Читать книгу Die Caravaggio-Verschwörung - Nicole-C. Vosseler - Страница 14
9. Kapitel
ОглавлениеDie Taverne leerte sich langsam, aber sicher. Eine Handvoll Stammgäste hockte allerdings immer noch wie angewachsen auf ihren Plätzen herum, sich an die Becher festklammernd, in denen die Neige des Weins schon dick zu werden begann, und starrte in die Flammen der Talglichter, die nur mehr zerlaufende Stumpen in ihren tönernen Haltern waren. Und an einem Tisch in der Ecke saßen noch drei Männer beisammen und spielten Karten – seit Stunden schon und ohne dass es den Anschein hatte, dass ihr baldiger Aufbruch bevorstünde.
Während Riccardo die weinverklebten Becher in Wasser tunkte, trocken rieb und in das Holzregal neben der Durchreiche einräumte, beobachtete er die Kartenspieler. Zwei davon kannte er gut, da sie öfters hier einkehrten: ein meist in Schwarz gekleideter Jüngling mit Mädchengesicht und tizianrotem Haar und ein Bursche mit lausbubenhaften Zügen in einem blau und gelb gestreiften, schon etwas abgewetzten Wams. Der dritte in der Runde aber war es, der Riccardos sonst so vorzügliches Gedächtnis beschäftigt hielt. Wirklich einzuordnen vermochte er ihn nicht und doch war er Riccardo nicht gänzlich fremd. Er wirkte gehörig abgerissen: das Hemd grau und fleckig, das offen stehende Wams von verblichenem Braun und löchrig. Er war ein eher kleiner, robuster Mann. Nicht dick – das nicht, aber von starkem Knochenbau. Früher musste er kräftige Muskeln unter seiner Kleidung verborgen haben; nun wirkte er eingefallen, als schlackerten Sehnen und Haut um das markige Skelett.
Das Eindrücklichste jedoch war sein Gesicht. Ein massiver, runder Schädel. Ein voller Mund, umgeben von einem dunklen, struppigen Bart von unregelmäßigem Wuchs, sodass die olivfarbene Haut stellenweise darunter hervorschimmerte. Dicke, beinahe absurd halbkreisförmige Brauen auf ausgeprägten Knochenwülsten, die bis fast an die Schläfen hin ausliefen; darunter schwere Lider und nahezu schwarze, runde Augen. Neben dem linken prangte eine dicke Narbe, gefährlich nahe am Augapfel, und eine zweite, lange auf der Stirn, wie von einem Schwertstreich. Die breite, fleischige Nase und zerwühltes, welliges Haar, schwarz wie Ebenholz, vervollständigten das Aussehen eines ungehobelten Klotzes, mit dem nicht gut Kirschen essen war, noch bedrohlicher durch das Wechselspiel von Schatten und Kerzenlicht über dem Tisch. Und dennoch lag in diesem Gesicht etwas Wildes, Ursprüngliches, das es faszinierend machte.
Als hätte er Riccardos Blicke gespürt, hob der Mann den Kopf und schnipste über seinem Kopf mit den Fingern. »Eh, du!« Der wuchtige Schädel ruckte aufwärts und in Richtung Riccardos.
»Ja, Signore?«
»Bring uns was zu essen!« Seine Stimme war tief und dröhnend.
»Geht leider nicht. Die Küche hat schon zu.« Schon vor einer Stunde hatte Lorenzo das Herdfeuer ausgehen lassen, Töpfe, Pfannen und Teller abgewaschen und sich unter heftigem Gähnen verabschiedet. »Für heute ist finito! Morgen wieder.«
Der finstere Kerl sprang auf; krachend stürzte sein Stuhl hinter ihm zu Boden. Mit aller Kraft hielten ihn die beiden anderen davon ab, auf Riccardo zuzustürmen. Sein Atem war zu hören, wie das Schnauben eines wilden Tieres, und seine Augen sprühten hasserfüllte Funken. Nur einen Herzschlag lang, dann ebbte die blinde Wut ab und er ließ sich auf seinen Stuhl zurückfallen, den der hübsche Jüngling in Schwarz zu seiner Linken wieder aufgestellt hatte. »Dann bring Wein!«
»Wird gemacht, Signore.« Schwungvoll stellte Riccardo drei Becher auf dem Tablett bereit, schnappte sich den Krug und goss ein. Er hatte das Tablett gerade angehoben, als es ihm einfiel.
