Читать книгу DER ERZENGEL JOHANNES - Nicole Sturm - Страница 16
Klopf Klopf
Оглавление_Wohnküche // Heute Nacht
E
in silberner Ring, in Form einer sich selbst verschlingenden Schlange, ziert den Finger des übermütigen Klingelmännchens. Auf leisen Pfoten schreitet eine schwarze Katze, die Wand entlang, auf ihn zu. Kurze Abscheu zuckt durch den verspäteten Gast, er weicht ein kleines Stück zurück, doch lässt die Klingel nicht los.
Verpiss dich! Ich schwör 's dir verpiss dich oder …
Erst als er das einladende Summen im Türschloss vernimmt, lässt er Gnade walten und erlöst die Schelle. Schnell drückt er die Türe auf und ein paar gut gelaunte Schritte später, schließen sich die Fahrstuhltüren hinter ihm als würden sie sich bewusstlos schlagen wollen.
Hoch!
Wenn das Dach über dem Aufzug Angst bekommen könnte, würde es nun Panik bekommen. Die Kabine rast, wie besessen, in die neunte Etage, um dort stehen zu bleiben als hätte sie sich gegen einen Bremsweg entschieden. Ihr Fahrgast bleibt wie angeklebt stehen. Nun fahren die Fahrstuhltüren ein als würden sie vor dem adrett gekleideten Mann zu Tode fürchten. Zwei Schritte vor der Kabine steht die Gewinnerin eines historischen Wettstreits, der siebzehn Minuten zuvor in Johannes, sieben Quadratmeter großen, Badezimmer ausgetragen wurde. Auf ihrem Nacken steht das Wort Hosianna, in geschwungen Lettern, tätowiert. Sie atmet tief und schwer. Schwarze Runen, durchströmt von glutroten Adern, strömen aus der Kabine, gefolgt von schwarzen Skater-Schuhen mit goldenen Nähten. Der Ehrengast greift, wie ein heimkehrender Wikinger mit beiden Händen nach dem Gesicht der dunkelhaarigen Frau im Black Sabbath-Shirt. Er zieht sie energisch zu sich heran und drückt ihr einen langen sinnlichen Kuss auf. Als seine Finger ihre Haut verlassen, fällt die überglückliche Gewinnerin ohnmächtig auf den Boden.
Menschen, war echt ne super Idee!
Mit einem Hopser über sie, nimmt er seinen Weg wieder auf. Er richtet sein schwarzes Jackett zurecht und tänzelt fröhlich summend durch den Flur. Er könnte die Türe mit seinem Willen öffnen, jedoch beschließt diese ihm respektvoll zuvor zu kommen.
Danke.
Sein Blick fällt auf Adam, dessen Leichnam zwar noch an der Wand lehnt, dieses jedoch eher in einer instabilen Seitenlage vollführt. Er bleibt neben ihm stehen und geht in die Hocke.
Grüß Gott.
Er richtet sich wieder auf und schreitet weiter in Richtung Wohnungstüre, die sich ebenfalls mitdenkend vor ihm öffnet.
Zu freundlich.
Als sich die Küchentüre öffnet, formt die Gruppe aus gefallenen Engeln eine Gasse vor ihm. Die menschlichen Gäste bleiben neugierig stehen und starren gebannt auf den letzten Gast, während die Dämonen ihren Blick senken und sich auf den unwürdigen Vinylboden knien. Merga und Samson treten langsam von den Priestern zurück. Die schreitenden Augen formen ein scharfkantiges Grinsen, als sie Nepomuks abgenutzte böswillige Stimme hören.
Der Satan wird dich strafen Luzifer.
Der, gerade recht kommende, Ehrengast tritt an den alten Priester heran, der sich steif zu ihm umdreht. Der Silberring zieht eine vergoldete Desert Eagle aus dem schwarzen Hosenbund. Im über proportionierten Lauf wartet eine Patrone, die ihr texanischer Erfinder liebevoll die »Baby-Atombombe« nennt. Nepomuk weicht reflexartig einen Schritt zurück.
Hey Pfaffe…
Er richtet die Waffe auf Nepomuks Kniescheibe und drückt ohne zu zögern ab. Beim Einschlag zersplittert das Geschoss und nimmt alles mit was sich ihm in den Weg stellt. Der ohrenbetäubende Knall mischt sich mit Nepomuks weißglühenden Schrei und den dumpfen Hall der Wohnung. Blut spritzt in Vinzenz bleiches Gesicht. Das zweite Projektil trifft nur wenige Zentimeter neben seinem Vorgänger ein und reißt noch mehr Fleisch aus dem Bein des alten Mannes. Ober- und Unterschenkel sind nur noch durch ein paar Sehnen und Fleischfetzen verbunden. Nepomuk sackt schmerzverzerrt zusammen und knallt mit dem blutenden Stumpf auf den Boden, wobei sich mit einem matschigen Geräusch weitere Sehnen vom Bein lösen. Der Schmerz setzt ihn außer Gefecht, schon bevor er mit dem Kopf auf den Boden schlägt. Luzifer dreht sich zu dem knienden Exorzisten und richtet die Waffe auf ihn.
