Читать книгу Vegane Ernährung für Einsteiger - Niko Rittenau - Страница 11
GRÜNDE für die Exklusion von Fleisch
ОглавлениеVieles spricht dafür, dass dem Verzehr von Fleisch eine bedeutende Rolle in der Evolution des Menschen zukam.14 Dennoch überschätzen viele Personen dessen evolutive Relevanz vor allem in Bezug auf die Entwicklung unserer kognitiven Fähigkeiten, für die andere Aspekte wie das Kochen von deutlich größerer Bedeutung waren.15 Egal welche Rolle der Fleischverzehr zu früheren Zeiten gespielt haben mag, in der heutigen Zeit mit dem Zugang zu einem solch reichhaltigen veganen Lebensmittelangebot inklusive angereicherter Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel ist hierzulande niemand mehr auf den Fleischverzehr angewiesen.16 Das soll nicht heißen, dass es auf keinem Teil der Welt in keiner Situation jemals eine gerechtfertigte Argumentation für den Fleischverzehr geben kann. Aber in privilegierten westlichen Ländern wie den DACH-Staaten gibt es dafür keine ethische Rechtfertigung. Dort stellt der Konsum tierischer Lebensmittel lediglich ein (kulinarisches) Begehren dar. Diesem liegt keine ernährungsphysiologische Notwendigkeit zugrunde, und gleichzeitig verletzt er schwerwiegende Bedürfnisse von Tieren, wie ihr Interesse an der Vermeidung von Leid, Ausbeutung und der Tötung.
Die Ethik als philosophische Disziplin versucht dabei, sehr vereinfacht gesagt, zu gewährleisten, dass möglichst viele Individuen ein möglichst gutes Leben führen können. Ein ethisches Miteinander ist somit im Sinne aller Individuen, die nicht vollkommen isoliert von jeglicher Gesellschaft leben. Wichtig ist dabei, dass Willkür (ein für andere nicht nachvollziehbares Handeln aufgrund rein persönlicher Beweggründe, welches sich nicht an bestimmte Regeln hält) zum Wohle aller Personen innerhalb der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Denn wie uns die Geschichte lehrt, ist dort, wo Willkür herrscht, auf Dauer kein funktionierendes, gelingendes Miteinander möglich. Da Willkür zu unbegründeter Schlechterbehandlung führen sowie einem funktionierenden Miteinander im Wege stehen kann, ist es im Interesse aller Menschen, Willkür in allen Lebensbereichen zu vermeiden – denn die willkürliche Schlechterbehandlung kann jeden treffen. Ein wichtiger Grundsatz, um Willkür zu vermeiden, lautet Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Ein Beispiel: Eine Forderung, der die allermeisten Menschen bereitwillig zustimmen, ist das Ziel, dass keinem leidensfähigen Individuum willkürlich Leid zugefügt werden sollte, weil jenes Leid sonst auch sie selbst treffen könnte. Wenn zur Vermeidung von Willkür Gleiches gleich zu behandeln ist, dann kann das Ziel, jemandem nicht willkürlich Leid zuzufügen, allerdings nicht einfach ohne Weiteres auf Menschen alleine beschränkt werden; die Fähigkeit zu leiden macht nicht an der Speziesgrenze Halt.
Wer diese Form der Berücksichtigung auf Menschen beschränken will, müsste im Sinne der Willkürvermeidung aufzeigen können, welche in dieser Hinsicht relevante Eigenschaft alle Menschen von anderen Tieren bezüglich des Zufügens von Leid trennt. Die bloße Spezieszugehörigkeit kann für sich genommen kein ausreichendes Kriterium sein, um eine klare Mensch-Tier-Grenze zu ziehen. Trotz vielfältiger Bemühung zahlreicher Menschen, die ihren Fleischkonsum rechtfertigen wollen, konnte keine derartige einzigarte Eigenschaft beim Menschen schlüssig, konsistent und frei von Willkür aufgezeigt werden.
