Читать книгу Die Caravaggio-Verschwörung - Nicole-C. Vosseler - Страница 10

5. Kapitel

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Mit dem Ellenbogen drückte Caterina die Tür auf und schob sich mitsamt dem beladenen Tablett in das Zimmer. »Guten Morgen, nonna.«

Obwohl Caterina nach ihrer Rückkehr in den Palazzo in der vergangenen Nacht weniger als eine Handvoll Stunden Schlaf bekommen hatte, war sie zum Morgengeläut von San Domenico Maggiore leichtfüßig aus ihrem Bett gehüpft. Nur der Anflug eines wattigen Gefühls in ihrem Kopf trug Zeugnis davon, dass sie für Riccardo den Großteil ihrer Nachtruhe geopfert hatte, mehr als aufgewogen jedoch durch das Gefühl, auf Schwingen durch den neuen Tag zu gleiten.

»Guten Morgen, mein Kind«, kam die fröhliche Antwort von der Bettkante her und eine wesentlich kräftigere und tiefere Stimme, die dennoch unverkennbar weiblich war, rief: »Strahlend wie der junge Tag! Einen wunderschönen guten Morgen Euch, Donzella Caterina!«

»Guten Morgen, Paola«, erwiderte Caterina den Gruß der Kammerzofe und dann denjenigen Fiorellas, der Wäschemagd, die kurz mit ihrer Beschäftigung innehielt und vor Caterina knickste, bevor sie damit fortfuhr, die gebrauchten Laken und Kissenbezüge zu einem festen Bündel zu verschnüren.

Solange Caterina zurückdenken konnte, war Paola an der Seite ihrer Großmutter gewesen, und so selbstverständlich, wie Paola sich früher um die feinen Kleider und kunstvollen Frisuren Rosangela di Salernos gekümmert hatte, war sie dazu übergegangen, mehr und mehr die Aufgaben einer Pflegerin zu übernehmen, ebenso tüchtig wie liebevoll zupackend.

Mit geübten Griffen stopfte Paola die Kissen im Rücken zurecht, sodass die alte Frau aufrecht sitzen konnte, und strich die Decke mit dem Rankenmuster über ihr glatt. Mit schweren Schritten watschelte Paola dann zum Fenster und trug das Tischchen, das darunter stand, an das Bett, damit Caterina das Tablett darauf abstellen konnte.

»Vielen Dank, Paola.«

»Gerne, Donzella Caterina.« Paola deutete einen Knicks an, den sie dann in Richtung ihrer Herrin wiederholte. »Ihr läutet, wenn Ihr mich braucht, Donna Rosangela – Donzella Caterina.« Ein erneuter Knicks, dieses Mal als Verabschiedung gemeint, und Paola und Fiorella verließen das Zimmer mit Wäschebündel, Nachttopf und Waschschüssel.

»Schau, was ich dir aus dem Hof mitgebracht habe.« Caterina nahm die Vase vom Tablett, ergriff eine der runzligen Hände und legte sie sachte auf die Blütenzweige. Die andere folgte sogleich wie von selbst nach und mit einem verklärten Lächeln betastete und befühlte ihre Großmutter das lanzettförmige, feste Laub und die Sternblüten des Oleanders, die gezackten, weichen Blätter der Rosen mit der wachsartigen Oberfläche, deren Ästchen Caterina sorgsam von jedem noch so winzigen Dorn befreit hatte, und die üppig-seidigen Blüten.

»Welche Farbe haben sie?«

»Blasses Rosa die Rosen und reinstes Weiß der Oleander.«

Ihre Großmutter zog Caterinas Hände mit der Vase an ihr Gesicht und vergrub Wangen und Nase in den Blütenköpfchen, sog hörbar tief den süßen Duft ein. »Oh welche Wonne«, hörte Caterina sie murmeln, »welch eine Herrlichkeit!« Schließlich hob die alte Frau den Kopf und das Strahlen auf ihren Zügen ließ sie für einige Momente wieder gesund, beinahe jung wirken. »Hab tausend Dank, mein Mädchen.«

»Ich stell sie dicht an den Rand deines Nachttischs. Dann kannst du immer daran schnuppern«, erklärte Caterina und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: »Willst du nicht endlich Paola bei dir im Zimmer schlafen lassen? Es wäre mir lieber, sie wäre in deiner Nähe, sollte nachts etwas sein.«

»Paola schnarcht«, verkündete Rosangela di Salerno mit Nachdruck. »Das höre ich von dort oben«, ihr Zeigefinger stach in Richtung der Decke und gleich darauf in das Laken unter ihr, »bis hier herunter. Hätte ich sie des Nachts mit im Zimmer, würde ich gar kein Auge mehr zubekommen!« Das faltige Gesicht zog sich zu einem listigen Ausdruck zusammen. »Aber ein schlauer Einfall von dir! Mir Paola als nächtliche Kammergefährtin aufschwatzen zu wollen, damit ihr Schnarchen die Geräusche übertönt, wenn du dich das nächste Mal heimlich zu einem Stelldichein aus dem Haus stiehlst.«

»Pah«, machte Caterina, als sie sich auf der Bettkante niederließ und das Tischchen mit dem Tablett zurechtrückte. »Das nächste Mal werde ich mich geschickter anstellen und zu verhindern wissen, dass du mich dabei erwischst!«

»Du freches Ding«, rief die alte Frau vergnügt und verabreichte Caterina mit dem Handrücken erstaunlich zielsicher einen Klaps auf die Hüfte. »Du bist kein Haar besser als deine Mutter es einst war!«

»Ich weiß«, gab Caterina lachend zurück und entfaltete das Mundtuch. »Das hat sie auch immer zu mir gesagt.«

»War es denn schön – gestern?« Die Stimme ihrer Großmutter war unvermittelt leise und sanft geworden.