Das war es. Die Wut. Die Wut in seinen Augen.
Selbstredend kannte Riccardo den Mann; er war früher ab und zu hier gewesen, zum Trinken und Spielen und Essen – und um gelegentlich in einen Händel zu geraten. An die Wut, die während eines Streits so schnell in seinen Augen explodieren konnte, erinnerte er sich gut. Es waren dieselben Augen, die den ganzen Abend über so leer geblickt hatten. In die nur Leben gekommen war, wenn die Tür aufschwang und jemand die Taverne betrat. Gehetzt hatten sie dann geblickt, als befände er sich auf der Flucht vor seinem schlimmsten Feind.
Es war eine Zeit her, dass Riccardo ihn das letzte Mal im »Bullen« gesehen hatte. Eineinhalb Jahre, mindestens, wenn nicht länger; damals hatte er Caterina noch gar nicht gekannt, hatte selbst noch nicht lange hier gearbeitet.
In diese Grübelei vertieft, marschierte Riccardo schwungvoll um die Ecke der Theke herum – und geradewegs in den gewaltigen Bauch Giuseppes hinein. Zwei der Becher kippten um und ergossen ihren Inhalt über das Hemd des Wirts, bevor einer davon zu Boden fiel und dort zerbrach. Brüllendes Gelächter wallte auf, während Giuseppe stumm blieb, fassungslos auf das brustabwärts tiefrote Hemd starrte, das durchscheinend auf seiner Haut klebte. Wein lief über seine Hände, troff von dort auf den Boden. Giuseppe sah aus, als hätte er ein Schwein geschlachtet. Oder einen Mord begangen.
»Ver-verzeiht, padrone«, stammelte Riccardo, stellte das Tablett rasch hinter sich auf der Theke ab und nestelte seinen Lappen aus dem Hosenbund, um den Wirt damit trocken zu tupfen.
»Lass das!« Giuseppe schlug die Hand beiseite und drosch gleich darauf auf Riccardo ein, der sich mit erhobenen Armen vor den Hieben zu schützen suchte. »Ich hab genug von dir Taugenichts! Mir reicht’s! Nix als Scherereien mit dir!«
Riccardo entfuhr ein Schmerzenslaut, als Giuseppe ihn an den Haaren packte. »Padrone, es tut mir leid! Wird nicht wieder vorkommen!«
»Ganz sicher wird es das nicht! Ich weiß nämlich, was ich mit dir mache!«
Am Schopf schleifte Giuseppe ihn durch den Schankraum bis an den Tisch der Kartenspieler. »Ihr da! Weil ihr so gute Gäste seid, spendier ich euch was. Seht ihr den Burschen hier?« Er schüttelte Riccardo tüchtig. »Wer von euch das Spiel gewinnt, kann ihn haben. Der kann dann mit ihm machen, was er will. Und wenn er ihn den Hunden zum Fraß vorwirft!« Giuseppe stieß Riccardo mit voller Wucht von sich, dass er gegen die Wand krachte, und drehte sich auf dem Absatz um.
»Oho«, rief der finstere Gesell Giuseppe hinterher, »welch noble Gabe! Ihr seid ein feiner Wirt; bei Euch kehren wir gerne wieder ein!«
Riccardo achtete nicht auf ihn; mühsam kam er wieder auf die Beine und eilte mit wackeligen Knien hinter Giuseppe her, sich die schmerzende Schulter haltend. »Padrone! Wartet doch! Padrone!«
»Was?!« Zornig fuhr der Wirt herum.
