Читать книгу Die Caravaggio-Verschwörung - Nicole-C. Vosseler - Страница 7

2. Kapitel

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Fünf Monate zuvor, zu Beginn des Monats Mai

Nachdem Caterinas Zofe Giuliana im Frühling den Palazzo verlassen hatte, um einen Genueser Schiffskapitän zu heiraten, war an ihrer statt ihre junge Base Anna ins Haus gekommen. Caterina, die sich schnell mit Anna angefreundet hatte, stellte bald fest, dass diese keineswegs das unverdorbene Mädchen vom Lande war, für das ihr Vater das neue Dienstmädchen halten mochte. Anna hatte schon viele Jungen geküsst – und nicht nur das; mit hochroten Wangen hatte Caterina den Erlebnissen in Heuschobern und nächtlichen Sommerwiesen gelauscht, die Anna Abend für Abend im Flüsterton mit ihr geteilt hatte. Und Anna hatte Caterina auch anvertraut, dass sie ein Auge auf Giovanni – einen der Wächter der di Salernos – geworfen hatte, mit dem sie sich zum Fest des Blutwunders von San Gennaro vor dem Palazzo verabredet hatte.

Caterina hatte einen neidvollen Stich verspürt. Das Fest von San Gennaro, dem Schutzpatron Neapels, war eine der wichtigsten Feierlichkeiten in der Stadt – und eine der lebhaftesten; genau deshalb hatte Caterina noch nie dabei sein dürfen. Der heilige Gennaro war im Zuge der Christenverfolgung den Märtyrertod gestorben. Seine Gebeine und eine Ampulle mit seinem vergossenen Blut hatten in Neapel ihre letzte Ruhestätte gefunden und zweimal im Jahr, im September und am Tag vor dem ersten Sonntag im Mai, ließen die inbrünstigen Gebete der versammelten Gläubigen das vor eintausenddreihundert Jahren geronnene Blut sich verflüssigen. Ein Wunder, das nun schon einige Jahrhunderte lang der Stadt Neapel und ihren Menschen Glück versprach.

Dabei lag Caterina nichts an der feierlichen Messe im duomo, dem mächtigen Dom der Stadt, in dem der alte Ritus des Blutwunders abgehalten wurde. Vielmehr war es das Volksfest rings um den Dom, das Caterina lockte: sich unter die Feierlustigen zu mischen, den Gauklern bei ihren Kunststücken zuzusehen und vor allem zu tanzen, die neapolitanische Tarantella, wild und schwindelerregend schnell.

Im Nachhinein hatte keines der beiden Mädchen mehr zu sagen gewusst, wer von ihnen als Erste auf den Gedanken verfallen war, Caterina sollte einfach mit auf das Fest kommen. Gemeinsam jedoch heckten sie bis in jede noch so kleine Einzelheit aus, wie dieses Unterfangen zu bewerkstelligen wäre.

Jener Samstag war dafür wie geschaffen gewesen. Anna hatte Caterina nur zu gerne ihre Dorftracht geliehen, konnte sie so doch mit gutem Gewissen ihr schönes messingfarbenes Kleid tragen, das ihr als Dienstkleidung von Federico di Salerno gestellt worden war und ihr so gut zu ihrem schwarzen Haar stand.

Das Kontor war aufgrund des Festtages geschlossen geblieben, der sonst so betriebsame Innenhof des Palazzos lag vollkommen verlassen da. Das immens große Glück aber bestand darin, dass Federico di Salerno, der selbst an hohen Feiertagen zu arbeiten und dabei ruhelos zwischen Geschäfts- und Wohntrakt hin- und herzupendeln pflegte, für ein paar Tage auf Sizilien weilte, der Geschäfte wegen. Daher war es den beiden Mädchen ein Leichtes gewesen, ungesehen durch das Eingangstor zu schlüpfen und sich flugs unter die Schaulustigen entlang der Via Benedetto Croce zu mischen, noch ehe der Wachposten jenseits des Tores sie auch nur aus dem Augenwinkel bemerkt hatte.