Klopf, Klopf.
Vinzenz schweigt, um sein Gesicht der Panik preis zu geben. Nepomuks Blut fließt in seine Richtung. Der Schütze wiederholt sich mit Nachdruck.
Klopf, Klopf!
Er sieht Vinzenz auffordernd an und reckt seine Arme, inklusiver noch rauchender Pistole, zur Seite. Einen stillen Seufzer später lässt er die Arme wieder sinken, sieht an die Wand und schüttelt leicht den Kopf. Einen tiefen Atemzug später, blickt er Vinzenz streng in die Augen. Ein letztes Mal wiederholt er die zwei Worte, nur dieses Mal, hallen tausende zerfallene Seelen in seiner Kehle, die alle menschlichen Körper im Raum kalt durchfahren.
Klopf, Klopf!
Vinzenz blasses Gesicht zittert. Er ist gelähmt vor Schreck, doch er antwortet.
Wer ist da?
Er richtet die Waffe auf Vinzenz Gesicht, dessen Todesangst glitzert in den Schweißperlen, die von seinem Kinn, auf den Boden fallen.
Der Teufel, du Kotzkrücke!
Er streckt seinen Arm durch und zieht den Abzug. Vinzenz kneift die Augen zu. Es klickt. Er zuckt zusammen und schnappt hastig nach Luft. Mit geschlossenen Zähnen presst Luzifer, lachend Luft durch seinen Kehlkopf. Er senkt die leere Pistole und lässt sie in Nepomuks wachsende Blutlache fallen. Der junge Exorzist zittert sich die restliche Farbe aus dem Gesicht.
Ich bin der Satan, Ihr Idioten!
Der gefallene Engel reibt sich die Augen mit dem Handrücken und lacht vergnügt dabei. Johannes nimmt schmunzelnd einen tiefen Schluck Absinth.
Du bist ein Arschloch Luzifer.
Ich weiß.
Wie geht’s dem Hund?
Das Vieh hat drei Köpfe und sabbert.
Luzifer hebt den Arm und zeigt auf den Kühlschrank.
Darf ich?
Tu dir keinen Zwang an!
Luzifer öffnet den Kühlschrank, beugt seine Knie und steckt seinen Kopf zwischen Bier und Mayonnaise. Johannes sucht Vinzenz Blick.
Hey Vinnie, bist du noch da?
Der Priester öffnet zuckend die Augen. Er sieht auf den verstümmelten Körper seines Lehrmeisters. Dessen Augenlider flimmern. Sein, so gut wie, abgetrennter Unterschenkel liegt in einem unnatürlichen Winkel zu seinem Oberschenkel. Luzifer drückt seinen Kopf gegen die Innenseite des Kühlschranks.
Ahh, göttlich.
Er verharrt kurz in dieser Position.
Hat deine Frau dich endlich verlassen?
Johannes zeigt Luzifers Rücken den Mittelfinger.
Sie ist im Garten, bei den zwei Profichaoten aus dem Erdgeschoss.
Johannes sieht zu Nepomuk.
Wenn sie Monsignore Giordano lebendig vortrifft wird sie zur Furie.
Gut, dass ich mich beherrschen kann.
Gut, dass du lügst.
Luzifer lacht hämisch in den Kühlschrank.
Sag diesem kleingläubigen Pharisäer, ich bin Satan!
Vinzenz Stimme huscht dünn aus seinem Mund.
Der Teufel selbst darf keine Menschen töten.
Johannes dreht die Glut seines Blunts im halbvollen Wegwerf-Aschenbecher.
Du darfst nicht alles glauben, was sie dir im Fernsehen erzählen. Und wenn er es nicht getan hätte …
Vinzenz erhebt sich wie ein Roboter. Er zieht ein kleines rundes Glas mit Weihwasser, aus seiner blutbefleckten Kutte und hält es zitternd in die Höhe. Es ist verschlossen von einem, mit rotem Kerzenwachs versiegelten, Korken.
Wollen wir doch mal sehen ob ihr wirklich kugelsicher seid.
Johannes fixiert das Gefäß mit seinen Augen. Vorsichtig stellt er sein Glas auf den Tisch. Blut tropft von Vinzenz Gesicht auf seinen linken Schuh. Seine Stimme schwankt zwischen Zorn und Panik.
Ihr werdet mir jetzt zuhören …
Johannes lächeln weicht aus seinem Gesicht.
Luzifer, der Pfaffe zeigt Charakter.
