin, in einem solchen Land zu leben. Ich bin auch heute stolz auf Deutschland. Dieses Gefühl haben mir meine Eltern vermittelt. Sie sind in einem Land aufgewachsen, in dem sie aufgrund ihrer Vorfahren offen abgelehnt und sogar beleidigt wurden. Wie viele andere Oberschlesier schätzen meine Eltern es sehr, dass sie in Deutschland eine Chance bekamen; sie haben sich von Beginn an komplett zu diesem Land bekannt. Bei uns zu Hause wurde und wird niemals Polnisch gesprochen.

In der AfD war Patriotismus nicht negativ behaftet, das gefiel mir. Das zog aber auch Fremdenfeinde und Rechtsextreme an. Ich habe immer versucht, die Partei so zu beeinflussen, dass ich mich nicht für sie schämen muss. Das bedeutete, dass ich mich von den Radikalen und Extremisten distanziert habe und immer wieder den offenen Konflikt suchte. Ich wollte sie raushaben aus der AfD, das war ein langer Kampf. Ich habe ihn, dies ist mir heute klar, viel zu lange gekämpft. Damals wollte ich auf keinen Fall aufgeben. Ich wollte die AfD nicht den Extremisten überlassen. Ich wollte, dass die Moderaten übrig bleiben. Meine Überzeugung, damit das Richtige zu tun, war groß.

In der Schule habe ich bei den Lehrern eher Unverständnis gespürt. Ich erinnere mich, wie ich mal ein Gespräch mitbekam: Zwei Lehrer unterhielten sich über mich; einer erkundigte sich nach meinem Elternhaus, ob das vielleicht damit zu tun haben könne. 2018 verweigerte unsere Direktorin die Teilnahme an unserem Abiball – ich führte an dem Abend durch das Programm. Erfolglos versuchte sie, meine Moderation zu verhindern, und übte Einfluss auf Schüler und deren Eltern aus. Die stellvertretende Schulleiterin warf mir vor, ich würde mit meiner Person dem Rechtsextremismus eine Bühne bieten. Während des Abiballs hielt sie mir vor, in einer furchtbaren Partei zu sein.

In meinem Jahrgang hatte ich hingegen kein Problem wegen der AfD. In ihrem Demokratieverständnis waren viele meiner Mitschüler unserer Schulleitung wohl etwas voraus. Die Kollegen haben mich sogar zum Stufensprecher gewählt.

In der AfD wiederum fand ich mich ab 2016 zunehmend selbst in der Rolle des Aufpassers wieder. Das klingt wahrscheinlich anmaßend für einen 16-Jährigen, aber mit ein paar anderen im Kreisverband Münster achtete ich in der Tat darauf, dass sich keine Rechtsextremisten etablieren konnten. Ich erinnere mich an einen älteren Herrn, einen markigen Redner mit akademischem Hintergrund, der seine Beiträge beim Stammtisch sichtlich genoss. Ich nenne ihn hier Heinz. Muslimen sprach Heinz jede Fähigkeit ab, sich in Deutschland zu integrieren. Und als irgendwann im Jahr 2016 ein Einwanderer beschuldigt wurde, eine deutsche Frau vergewaltigt zu haben, setzte er im »Kruse Baimken« zu einer regelrechten Wutrede an.

In dieser Zeit kam es zu einigen Vergewaltigungen, begangen durch Menschen mit Migrationshintergrund. Wenn man sich wie viele AfDler über Facebook, rechte Portale und Chat-Gruppen informiert, bekam man Berichte über solche Taten jeweils etliche Male zugespielt. Man denkt dann irgendwann, es passiert kaum mehr etwas anderes. Wie gefiltert einen das Zeitgeschehen erreicht, bemerkt man erst mal gar nicht. Das Magazin Stern ist einmal einer WhatsApp-Gruppe der AfD über Monate gefolgt. In dem Bericht wurde auch eine Frau zitiert, die die Gruppe verließ. Als Begründung schrieb sie in ihrem letzten Post: »Och Leute, ich hab keinen Bock drauf, jede einzelne Straftat Deutschlands hier in dreifacher Form präsentiert zu bekommen.«

Ich las damals viel von Christenfeindlichkeit in Flüchtlingslagern und dass Christen, die in Booten über das Mittelmeer nach Europa wollten, von muslimischen Flüchtlingen ertränkt würden. Keine Ahnung, ob das stimmte, aber ich mache mir heute keine Illusionen: Natürlich haben solche Meldungen bei mir ihre Wirkung erzielt. Man verwechselt seine Timeline und all die Posts, die einen erreichen, schnell mal mit der Wirklichkeit.

Gleichzeitig waren da natürlich auch Ereignisse, die nicht auf Unwahrheit oder maßloser Übertreibung beruhten, etwa jene am Hauptbahnhof Köln und andernorts in der Silvesternacht 2015. Unter all jenen, die damals Frauen belästigten, waren offenbar zahlreiche junge Männer, die in anderen Kulturkreisen aufgewachsen sind und es wohl nicht als Problem begriffen, Passantinnen anzuhalten und auch zu begrapschen. Das mögen Flüchtlinge gewesen sein, genau wie meine Eltern Flüchtlinge waren. Aber Integration, wie ich sie verstehe, bedingt auch eine Bringschuld. Wer kommt, muss sich anpassen, an die Gesetze wie an die Formen des gesellschaftlichen Miteinanders. Mich hat dieses asoziale Verhalten der jungen Männer damals wahnsinnig aufgeregt. Es fiel mir fortan schwerer, in Diskussionen einen kühlen Kopf zu behalten.