»Das ist nicht Euer Ernst, oder? Das könnt Ihr nicht so gemeint haben!« Flehentlich sah Riccardo ihn an, in der Hoffnung, Giuseppe habe ihm nur eine ordentliche Lehre erteilten wollen oder würde sich eines Besseren besinnen.
»Und ob ich das so gemeint hab!« Das Bulldoggengesicht Giuseppes zeigte eine ungesunde Röte. »Für dich ist hier kein Platz mehr. Da draußen gibt es genug Burschen, die nur darauf warten, für mich zu arbeiten. Und jeder einzelne ist zehnmal mehr wert als du Nichtsnutz!«
»Ich hab doch immer gut für Euch gearbeitet!« Riccardo zitterte und spürte heiße Tränen in seinen Augen aufsteigen, halb Zorn, halb Angst. »Und ich brauche das Geld!«
Als fiele es ihm erst jetzt ein, streckte Giuseppe die Hand aus und zerrte und riss an Riccardos Gürtel, bis er den mit einer Schnur daran befestigten Beutel abgerupft hatte, in dem der Junge Einnahmen und Wechselgeld zu verstauen pflegte.
»Geh betteln, wenn du Almosen willst!« Krachend schlug die Tür hinter Giuseppe zu, die ins Stiegenhaus führte.
Riccardo schluckte. Seine Finger ballten sich zu Fäusten, so fest, dass Knöchel und Sehnen schmerzten. Langsam wandte er sich um. Giuseppe wollte ihn verschachern wie einen Leibeigenen. Unmöglich; Riccardo war frei. Er musste mit keinem der drei Kartenspieler nachher mitkommen; er konnte jetzt sofort zur Tür hinausgehen, ohne dass ihm jemand etwas anhaben konnte und sich morgen eine neue Arbeit suchen.
Sein Magen zog sich zusammen, bis er nur noch ein kleiner, harter, schmerzender Ball war. Genau darin lag die Schwierigkeit. Es konnten Wochen, gar Monate vergehen, bis er eine neue Anstellung fand – falls überhaupt. Selbst in einer großen und geschäftigen Stadt wie Neapel gab es nicht genug Arbeit für alle, auch nicht mit einem Gesellen- oder gar Meisterbrief in der Hand. Geschweige denn für einen Handlanger wie Riccardo.
»Eh, Junge! Kannst du mir schon mal die Stiefel putzen?« Den Kartenfächer in der Hand, lehnte sich der dunkle, grobschlächtige Kerl in seinem Stuhl zurück und legte eines seiner Beine auf die Ecke des Tischs. »Meine hätten’s mal wieder nötig.« Auffordernd wackelte er mit dem Fuß, der in einem dreckverkrusteten Stiefel steckte. Spottlust blitzte in seinen Augen; als hätte das Spiel um Riccardo seine Lebensgeister zurückkehren lassen.
Mit spitzem Finger stupste der mädchenhafte Jüngling das Bein seines Kumpans vom Tisch, zog zwei Karten aus seinem Fächer und warf sie mit der Bildseite nach oben auf den Tisch, ehe er ebenfalls zu Riccardo herübersah. »Verfügst du eigentlich auch noch über andere Fertigkeiten außer Becherweitwurf und Weinkleckserei?«
Einstimmig brachen die Kartenbrüder in Gelächter aus und Riccardo wurde glutrot. Er wandte den Kopf, als sich die rückwärtige Tür zum Schankraum wieder öffnete und Giuseppe über die Schwelle trat, in den Armen einen Wust von Besitztümern, den er Riccardo vor die Füße warf. »Da hast du deinen Krempel von oben. Lass dich nie wieder hier blicken.«
Giuseppe begab sich hinter seine Theke und begann, deren Oberfläche mit einem feuchten Lappen abzureiben. Offenbar hielt er die Sache damit für erledigt; Riccardo würdigte er jedenfalls keines weiteren Blickes.
