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VORWORT

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Worum es uns geht

Der Parteikollege hatte sich schon mehrfach beklagt, aber jetzt konnte er nicht mehr. »Ich hab’s satt«, schrieb er im Juni 2018 in den WhatsApp-Chat »Walczak’s Sixteen«. In dieser Gruppe tauschten wir uns damals mit anderen gemäßigten jungen AfD-Mitgliedern aus. Der heutige Hamburger AfD-Bürgerschaftsabgeordnete Krzysztof Walczak hatte sie erstellt.

»Jeder normale Mensch greift sich doch an den Kopf und würde fragen, ob wir noch alle Latten am Zaun haben. Zu Recht!«, schimpfte der Parteikollege. »Ich habe so langsam keinen Bock mehr auf diesen Menschenmüll, der bei uns einläuft.« Mit »Menschenmüll« meinte er Rechtsextremisten, die massiv in die Junge Alternative (JA) drängten, die Nachwuchsorganisation der AfD.

Der Kollege zählte zu den Älteren in unserer WhatsApp-Gruppe, er kannte die Jugendorganisation und auch die Partei selbst bereits ziemlich gut. Seine Prognose über die Neonazis im AfD-Nachwuchs fiel eindeutig aus. »Die kriegen wir auch nicht raus«, schrieb er. Er werde »für keinerlei Konsens mehr bereitstehen mit diesen Affen«.

Wir haben den Kollegen damals gemeinsam beruhigt. »Defätismus einstellen«, gab ein erfahrenes Gruppenmitglied vor. »Nüchtern und rational bleiben.«

Der Parteikollege hat dann erst einmal weitergemacht. Auch wir haben weitergemacht, in der Jungen Alternative und in der AfD selbst. Der eine von uns war sechs, der andere sieben Jahre lang Mitglied der Alternative für Deutschland.

Wir haben mit Menschen zusammengearbeitet, die auf Facebook, WhatsApp oder Telegram Sätze gepostet haben wie diese:

»Schwule sind in meinen Augen meistens Viecher.«

»Es ist absurd zu behaupten, Juden sind Deutsche.«

»Das einzige Ticket, das ich einem Flüchtling wirklich geben würde, wäre ein Expresszug nach Auschwitz-Birkenau.«

Die Urheber dieser Aussagen würden vielleicht anmerken, die Zitate seien aus dem Zusammenhang gerissen, nur: Kein Zusammenhang kann solche Sätze erträglicher machen. Oder weniger lächerlich, wenn man an den Parteikollegen denkt, der heute stellvertretender Landesvorsitzender in der Jungen Alternative Bayern ist. Er forderte, Masturbation generell einzustellen, »da sie einen der schöpferischen Energie, vieler Nährstoffe und männlicher Kraft beraubt«.

Wir haben bei der AfD nicht nur unseren Mitgliedsbeitrag bezahlt, entsprechend gewählt und ab und an mal eine Versammlung besucht. Bei der Parteiarbeit zeigten wir Begeisterung, Kompetenz und vollen Einsatz. Wir stiegen auf, machten Karriere; in jungen Jahren ging es für uns ziemlich weit nach oben. Man vertraute uns, nahm uns ernst, und so bekamen wir vieles mit. Die AfD bestimmte bald unseren Alltag – und in Teilen sicher auch unser Denken.

Warum macht man über Jahre mit in einer Partei, in der derart verächtlich über Minderheiten geredet wird? In der sich bis heute Antisemiten tummeln, Rassisten und Menschen, die die Vernichtung der Juden durch die Deutschen kleinreden oder komplett infrage stellen? In einer Partei, in der die Idee nicht verschwunden ist, Deutschsein so zu definieren wie nach 1933?

Warum macht man mit in einer Partei, in der sich regelmäßig menschliche Abgründe auftun? Warum verlässt man sie nicht früher?

Es ist gar nicht so einfach, solche Fragen zu beantworten. In diesem Buch versuchen wir es.

Dabei werden wir bewusst zu Kronzeugen des Innenlebens einer Partei, deren Entwicklung sich ihre Gründer 2013 wohl anders vorgestellt haben. Wir wollen zeigen, wie die AfD jenseits der Schlagzeilen beschaffen ist und wie sie funktioniert. Wie und wohin sie sich entwickelt hat. Und wie in der AfD wirklich gesprochen, geschrieben und gedacht wird.

Unsere Erfahrungen und Erlebnisse schildern wir auf der Basis interner Dokumente. Die AfD kommuniziert zu großen Teilen schriftlich. Nahezu alles wird in den ungezählten Chats besprochen. Ein Spitzenpolitiker der AfD riet uns früh, alles Schriftliche aufzuheben. Er meinte, es könne nicht schaden, etwas in der Hand zu haben gegen den einen oder anderen Parteifreund. Wir müssen zum Glück aber niemandem mehr kompromittierendes Material vorhalten und ihn so gefügig machen.

