Читать книгу Die Caravaggio-Verschwörung - Nicole-C. Vosseler - Страница 9

4. Kapitel

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In derselben Nacht braute sich über dem Mittelmeer ein Sturm zusammen. Wolkenfetzen eilten herbei, verdichteten sich zu einer dunklen Masse, finsterer noch als der tintenfarbene Himmel, und verschlangen dessen Sterne. Ein Wind hob an, brausend über dem Wasser, stöhnend über den Felsen. Das Meer tanzte unruhig, begann zu brodeln und sein sonst ruhiger, steter Atem wurde zu einem Keuchen, einem Zischen und Fauchen, als es sich voller Zorn gegen die Küste der Insel warf.

Hinter den Mauern der Festung war davon jedoch kaum etwas zu hören. In dem abgelegenen Raum, in dem sich eine Handvoll Männer versammelt hatte, kam der aufziehende Sturm nur als auf- und abebbendes Rauschen an.

»Syrakus. Messina. Palermo.« Jede Silbe entsprach einem knallenden Stiefelschritt auf dem Steinboden und das Ende des Satzes wurde mit einem Zusammenklappen der Hacken und einer Wendung um die eigene Achse markiert. Fra Alvaro Fernández Pacheco de Escalona war von kleinem Wuchs, hielt seinen drahtigen Körper aber immer so gerade, dass er um einiges größer wirkte. Selbst wer nicht wusste, dass er mit Fra Alvaro das Oberhaupt der Ordenszunge von Kastilien und Portugal vor sich hatte, kam nicht umhin, ihm auf den ersten Blick Ehrfurcht, zumindest aber Achtung entgegenzubringen. Vor allem war es sein Gesicht, das wie dazu geschaffen war, Respekt einzuflößen: wie ein auf der Spitze stehendes Dreieck, die scharfen Wangenknochen überspannt von fahlgelblicher Haut, gänzlich beherrscht von den Augen, die in ihrem farblosen Grau undurchdringlich wie eine Gewitterfront wirkten. Und sein akkurat kurz geschnittener Schopf sowie der gepflegte Knebelbart verrieten seinen Hang zu unnachgiebiger Genauigkeit.

»Nahezu ein Jahr hat er auf Sizilien verbracht. Fast immer in Sicht- und Hörweite von Euch und unseren anderen Brüdern dort.« Die Hände auf dem Rücken verschränkt, musterte Fra Alvaro die Männer, die sich in Reih und Glied vor ihm aufgestellt hatten. Wie er waren sie allesamt schwarz gekleidet, sodass ihre Umrisse mit den Schatten ineinanderflossen, die die Kerzenflammen in den Halbdämmer zauberten. Nur die weißen Ordenskreuze auf ihrer Brust – wie vier gespaltene Zungen, die sich an der schmalsten Stelle trafen – leuchteten hell.

»Wie konnte er unbemerkt Sizilien verlassen?« Fra Alvaro hatte leise gesprochen, doch in seiner Stimme lag keine Milde. Metallisch klang sie und scharf wie eine frisch geschliffene Klinge. »Und vor allem: Wo hält er sich im Augenblick auf?«

Ein Moment der Stille folgte, ehe sich einer der Ritter ein Herz fasste und die unbequeme Botschaft verkündete, die er und die anwesenden Brüder mit nach Malta gebracht hatten. »Das wissen wir nicht.«

»Wie könnt Ihr es wagen«, obwohl Fra Alvaro seine Stimme nicht angehoben hatte, wurde sie drohend von den Wänden zurückgeworfen, »vor mir zu stehen wie ein Schuljunge, der seine Aufgaben nicht gemacht hat? Ihr hattet einen Befehl, den es auszuführen galt!«

»Verzeiht, Fra Alvaro«, beeilte sich ein zweiter Ritter für den Unglücklichen in die Bresche zu springen, »aber niemand weiß etwas darüber. Wir haben uns überall umgehört. Den einen Tag war er noch in Palermo, kurz nachdem er ein Gemälde für Kardinal Doria fertiggestellt hatte, und am Tag darauf ward er nicht mehr gesehen.«

»Er muss heimliche Helfer gehabt haben«, warf der erste Ritter ein, der sich wieder gefangen hatte.

