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Auf den Straßen von Hamm I

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2016 hingegen war ich noch schmerzfreier. Ich kümmerte mich um meine AfD-Karriere und zog in den Landesvorstand der Jungen Alternative in Nordrhein-Westfalen ein. Ich zählte fest zum Lager von Petry und Pretzell, dem sich eine Gruppe von Flüglern und anderen Gegnern entgegenstellte, vorneweg der AfD-Mitgründer Martin Renner. In den Landesvorstand der AfD schaffte ich es in der Gemengelage nicht, meine Kandidatur scheiterte knapp. Doch Anfang 2017 sagte ich zu, als ein Direktkandidat der AfD für die Landtagswahl im Mai gesucht wurde.

Erfahrungen im Häuserwahlkampf hatte ich ja 2013 schon gemacht – im Essener Süden. Jetzt stellte sich die Aufgabe etwas anders dar. Mein Wahlkreis war Hamm I und umfasste sechs der sieben Bezirke der 180 000-Einwohner-Stadt, die am nordöstlichen Rand des Ruhrgebiets liegt. Hier war der AfD-Kreisverbandsvorsitzende nicht bereit, selbst anzutreten. Kannst du ja mal ausprobieren, dachte ich mir.

Dafür brauchte ich allerdings 100 Unterschriften von Bürgern aus dem Wahlkreis. 100, das hört sich nach wenig an, ein Samstagmorgen in der Fußgängerzone und fertig. In Wirklichkeit war es jedoch eine schwierige Aufgabe. Und ich hatte – die AfD war spät dran – lediglich zwei Wochen Zeit.

Mit drei Kollegen aus der JA machte ich mich an die Arbeit. Wir bildeten Zweier-Teams, ausgerüstet mit Klemmbrett und Stift, und marschierten von Haus zu Haus. Von der AfD hatten die meisten inzwischen gehört, das war nicht das Problem. Aber viele öffneten erst gar nicht.

Wenn uns jemand aufmachte, mussten wir erst einmal erklären, was eine Unterschrift auf unserer Liste alles nicht bedeutete. Nein, Sie kaufen damit nichts! Nein, Sie haben mit der Unterschrift auch noch nicht die AfD gewählt! Es geht nur darum, dass die AfD hier in Hamm überhaupt zur Landtagswahl antreten kann! Sie unterstützen letztlich einen demokratischen Prozess! Solche Sätze sagten wir.

Von meinen insgesamt sieben Einsätzen an Haus- und Wohnungstüren ist mir sehr viel Misstrauen in Erinnerung geblieben. In Hamm scheinen regelmäßig Drückerkolonnen aufzutauchen, jedenfalls reagierten die Menschen oft skeptisch. Als Erstes hörten wir häufig den Satz: »Ich kaufe nichts an der Haustür.«

Meine Stimmung schwankte zwischen Frustration und Kopfschütteln bei dieser Tour in die Welt meiner potenziellen Wähler. Einmal öffnete uns ein halb nacktes Mädchen mit einem Lollipop im Mund die Tür. Fanatische Grünen-Wähler drängten uns mit erhobenen Fäusten zurück auf den Gehsteig. In einem Hochhaus, in dem wir auch vollverschleierte Frauen sahen, winkte uns ein gar nicht so alter weißer Mann vom Fenster aus heran. »Sehr gut, sehr gut«, fand er, die AfD wolle genau das Richtige. Er hätte am liebsten fünfmal unterschrieben.

In Hamm gibt es auch eine Minisiedlung mit properen Reihenhäusern, die von einer Mauer abgeschirmt ist. Hinter der Mauer stehen Wohnblöcke. Draußen sozialer Brennpunkt, drinnen mittelständische Behaglichkeit, so kann man es vielleicht beschreiben. Vor den Häusern parkten kleine Puky-Räder. Hier, in dieser Enklave, wollten wir es auch versuchen. Ein Mann öffnete. Er hörte mir zu, lächelte, blieb aber völlig unbeeindruckt. Er fühle sich mit seiner Familie hier sehr wohl, sagte er. »Und all die sozialen Probleme hier im Umkreis?«, fragte ich. »Hier bei uns ist alles bestens«, antwortete er und lächelte mich an, als sei das Schicksal auf seiner Seite.