Riccardo hockte sich hin, um seine Sachen aus der Dachkammer aufzusammeln, die von dem Wein an Giuseppes Händen rot gesprenkelt waren. Das eine Hemd breitete er auf dem Boden aus, faltete das zweite hinein und auch sein Wams, hob die gefalteten Flugblätter und Zettel auf und stapelte sie darauf; die blau schillernde Elsterfeder, die er einmal gefunden hatte, und einen glatt polierten Kiesel. Die ovale, rosig angehauchte Muschel, die Caterina ihm vor einiger Zeit geschenkt hatte, war beim Aufschlagen auf den Boden in zwei größere Teile und winzige Splitter zerbrochen. Als er die harten, scharfkantigen Einzelteile aufklaubte und in der Hand hielt, schienen sie ihm wie ein Symbol für sein Leben, das gerade in Stücke gegangen war. Nein, nicht ganz. Er hatte immer noch Caterina.
Heiß packte ihn die Sehnsucht nach ihr. Und gleich darauf durchzuckte ihn der Gedanke, sie um Hilfe zu bitten. Als er sich aber vorstellte, wie er ihr seine missliche Lage erklären und sie nach Arbeit im Palazzo fragen würde, verstärkte sich seine Übelkeit nur noch.
Sorgfältig verwahrte er die Muschelscherben in einer Falte des Wamses. Das Hämmern von Fäusten und lautes Johlen, durchmischt mit Unmutsäußerungen ließen ihn aufsehen.
Mit zufriedener Miene hatte der ungehobelte Klotz seine Karten auf dem Tisch ausgebreitet und schob mit beiden Händen das Münzhäufchen zu sich heran, öffnete seinen Beutel und fegte die Sestini, Carlini und Tari hinein.
Riccardo unterdrückte ein Aufstöhnen. Ausgerechnet der! Mit zornigen Bewegungen zerrte und knotete er sein Bündel zusammen und stand auf.
Auch der Finsterling erhob sich, kippte den Rest Wein hinunter, rülpste herzhaft und wischte mit dem Handrücken über den Mund. Mit einer lässigen Handbewegung verabschiedete er sich von seinen beiden Kumpanen, die ebenfalls austranken und sich zum Gehen anschickten, während er selbst zur Theke marschierte, sichtlich angetrunken.
»Hier, guter Mann.« Er knallte einen Ducato vor Giuseppe hin. »Die Zeche für mich und meine Freunde. Rest ist für Euch.«
»Habt Dank, Signore«, gab sich Giuseppe erfreut und verneigte sich höflich. »Auf hoffentlich bald.«
Sein Gast antwortete nicht; auf dem aufgestützten Ellenbogen an die Theke gelehnt, musterte er Riccardo eindringlich. In seinen Augen funkelte es und die Mundwinkel unter dem Bart zuckten leicht.
Womöglich stellte es doch das kleinere Übel dar, Caterina zu fragen, ob es nicht Arbeit im Palazzo für ihn gäbe . . . Wut, Widerwillen und Abscheu stiegen in Riccardo auf und mit ihnen kehrte Entschlossenheit zurück. Bevor er die Taverne verließ, Caterina als kompletter Habenichts entgegentrat, gab es noch etwas zu erledigen. Er wandte sich Giuseppe zu.
»Ihr schuldet mir noch meinen Lohn für die angefangene Woche.«
»Ich – was?!« Die behaarte Pranke Giuseppes verharrte über dem Ducato, den er soeben hatte einstreichen wollen. Vom Hals aufwärts stieg ihm Zornesröte ins Gesicht. »Ich geb dir gleich deinen Lohn! Maulschellen kannst du kriegen, sonst nix! Raus mit dir! Wird’s bald?!«
Als Riccardo keinen Deut von der Stelle wich, die flammenden Blicke des Wirts furchtlos erwiderte, stürmte Giuseppe hinter der Theke hervor. Doch noch ehe er Riccardo erreicht und die Hand gegen den Jungen erhoben hatte, hatte der finstere Kerl ihn von hinten angesprungen wie ein tollwütiger Hund. Die kräftigen Finger in das schmierige Haupthaar des Wirts gekrallt, riss er dessen Kopf nach hinten und hielt ihm die Klinge eines Dolchs gegen die Kehle.