Zudem darf nicht ignoriert werden, welche Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der industriellen Intensivtierhaltung immer wieder dokumentiert werden. Auch deutsche Schlachtbetriebe beuten in vielen Fällen systematisch Menschen aus osteuropäischen Ländern aus. Berichte zeigen, dass etwa drei Viertel der Arbeiter*innen unfaire Werkverträge bei Subunternehmen haben, bei denen sie, zum Teil über Tricks bei der Arbeitszeitenregelung, nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn erhalten. Viele der Beschäftigten wohnen außerdem in unwürdigen Massenunterkünften, in denen bis zu sechs Personen in einem Zimmer mit nur einem Gemeinschaftsbadezimmer unter meist mangelhaften hygienischen Zuständen leben müssen.17 Die begrenzte Datenlage zu der psychischen Belastung durch die Arbeit in Schlachthäusern offenbart ebenfalls Besorgniserregendes: Eine groß angelegte Studie aus den USA zeigte, dass mit der Errichtung von Schlachthäusern in Gemeinden die Rate an Strafdelikten – vor allem Sexual- und Gewaltverbrechen – überproportional anstieg.18 Studien untermauern, dass die Arbeit in Schlachthäusern das Risiko für das Auftreten von psychischen Störungen sowie Drogen- und Alkoholsucht erhöht.19
Warum vegan lebende Menschen kein Fleisch essen
Billigfleisch verletzt Menschenrechte
Um die Kosten für Fleisch möglichst gering zu halten, beuten auch deutsche Schlachtbetriebe oft Menschen aus. Arbeiter*innen werden nicht gerecht vergütet, haben unfaire Werkverträge und hausen in unwürdigen Massenunterkünften. Ihre Arbeit ist überdies psychisch belastend und erhöht das Risiko für das Auftreten von psychischen Störungen sowie Drogen- und Alkoholsucht.
Die »Nutztierhaltung« ist ein Gefahrenherd für Pandemien
Das Risiko für das Auftreten von gefährlichen Zoonosen ist unweigerlich mit der Fleischproduktion verknüpft. Bis zu drei Viertel aller humanpathogenen Erreger stammen aus der »Nutztierhaltung«. So ist es nur eine Frage der Zeit bis zur nächsten globalen Pandemie.
»Nutztierhaltung« ist der weltweit größte Antibiotikaverbraucher
Laut WHO ist die »Nutztierhaltung« durch die willkürliche und übermäßige Verabreichung von Antibiotika an die Tiere einer der relevantesten Gründe für das Auftreten von Antibiotikaresistenzen. Weltweit werden etwa drei Viertel aller Antibiotika nicht in der Humanmedizin, sondern in der Tierhaltung angewendet.
Tiere fühlen Schmerz, Leid und Angst
Sämtliche von uns als »Nutztiere« gehaltenen Tiere haben ein gut belegtes physisches und psychisches Leidempfinden und somit ein klares Interesse an der Leidvermeidung sowie am Aufrechterhalten ihres Lebens. Es ist nur folgerichtig, dieses Interesse zu berücksichtigen und ihnen kein Leid zuzufügen und sie nicht zu töten.
Eine gerechte Gesellschaft kann keine Tierausbeutung dulden
Eine lebenswerte Gesellschaft ist möglichst frei von Willkür und Ungerechtigkeiten. Das gesellschaftliche Ziel, Individuen nicht willkürlich Leid zuzufügen, kann dabei nicht rational begründbar nur auf Menschen beschränkt werden, da die Fähigkeit zu leiden nicht an der Speziesgrenze haltmacht.
Fleisch hat kein Monopol auf Nährstoffe
Man findet alle im Fleisch enthaltenen überlebensnotwendigen Nährstoffe auch in anderen nicht tierischen Lebensmitteln. Eine gesunde Ernährung kann auch ohne die Ausbeutung dieser Tiere gelingen.
Übermäßiger Fleischkonsum belastet die Umwelt
Führende Fachgesellschaften sind sich einig, dass Ernährungsweisen mit einem großen Anteil an tierischen Produkten schlechter für die Umwelt sind, weil sie mehr Ressourcen verbrauchen und mehr Umweltschäden verursachen. Der Konsument tierischer Produkte ist ein enormer Flächen- und Wasserverbraucher und maßgeblich an der Regenwaldabholzung, dem Artensterben und dem Klimawandel beteiligt.