Am Ende bekam ich meine 100 Unterschriften zusammen. Ich gab sogar 120 ab, ein paar konnten ja aus irgendeinem Grund ungültig sein.

Auf meinem Wahlplakat stand: »Integration ist eine Bringschuld«. Ich hatte bei diesem Satz vor allem Zuwandererfamilien aus dem Essener Norden vor Augen, die sich lustig machen über die dummen Deutschen, Sozialleistungen abkassieren und auf die Regeln in diesem Land pfeifen. Solche Familien gibt es. Umgekehrt aber frage ich mich heute, was wohl ein Schwarzer über diesen Spruch denkt. Einer, der alles Erdenkliche tut, um seinen Platz in der deutschen Gesellschaft zu finden. Der aber, zum Beispiel bei der Wohnungssuche, immer das Nachsehen hat. Der auf der Straße beleidigt oder gar bedroht und angegriffen wird. Integration ist eine Bringschuld, ja, aber definitiv für beide Seiten.

Den Landtagswahlkampf in Hamm führte ich bis zum Wahlsonntag vor allem am Infostand in der Innenstadt. Auch an einer Podiumsdiskussion an der Hochschule Hamm durfte ich teilnehmen. Der Favorit Marc Herter, damals Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, heute Oberbürgermeister von Hamm, verweigerte mir dabei den Handschlag. Ich bin eigentlich recht cool in solchen Situationen, aber diese Art von Ablehnung hat mich schon empört. Mehr jedenfalls als abgerissene Plakate oder Beschimpfungen in der Fußgängerzone.

Noch härter war allerdings, von der eigenen Klientel verschmäht zu werden. So erging es mir bei einem Haustürgespräch, als ich noch meine 100 Unterschriften sammelte. Ein Paar Mitte 40 öffnete, und beide erklärten unumwunden, die AfD zu wählen. Gleichzeitig verweigerten sie mir aber die Unterschrift. Ihre Begründung: Sie könnten einem Ausländer keine Stimme geben, die AfD müsse eine deutsche Partei sein. Der Mann und die Frau wirkten dabei keineswegs aggressiv und auch nicht abweisend. Sie setzten mir höflich auseinander, dass sie es einfach nicht übers Herz brächten, einen Menschen wie mich zu unterstützen.

Das taten dann mit ihrer Erststimme immerhin 4559 Hammerinnen und Hammer – 6,3 Prozent der Bürger, die sich in dem Wahlkreis an der Landtagswahl im Mai 2017 beteiligten. Bei den Zweitstimmen holte die AfD im Wahlkreis Hamm I 8,2 Prozent. Auf Landesebene war die Partei schwächer, gewann nur 7,4 Prozent. Eine Stadt wie Hamm birgt für die AfD aber auch ein größeres Wählerpotenzial als ein ländlicher Wahlkreis im Sauer- oder Münsterland.

Ich hatte mir auf jeden Fall nichts vorzuwerfen und fand mein Ergebnis gut, auch vor dem Hintergrund, dass auf dem Wahlzettel »Boudaghi Vandchali, Nicolai Reza« gestanden hatte, mein vollständiger Name. Für einige AfD-affine Menschen ist so ein Name doch eine hohe Hürde.