»Hast du nicht gehört«, zischelte er speichelfeucht in das Ohr des verängstigten Wirts. »Du schuldest ihm noch den Lohn.«
Aus dem Augenwinkel sah Riccardo, dass die übrigen Gäste die Flucht aus der Taverne ergriffen; teils aus Furcht, teils, weil dies eine günstige Gelegenheit bot, die Zeche zu prellen. Im Nu war der Raum leer gefegt und der Luftzug der auf- und zuklappenden Tür blies einige der Talgstummel aus. Giuseppe kniff die Augen zusammen und wimmerte vor sich hin. In Riccardo mischten sich Entsetzen und Schadenfreude; unfähig, ebenfalls das Weite zu suchen, stand er wie vom Donner gerührt und schaute zu, wie die Klinge sich weiter in den fettgepolsterten Hals des Wirts drückte.
»Ich versteh dich nicht – was hast du gesagt?«
»Er – er soll – soll sich den Ducato nehmen«, stammelte Giuseppe.
Der Mann mit dem Dolch ruckte mit dem Kopf in Richtung der Theke und Riccardo beeilte sich, das Geldstück einzustecken, ehe Giuseppe es sich anders überlegte.
»Geht doch.« Der Finsterling ließ Giuseppe los, der bebte wie Espenlaub, und schob den Dolch zurück unter sein Wams. »Gute Nacht, padrone«, verkündete er mit einem höflichen Diener. »Gehabt Euch wohl.«
Zielstrebig schritt er auf die Tür zu und Riccardo, dem vor Schreck stummen Giuseppe nicht über den Weg trauend, der sich an die Theke klammerte wie ein Schiffbrüchiger an sein Floß, hielt sich dicht hinter ihm.
Draußen empfing sie die nachtdunkle Gasse des Vico Molino, auf der allmählich Ruhe einkehrte.
Der abgerissene Mann streckte sich und atmete tief durch. »Ah, Neapel, was hab ich deine verfluchte, stinkende Luft entbehrt«, seufzte er mit seiner rauen Stimme.
»Danke«, rang sich Riccardo halbwegs freundlich ab. »Für gerade eben.«
Obwohl er es dem Eingreifen des unheimlichen Gastes zu verdanken hatte, dass er nicht nur von Prügel verschont geblieben war, sondern Giuseppe auch noch einen Denkzettel verpasst bekommen hatte, war ihm nicht wohl zumute. Denn die brutale Art, wie dieser Mann für ihn in die Bresche gesprungen war, ließ ihn Riccardo in noch gespenstischerem Licht erscheinen als zuvor. Sein Entschluss stand fest: Für einen solch wilden Kerl wollte er nicht arbeiten. Das Bündel mit seinen Sachen unter den Arm geklemmt, wandte er sich zum Gehen. Schließlich wartete Caterina auf ihn.
Grob packte ihn der Mann beim Arm und riss ihn zurück.
»Du kommst mit mir, schließlich hab ich dich im Spiel gewonnen.«
»Deshalb bin ich noch lange nicht Euer Eigentum.« Riccardo versuchte, die Finger, die sich in seinen Oberarm gebohrt hatten, abzuschütteln – vergeblich.
»Spielschulden sind Ehrenschulden. Das gilt auch für den Einsatz in diesem Spiel. Und der bist in diesem Fall du.«
»Ich kann heute Nacht nicht mitkommen«, versuchte Riccardo es mit entwaffnender Ehrlichkeit. »Ich bin noch verabredet und ohnehin viel zu spät dran.«
»Mir gleich. Du kommst mit. – Ich zahle auch gut«, fügte der Mann hinzu.
