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Redner vor 300 Leuten

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Der Erfinder des Flügels bestätigte mich in diesem Vorhaben wenige Wochen später. Björn Höcke hielt im Januar 2017 seine berühmte Rede in einem Dresdner Ballhaus. Der Westdeutsche Höcke heizte seinem ostdeutschen Publikum im Stil eines Politikers aus der Zeit des Nationalsozialismus ein und ließ sich dabei auch zur deutschen Gedenkkultur und zum Holocaust-Mahnmal in Berlin aus. Von einer »dämlichen Bewältigungspolitik« sprach der frühere Geschichtslehrer Höcke, »die lähmt uns heute noch«. Er forderte eine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad« und bedauerte dann: »Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.«

Ein Fest für jeden Rechtsextremisten muss Höckes Auftritt gewesen sein – und ein Schlag ins Gesicht für alle AfD-Mitglieder, die wie ich keine Nazis in ihrer Partei haben wollten. Was Höcke mit seiner Rede sicherlich ebenfalls gelang: Er motivierte den politischen Gegner und damit auch all jene, die Anfang Februar in Münster zur großen Gegendemo aufriefen. Es ging gegen die AfD, die ins Rathaus in den Saal des Westfälischen Friedens geladen hatte. Für den Abend im Saal hatten wir 300 Eintrittskarten verschickt. 8000 Menschen wurden auf der Straße erwartet.

Der Abend im Rathaus war mir extrem wichtig, auch weil ich eines der Grußworte sprechen sollte. Tagelang übte ich, studierte Gesten vor dem Spiegel, hielt meine Rede auch vor meiner kleinen Schwester. Sie würde mitkommen, meine Eltern planten das ebenfalls und außerdem – das freute mich besonders – einige Freunde aus der Schule. Sie wollten sich das einfach mal anschauen, hatten sie gesagt.

Weil auch noch Kollegen aus der Jungen Alternative kamen, machte ich mit allen einen Treffpunkt aus, und zwar bewusst nicht direkt am Rathaus. Wir verabredeten uns am Aegidi-Markt, etwa 800 Meter entfernt.

Münsters Innenstadt war nicht wiederzuerkennen an diesem Freitag im Februar. Selbst im Parkhaus trafen wir auf Polizisten. Einer von ihnen sprach uns an, als er von unserer Idee hörte, mit mehr als einem Dutzend Personen gemeinsam zum Rathaus zu gehen. Der Beamte schüttelte den Kopf. Bei einer Gruppe dieser Größe könne er nicht für unsere Sicherheit garantieren.

Wir sollten warten, und das taten wir. Der Polizist trommelte inzwischen Kollegen zusammen, die sich dann um einen Stadtplan sammelten und besprachen, welcher Weg durch welche Gasse der beste sei. In Dreier- und Vierergruppen, nicht weit voneinander entfernt, schlängelten wir uns dann durch Gassen und Sträßchen zum Rathaus. Rund 20 Polizisten in Kampfmontur begleiteten uns in geringem Abstand.

Nach ein paar Minuten passierte, was wir hatten vermeiden wollen: Drei Schulfreunde, die am Ende gingen, wurden von Gegendemonstranten abgedrängt. Sie verloren den Anschluss. Uns gebot die Polizei weiterzugehen, jetzt wieder gemeinsam als größere Gruppe. Beamte umgaben uns. Völlig eingeschüchtert und dankbar für die Abschirmung erreichten wir in einer Polizistentraube den Hintereingang des jahrhundertealten Rathauses. Auch hier drängten sich Massen von Demonstranten. Manche beleidigten uns. Meine kleine Schwester wurde bespuckt. Die Verachtung für uns muss riesig gewesen sein.

Im Festsaal teilten wir unsere Erfahrung mit all den anderen, die es ins Rathaus geschafft hatten. Ein Parteimitglied, Wolfram Hoffmann, über 80 Jahre alt, hatten Demonstranten so sehr bedrängt, dass er zu Boden gegangen war. Situationen wie diese werden bei der AfD immer unbedingten Zusammenhalt hervorrufen. Ich vergaß im Saal des Westfälischen Friedens sogar für einen Moment meine Aversion gegen die Leute aus dem Höcke-Lager. Die feindliche und gefährliche Atmosphäre draußen hatte alle Teilnehmer unseres Neujahrsempfangs stark betroffen gemacht. Ich telefonierte noch mit den drei Schulfreunden, die wir verloren hatten. Sie kamen nicht rein. Da sie eher alternativ aussahen, fielen sie allein nicht weiter auf unter den Gegendemonstranten und konnten sich bis zum Portal des Rathauses vorarbeiten. Dort zeigten sie unauffällig zwei Polizisten ihre Eintrittskarten. Eigentlich war das ja geschickt gedacht: erst annähern, dann fix durch die Polizeikette schlüpfen und rein ins Rathaus. Doch die Beamten machten nicht mit. »Wenn ihr euch jetzt hier aus der Menge löst, kann das richtig gefährlich werden«, sagten sie, »ihr wirkt für einige hier dann wie Verräter. Steckt eure Karten weg und geht nach Hause.« Das taten meine Schulkumpels dann auch.