»Heimliche Helfer«, wiederholte Fra Alvaro und es klang, als zermahlte er diese Worte zwischen seinen Kiefern. »So wie er welche gehabt hatte, als er vor fast einem Jahr aus der Guva hier entkam.«

»Vielleicht hat er den Kardinal selbst um Hilfe gebeten«, überlegte ein dritter Ordensritter halb laut. »Oder dessen Bruder, der mit einer Colonna vermählt ist. Und die Colonna. . .«

»Danke«, unterbrach Fra Alvaro ihn eisig. »Mir sind seine Verbindungen zur Familie der Colonna bestens bekannt.«

Die Colonna zählten zu den ältesten Adelsgeschlechtern Italiens. Heißblütig und tief gläubig, kampfbereit und waffenstolz war es ihnen gelungen, ihre Macht bis in den Vatikan auszudehnen und durch eine kluge Heiratspolitik bis in alle noblen Familien des Landes. So wie Constanza Colonna in eine Nebenlinie der Mailänder Sforza eingeheiratet hatte, einer nicht weniger großen und kämpferischen Familie. Als Marchesa di Caravaggio hatte sie ein Auge auf die Söhne von Fermo Merisi gehabt, der in Diensten der Sforza von Caravaggio gestanden hatte, ehe er im Pestjahr 1577 dem Schwarzen Tod zum Opfer gefallen war. Ihrem Einfluss war es zu verdanken, dass die weit verzweigte Sippe der Colonna überall für Michelangelo Merisi Fürsprache gehalten hatte, wohin ihn sein Weg geführt hatte. Die Macht der Colonna hatte Caravaggio Auftraggeber verschafft und ihn mehr als einmal aus seinen Zwistigkeiten mit dem Gesetz wieder herausgezogen.

»Ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, worum es hier geht«, wandte er sich an die übrigen Ritter. »Was für uns auf dem Spiel steht und was zu tun ist. Ihr kennt die Regeln und habt vor Gott geschworen, sie nicht nur zu befolgen, sondern auch zu verteidigen.«

Zufrieden sah er in die betretenen bis entschlossenen Mienen, erfasste er ihr gehorsames, stummes Nicken.

»Die Colonna werden nicht auf ewig ihre Hand über ihn halten können. Sie sind mächtig – aber nicht so mächtig wie wir«, verkündete Fra Alvaro, als er erneut seinen Rundgang durch den Raum aufnahm. Am Fenster blieb er stehen und blickte in die Nacht hinaus.

Nach Rom würde Caravaggio nicht zurückkehren, das lag für Fra Alvaro auf der Hand. Noch immer galt das Todesurteil, das vor mehr als drei Jahren für das tödliche Duell auf dem Pallacorda-Feld über Caravaggio verhängt worden war. In Rom war er vogelfrei; jeder dahergelaufene Gesell konnte ihn sich greifen und eine hohe Belohnung einkassieren, lieferte er ihn den sbirri, den Ordnungshütern, aus – gleich ob tot oder lebendig. Außerdem war Giovan Francesco Tomassoni zwischenzeitlich begnadigt worden und aus seinem Exil nach Rom heimgekehrt, gewiss nur darauf lauernd, Rache für den Tod seines Bruders Ranuccio zu nehmen. In den Norden hatte es Caravaggio nie wieder gezogen, trotz seiner engen Bande zu den Colonna – als hätte er damals, als junger Mann, bei seinem Fortgehen alle Brücken hinter sich abgebrochen. Obendrein gab es in Mailand, Genua, Florenz und Venedig keinen Platz für einen Neuankömmling von Maler; die dortigen Kreise der Künstler waren fest zementiert wie die Fundamente der palazzi. Schon gar nicht würde man darin für einen Maler zusammenrücken, dem ein zweifelhafter Ruf vorauseilte und dessen Bilder ebenso berühmt wie berüchtigt waren. Im Norden mochte man die Kunst gefällig und sittsam, nicht düster und auf brutale Weise naturgetreu wie diejenige Caravaggios.

Caravaggio wollte malen, um jeden Preis, so viel stand für Fra Alvaro fest. Möglichst unter dem Schutz der Colonna, in einer Stadt, in der sich Auftraggeber und Käufer für seine Gemälde fänden. Einer Stadt, in der er bereits Verbindungen besaß und die groß und turbulent genug war, um darin untertauchen zu können.

Fra Alvaros Augen verengten sich, als er den Gedankenfaden weiterverfolgte, und weiteten sich, als er dessen Ende im Geiste ergreifen konnte. Er drehte sich um, weg vom Fenster, hin zu den Rittern, die ihm aufmerksam und in Erwartung eines Befehls entgegensahen.

»Sucht ihn in Neapel.«

Die Caravaggio-Verschwörung

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