Protokolle des AfD-Bundesvorstands und des Landesvorstands in Nordrhein-Westfalen, E-Mails und Sprachnachrichten, Screenshots und Chats: Mit solchen Dokumenten1 konnten wir das Handeln von Parteikollegen dokumentieren und zugleich unser eigenes Tun rekonstruieren. Manchmal sind wir dabei erschrocken.

Das Politische, der persönliche Aufstieg, das Menschliche – bei der AfD verschmilzt all das. Man engagiert sich in dieser Partei mit Haut und Haaren, das galt für uns und das gilt wohl auch für die allermeisten anderen dort. Man steigert sich hinein in die Sache, hält sein Wirken schnell für wichtig und richtig. Und man bekommt intern viel Bestätigung. Unbeschmutzt bleibt man dabei nicht. Man sagt dann, was opportun erscheint, oder, um es deutlicher zu machen: Man hetzt auch mal mit.

Es waren Ausnahmen, aber auch wir selbst haben Dinge gesagt, die unangemessen und falsch waren und im Grunde gar nicht gingen. Einer von uns schrieb auf Facebook »Deutschland erwache« unter ein Bild vom AfD-Infostand in der Fußgängerzone. Eine Nazi-Parole, unverzeihlich, auch wenn man 17 Jahre alt ist und den Ursprung des Slogans nicht kennt. Einer von uns verglich die Antifa mit der SA. Und einer von uns provozierte zum muslimischen Fastenmonat Ramadan auf Facebook mit dem Bild einer Schweinshaxe. Lustig gemeint, tatsächlich aber nur verächtlich und respektlos.

Gegen das Abdriften immer weiter nach rechts haben wir uns in der AfD allerdings vehement gestemmt. Auch davon erzählt dieses Buch: wie extrem rechte Kräfte in eine Partei sickern und dann irgendwann so stark sind, dass ohne sie nichts mehr funktioniert. Jörg Meuthen ist dafür ein gutes Beispiel. Er gibt heute den überzeugten Höcke-Gegner, hat dadurch das Vertrauen großer Teile der Partei verloren. Seine Position ist so schwach, dass er als Parteivorsitzender nicht einmal gewagt hat, sich um eine Kandidatur für den Bundestag zu bewerben.

Über das Schachern und Dealen haben wir in der AfD viel gelernt. Ein guter Teil der Aktiven rackert nicht der Inhalte, sondern bezahlter Posten, Stellen oder Mandate wegen. Am Ende geht es vielen Politikern dieser Partei schlicht um Einkünfte, die sie mithilfe des politischen Engagements erzielen wollen, entweder persönlich oder indirekt über andere.

Was uns wichtig war beim Recherchieren und Schreiben dieses Buches: Wir wollten die AfD so zeigen, wie sie sich selbst einschätzt. Dabei haben unsere eigenen Eindrücke geholfen, vor allem viele interne Aussagen. Die Basis spricht ungeschminkt, der Bundesvorsitzende manchmal auch. Am 21. April 2021 nahm Jörg Meuthen an einer Online-Veranstaltung mit jüngeren Parteimitgliedern teil. Das Zoom-Meeting hatte das Thema »Konservative Jugend im Gespräch mit Bundessprecher Jörg Meuthen«. Dieser sagte dann:

»Reden wir ehrlich miteinander. Da gibt es verschiedene Strömungen, und die sind so weit auseinander, dass die relativ wenig miteinander zu tun haben. Das gibt’s in der JA, das gibt’s in der AfD auch. Trotzdem sind wir unter einem Dach. Und es gibt Zeiten, in denen man diese Sachauseinandersetzung führen muss, um zu schauen, wo steht man. Und es gibt Zeiten, in denen das ruhen muss.«

Meuthen hatte an diesem Abend offenbar überhaupt keine Lust, irgendetwas schönzureden. Die tiefe, zuweilen hasserfüllte Gegnerschaft der beiden AfD-Lager leugnete er nicht. Allerdings bat er, dem Wähler davon nichts zu zeigen:

»Im Wahlkampf muss das ruhen. Denn wenn wir das allzu deutlich werden lassen, wie unterschiedlich die Strömungen sind und wie unversöhnlich – sind wir ehrlich – man sich zum Teil auch gegenübersteht, dann werden wir nicht gewählt.«

Der Parteichef Meuthen mag aus taktischen Gründen die Wirklichkeit verschweigen, das ist legitim. Unser Anliegen ist ein anderes.

Bochum und Münster, Mai 2021

Nicolai Boudaghi und Alexander Leschik

1Alle Zitate aus Chats, Briefen und anderen Quellen sind in korrekter Rechtschreibung und Zeichensetzung wiedergegeben.

Im Bann der AfD

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