Caterina schoss das Blut ins Gesicht und sie zupfte mehr als nötig an dem fein gewebten weißen Leinenstoff herum. Die gleiche Frage war mit schlafverklebter Stimme von Anna gekommen, als Caterina sich letzte Nacht in ihrem Schlafgemach aus Annas Sachen geschält hatte. Anna war bis gestern die Einzige gewesen, die von Riccardo gewusst hatte; die Einzige, der Caterina ihr Herz ausschütten konnte, wenn es an manchen Tagen vor Glückseligkeit beinahe zu platzen drohte. Dass nun durch Zufall ihre betagte Großmutter ebenfalls zur Mitwisserin geworden war, befremdete und verunsicherte Caterina; dementsprechend kleinlaut klang sie, als sie die Frage bejahte.

Sie fing sich jedoch schnell wieder und fand Halt an den geübten Handbewegungen eines jeden Morgens, als sie den Saum des Mundtuchs in den gerüschten Kragen des Nachthemds steckte und das Tuch über der eingefallenen Brust ausbreitete. Die Greisin ruckte unwillig mit dem Kopf und zog die Mundwinkel verdrießlich nach unten. »Ich mag nichts essen.«

»Nonna, du musst!« Caterina füllte einen Löffel voll süßen Getreidebrei mit weich gekochten Apfelstückchen. Doch noch ehe der Silberlöffel ihre Lippen erreicht hatte, bog die alte Frau erneut den Kopf zurück. »Ich mag nicht!«, wiederholte sie wie ein bockiges Kleinkind.

»Bitte, nonna – mir zuliebe!«

»Nur«, siegessichere Vorfreude malte sich auf die Züge des altersgegerbten Gesichts, »nur, wenn du mir von deinem cavaliere erzählst!«

Caterina rollte mit den Augen, entgegnete aber unverändert freundlich: »Wenn du aufgegessen hast, erzähle ich es dir – vielleicht.«

»Nein, erst erzählst du mir alles, dann esse ich – vielleicht.«

Caterina unterdrückte ein Seufzen. Eine energische Person war Rosangela di Salerno immer gewesen. Sie hatte es auch sein müssen, um das Handelshaus nach dem frühen Tod ihres Gatten Saviano weiterzuführen. So lange, bis Caterinas Vater Federico alt und erfahren genug gewesen war, um die Geschäfte in die eigene Hand nehmen zu können. Federico, dem es als einzigem von drei Söhnen gelungen war, nicht nur das Erwachsenenalter zu erreichen, sondern auch noch eine eigene Familie zu gründen. Jene Familie, von der nur er selbst und Caterina übrig geblieben waren. Caterina war die letzte der di Salernos und dieses Wissen, zusammen mit der Verantwortung für das Haus und ihre Großmutter, lastete schwer auf ihr.

»Nonna – bitte!«, wiederholte sie, schärfer diesmal, und biss sich gleich darauf für ihre zornige Ungeduld auf die Zunge. Sanfter fuhr sie fort: »Nur ein paar Löffel!«

»Nur wenn du mir von ihm erzählst!«

»Unter einer Bedingung: Du sagst niemandem etwas davon – auch Paola nicht, und schon gar nicht Vater! Und du isst Löffel um Löffel, während ich es dir erzähle.«

»Das sind aber zwei Bedingungen!« Als Caterina hörbar Luft holte, um zu einer heftigen Erwiderung anzusetzen, gab ihre Großmutter ein Glucksen von sich. »Va bene«, stimmte sie zu. »Das ist ein gutes Geschäft.« Sie nickte zufrieden und öffnete brav ihren Mund.

»Riccardo heißt er also«, murmelte Rosangela di Salerno matt, die Augenlider halb geschlossen. Die alte Frau kämpfte sichtlich darum, dem Sog nicht nachzugeben, der sie wieder in ihren Dämmerzustand hinabzuziehen drohte; darum, noch länger in dem klaren Bewusstsein zu verharren, das sie während der vergangenen Stunde so sichtbar genossen hatte. Wie um Hilfe bittend, streckte sie ihrer Enkelin die geöffnete Hand entgegen, die diese ergriff. »Du erzählst mir später doch mehr von ihm? Oder morgen?«

»Versprochen«, flüsterte Caterina und spürte, wie der Händedruck der Greisin nachgab, wie die Atemzüge langsamer wurden, flacher. Caterina beugte sich vor und küsste die Wange der alten Dame. »Ruh dich aus, nonna«, murmelte sie und strich ihrer Großmutter sanft über Stirn und Schläfen. Leise erhob sie sich von der Bettkante, nahm das Tablett auf und ging rasch zur Tür – heute gab es für sie viel zu tun.

Die Caravaggio-Verschwörung

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