Zurück ins »Kruse Baimken« und zu Heinz, der sich über Muslime ereiferte: Das AfD-Parteiprogramm sei da viel zu weich, fand er. Heinz forderte klare Kante und sagte auch, was er sich darunter vorstellte: »Wenn wir mutig sind und ehrlich, dann müssen wir auch wieder das Wort Deportation in den Mund nehmen.«

Deportation. Der Nazi-Begriff für die Verschleppung Millionen jüdischer und anderer Menschen. Deportation war zu viel. Zwei Anwältinnen sagten, sie würden sofort gehen, wenn so etwas hier gesagt werden dürfe. Ich sprang ihnen bei, warf Heinz vor, sich rechtsextrem zu äußern, und sagte mit Blick auf den Kreisvorsitzenden, ich würde erwarten, dass Heinz des Saales verwiesen werde. Mehrere Leute klatschten, Heinz aber keilte zurück. Das sei eine Unverschämtheit, er lasse sich nicht das Rederecht entziehen; wie dreist das überhaupt sei, ihn zu kritisieren, er habe schon so viel für das Land getan, davon könne sich mancher im Raum eine Scheibe abschneiden.

Der Kreisvorsitzende musste jetzt Position beziehen. Helmut Birke führte die Münster-AfD damals, ein Flügelmann, Frührentner. Birke sagte, der Stammtisch sei eine Art Speaker’s Corner. Jeder müsse aushalten, was hier gesagt würde.

Ich war richtig wütend. Als Bezirkssprecher der Jungen Alternative rief ich Helmut Birke am folgenden Tag an und kündigte die Zusammenarbeit mit der AfD Münster auf. Mit Birke lieferte ich mir auf Facebook noch einige Debatten über Fremdenfeindlichkeit. Er schrieb dann irgendwann, er könne mit dem Begriff ohnehin »nicht viel anfangen«. Fremdenfeindlichkeit sei vermutlich auch, »wenn Schalke-Fans wütend auf BVB-Fans sind«. Was sollte ich darauf noch antworten? Ich ließ ihm das letzte Wort.

Der AfD ging es 2016 eigentlich blendend. Schon im März zog die Partei in drei weitere Landtage ein, in Sachsen-Anhalt gar mit sensationellen 24,3 Prozent. Das Thema Flüchtlinge brachte der AfD viele Stimmen. Doch im Kreisverband Münster befanden wir uns bereits in einem Richtungskampf. Meine und die Einstellung aller Gemäßigten war, Höcke-Anhänger wie Helmut Birke und überhaupt jeden Rechtsradikalen loszuwerden. Im Kreisvorstand hatten wir eine Stimme Mehrheit gegen Helmut Birke und seine Leute, doch die war in Gefahr. Ende 2016 wollte sich nämlich ein Gemäßigter aus dem Gremium zurückziehen. Beim Kreisparteitag im Dezember stand neben der Neuwahl dieses Beisitzers zudem die Wahl zweier stellvertretender Kreisparteichefs an. Für einen der Stellvertreterposten sollte ich kandidieren.

Kurz vor Beginn der Versammlung konnten wir den uns wohlgesinnten Beisitzer zum Glück davon überzeugen, doch nicht zurückzutreten. Damit blieb nur die Wahl der beiden Vize-Vorsitzenden. Sollte das Birke-Lager beide Positionen besetzen können, hätte es die Mehrheit im Vorstand erobert. Der Kreis Münster wäre dann gekippt, der Flügel hätte übernommen.

Bei der ersten Wahl schickte Birke einen bulligen Typen mit Glatze ins Rennen. Seine Rhetorik war scharf, sein Blick aggressiv. Wir setzten einen Unternehmer dagegen. Das Problem: Der Unternehmer hielt es für richtig, sich nicht selbst zu wählen. Er enthielt sich bei der Wahl. Das mochte vornehm sein, politisch aber war es fatal. Mit einer Stimme Mehrheit setzte sich nämlich nun der bullige Flügel-Mann durch. Jetzt musste ich es als zweiter Stellvertreter reißen. Und ich gewann tatsächlich. Damit hatten die Gemäßigten die Mehrheit verteidigt.

In den nächsten Tagen sollten sich Münsteraner Flügelleute treffen und in einem Papier festhalten, wie sie nun vorgehen wollten. »Durchmarsch neue Mehrheit verhindern durch obstruktive Arbeitsbelastung Leschik«, notierten sie unter der Überschrift »Taktisches« und beschrieben es als weiteres Ziel, unsere angebliche »Inkompetenz/Überforderung sichtbar zu machen«. Als ich die Veranstaltung am Abend nach der Wahl verließ, fühlte ich mich aber erst einmal wie im siebten Himmel. Mit 16 Jahren hatte ich es weit gebracht und hoffte insgeheim, einmal für die AfD ins Landesparlament nach Düsseldorf einzuziehen oder vielleicht sogar nach Berlin in den Bundestag zu gehen. Dafür musste man nur die Flügelleute in Schach halten – oder am besten ganz loswerden.

Im Bann der AfD

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