Großen Wert auf den iranischen Teil meiner Herkunft habe ich übrigens nie gelegt. Das änderte sich auch nicht durch eine kurze Iranreise, die ich noch vor der Landtagswahl antrat. Das Projekt ging eigentlich auf eine fixe Idee zurück, die mir im Beisein von Markus Frohnmaier gekommen war. Frohnmaier sitzt heute im Bundestag, ich kannte ihn aus der Jungen Alternative. Schon damals war er umtriebig, reiste immer wieder ins Ausland. In der Politik nimmt man manchmal, was man kriegen kann. Und ich konnte uns mithilfe eines Verwandten Türen im Iran öffnen.

Wir wollten eigentlich zu viert reisen. Ein AfD-Landtagsabgeordneter aus Thüringen und dann auch Frohnmaier sagten jedoch ab. Daher fuhr ich allein mit Reimond Hoffmann, einem Bundestagskandidaten aus Baden-Württemberg. Als ExtremRechtsaußen war Reimond mir damals noch nicht aufgefallen.

Offizieller Anlass unserer Reise war der Besuch einer Konferenz zum Tag seltener Krankheiten, für den sich weniger wir als andere Mitglieder unserer kleinen Reisegruppe interessierten. Zur Delegation aus Deutschland zählten nämlich neben uns zwei AfD-Vertretern auch ein Versicherungslobbyist, ein Vertreter des Deutschen Apothekerverbandes und eine britische Journalistin.

Den Kongress besuchten wir, erhielten dort für unser Erscheinen eine schicke Plakette im Holzrahmen. Doch auch der Präsident des iranischen Parlaments empfing uns, außerdem der stellvertretende Gesundheitsminister und sogar ein hoher religiöser Führer. Wir waren dort als Deutsche offenbar gern gesehen. Eifrig hielt man unseren Besuch bildlich fest, unser Empfang im Parlament wurde sogar vom Staatsfernsehen übertragen. Dass Menschen aus einem Kernland der Europäischen Union eine Diktatur wie den Iran besuchen, konnte das dortige Regime gut für seine alltägliche Propaganda ausschlachten. Es musste ja niemand wissen, dass hier nicht gerade Spitzenpolitiker erschienen waren.

Reimond und ich erfuhren in Teheran, was bereits viele AfD-Politiker in Ländern wie Russland erlebt hatten: Die Gastgeber nahmen sich Zeit, brachten uns Respekt und Aufmerksamkeit entgegen. Wir waren ihnen auch eine üppige Bewirtung und eine recht teure Unterbringung wert. Daran kann man Gefallen finden. Mir erging es aber anders. Das Land meines Vaters versteckt nämlich keineswegs, dass der Einzelne hier weniger Rechte hat. Ich spürte, dass die Diktatur mehr ausmacht als große Propagandabilder, auf denen Bomben auf US-amerikanische Flaggen fallen. Und es geht auch nicht nur darum, die eigene Meinung zu verbergen, wenn sie der Regierungslinie zuwiderläuft.

In einer Diktatur wie dem Iran zu leben kann auch bedeuten, ständig Angst zu haben. Der Staat kann im Zweifel alles mit dir anstellen. Das zu wissen beschert einem kein schönes Gefühl, wenn man wie ich gern in einer freien westlichen Gesellschaft lebt. Ich bin froh, dass ich nach Teheran gereist bin und mich drei Tage intensiv mit dem Iran befasst habe. Ich war damals aber auch sehr erleichtert, als wir wieder abhoben und zurück nach Deutschland flogen.

Zu Hause näherte sich Frauke Petry mit großen Schritten ihrem politischen Ende. Zwar zog im Mai 2017 ihr Mann Marcus Pretzell als AfD-Spitzenkandidat in den Landtag in Düsseldorf ein und übernahm dort auch den Vorsitz der Fraktion. Doch die Parteivorsitzende Petry selbst hatte Anfang April ein Papier geschrieben, mit dem sie die AfD mittelfristig koalitionsfähig machen wollte. Sich in der Fundamentalopposition einzurichten, wo man immer recht hat, niemals Kompromisse macht, aber auch nur sehr wenig bewegen kann – das wollte Petry verhindern. Ihr kleines Manifest nannte sie »Zukunftsantrag«. Der Stern beschaffte sich den Text dann allerdings frühzeitig und zitierte in seiner Online-Ausgabe daraus. Die Interpretation lieferte das Magazin aus Hamburg schon in der Überschrift mit: »Antrag gegen Gauland und Höcke: Petry sucht die Entscheidung«.