»Wie viel?«
Starke Zähne schimmerten hell auf, als Riccardos Gegenüber grinste.
»Geschäftstüchtig, was? Sagen wir . . . Zwei Ducati pro Woche.« Er musste Riccardos Misstrauen gespürt haben, denn er gab ein trockenes Auflachen von sich und zupfte mit der freien Hand an seinem schäbigen Wams. »Ich bin noch nicht lange wieder in der Stadt. Mein neues ist noch beim Schneider.«
Riccardo zögerte, obwohl ihm die Zeit davonlief. Offenbar zu lange für diesen Hitzkopf, der ihn blitzartig im Genick packte, so fest, dass es wehtat, und sein Gesicht so nahe an das Riccardos schob, dass dieser die Wärme seines unangenehm riechenden Atems auf dem Gesicht spüren konnte.
Riccardo blieb ruhig, erwiderte furchtlos den glühenden Blick des anderen. »Habt Ihr auch einen Namen?«
Wieder dieses trockene Auflachen, das kein echtes Lachen war, mehr ein ruckartiges Ausstoßen des Atems. »Such dir einen beliebigen Schimpfnamen aus und sei sicher, dass meine zahlreichen Feinde mich schon damit bedacht haben. Für meine Freunde bin ich Michele. Du nennst mich ab heute Maestro, Meister.« Er schob sich noch näher an Riccardo, sodass ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten. »Die übrige Welt kennt mich jedoch als . . .« In einem lang gezogenen Laut, gleichermaßen zischelnd und knurrend und mit unverhohlenem Stolz kam es flüsternd von ihm: »Caravaggio.«
Riccardos Augenbrauen hoben sich. In diesem Augenblick hegte er keinen Zweifel daran, dass es stimmte, was man in den Gassen und Tavernen Neapels hinter vorgehaltener Hand über den Maler tuschelte: dass er ein Verrückter war, ein Raufbold und ein Mörder, der keinen Anstand kannte, keine Ehre und kein anderes Gesetz als sein eigenes.
»Ich denk darüber nach«, gab Riccardo ungerührt zurück, sich tapferer gebend, als er sich fühlte.
»Überleg lieber nicht zu lange.«
Riccardo biss die Zähne zusammen, als die Finger um seinen Nacken fester zudrückten, Nerven und Blutgefäße zusammenquetschten, dass sein Pulsschlag ihm in den Ohren rauschte. Obwohl Caravaggio von kleinerem Wuchs war, stand er Riccardo an Kraft nichts nach. Und Caravaggio war schnell, sehr schnell. Der Dolch an Giuseppes Kehle blitzte vor Riccardos innerem Auge auf.
Angst stieg in ihm auf. Todesangst. »Va bene«, quetschte er schließlich hervor. »Jammo, gehn wir.«
»Guter Junge.« Caravaggios Hand löste sich aus Riccardos Genick; dafür legte sich sein Arm um Riccardos Schultern, sich halb auf ihn stützend, halb seine Finger besitzergreifend in Riccardos Fleisch gekrallt, sodass dieser nicht anders konnte, als sich mit ihm in Bewegung zu setzen.
Und mit jedem Schritt, den sie weiter in die Nacht hineinliefen, lastete nicht nur das Gewicht des fremden Körpers schwerer auf Riccardo; viel schwerer war sein Herz in dieser Nacht. Ca-te-ri-na, machten seine Schritte, Ca-te-ri-na, und trugen ihn doch immer weiter fort von ihr.
An der Hausecke schlüpfte Caterina in Annas Schuhe und trabte munter über die Piazza San Domenico. Es hatte etwas gedauert, aber endlich hatte ihr Vater die Tafel aufgehoben und angekündigt, sich mit Radolovich zu einem Gespräch unter vier Augen zurückziehen zu wollen. Blumige Komplimente des Gastes über das Essen, den Abend und Caterinas bezaubernde Gesellschaft, ein Kratzfuß mit Handkuss und Caterina war erlöst gewesen. In größter Eile hatte Anna ihr geholfen, sich umzukleiden, und schon war Caterina im Hof und durch das von Giovanni bewachte Tor hindurch gewesen.