Für Caterina war es ein bisschen Furcht einflößend, vor allem aber wunderbar gewesen, im Menschenpulk zu stehen und die Prozession zu verfolgen. Aus den Fenstern und von den schmiedeeisernen Balkonen, mit Bahnen bunter Seide behängt, regnete es Rosenblätter. Als sich der Zug an geistlichen Würdenträgern gemessenen Schrittes näherte, wurden die Schaulustigen unruhig. Die Menschen begannen, zu drängeln und zu schieben, um möglichst gute Sicht auf die Silberbüste des Schutzheiligen zu erhalten. Caterina und Anna hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten, doch sogleich war ihnen Giovanni zu Hilfe gekommen und schirmte sie gegen die wogende, bedrohliche Masse der Leiber ab. Als die letzten Priester der Prozession vorübergeschritten waren, teilte sich die Menge wie einst das Rote Meer. Ein Großteil der Neapolitaner reihte sich in die Prozession ein, um San Gennaro durch das traditionelle Karree an Häuserblöcken zurück zum duomo zu folgen. Alle anderen jedoch zog es in die entgegengesetzte Richtung, die Via Benedetto Croce hinauf und ohne Umweg direkt zum Domplatz, mit dem Ziel, den Tag des Heiligen richtig kräftig zu feiern – darunter auch Caterina, Anna und Giovanni.

Über den Festplatz vor dem mächtigen Leib des duomo zu schlendern, war für Caterina wie das Betreten einer fremden Welt gewesen. Wie das Eintauchen in eine tosende See aus Menschen, das ihr auf der Haut prickelte und wohlig die Härchen auf den Unterarmen aufstellte. Während Anna und Giovanni nur Augen füreinander gehabt hatten, hatte Caterina sich nicht an den aufgebauten Ständen sattsehen können. Kleine Büsten und Statuen im Miniaturformat von San Gennaro wurden feilgeboten, Kreuze und Kruzifixe, Engelsfiguren und Madonnen.

Dazwischen wurde angepriesen, was Leib und Seele zusammenhielt und das eigentliche Wesen des Festes ausmachte. Süßigkeiten vor allem; wie die sfogliatelle, ein kugel- oder muschelförmiges Gebäck aus Mehl, Zucker und Grieß, Butter und Eiern, mit ricotta – Frischkäse – und kandierten Früchten, abgeschmeckt mit Vanille und Zimt. Überhaupt waren kandierte Früchte die beliebteste aller Süßigkeiten, wie gezuckerter Ingwer, von einer Kruste aus weißen Kristallen umhüllte Pflaumen, Kirschen, Orangenspalten oder Zitronenscheiben. Doch auch dem herzhaft gesonnenen Gaumen wurde Rechnung getragen, der sich an knusprig gebackenen Brotringen, den taralli, gütlich tun konnte, deren Teig mit reichlich Schmalz und Pfeffer angerührt wurde. In Öl gebratene Sardinen mit einem Spritzer Zitrone waren dazu ein gern genossener Imbiss, ebenso Fladenbrot – wie jede Art von süß, salzig oder scharf belegtem Teig pizza genannt – , das Broccoli beherbergte, Muschelfleisch und Tintenfisch, Spargel, Artischocken, Oliven, Zwiebeln und zerlaufene Scheiben von mozzarella, die weißen oder gelblichen Kugeln aus Büffelmilchkäse.

Caterina war das Wasser im Mund zusammengelaufen, doch noch ehe sie sich entschieden hatte, wofür sie als Erstes ein paar ihrer Carlini ausgeben sollte, war es auch schon geschehen. Eben noch hatte sie fasziniert zugeschaut, wie Anna und Giovanni einander küssten, als eine Horde Gassenjungen johlend und lachend über das Pflaster rannte und sich schubsend und boxend eine Schneise durch das Festvolk schlug. Dicht gefolgt nicht allein von dem zornesroten Bäcker, dessen Stand sie offensichtlich geplündert hatten, sondern auch von einer Anzahl hilfsbereiter und prügelwilliger Bürger. Als Meute und Jäger zwischen Caterina und dem frisch verliebten Pärchen hindurchwalzten, erhielt Caterina einen tüchtigen Hieb gegen die Schulter, der sie taumeln machte. Und sofort schlossen Gaffer und unbeteiligte Flaneure die Lücken in der Menge, die gerade eben entstanden waren.

