Читать книгу Vegane Ernährung für Einsteiger - Niko Rittenau - Страница 10
WARUM VEGAN LEBENDE MENSCHEN keine tierischen Produkte konsumieren
ОглавлениеWie 2019 eine Befragung an 24.000 vegan lebenden Menschen aus 15 europäischen Ländern zeigte, haben viele von ihnen mehr als nur einen Grund für ihren Umstieg auf eine vegane Lebensweise.1 Ethische, ökologische und gesundheitliche Gründe zählen zu den am häufigsten genannten. Da die meisten Befragungen dieser Art mehrere Antwortmöglichkeiten zulassen, war jedoch lange Zeit nicht durch Umfragen belegt, welche Motivation bei vegan lebenden Menschen in den DACH-Staaten der schwerwiegendste Beweggrund für den initialen Umstieg und welcher der wichtigste für das Beibehalten der veganen Ernährung ist.
Durch eine eigens durchgeführte Umfrage mit 10.000 vegan lebenden Menschen in unseren sozialen Netzwerken konnten wir diese Frage nun aber ebenfalls beantworten. Es zeigte sich, dass das ethische Argument mit 62 Prozent sowohl der mit Abstand gewichtigste Grund für den initialen Umstieg als auch mit 69 Prozent der gewichtigste Grund für die Aufrechterhaltung der veganen Lebensweise für Personen aus den DACH-Staaten ist.2 Daraus lässt sich folgern, dass bei einigen Menschen, bei denen Tierethik nicht die ursprünglich stärkste Motivation war, diese mit der Zeit an Priorität gewann. 22 Prozent stiegen ursprünglich aus gesundheitlichen Gründen um, allerdings waren diese nur noch bei knapp 12 Prozent der Hauptgrund für die Weiterführung der veganen Ernährung. Die Häufigkeit der ökologisch motivierten veganen Ernährung änderte sich hingegen im Laufe der Zeit mit 13 Prozent (Umstieg) zu 15 Prozent (Aufrechterhaltung) nur geringfügig.
Weltgesundheitliche (Pandemien, Antibiotikaresistenzen usw.), religiöse und kulinarische Gründe spielten hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Dies deckt sich mit einer der wenigen weiteren Single-Choice-Umfragen zur Hauptmotivation für den Umstieg mit über 12.000 Teilnehmer*innen (vorwiegend aus Australien, USA, Kanada und dem Vereinigten Königreich), in der 68 Prozent Tierethik, 17 Prozent Gesundheit und knapp 10 Prozent Umweltschutz als primären Grund angaben.3 Anhand der im vorherigen Kapitel gezeigten Definition des Veganismus nach der Vegan Society überrascht es nicht, dass sich die Mehrheit der vegan lebenden Menschen aus ethischen Gründen für eine vegane Lebensweise entscheidet. Die Tierethik bildet nämlich seit jeher den Kern des Veganismus.4 Dennoch wird gesellschaftlich (und in den sozialen Medien) der Fokus sehr oft überwiegend oder gar ausschließlich auf die gesundheitlichen oder ökologischen Aspekte der veganen Ernährung gelegt. Dies führt wiederum dazu, dass der eigentliche Kernpunkt oft außen vor bleibt. So wird verhindert, dass über diejenigen gesprochen wird, die unter unserer aktuellen Lebensweise am meisten leiden: jene Tiere, die wir als sogenannte »Nutztiere« bezeichnen und die für unsere Ernährung, Kleidung, Forschungszwecke und vieles weitere ausgebeutet und getötet werden – obwohl es heutzutage in den meisten Fällen nicht mehr notwendig ist. In welchem Ausmaß westliche Länder wie Deutschland Tiere alleine zu kulinarischen Zwecken töten, zeigt Abbildung 7. Durchschnittlich isst jeder Mensch in Deutschland im Laufe seines Lebens weit mehr als 1.000 Tiere, die in den allermeisten Fällen unter unwürdigen Bedingungen gehalten und nach nur einem Bruchteil ihres Lebens getötet wurden.
