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Kapitel 7
ОглавлениеShadow hatte sich zu dem Vorfall in der Bar mit keinem Wort mehr geäußert. Anstatt Ayden zu feuern, womit er felsenfest gerechnet hatte, schloss sie ihn stattdessen, als sie an diesem Abend im Lager nach ihm sehen wollte und ihn bedröppelt vor Nathans weißem Hoodie stehen sah, in eine liebevolle Umarmung und strich ihm beruhigend über den Rücken, woraufhin er unkontrolliert in Tränen ausbrach.
Alles, was es gebraucht hatte, um seine Dämme zum Brechen zu bringen, war eine Umarmung. Ayden wusste nicht wie ihm geschah und er hatte keine Ahnung, wie lange sie schon dort im Lager standen. Shadow machte keine Anstalten die Umarmung aufzulösen und Ayden versuchte gar nicht erst, sich zu wehren. Seine geringe Körpertemperatur war zu diesem Zeitpunkt keine Gefahr, schließlich trieften sein Hemd und seine Hose vor Alkohol, was auch einen normalen Menschen ausgekühlt hätte, besonders im Lager, in dem die Temperaturen sowieso niedriger waren.
Und so stand er an jenem Abend da, mit seinem Kopf an Shadows Schulter, seine Arme schlaff an seinen Seiten herabhängend. Er schluchzte und spürte, wie seine Tränen ihr blau-weiß gestreiftes Shirt an der Schulter durchnässten. Seine Augen und Wangen brannten qualvoll vom Salz seiner Tränen.
»Shhh, alles wird gut«, sprach sie leise in Aydens Ohr, während sie ihm tröstend durchs Haar strich. Es waren bestimmt schon zehn Minuten vergangen, in denen lediglich Aydens lautes Schluchzen den Raum ausfüllte und von den Wänden zurückhallte. Die Musik aus dem Nebenraum, durch die Schwingtüren abgedämpft, drang nur leise zu ihnen durch. Trotz seines guten Gehörs konnte Ayden, wenn er sich nicht so sehr auf seine animalischen Fähigkeiten konzentrierte, die Übersensibilität seines Gehör- und Geruchsinns etwas unterdrücken, weshalb ihn die laute Musik und die vielen Gerüche in der Bar nicht völlig paralysierten.
»Ich… Ich w-wollte nicht… Es… Es t-tut mir leid!«, brachte Ayden schließlich stotternd und wimmernd hervor, immer wieder unterbrochen von tiefen Schluchzern. Es war ihm unbegreiflich, warum er in diesem Moment so emotional reagierte.
Obwohl er Shadow nicht wirklich gut kannte, hatte ihr lebensfrohes und quirliges Wesen ihn sofort auftauen lassen, als er noch vor ein paar Stunden an der Bar angekommen war. Das Gespräch über seinen Besuch bei Nathan war ihm zwar etwas unangenehm gewesen, aber ihre scherzende Art hatte die Scham sehr schnell abgeschwächt.
Auch über den Abend hinweg neckte Shadow ihn immer wieder, zum Beispiel über seine etwas verschlossene Art oder seine Größe, denn selbst sie war mit ihren 1,75m durchaus größer als er. Die Witzeleien störten ihn nicht, da er sich mit seiner Körpergröße, welche von Geburt an durch seine Fuchsgestalt ganz natürlich festgelegt war, längst abgefunden hatte und sie nicht als etwas Negatives wahrnahm. Ayden alberte gerne mit Shadow herum und begrüßte die Tatsache, dass sie auch über sich selbst lachen konnte. Zum Beispiel wenn sie mal wieder etwas zu energiegeladen den Wasserhahn hektisch aufdrehte und sich dadurch das Wasser, welches vom Geschirr in der Spüle abprallte, selbst ins Gesicht spritzte. Es wunderte Ayden nicht im Geringsten, dass Shadow und Nathan gut befreundet waren und ein enges Verhältnis zueinander hatten. Beide verbreiteten gute Laune und für deren Freundeskreis waren sie mit Sicherheit ein spaßiges Duo.
Ayden spürte, wie zwei Hände sich auf seine Wangen legten und seinen Kopf sachte von Shadows mittlerweile nasser Schulter entfernten. Shadow kippte Aydens Kopf mit ihren Händen leicht nach oben, wodurch er sie durch seine vom Weinen rot unterlaufenen, geschwollenen Augen ansah.
»Falls du weinst, weil du Angst hast, dass ich dich rauswerfe, lass dir Eines gesagt sein. Niemand kommt in meine Bar und spricht so über mein oder mit meinem Team«, sagte Shadow in ernstem Tonfall und mit fürsorglichem Gesichtsausdruck. »Nate hat mir vorhin noch erzählt, was es mit diesem Vollidioten auf sich hat. Es hat zwar keiner gehört, was er zu dir gesagt hat, aber ich glaube Nate, wenn er mir sagt, dass der Typ einen an der Klatsche hat. Auch wenn keiner mitbekommen hat, was eigentlich passiert ist, kannst du mir nicht erzählen, dass du so stark gestolpert bist, dass sich der komplette Inhalt der Vitrine über dich ergießt. So blöd und tollpatschig bin nicht mal ich!«, lachte Shadow nun wieder in ihrer gewohnt fröhlichen Manier.