Sobald Caterina wieder fest auf beiden Beinen stand, drehte sie sich unter suchenden Blicken mehrfach um sich selbst. Doch auch als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und den Hals reckte, konnte sie Anna und Giovanni nirgendwo entdecken.

»Kann ich dir helfen?«

Caterina fuhr herum. Die Stimme hatte zu einem Jungen mit hochgerollten Hemdsärmeln gehört, der an einem der Stände Wein aus irdenen Krügen ausschenkte, nur wenige Schritte von Caterina entfernt. Obwohl er gut zu tun hatte, nahm er sich zwischen seinen schnellen, aber ruhig ausgeführten Handgriffen die Zeit, Caterina fragend zu mustern.

Caterina hatte zuerst nur verneinend den Kopf schütteln wollen, als der Junge sie angesprochen hatte, war dann aber wie von einer unsichtbaren Hand vorwärtsgeschoben näher gekommen, bis sie direkt vor ihm stand und zaghaft meinte: »Ich habe meine Kammerz... meine Freundin verloren. So viel größer als ich«, sie hob die Hand waagerecht ein Stück über den Scheitel der von Anna geliehenen Haube, »schwarze Haare, messingfarbenes Kleid und einen Leberfleck am Kinn. Und ihr Freund ist noch größer, ein Bär von einem Kerl, mit rötlichem Haar und Sommersprossen. Hast du die beiden vielleicht gesehen?«

»Leider nicht. Aber wart doch solange hier. Von hier aus hast du einen besseren Überblick und wirst außerdem selbst besser gesehen als im Gedränge.« Sprach’s und hielt Caterina mit freundlichem Nicken einen gefüllten Becher hin. Hastig begann Caterina in ihrer Schürzentasche nach ein paar Sestini zu kramen, doch der Junge schüttelte den Kopf. »Lass nur. Spendier ich dir.« Aufmunternd hob er den Becher kurz an, und als Caterina ihn entgegennahm, berührten sich ihre Finger. Ein heißes Prickeln schoss durch Caterinas Hand, den Arm hinauf, und das Blut stieg ihr ins Gesicht, noch ehe sie den ersten Schluck getrunken hatte.

Sie murmelte ein hastiges »Danke« und nippte schnell an ihrem Wein.

»Du kommst nicht oft auf solche Feste, oder?«

Caterina schüttelte den Kopf. Die verwünschte Röte, die ihr Wangen und Stirn glühen ließ, breitete sich immer weiter aus.

»Lässt dich deine Herrschaft so hart schuften?«

Caterina nickte erneut und leistete stumm Abbitte für diese wortlose Lüge, die im Grunde jedoch nur eine halbe war, denn viel zu tun im Haus hatte sie ja ohne jeden Zweifel.

»Wo arbeitest du denn?«

»In . . . in . . .« Sie suchte verzweifelt nach einer Antwort, die möglichst weit von der Wahrheit entfernt war, stotterte dann aber mangels eines zündenden Einfalls hervor: »Im Pa-Palazzo Sal-Salerno.«

Er pfiff leise durch die Zähne, als er sich bückte und den Stopfen des Weinfasses neben ihm herauszog, um einen leeren Krug zu befüllen. »Dann kann ich mir vorstellen, dass du keine Zeit zum Feiern hast. Der reiche Pfeffersack soll seinen Leuten einiges abverlangen, hab ich gehört. Aber sonst hat man’s bei ihm wohl recht gut, Lohn und Extras und so.«

Caterina nickte wieder nur und wusste nicht, ob sie loslachen sollte ob dieser treffenden Beschreibung oder diesem Burschen seinen Wein gleich wieder entgegenschütten, zur Strafe dafür, dass er solch lose Reden über ihren Vater im Munde führte. Dabei fand sie ihn eigentlich ganz nett; er wirkte selbstsicher und ihr gefiel, wie er sich bewegte; sie mochte seine Augen, seinen Blick, seine Stimme.