Gut zwei Wochen später hatte Frauke Petry ihre Entscheidung – auf dem Bundesparteitag in Köln scheiterte ihr Antrag kläglich. Als Spitzenkandidatin wollte die Parteivorsitzende dann auch nicht mehr antreten.

Ich verbinde mit dem Bundesparteitag in Köln nicht nur die Niederlage Frauke Petrys. Auf der Anreise als Delegierter am Samstagmorgen fand ich mich in einem doppelstöckigen Regionalzug plötzlich allein unter Antifa-Leuten wieder. Der Wahlkampf in Hamm lief zu dem Zeitpunkt noch, und in dem Regionalexpress sammelten sich mehr und mehr Gegendemonstranten. Einer, wahrscheinlich aus Hamm, erkannte mich. Mit ein paar Kumpels setzte er sich etwa um sieben Uhr direkt neben mich und sprach mich an. Ein anderer rief, man habe hier ein AfD-Mitglied getroffen. Da kamen noch mehr zu mir. Es müssen Dutzende gewesen sein, fast alle hatten sich vermummt.

»Wie geht’s dir denn gerade?«, fragte mich der Typ. »Fährst schön zum Parteitag, oder?« Ich habe die Sätze noch genau im Ohr. Sie waren unverfänglich formuliert und wirkten in der Situation dennoch bedrohlich. Das sollten sie wohl auch. Einer aus dem schwarzen Pulk sagte generös: »Du brauchst keine Angst zu haben.« Das war leicht gesagt. Hätte mir einer von den Leuten eine gescheuert, hätte es keine Zeugen dafür gegeben. Zumindest keine, die ein Interesse daran gehabt hätten, den Vorfall zu bestätigen. »Alles gut, ich hab keine Angst«, antwortete ich und bemühte mich, dabei gelassen zu wirken.

Vielleicht lag es an der frühen Uhrzeit, zu der noch niemand in der Gruppe aufgeputscht war. Vielleicht waren diese Antifa-Leute auch grundsätzlich friedlich drauf und schon damit zufrieden, ein isoliertes AfD-Mitglied ein wenig einzuschüchtern. Vielleicht half mir auch, dass ich als Mensch mit Migrationshintergrund zu erkennen bin. Jedenfalls zogen sie nach ein paar Minuten wieder ab. Da hatte der Zug auch schon Leverkusen passiert.

In Köln fanden sich Zehntausende Gegendemonstranten ein, natürlich bei Weitem nicht nur Antifa-Leute. Der Staat bot 4000 Polizisten auf, um den AfD-Parteitag im Maritim-Hotel am Rheinufer zu ermöglichen und Gewalt und Ausschreitungen zu verhindern. Allein auf der Brücke, die über den Rhein direkt zum Hotel führt, parkten 56 Mannschaftswagen vor allem mit den Kennzeichen Dachau und Oldenburg. Man müsste mal ausrechnen, wie viele Überstunden die Polizeibeamten auf der zweitätigen Veranstaltung geleistet haben.

Das Treiben draußen griffen die Mitglieder in der Halle auf. Redner sprachen von Spießroutenläufen, die hinter ihnen lägen, und dankten der Polizei. All die Einzelerlebnisse verschmolzen zu einer kollektiven Erfahrung von Bedrohung und Schutzbedürftigkeit. Natürlich hat mancher Teilnehmer des Parteitags dabei kräftig übertrieben. Aber einige, das kann ich bestätigen, haben sich wirklich gefürchtet.

Im Bann der AfD

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