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Kapitel 8

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Fast eine ganze Woche war vergangen, seit Ayden Nathan das letzte Mal gesehen hatte. Ayden hatte genau das bekommen, was er von Nathan verlangt hatte, und doch verließ ihn dieses beklemmende Gefühl in seiner Brust nicht.

An jenem Abend der Auseinandersetzung in der Bar, schlief Ayden auf Shadows Couch und war froh über die willkommene Abwechslung, die ihm das Schlafsofa, im Vergleich zum steinigen Untergrund seiner Höhle, geboten hatte. Am Morgen darauf ließ Shadow ihn nach einem reichhaltigen Frühstück nur widerwillig gehen, so waren seine Verletzungen ja noch längst nicht verheilt. Irgendwie schaffte er es allerdings doch, sie davon zu überzeugen, dass er in seinem Zuhause auch sicher wäre.

Zuhause.

Die drei Abende, die auf die Schlägerei folgten, arbeitete er nicht. Erstens, weil seine Verletzungen noch nicht verheilt waren und zweitens, weil er ja sowieso nicht Vollzeit dort angestellt war. Er brauchte die freien Tage, um genug Kraft zu tanken, dass er seine Verwandlungen an den Arbeitstagen auch mühelos kontrollieren konnte. Besonders wenn seine Arbeitstage so verliefen wie der letzte.

Zwei Abende stand er nun schon wieder hinter dem Tresen, hatte aber an keinem der beiden Tage Nathan oder den fremden Unruhestifter gesehen, auch nicht am heutigen Tag. Von Shadow hatte Ayden allerdings erfahren, dass Nathan an den Tagen, an denen Ayden nicht anwesend gewesen war, hier gewesen sei. Seitdem war Nathan aber nicht mehr erschienen. Nathan hielt sich an das Versprechen, sich von ihm fernzuhalten.

So sehr er Nathan auch immer wieder darum gebeten hatte, umso mehr verletzte sein Fernbleiben ihn nun.

Lächerlich. Warum interessierte es ihn überhaupt, ob Nathan anwesend war oder nicht?

Ayden war Nathan doch lediglich drei Mal an zwei Tagen begegnet. Vier Mal, wenn man die kurze Unterhaltung bei den Mülltonnen am Hinterhofparkplatz mitzählte. Er merkte gar nicht, dass ihm wohl erneut ein tiefer Seufzer entwich, bevor Shadow ihn durch ein leichtes Anrempeln mit ihrem Ellbogen an seinen Oberarm darauf hinwies.

»Warum so betrübt?«, fragte sie mit einem etwas zu besorgten Gesichtsausdruck.

»Alles gut, ich war nur in Gedanken.« Ayden versuchte, Shadow mit einem leichten Lächeln zu beruhigen, welches aber wohl nur mäßig überzeugte.

»Ich seh doch, dass was ist«, meinte sie daraufhin und sah ihn mit zu einem Schmollmund geformten Lippen und gerunzelter Stirn ernst an.

»Nein, wirklich. Mach dir keine Sorgen.«

»Komisch, Nate guckt in letzter Zeit auch so bedröppelt.«

Ayden musterte Shadow kurz aus dem Augenwinkel, arbeitete dann aber rasch weiter, als hätte er ihre Worte nicht gehört. Sie wusste, was sie da tat. Sie war nicht so ahnungslos, wie man es vielleicht von ihr erwartete.

Shadow kannte Nathan seit ihrer Kindheit und konnte ihm an der Nasenspitze ansehen, wenn etwas nicht stimmte. Die letzten Tage hatte Nathan sich so komisch verhalten wie nie zuvor. Er wirkte zerstreut, sein Lachen aufgesetzt. Wenn Nathan lachte, lachten normalerweise alle im Raum mit ihm. Aber an den Tagen, an denen Ayden nicht in der Bar gewesen war, machte Nathan einen geradezu desorientierten Eindruck. Es war eigentlich üblich, dass sich der Freundeskreis so gut wie jeden Abend in der Bar versammelte.