Ich versuchte, das zu verdrängen, denn ich musste mich langsam auf mein Grußwort konzentrieren; es sollte der erste Redebeitrag sein. Aufgeregt war ich schon, aber im Grunde war das Schlimmste bereits überstanden, als ich den Saal erreicht hatte. Das Wohlwollen des Publikums spürte ich von Beginn an. Und es wuchs, als ich von »unkontrollierter Masseneinwanderung«, von »vielfachem Integrationsunwillen von Asylbewerbern«, von No-go-Areas in deutschen Städten und von einem »in weiten Teilen handlungsunfähigen Rechtsstaat« sprach. All das waren Begriffe, die in der AfD verfingen, die Stimmung und Applaus brachten. Ich wollte darauf nicht verzichten. Kaum jemand wollte damals in der AfD darauf verzichten. Ich zitierte aber auch Rosa Luxemburg, Freiheit sei immer die Freiheit der Andersdenkenden. Und ich stellte für die Junge Alternative im Bezirk Münster fest: »Wir sind nicht fremdenfeindlich. Wir sind nicht homophob. Und wir sind auch keine Rassisten.« Für den Bezirk Münster mochte das stimmen. Was mir im Rückblick wichtig ist: Ich grenzte mich von Extremisten ab, von denen ganz links, aber auch von jenen weit rechts.

Die knapp 300 Menschen im Saal, die sich an diesem Tag verständlicherweise als ausgegrenzte, fast schon verfolgte Minderheit fühlten, spendeten tosenden Beifall. Während meiner Rede hatte ich die Stargäste sehen können, die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry und den AfD-Landesvorsitzenden Marcus Pretzell. Sie saßen in der ersten Reihe und schauten schon bald nicht mehr auf ihre Handys. Als ich fertig war, standen auch Petry und Pretzell auf und applaudierten.

Der enorme Zuspruch im Rathaus trug mich noch einige Tage. Allerdings blieb es dabei, dass ich aus anderen Teilen der Gesellschaft Ablehnung spürte. Das traf auch auf ein Milieu zu, das mir extrem wichtig ist: die Kirche.

55 Prozent der Münsteraner sind katholisch, im Umland könnte die Quote gar noch höher sein. Meine Familie und ich gehören ebenfalls dazu. Bei uns im Viertel sagt man schon mal »Grüß Gott« zueinander. Ich besuche auch heute mindestens einmal in der Woche einen Gottesdienst. Da bin ich dann einer von Hunderten.

Als Messdiener hörte ich in meiner Kirchengemeinde mit 16 auf, wollte anschließend eigentlich Lektor werden. Aus meiner Sicht sprach nichts dagegen, doch die Zusage ließ auf sich warten. Nach einigen Wochen fragte ich meinen Priester Thomas, dem ich mich seit Jahren verbunden fühlte. So erfuhr ich den Grund: Im Pfarrgemeinderat habe sich die Mehrheit dagegen ausgesprochen. Ein AfDler, hieß es, solle nicht an der Kanzel stehen und die Lesung halten. Ich war wütend. Und enttäuscht.

Und meine Kirche ging noch ein weiteres Mal auf Distanz zu mir. Die Pastoralreferentin der benachbarten Gemeinde wandte sich aufgeregt an meinen Priester, sie habe mich am Infostand der AfD gesehen. Mein Priester rief dann bei uns zu Hause an und bekam meinen Vater ans Telefon, der ihn bat, mit mir persönlich darüber zu sprechen. Das Gespräch fand wenig später im Wohnzimmer meines Priesters statt.

Thomas war locker drauf. Er holte uns ein Bier und dann begann er, mich zu löchern. Er wollte erfahren, ob das für mich zusammenpasse, die Lehre der Katholischen Kirche und das politische Programm der AfD. Dass ich kein Rassist oder Fremdenfeind sei, wisse er. Wir sprachen lange, und ich konnte auch nicht alles rechtfertigen, was da so von AfD-Leuten in die Öffentlichkeit gelangte. Manchmal distanzierte ich mich. Mir war aber wichtig, dass nicht alle in meiner Partei wie Höcke dachten. Ich wollte, dass die Kirche uns dieselbe Chance gibt wie den Grünen. Die hatten sich ja Anfang der Achtzigerjahre auch erst mal von einigen Radikalen trennen müssen.

Thomas blieb skeptisch. Ihm war schon wichtig, dass sich in seiner Gemeinde jeder wohlfühlen konnte, egal wie er politisch dachte. Tatsächlich ging es dort ziemlich liberal und weltoffen zu. Christen afrikanischer Herkunft wurden von Thomas und seinen Leuten in das Gemeindeleben eingebunden. Solidarität wurde gelebt; meine Mutter zum Beispiel sammelte früher Kleiderspenden für nigerianische Familien in unserer Gemeinde.

Thomas sagte, er selbst sei parteipolitisch neutral. Für mich war er klar bei den Grünen zu verorten, aber das sagte ich in dem Moment nicht. Am Ende des Gesprächs versprach ich ihm, dass ich die Reißleine ziehen würde, wenn Leute wie ich in der Partei keine Mehrheit mehr hätten.

Habe ich mein Versprechen gehalten? Die Antwort lautet Ja, wenn ich auf die AfD in Münster schaue. Hier präsentierten wir bei der Kommunalwahl im September 2020 acht Kandidaten mit Migrationshintergrund, darunter Menschen aus Iran, Mexiko und Mosambik. Hier hatten wir den Flügel weit zurückgedrängt. Hier dominierten die Gemäßigten auch noch, als ich im Frühjahr 2021 aus der Partei austrat. Hier schaffte die AfD mit einem nepalesischen Kriegsflüchtling sogar den Einzug in den Integrationsrat der Stadt. Allerdings waren der Kreisverband und auch unsere Strukturen im Bezirk Münster da bereits eine Art gallisches Dorf innerhalb der AfD geworden.

Im Bann der AfD

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