»Bist du immer so wortkarg?«, kam seine nächste Frage.

Caterina hob verlegen eine Schulter und sehnte sich nach einem Loch, das sich zwischen den Pflastersteinen auftun und sie verschlingen mochte. Er sah sie an, ein, zwei Herzschläge lang, hielt mitten in seiner Tätigkeit inne, ehe ihm offenbar wieder einfiel, weshalb er hier stand, und mit seinen geübten Handgriffen fortfuhr. Hastiger jedoch und fahriger, wie aus dem Takt geraten, und auf seinen Wangen zeichneten sich zwei glühende Flecken ab. Nun schwiegen sie beide und jedes Mal, wenn Caterina den Blick von ihrem Becher hob, trafen sich ihre Augen mit den seinen, bevor beide rasch wieder in die entgegengesetzte Richtung schauten.

»Da ist sie, gottlob!« Anna befreite sich aus der Menge, Giovanni im Schlepptau, und kam auf Caterina zugestürmt, sichtlich blass um die Nase. »Der Herr sei gepriesen«, schnaufte Anna, als sie Caterina um den Hals fiel, »ich hatte solche Angst! Danke, tausend Dank«, sprudelte sie dem Jungen am Weinstand entgegen. »Nicht auszudenken, wenn ich sie nicht heil nach Hause gebracht hätte!«

»Nichts zu danken«, gab dieser zurück, sichtlich amüsiert von Annas Überschwänglichkeit. »Ich bin übrigens Riccardo.«

»Caterina, Anna, Giovanni«, stellte Anna sie reihum vor und hakte sich bei Caterina unter, bereit, wieder aufzubrechen. »Danke noch mal, dass du ein Auge auf sie gehabt hast!«

»Habt ihr heute Abend schon was vor?«, kam Riccardos hastige Frage mit einem Seitenblick auf Caterina.

»Warum fragst du?« Die sonst so gewitzte und schlagfertige Anna wirkte überrascht, fast ein bisschen misstrauisch.

»Wenn ich hier fertig bin, ziehe ich noch mit ein paar Freunden um die Häuser. Wollt ihr vielleicht mitkommen?« Riccardo wich den großen Augen Annas und Caterinas aus und versenkte seinen Blick tief in einen der Weinkrüge.

Anna sah abwechselnd Riccardo und Caterina an und der Anflug eines Verstehens glitt über ihr Gesicht, während Caterina ein stechender Schmerz durchfuhr. Vor Kummer, diese nur zu verlockende Einladung ablehnen zu müssen, geriet ihre Antwort piepsig. »Das geht leider ni.. .«

Sie verstummte abrupt, als Annas Ellenbogen sie zwischen den Rippen traf.

»Sehr gerne«, zwitscherte Anna und zeigte Riccardo ihr strahlendstes Lächeln. »Wann denn?«

Riccardos Züge hellten sich auf. »Kurz nach Sonnenuntergang. Dort vorne, am Hauptportal?«

»Bene, wir werden da sein!«

Caterina konnte Riccardo gerade noch den geleerten Becher in die Hand drücken, dann zog Anna sie schon mit sich fort. Mit einem Blick über ihre Schulter sah sie, wie Riccardo ihnen nachschaute, und ihr Herz machte einen Satz. Aus dem kleinen Abenteuer des Tages war ein großes geworden.

Jener Abend, am Fest von San Gennaro, war jedoch nur der Anfang gewesen. Gefolgt waren ihm Sommernächte an der Mole, in denen das Wasser der Bucht sanft gegen die Hafenmauern schlug und an den Rümpfen der Schiffe gluckste. Nächte unterm Sternenzelt, bei Lautenklang und Grillengezirp. Eng umschlungen erzählten sie einander ihre Kümmernisse und Sorgen, halbierten sie dadurch und schenkten einander Trost. Über die Zukunft sprachen sie dabei nie; es gab immer nur diese eine Nacht und die nächste und die darauf. Eine Nacht, in der sie sich zum ersten Mal küssten und viele weitere, in denen Küsse Worte ersetzten.

Eine Nacht wie diese.

Die Caravaggio-Verschwörung

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