Auch Nathan kam regelmäßig, mindestens jeden zweiten Abend. Seinem einen Nebenjob ging er in den Mittagsstunden nach. Günstigerweise bezahlte ihn seine Universität nämlich dafür, die Kisten an Nahrungsmitteln für die Kantine vom LKW in die Kühlräume zu tragen, was Nathan problemlos in seiner Mittagspause erledigen konnte. Wenn es sich ergab, übernahm er auch den ein oder anderen Türsteher-Job in einer der Diskotheken in der Stadt, wenn es dort wieder eine größere Veranstaltung gab, oder sie ihn dringend brauchten. Shadow wusste, dass Nathan froh darüber war, nicht all seine Abende für einen Job opfern zu müssen und jeder freute sich, ihn zu sehen, sobald er Shadows Bar betrat. Auch sie.

Shadow verspürte Nathan gegenüber kein romantisches Interesse. In ihrer Pubertät, im Alter von siebzehn Jahren, dachte sie zwischenzeitlich aus Nathan und ihr könnte mehr werden, allerdings kam von seiner Seite aus nie mehr als die freundschaftliche Zuneigung, die er jedem zukommen ließ, der ihm nahestand. Sie verspürte auch nicht das Verlangen, daran etwas zu ändern. Zu sehr war sie damit beschäftigt, Spaß mit ihren Freunden zu haben und zu denen zählte auch Nathan. Sie war nun 23 Jahre alt und verschwendete in den letzten sechs Jahren keinen einzigen Gedanken mehr daran, wie es wäre, mit Nathan in einer Beziehung zu sein. Er war ihr bester Freund und das war ihr, mit ihren anderen Freunden, das Wichtigste auf der Welt.

Nathans momentane Verfassung besorgte Shadow und sie konnte nicht anders, als anzunehmen, dass es mit dem neuen Barkeeper zu tun hatte. Lief zwischen ihnen doch mehr? Es war nicht so, als hätte Nathan nie ein Verhältnis mit jemandem gehabt. Obwohl er ein sehr lebensfroher Mensch war und andere Menschen gerne zum Lachen brachte, nutzte er seinen Charme allerdings nie aus. Er flirtete nicht wild herum und schlief sich auch nicht durch die halbe Weltgeschichte. Dadurch, dass sie seine beste Freundin war, wusste sie um seine Romanzen, die sie an einer Hand abzählen konnte.

Es war auch nicht so, als hätte Nathan nicht mehr Angebote bekommen oder Möglichkeiten gehabt, sich auszuleben. Für die meisten Männer, die nicht zu seinen Freunden zählten, war er ein rotes Tuch. Die Mädchen und jungen Frauen fielen ihm scharenweise zu Füßen und umzingelten ihn, sobald er einen Raum betrat. Die meisten von ihnen bildeten sich nicht gerade wenig darauf ein, wenn Nathan ein paar Worte mit ihnen wechselte oder sie zum Lachen brachte.

Shadow wusste, dass er das nicht absichtlich tat. Nathan hatte einfach eine natürlich warme Ausstrahlung, in deren Nähe man sich wohlfühlte. Umso mehr besorgte es sie, dass von dieser Ausstrahlung die letzten Tage nicht mehr viel übrig gewesen war. Nathan saß teilweise mental vollkommen abwesend auf der Couch und starrte in Richtung Tür, als würde er darauf warten, dass eine gewisse Person den Raum betrat. Normalerweise spielten sie zusammen mit ihren Freunden an der Theke Karten, wenn gerade weniger los war. Aber auch da lehnte Nathan die letzten Tage ab und glotzte stattdessen in Gedanken versunken in den Flaschenhals seines Getränks.

Auch ihre gemeinsamen Freunde hatten bemerkt, dass mit Nathan etwas nicht stimmte. Zu den genannten Freunden zählten Roxy, Finn, Kyla und Rin. Zu sechst hatten sie die letzten Jahre sämtliche Festivals oder Freizeitparks unsicher gemacht und versammelten sich sonst meistens in Shadows Bar oder zelteten im nahegelegenen Wald. Sie alle waren an Nathans frohes Gemüt gewöhnt und verstanden nicht, warum er die letzten Tage über so unnahbar gewesen war und weshalb er sich jetzt schon den dritten, aufeinanderfolgenden Abend nicht blicken und auch nicht von sich hören ließ. Trotz zahlreicher Versuche, herauszufinden, was denn mit ihm los war, hatten sie keinen Erfolg.