Abb. 10. Probleme verbunden mit dem Verzehr von Fleisch
Letztendlich sollte es bei all den Diskussionen auch schlichtweg darum gehen, die altbekannte goldene Regel der Ethik in der Variante des Philosophen Leonard Nelson konsequent zu befolgen: Man möge so handeln, dass man auch selbst in diese Handlung einstimmen würde, wenn die Interessen des betroffenen Individuums die eignen wären.20 Da sämtliche von uns als »Nutztiere« bezeichneten Lebewesen ein gut belegtes physisches und psychisches Leidempfinden haben und somit ein klares Interesse an der Leidvermeidung und am Aufrechterhalten ihres Lebens aufweisen, ist es nur folgerichtig, dieses Interesse zu berücksichtigen und ihnen kein Leid zuzufügen und sie nicht zu töten. Wenn wir in der Situation des Opfers wären, würden wir uns ebenso sehr wünschen, dass sich jemand so für unsere Interessen einsetzt, wie es vegan lebende Menschen für andere Tiere tun. Nur weil wir Menschen aktuell in der überlegenen Position sind, haben wir nicht das Recht, diese Situation auszunutzen. Eine so deutliche Interessensverletzung nur aufgrund der Spezieszugehörigkeit zu begehen, ist ebenso falsch, wie sie es aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit, des Geschlechts oder anderer willkürlich gewählter Merkmale ist. Somit ist die Kritik am vorherrschenden Speziesismus ebenso wie Kritik an anderen Formen der Diskriminierung wie dem Rassismus und dem Sexismus rational und solide begründbar. Unsere Gesellschaft entwickelt sich nicht nur technologisch, sondern auch ethisch weiter. Es ist an der Zeit, auch nicht menschliche Tiere in unsere ethische Betrachtung miteinzubeziehen. Am Ende des Tages profitiert davon jeder einzelne Mensch, denn eine sich an ethischen Werten orientierende Gesellschaft ist nicht nur eine lebenswertere für all die anderen Tiere, sondern auch für die Menschen.
Auch wenn abseits der ethischen Gründe keine weiteren Argumente für das Ende der Tierausbeutung nötig sind (ebenso wie es abseits der ethischen Begründung keine weiteren Rechtfertigungen für die Abschaffung der Apartheit oder anderer sozialer Ungerechtigkeiten geben musste), gibt es dennoch eine Reihe an ökologischen und weltgesundheitlichen Aspekten der modernen Intensivtierhaltung, die ebenfalls in der Diskussion um den Fleischverzehr nicht unbeachtet bleiben dürfen. Die weltweit größte Ernährungsfachgesellschaft – die Academy of Nutrition and Dietetics (AND) – schreibt dazu: »Pflanzenbasierte Ernährungsformen sind umweltfreundlicher als Ernährungsweisen mit einem großen Anteil an tierischen Produkten, weil sie weniger Ressourcen verbrauchen und somit weniger Umweltschäden verursachen.«21 Die weltweite »Nutztierhaltung« ist für etwa drei Viertel der Amazonasregenwald-Abholzungen verantwortlich,22 verursacht im europäischen Durchschnitt etwa 17 Prozent der Treibhausgasemissionen (mehr als alle Autos in der EU; siehe Abbildung 12)23 und ist ein enormer Flächenverbraucher. Etwa ein Drittel der weltweiten Landfläche24 bzw. drei Viertel der landwirtschaftlich genutzten Fläche25 werden direkt oder indirekt durch die »Nutztierhaltung« belegt. Obwohl sie also den Großteil der Fläche einnimmt, liefern die dadurch produzierten tierischen Lebensmittel nur etwa 18 Prozent aller weltweit produzierten Kalorien bzw. 37 Prozent aller Proteine.26
Laut der World Health Organization (WHO) ist die »Nutztierhaltung« außerdem durch die willkürliche und übermäßige Verabreichung von Antibiotika an die Tiere einer der relevantesten Gründe für das Auftreten von Antibiotikaresistenzen.27 Weltweit werden etwa drei Viertel der Antibiotika nicht in der Humanmedizin, sondern in der Tierhaltung angewendet,28 und Prognosen gehen davon aus, dass 2050 jährlich mehr Menschen an Antibiotikaresistenzen als an Krebs sterben werden.29 Somit riskieren wir, einen der bedeutendsten medizinischen Meilensteine des letzten Jahrhunderts lediglich aufgrund des unstillbaren Verlangens nach möglichst viel billigem Fleisch und anderen tierischen Lebensmitteln einzubüßen. Auch das Thema Zoonosen (= Infektionskrankheiten, die von Tieren auf den Menschen – und umgekehrt – übertragbar sind) ist unweigerlich mit der Fleischproduktion verknüpft. Zoonosen wie die Geflügelgrippe oder der Rinderwahn30 stammen ebenso wie bis zu drei Viertel aller humanpathogenen Erreger aus der »Nutztierhaltung«.31 So hieß es in einem Editorial des American Journal of Public Health im Jahr 2007 bezüglich des Zoonosen-Risikos durch die Tierhaltung: »Diejenigen, die Tierprodukte konsumieren, schaden damit nicht nur den Tieren und gefährden sich selbst, sondern sie bedrohen damit auch das Wohlergehen anderer Menschen, die heute oder in der Zukunft auf unserem Planeten leben.«32 All diese Szenarien wären in einer Welt ohne »Nutztierhaltung« zwar nicht gänzlich verschwunden, aber das Risiko wäre bedeutend geringer.33 Somit lässt sich sagen, dass die Bestrebungen der veganen Bewegung durchaus als Multi-Problemlöser (in Kombinationen mit anderen wichtigen Interventionen) fungieren. Obwohl alleine schon die ethischen Argumente eine Abkehr von der »Nutztierhaltung« dringend notwendig machen, verstärken die positiven Effekte auf die Umwelt und die Weltgesundheit die vegane Position zusätzlich.