Er zieht seinen Kopf langsam aus dem Kühlschrank.
Charakter …
Der Teufel sieht voller Ernst zu Vinzenz.
… Charakter ist etwas für Tiere.
Das geweihte Wasser schwappt im Glas hin und her. Die Stimme des Exorzisten zittert stockend aus ihm heraus.
In Namen Jesu Christi, ich befehle euch …
Luzifer hebt die Hände schützend vor sich.
Vinz, bleib cool, keiner will dir was Böses.
Luzifer geht einen Schritt auf ihn und Nepomuk zu.
Vinnie, du hast doch nicht ohne Grund den weiten Weg gemacht und der Grund ist bestimmt nicht hier Amok zu laufen. Ein paar der Anwesenden sind, in der Tat, Weihwasserintolerant.
Luzifer geht einen weiteren Schritt auf ihn zu. Nepomuk kommt mit einem tiefen Husten wieder zu Bewusstsein. Vinzenz wendet seinen Blick ruckartig zu seinem stark blutenden Lehrmeister, Luzifer greift mit einer Hand nach dem Weihwasser und mit der anderen nach Vinzenz Kehle. Die italienischen Schuhe samt Priester verlassen den Boden, seine Zehenspitzen greifen nach dem blutigen Vinyl, doch sie versagen. Seine Augen weiten sich, kein Ton schafft es durch seine Kehle. Luzifer öffnet das Fläschchen mit einen Daumendruck und stemmt den Priester noch etwas höher gen Zimmerdecke. Er hält das gesegnete Wasser vor sein eigenes Gesicht, prostet Vinzenz zu und trinkt es in einem Zug aus. Luzifer sieht seinem Gefangenen tief in die Augen und lässt das Fläschchen fallen. Er rülpst Vinzenz ins Gesicht und lässt auch ihn auf den Boden fallen. Die Gäste lachen zügellos und gehässig. Aus der Menge hört man konstruktive Kritik.
Idiot!
Vinzenz ringt mit aller Kraft nach Luft. Luzifer fährt sich mit den Fingern durch die Haare.
Ich hasse Katholiken.
Bevor er weiter ausholen kann, unterbricht ihn Nepomuks schleifender Fluchtversuch. Unter Höllenqualen robbt er sich Zentimeter für Zentimeter voran. Die anderen Partygäste versperren ihm den Weg. Luzifer muss kurz grinsen.
Will der mich verarschen oder was?
Ein paar energische Schritte später steht Luzifer neben Nepomuks blutendem Kopf.
Ich glaube es hackt!
Der gefallene Engel hebt das rechte Bein und stampft mit aller Gewalt zwischen die Schulterblätter des alten Mannes. Das Rückenmark bricht an beiden Enden der Sohle. Seine Lunge und sein Herz stellen aus Mangel an Anweisung ihren Betrieb ein. Es folgt ein stummes Ersticken, begleitet von vollem Bewusstsein. Jubel bricht zwischen den Dämonen aus. Vinzenz erstarrt, doch Luzifer findet die passenden Worte.
Wir sehen uns morgen früh, Verdammter!
Er wendet sich zur Seite und tritt mit aller Kraft Nepomuks Unterschenkel an den beigen Küchenschrank. Vinzenz muss kurz seinen Würgereflex unterdrücken. Gemächlich steht Johannes aus seinem Stuhl auf.
Vinz, altes Haus, du musst begreifen, wir haben genauso wenig Interesse daran, ein verfrühtes Ende zu finden, wie du. Jedoch befindet sich hier nur eine Person im Raum, das bist du, die den Vatikan nicht brennen sehen will. Alle anderen haben sich chic gemacht und schlürfen Van Goghs geheimen Keller leer. Gott hab' ihn selig, den alten Spinner. Wir sind in Kampfstellung und bereit zurückzuschlagen, aber wir …
Als das Wort seine Lippen verlässt, wird ihm wieder klar, dass er kein Teil von diesem »Wir« ist.
… bestehen auf einen Plan B und da kommst du ins Spiel. Falls und ich betone falls die Kirche einmal recht haben und sollte und wir Legion nicht besiegen können, wird der ermordete Engel sich Gott unterwerfen und gegen meinen und den Willen des Satans, zu Gott zurückkehren. Sie wird fallen, wenn es nicht anders geht. Der, ach, so gnädige Erzengel Michael wird eine Feder verkraften können, ich reiß sie dem Kopfgeldjäger mit Vergnügen selber raus. In dieser Wohnung bist du sicher, auch nach dem Fall des Vatikans, dafür kannst du dich bei dreiundvierzig verbrannten Nonnen aus Wales bedanken.
Das Blut, die Gewalt und die Anwesenheit des Teufels setzen Vinzenz zu, aber das seine Angstgegner die Situation anscheinend nicht mal ernst nehmen, irritiert ihn völlig.