Abb. 7. Lebenslanger Durchschnittsverzehr an Tieren in Deutschland pro Person5
Alleine in Deutschland werden pro Tag (!) mehr als 2 Millionen Landtiere für den Verzehr geschlachtet (Fische nicht einberechnet).6 Weltweit sind es täglich über 200 Millionen.7 Würde man Menschen in dieser Geschwindigkeit töten, wäre die Menschheit in etwa 40 Tagen vom Planeten verschwunden. Abbildung 8 illustriert, wie jung die allermeisten Nutztiere sterben müssen und wie lange ihre eigentliche Lebenserwartung wäre. Männliche Küken von Legehennen werden bereits am Tag ihrer Geburt getötet, weil sie einerseits für die Eierindustrie nicht zu gebrauchen sind und andererseits einer Zuchtrasse entspringen, die zu langsam Fleisch ansetzt, sodass ihre Aufzucht aus Sicht der Betriebe unökonomisch wäre. Aber auch Masthähnchen (männliche wie weibliche) werden nur wenige Wochen alt, obwohl ihre natürliche Lebenserwartung mehrere Jahre beträgt. Dasselbe gilt für Kaninchen, Schweine, Rinder und weitere Tiere, deren Fleisch vom Menschen verzehrt wird. Wie nachfolgend in diesem Buch beschrieben wird, ist der schnellere Tod dieser Tiere aber in vielen Fällen sogar noch die bessere Alternative als das Überleben von beispielsweise Milchkühen und Legehennen, deren Leid sich dadurch lediglich in die Länge zieht.
Zwar sprechen auch ökologische, (welt)gesundheitliche und weitere Argumente für eine drastische Reduktion des Konsums von Fleisch und anderen tierischen Lebensmitteln12, aber eine komplette Abkehr von der Tierausbeutung kann nur ethisch begründet werden, da alle anderen negativen Aspekte der aktuell vorherrschenden Tierhaltung bereits durch Reformen der Haltungsbedingungen bzw. eine Einschränkung der Tierhaltung erreicht werden könnten. Mit anderen Worten: Die desaströsen ökologischen Auswirkungen der weltweiten Tierhaltung sowie die Gefahren von Antibiotikaresistenzen und Zoonosen könnten bereits damit in Schach gehalten werden, dass deutlich weniger Tiere unter anderen Bedingungen gehalten werden. Dadurch würden zwar insgesamt weniger Tiere ausgebeutet, aber für das weiterhin ausgebeutete Individuum machte es keinen Unterschied. Wie der amerikanische Philosoph Tom Regan schrieb, verlangt der Tierrechtsaktivismus nicht größere Käfige, sondern leere Käfige.13 Daher treten vegan lebende Menschen dafür ein, dass nicht weniger Ausbeutung und Grausamkeiten gegenüber Tieren geschehen, sondern dass nichts mehr davon geduldet wird. Das Ziel kann dabei nicht sein, Tierleid komplett zu verhindern; das ist in einer derart komplexen Welt für ein Individuum nicht umsetzbar. Allerdings macht es ethisch gesehen einen bedeutenden Unterschied, ob Leidverursachung und Tötung mit oder ohne Absicht begangen werden und welche Maßnahmen unternommen werden, um Leid für Menschen und andere Tiere auf ein möglichstes Minimum zu reduzieren.
Abb. 8. Lebensdauer in der »Nutztierhaltung« im Vergleich zur Lebenserwartung von Tieren8,9,10,11
Im Jahr 2021 wurden in Deutschland in der Eierindustrie etwa 45 Millionen männliche Küken an ihrem ersten Lebenstag vergast, weil sie keine Eier legen und aufgrund ihrer Zuchtlinie zu wenig schnell Gewicht für die Mast zulegen und somit unrentabel sind.
Abb. 9. Hühner mit ausreichend Auslauf – ein seltenes Bild in der Tierhaltung
Zur Vertiefung: Die Dokumentation The Game Changers beschäftigt sich mit der Frage, wie sich der Wechsel zu einer veganen Ernährung auf die Leistungsfähigkeit von Athlet*innen auswirkt und ob diese trotz oder gerade wegen der veganen Kost zu Höchstleistungen imstande sind. Zu Wort kommen unter anderem Arnold Schwarzenegger, Lewis Hamilton, Patrik Baboumian, Dotsie Bausch und viele weitere. Trotz kleinerer einseitiger pro-veganer Verzerrungen ist dies eine durchweg gute Dokumentation, die auch von Organisationen wie dem American College of Lifestyle Medicine befürwortet wird. Ein ähnliches Konzept verfolgt die vegane Sport-Dokumentation V like Victory aus Deutschland, die kostenlos auf Youtube angesehen werden kann.