Vegane Alternativen zu Fleisch & Wurst
Basis für selbst gemachte Fleischalternativen
•(Räucher-)Tofu (z. B. von Taifun oder Svadesha)
•(Räucher-)Tempeh (z. B. von Tempehmanufaktur oder Nagel)
•Seitan (Seitan-Fix z. B. von Vantastic Foods oder Veganz)
•Erbsenhack (z. B. von dmBio oder Latao)
•Sonnenblumenhack (z. B. von Sunflower Family oder enerBIO)
•Sojahack (z. B. von Vantastic Foods oder Veganz)
•Jackfruit (z. B. von Jacky F. oder Govinda)
Vegane Wurstalternativen
•Vegane Leberwurst (siehe Rezept Seite 96 oder z. B. von Granovita)
•Veganer Aufschnitt (z. B. von Veganz)
•Vegane Teewurst (z. B. von Rügenwalder Mühle)
Vegane Convenience-Fleischalternativen
•Fleischersatz auf Weizen-Seitanbasis (z. B. von Wheaty oder Grüngold)
•Fleischersatz auf Lupinenbasis (z. B. von Alberts)
•Fleischersatz auf Erbsenbasis (z. B. von Vegini oder Planted)
•Fleischersatz auf Sojabasis (z. B. von Like Meat oder Garden Gourmet)
•Fleischersatz auf Tofubasis (z. B. von Lord of Tofu)
Zellbasiertes & 3-D-gedrucktes Fleisch (noch nicht erhältlich)
•Upside Foods (u. a. zellbasiertes Hühnerfleisch)
•Super Meat (u. a. zellbasiertes Hühnerfleisch)
•Mosa Meat (u. a. zellbasiertes Rindfleisch)
•Aleph Farms (u. a. zellbasiertes Steak)
•Innocent Meat (diverses zellbasiertes Fleisch)
•New Age Meats (u. a. zellbasiertes Schweinefleisch)
•Peace of Meat (u. a. zallbasiertes tierisches Fett)
•Nova Meat (3-D-gedrucktes Pflanzenfleisch)
•Redefine Meat (3-D-gedrucktes Pflanzenfleisch)
Abb. 11. Vegane Alternativen zu Fleisch & Wurst
Wie Abbildung 11 (S. 27) zeigt, gibt es in der veganen Ernährung zahlreiche gute Fleischalternativen, sodass man beliebte deftig-fleischige Aromen auch ohne den negativen Beigeschmack des Tierleids genießen kann. Durch eine gut geplante vegane Kost können alle in Fleisch dicht konzentrierten Nährstoffe auch ohne tierische Lebensmittel in ausreichender Menge zugeführt werden. In den kommenden Jahren wird außerdem durch Innovationen wie dem Zellkulturfleisch eine exakte Reproduktion von tierischem Gewebe ohne die negativen ethischen, ökologischen und weltgesundheitlichen Aspekte möglich sein.34
Abb. 12. Treibhausgasemission im Europa im Vergleich
Zur Vertiefung: Die Dokumentation The End of Meat von Marc Pierschel (u. a. Produzent von Live and Let Live) geht den ethischen und ökologischen Folgen der globalen Fleischproduktion auf den Grund und zeigt auf, wie eine Welt ohne den Verzehr von Fleisch von geschlachteten Tieren aussehen könnte. Mit The End of Meat wurde erstmals auch das Thema der zellbasierten Landwirtschaft (u. a. die Produktion von Fleisch aus Zellen ohne Schlachtung des Tieres) beleuchtet und als aussichtsreiche Alternative auf dem Weg hin zu einer Welt ohne Tierausbeutung aufgezeigt.