Shadow war als Einzige nicht entgangen, dass diese Tatsache mit Ayden zusammenhängen musste, sie hatte schließlich auch das Meiste mitbekommen und den engsten Kontakt zu Ayden und Nathan. Und der fast identisch traurige Gesichtsausdruck, den die beiden an den Tag legten, bestätigte ihre Vermutung. Da sie aber noch nicht wusste, wie sie das Thema am besten ansprechen sollte, nahm sie sich vor, Ayden am nächsten Tag mit ihren Sorgen zu konfrontieren.

Ayden verließ die Bar an diesem Abend erneut mit hängenden Schultern und machte sich, nachdem alle Gäste ihren Heimweg angetreten hatten und Shadow in ihrer inzwischen nicht mehr hell erleuchteten Wohnung verschwunden war, auf den Weg zu seiner Höhle. Während er den kurzen Fußmarsch auf seinen zwei Beinen zurücklegte, fasste er den Entschluss, Nathan am nächsten Morgen seinen Hoodie zurückzubringen. Obwohl Nathan gemeint hatte, dass er den Pullover behalten sollte, wollte Ayden das nicht. In ihm brachte dieses Stück Stoff eine Vielzahl an Gefühlen hervor, die er allesamt nicht in sich tragen wollte. Vielleicht, aber nur vielleicht, wollte ein kleiner Teil in ihm Nathan ein letztes Mal gegenüberstehen, bevor er sich in ein paar Wochen wieder auf die Reise machen würde.

Ayden stand mit dem sorgfältig gefalteten weißen Hoodie in beiden Händen auf Nathans Holzveranda vor einer schwarzen Holztür und atmete zwei Mal tief durch, bevor er klopfte.

Es vergingen keine zwei Sekunden und Nathan öffnete die Tür nach außen, weshalb Ayden eilig einen Schritt zur Seite machte, um die Tür nicht direkt auf die Nase zu bekommen. Er sah zum oberkörperfreien Nathan hinauf, welcher mit der einen Körperhälfte im Spalt der Tür stand und Ayden durch seine ihm ins Gesicht fallenden Haare überrascht ansah.

»Hey, was führt dich zu mir?«, fragte Nathan ihn verblüfft. Ayden wartete vergeblich auf das schelmische Grinsen, das normalerweise doch auf so eine Frage folgte.

»Ich wollte dir nur deinen Hoodie zurück-«

»Nate? Wer ist da?« Eine helle Frauenstimme ertönte hinter Nathan, woraufhin diesem sämtliche Gesichtszüge entgleisten.

»Shit«, murmelte Nathan mit gesenktem Kopf leise, was Ayden aufgrund seines guten Gehörs allerdings nicht entging. »Du hättest ihn nicht zurückbringen müssen, aber trotzdem danke«, sagte Nathan, nachdem dieser seinen Kopf wieder angehoben hatte, um Ayden in die Augen zu sehen.

»Kein Problem. Entschuldige, ich wollte nicht stören!«, entgegnete Ayden etwas perplex, aufgrund der Situation, in der er sich gerade befand, weshalb er sich nicht gleich von der Stelle bewegen konnte.

War er gerade in ein Date geplatzt? Oder, nach Nathans nacktem Oberkörper zu urteilen, in weitaus mehr?

»Ähm, ja, sicher, alles gut.« Nathan kratzte sich verlegen am Hinterkopf. »Würde es dir was ausmachen, wieder… also, könntest du vielleicht…« Ayden erkannte schnell, worauf Nathan hinauswollte und nahm ihm die Bürde ab, ihn wegzuschicken.