Vor der Fassade von San Domenico Maggiore blieb sie stehen und blickte sich ratlos um. Riccardo war nirgends zu sehen. Das enge Gefühl in ihrer Kehle, das beunruhigte Kräuseln ihres Magens zwang sie hinab. Er hatte versprochen, auf sie zu warten, gleich wie spät es auch werden würde. Bestimmt war noch viel los gewesen in der Taverne und er würde gerade noch die letzten Becher abräumen und ausspülen. Vielleicht war er aber auch schon unterwegs . . . Caterinas Magen machte ein, zwei freudige Sprünge und entspannte sich dann. Leichtfüßig hüpfte Caterina auf das Portal zu, suchte Unterschlupf in seinem Schatten, um dort auf Riccardo zu warten.
Die Glocken über ihr schlugen die Stunde an. Caterina wickelte das Schultertuch enger um sich, verschränkte die Arme um ihren Oberkörper und gähnte herzhaft – der lange Tag nach einer zu kurzen Nacht forderte seinen Tribut. Stumm summte sie ein Liedchen vor sich hin, stellte sich auf die Zehenspitzen, ob sie ihn irgendwo schon entdecken konnte. Kratzte mit der Schuhspitze über den Stein unter ihr, bohrte damit in einer Ecke des Portals herum. Und wartete.
Sie hob den Kopf, als schnelle Schritte vorübertrabten: zwei Träger, die eine schmucke, geschlossene Sänfte mit zugezogenen Vorhängen geschultert hatten. Angesichts der Uhrzeit und der Richtung, aus der sie kam, musste es diejenige Radolovichs sein. Übermütig, sich sicher und geborgen fühlend im Schutz der nächtlichen Kirchenfassade, hob Caterina die Hand und winkte ihr spöttisch hinterher.
Die nächste Stunde war angebrochen, und kaum war der letzte Glockenton verklungen, hörte Caterina wieder Schritte. Freudig trat sie vor und huschte gleich darauf erschrocken zurück; drei angetrunkene spanische Soldaten torkelten die Straße entlang, unterhielten sich in voller Lautstärke und brachen immer wieder in raues Lachen aus. Mit rasendem Pulsschlag drückte sich Caterina so eng gegen den Stein wie nur möglich und betete, dass sie unentdeckt blieb. Atmete auf, als die Soldaten vorbei und ihre Schritte verklungen waren. Und wartete.
Ihr Magen begann, sich zu regen, dann zu winden. Viel Zeit blieb nicht mehr, bis Giovannis Dienst zu Ende war. Ihre Kehle war wie ausgedörrt und sie begann zu frösteln, vor Müdigkeit, feuchter Nachtluft, aber auch vor Unruhe. Angst stieg in ihr auf, Angst um Riccardo, und vermischte sich mit Wut zu einem herzzerreißenden Kummer, der so groß war, dass er sie niederdrückte. Mit jedem verstrichenen Herzschlag ließ sie die Schultern weiter hängen, sank ihr Kopf ein Stückchen tiefer, zog sie die Arme enger um sich, um Halt zu finden. Tränen füllten ihre Augen und sie zog die Unterlippe zwischen die Zähne, um sie am Zittern zu hindern.
Als es drei schlug, brach sie schließlich auf. Ein schleppender Schritt nach dem anderen, über die verlassene Piazza, zurück zum Palazzo, vor dem Giovanni schon voller Nervosität auf sie wartete und schnell durch die Tür winkte.
Was zuvor nur eine Ahnung gewesen war, hatte sich zur Gewissheit verdichtet:
Riccardo war nicht gekommen.