Читать книгу Im Bann der AfD - Nicolai Boudaghi - Страница 9

»Keine Waffen, ist klar«

Оглавление

Ich machte trotzdem erst einmal weiter. Samstags hielt ich mich oft am Infostand auf und sprach potenzielle Wähler an. Enormen Zuspruch erhielt ich da, als habe die Welt nur gewartet auf eine Partei wie die unsere. Während der Woche machte ich mich nachmittags auf in den Essener Süden und klingelte an schicken Häusern. Die AfD musste Unterschriften sammeln, damit sie bei der Bundestagswahl im September 2013 antreten konnte, und in Stadtteilen wie Bredeney und Werden verorteten wir unsere Unterstützer. Kandidat war hier übrigens Martin Renner, der zwar ein wenig ehrpusselig wirkte, aber mit seiner CDU-Erfahrung im Kreuz auch grundsolide und bürgerlich.

Renner sollte in den nächsten Jahren in der AfD immer wieder Einfluss ausüben. Der frühere Werbeunternehmer machte sich allerdings schon damals keine Illusion darüber, dass die Alternative für Deutschland ganz fix ihre Gründungsideale hinter sich lassen könnte. In ein paar Jahren seien wir womöglich genauso wie CDU und SPD, sagte Renner bei dem Treffen in seinem Garten voraus. Er spielte wohl auf die Patronage an, auf die Bedeutung von Posten und Mandaten. Ich habe mich mit solchen Prozessen erst viel später befasst, in meiner Masterarbeit an der Universität Bochum. 2013 dachte ich nicht weiter über Renners pessimistische Prognose nach. Recht hat er aber behalten.

Wenn ich auch nicht immer gleich den Durchblick hatte – vollen Einsatz zeigte ich trotzdem, gerade bei meinem Lieblingsthema. Eine E-Mail von mir an den späteren Landesgeschäftsführer Andreas Keith aus dem Sommer 2013 liest sich, als habe sie der strebsamste Parteimann von allen verfasst. Ich regte einen Vortrag des Ex-Grünen und Islamkritikers Hans-Michael Höhne-Pattberg und ein Streitgespräch zum Thema an. »Habe einen Flyer in Arbeit, wo im Hintergrund oben die Stadt Essen, unten das Blau der AfD und das Logo zusammen mit dem Schriftzug ›Integration‹ stehen«, schrieb ich, und: »Würde bei Radio Essen und der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung Werbung für die Sache machen. Dazu kurz vorher Infostand, wo wir noch mal die Werbung für die Veranstaltung mitverteilen.« Ich schlug sogar eine Band vor, die »eher anspruchsvollere Musik macht mit Bratsche usw., auch passend zum Publikum«. Im September 2013 verpasste die AfD mit 4,7 Prozent recht knapp den Einzug in den Bundestag. Im Jahr darauf schaffte es Marcus Pretzell aus meiner Sicht überraschend auf einen halbwegs aussichtsreichen Listenplatz für die Europawahl und dann auch tatsächlich ins Parlament. Der spätere Mann von Frauke Petry positionierte sich in der AfD als Gegner des Bundesvorsitzenden und Wirtschaftsprofessors Bernd Lucke. Damit fuhr er gut.

Anfang 2015 machte unser Essener Vize-Kreisvorsitzender Stefan Keuter Schlagzeilen. Keuter, der schon bei einer Bank gearbeitet, Bier ausgeliefert und Pommes frittiert hatte, war ein undurchsichtiger Typ, der aber jederzeit den kumpeligen Ruhrgebietler geben konnte. Nun trat er bei Ausläufern von PEGIDA im Westen auf, zuerst in Düsseldorf. Die Bewegung PEGIDA, Abkürzung für Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, war neu. Sie hatte sich in Sachsen gegründet und brachte dort teils im Wochenrhythmus Tausende Menschen auf die Straße. Die Leute, die bei PEGIDA mitgingen, misstrauten den Medien und schienen Journalisten regelrecht zu hassen. Immer wieder kam es zu gewalttätigen Übergriffen. Einer der Anführer der Bewegung war Lutz Bachmann, ein Mann, der bereits mehr als ein Dutzend Mal verurteilt wurde, unter anderem wegen Diebstahls und »wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen«.

Dass einer wie Bachmann sich hinstellte und die Bedrohung der inneren Sicherheit beklagte, war mehr als lächerlich. Aber im Osten funktionierte PEGIDA perfekt.

Keuters Auftritt in Düsseldorf habe ich als nicht weiter schlimm in Erinnerung. Anschließend aber sagte Keuter eine Rede bei einer PEGIDA-Kundgebung in Duisburg zu. Einige Parteifreunde aus Essen begleiteten ihn, darunter auch ich. Im Kreisvorstand hatte es vorher intensive Diskussionen gegeben, nicht wenige hielten überhaupt nichts von einem solchen Auftritt des stellvertretenden Kreisvorsitzenden. Ich hingegen stand hinter Keuters Entscheidung – bis die Kundgebung in Duisburg losging.

»Keine Waffen, ist klar«, das war die erste Botschaft des Veranstalters. Er stand auf der Ladefläche eines Lastwagens und wusste wohl, warum er das sagte. Unter den 300 Zuhörern befanden sich nämlich auch Mitglieder rechter Kameradschaften. Es war dem Veranstalter zudem wichtig zu erwähnen, dass »friedlich« demonstriert würde. Und dass keine Journalisten bedroht würden. Dann durfte Keuter ans Mikro. Er wetterte sichtlich mit Gefallen gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und biederte sich ansonsten seinem Publikum nicht mit Bratsche, sondern mit Plattitüden an. Polizei und Verfassungsschutz zählten unterdessen die Rechtsextremisten auf der Kundgebung. Das Ergebnis fiel für mich nicht überraschend aus – ich hatte ja gesehen, was sich da für Typen bei Schneeregen zusammengefunden hatten. Die Sicherheitsbehörden verorteten rund 200 der 300 Teilnehmer in der rechtsextremen Szene und in Hooligan-Kreisen.

Keuter trat später noch bei einer weiteren Demo vor Rechtsextremisten auf. In gewisser Weise war er Anfang 2015 seiner Zeit voraus. In unserem Kreisverband allerdings trat aus Protest gegen Keuters Reden vor Rechtsextremisten ein anderer Vize-Vorstand zurück. Der Mann schrieb als Begründung in einer internen E-Mail, er werde es nicht hinnehmen, dass ein Vorstandsmitglied der AfD-Essen »Lügenpresse« skandiere. »Der wiederholte und zielgerichtete Gebrauch dieses diffamierenden Begriffes ist angesichts der vielfältigen Presselandschaft in Deutschland Unsinn. Darüber hinaus ist die Pressefreiheit – auch die Freiheit, kritisch zu berichten – für die AfD ein wesentlicher Bestandteil unserer demokratischen Grundordnung, die wir vorbehaltlos unterstützen und verteidigen. Die Unterstellung, dass die überwiegende Mehrzahl der Journalisten die Bürger bewusst belügen würde, ist absurd. Durch seine drei Reden vor einem jeweils stärker radikalisierten Publikum habe Stefan Keuter die klare Grenze zum Rechtsextremismus, die für eine konservative und bürgerliche AfD wesentlich ist, verwischt, heißt es weiter in der E-Mail.

Was soll man sagen, der Mann hatte recht. Sein Rücktritt aber verhallte ohne Effekt. Keuter stieg sogar auf, er wurde noch im selben Jahr Kreisvorsitzender in Essen. Und ich rückte als Beisitzer ebenfalls in den Kreisvorstand auf.

Im Bann der AfD

Подняться наверх