»Nate!«, verlangte die weibliche Stimme ungeduldig aus dem Inneren, woraufhin Nathan ihr ein »Ja, sofort!« zurief. Sie war nicht weit von ihm entfernt, der Container war schließlich nicht besonders groß. Trotzdem konnte Ayden nicht an Nathan vorbei in den Container sehen, da Nathan den Blick ins Innere anscheinend absichtlich komplett versperrte. Nathan füllte den Spalt der Tür vollständig aus und presste die Holztür mit der linken Hand an seinen Körper.

»Ja, sicher. Ich hab nicht geplant, zu bleiben.« Gerade, als Ayden sich umdrehte, um zu gehen, packte ihn eine große Hand an seinem Handgelenk, woraufhin er auf eben diese Hand sah und seinen Blick, den dazugehörigen Arm entlang, hoch bis in Nathans dunkelbraune Augen wandern ließ.

»So war das nicht gemeint, bitte!«, erwiderte Nathan, die Tonlage gesenkt und die Augenbrauen flehend und nahezu schmerzverzerrt zur Mitte hin nach oben zusammengeschoben, dass sich seine Stirn in Falten legte. »Wenn du mich lässt, erkläre ich es dir heute Abend, ja?« Ayden wusste nicht weshalb, aber Nathan sah erstaunlich verzweifelt aus und wirkte alles andere als zufrieden mit dem Ausgang der Unterhaltung.

»Du schuldest mir keine Erklärung. Aber deinen Freunden scheinst du zu fehlen, also kümmer dich nicht darum, ob ich in der Bar bin, oder nicht. Ist schon in Ordnung.« Mit diesen Worten befreite Ayden seine Hand mit einem beherzten Schütteln aus Nathans Griff, hüpfte die Treppen hinunter und verschwand so schnell, wie er gekommen war.

Es würde Ayden eigentlich nicht sonderlich kümmern, dass da eine Frau scheinbar auf Nathans Sofa auf ihn gewartet hatte. Aber Ayden konnte Shadows Worte einfach nicht vergessen.

Er nimmt normalerweise niemanden mit nach Hause.

Als er diese Worte vor ein paar Tagen aus ihrem Mund gehört hatte, hatte er für einen kurzen Augenblick in Erwägung gezogen, er wäre etwas Besonderes. Etwas Besonderes für Nathan. Als er realisierte, was er da gerade dachte, hob er seine Hände und schlug sich deren Innenseiten selbst mit mittelmäßiger Wucht gegen die eigenen Wangen.

Wach auf, schrie er sich in seinem Kopf an. Ihr kennt euch gerade mal ein paar Tage lang! Warum sollte Nathan gerade diese eine Person sein, von der Mom gesprochen hatte?

Es war das erste Mal, dass er diesen Gedanken bewusst für sich zuließ.

Ayden konnte sich seine maßlos übertriebenen Reaktionen auf Nathans Worte und Handlungen nur damit erklären, dass er diese eine Person sein musste. Seine Mutter hatte ihm gesagt, er würde spüren, wann es soweit war. Und wer es war. Alles was Ayden aber im jetzigen Moment spürte, war Schmerz. Sein Herz schnürte sich wie von Ketten umschlungen zusammen und in seiner Magengegend verdichtete sich alles zu einem großen, fast unerträglichen Brocken, bestehend aus purer Hilflosigkeit. Er schnappte nach Luft, um sich zu beruhigen und seiner Fuchsgestalt nicht abermals die Möglichkeit zu geben, sein Bewusstsein so zu übernehmen, wie an jenem Tag, an dem er wie von einer unsichtbaren Macht getrieben durch den Wald gerannt war.

Ayden löste sich von den qualvollen Gedanken in seinem Kopf, als er den beruhigenden Waldgeruch inhalierte. Er füllte seine Lungen bis in die letzte Pore mit Sauerstoff, atmete daraufhin mit geschlossenen Augen tief aus und nahm sich vor, sich die nächsten Wochen nur auf seinen Job zu konzentrieren und sich dann, wie unzählige Male zuvor, ohne eine einzige Verabschiedung weiter auf den Weg zu machen.

Auf den Weg ohne Ziel.

Hidden Spirits

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