Ihr wollt die ganze Welt opfern um …
Nein, nein, Vinzenz, du musst, selbst in dieser Stresssituation, aufmerksam zuhören. Wir ziehen in den Krieg. Wenn Luzifers Kraft nicht ausreicht, kämpfen die Dämonen Seite an Seite. So einfach ist das. Ich habe die ganze Scheiße nicht viertausend Jahre lang mitgemacht, damit die Menschen jetzt alles durch den Ofen jagen. Ich war in Sodom und in Gomorra, glaub mir, der Mensch ist kein Stück besser geworden, im Gegenteil. Du und deines Gleichen … Weißt du was, setzt dich einfach irgendwo hin und versuchen niemanden zu taufen.
Vinzenz zischt beleidigt durch seine Zähne.
Willst du dir denn nicht mal unser …
Er wischt sich mit seinem Ärmel das Blut aus dem Gesicht.
…mein Angebot anhören.
Johannes hebt die Arme und dreht sich zu den Gästen.
Oh, alle aufpassen, die heilige katholische Kirche hat ein Angebot zu machen. Lauscht, oh, gefallene Engel. Trage er es denn vor, Senior De Luca.
Der Papst wird euch eure Sünden…
Dieses Mal lachen die Gäste noch lauter. Vinzenz spürt den Schall in seinem Gesicht. Seine Augen schnallen zu Luzifer, als dessen Stimme aus dem Gelächter ertönt.
Du bist ganz schön naiv mein Freund.
… und ihr könnt eine Tafel nach dem Ritual behalten.
Das Gelächter verstummt. Der ganze Raum steht still. Johannes lässt seinen Blunt auf den Boden fallen. Niemand tritt ihn aus. Eine Sekunde sieht es so aus, als würde sich der Rauch in die Zigarre zurückziehen. Vinzenz fährt fort.
Wenn ihr aber euren falschen Stolz nicht überwinden könnt und der Vatikan auch nur einen Kratzer bekommt, geht ihr leer aus. Das Ritual wird so schnell wie möglich vollzogen, ihr verschwindet aus unserer Welt und die Menschheit ist gerettet.
Johannes legt den Kopf zur Seite und massiert kurz seine Nackenmuskulatur.
Das ist ein sehr großzügiges Angebot von einem Ertrinkenden, aber wir verzichten. Wenn wir diese Welt für immer verlassen und Legion in ein paar Jahrhunderten wiederkommt, sind die Menschen völlig schutzlos. Die Kirche kann sie nicht vor dem Schlechten beschützen, sie ist selber schlecht. Wir werden kämpfen und zwar heute. Aber zur allgemeinen Erheiterung, sagen wir ich wäre interessiert an Tafel und Absolution, was verlangt der Heilige Vater für seine exklusiven Dienste?
Vinzenz Muskeln brennen als er sich aus der Blutlache seines Lehrmeisters erhebt. Er atmet tief ein.
Wenn der Heilige Vater richtig informiert ist, könnt ihr uns keine Federn für das Ritual geben und der Erzengel Michael wird euch niemals helfen. Also opfern wir den Rest des gefallenen Engels Mara. Gott wird hoch erfreut sein.
Jede Ader sticht aus der Haut des Dämons. Die gesamte Versammlung tritt blutrünstig zwei Schritte auf den Priester zu. Samson bewegt sich keinen Millimeter.
Lasst ihn! …
Der Lynchmobb bleibt stehen. Vinzenz Herz führt einen Belastungstest durch.
… Er weiß nicht wonach er da bittet.
Unter Johannes Blick, verdurstet Vinzenz nächster Satz, bevor er begonnen hat. Der Gastgeber senkt langsam seinen Kopf, doch seine Augen verlassen den Priester nicht für einen Wimpernschlag. Tiefrote Runen ziehen vom Boden, hoch zu seinen Knien. An der Zimmerdecke über ihm bildet sich eine Lache aus schwarzen Runen, aus denen tiefrote Dornen sprießen. Die Stimme des Gastgebers ist klar und leise.
Ihr redet so viel. Ihr habt einmal damit begonnen zu reden und bis heute habt ihr nicht mehr damit aufgehört.
Glühender Zorn folgt Johannes Schritten.
Euer Atem riecht nach Galle und eure Gestik lechzt nach Aufmerksamkeit und Lob des Pöbels. Ihr redet hochmütig daher und denkt Gott lauscht vergnügt dabei.
Johannes Spiegelbild in Vinzenz Augen wird größer, bis es über seine Lider hinausragt.
Gott, hasst euch, Bruder Rocco, weil ihr die Seelen eurer Schafe vergiftet. Und ich sag dir eines, derjenige der damit angefangen hat …