Ayden war vollkommen geschwächt von den Ereignissen des Tages, trotzdem musste aber auch er bei dem Gedanken lachen, wie es aussehen würde, wenn Shadow die Rückwand der Bar aufgrund ihrer Ungeschicklichkeit so zurichten würde.
»Und mach dir keine Gedanken wegen der Flaschen. Die kann man ersetzen, deinen Kopf aber nicht. Warte mal, geht's dir eigentlich gut? Hast du dich verletzt?« Shadow griff nun nach Aydens Schultern und schob ihn sanft etwas von sich weg, um an seinem Körper hinabzusehen.
Ayden sah, wie sich ihre Augen weiteten, entsetzt von dem Anblick, der in diesem Moment sein eigener Körper war. Verwundert von ihrer Reaktion sah nun auch Ayden an sich herunter und verstand sofort, weshalb Shadow so schockiert war.
Durch Shadows lange und feste Umarmung waren die Wunden, die Ayden sich bei seinem Sprint durch den Wald zugezogen hatte, wieder aufgeplatzt und hatten sich auf dem nassen Hemd zu riesigen, roten Blutflecken ausgebreitet. Erst jetzt spürte er, wie der Alkohol in den frisch aufgerissenen Verletzungen brannte wie Feuer und seine Adern pulsieren ließ.
Shadow lief urplötzlich zum anderen Ende des Raumes, an dem sich ein kleines, privates Badezimmer befand und kam kurz darauf mit einem roten Verbandskasten zu ihm zurück.
»Das sieht schlimmer aus, als es ist, kein Grund zur-«, versuchte Ayden Shadow zu beruhigen, seine Hände schüttelte er dabei abwehrend vor seinem Körper umher.
»Ausziehen«, forderte Shadow ihn in ernstem Tonfall auf.
»Aber mir geht's wirklich-« Ayden sah sich hilfesuchend um, selbst nicht ganz klar darüber, was ihn aus dieser Situation noch retten könnte.
»Dir geht's offensichtlich nicht gut. Zieh jetzt dein Hemd aus, bevor ich's selbst mache!«, sprach sie nun etwas lauter in einem beinahe befehlenden Tonfall, der keine Widerworte zuließ.
Ayden seufzte, als ihm bewusstwurde, dass er keine andere Wahl hatte. Er sah keinen Ausweg und da sich unter ihm auch nicht aus heiterem Himmel ein riesiges Erdloch auftat, das ihn verschlang, tat er, wie ihm befohlen.
Langsam knöpfte er sein weißes Hemd auf und ließ es, beim untersten Knopf angekommen, daraufhin über seine Schultern auf den Boden gleiten. Er klammerte sich mit seiner linken Hand an seinen rechten Oberarm, als könnte er so Shadows durchbohrenden Blicken ausweichen.
»Ayden…« Shadows Stimme brach, als sie ganz leise seinen Namen sagte. Ihre Sorge konnte man beim Anblick seines mit blutigen Schnitten und blauen Hämatomen übersäten, nackten Oberkörpers deutlich wahrnehmen. »Warum hast du nichts gesagt? Du siehst aus wie ein Flickenteppich! Vielleicht sollten wir doch lieber ins Krankenhaus. Am besten rufen wir auch die Polizei, diese Typen dürfen nicht-« Ihre Stimme überschlug sich fast, als Ayden ihr ins Wort fiel.
»Nein, bitte! Keine Polizei!«, flehte er Shadow mit aneinandergelegten Handflächen an. »Ich will einfach kein Theater deshalb! Ich will das nur so schnell wie möglich wieder vergessen. Ich bitte dich auch nie wieder um irgendwas, nur dieses eine Mal!« Ayden griff nach Shadows Händen, die immer noch den Verbandskasten umfasst hielten und sah ihr tief in die Augen. »Bitte…«
Nach ein paar Sekunden schüttelte Shadow seufzend den Kopf und stellte den Verbandskasten auf der Kühltruhe ab, um ihn zu öffnen. Sie zog einen nahegelegenen Stuhl heran und deutete darauf, woraufhin Ayden sich, den Blick noch immer auf Shadow gerichtet, hinsetzte.
»Also gut. Ich weiß zwar nicht, was du davon hast, aber ich halt die Füße still. Dafür schläfst du heute hier. Meine Wohnung ist im Obergeschoss, ich hab eine große Couch und vor allem keine Lust, dass du am Ende noch einem von diesen Armleuchtern über den Weg läufst. Keine Widerrede!« Sie streckte ihren Zeigefinger aus und hielt ihn sich in einer drohenden Geste vors Gesicht, löste die Spannung mit einem Lächeln aber direkt auf. Ayden wusste, dass sie es nur gut meinte und gluckste als Reaktion auf ihre Geste amüsiert.
»Alles klar, Chefin.«
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Anstatt Ayden direkt zu verarzten, zog Shadow es jedoch vor, Ayden sich erst mal den Alkohol und das Blut vom Körper waschen zu lassen. Zuerst befreite sie ihn allerdings noch von den Glasscherben in seinen langen Haaren, während er im Lager auf dem Stuhl vor ihr saß. Als sie damit fertig war, führte sie ihn über die kleine Wendeltreppe in der Ecke des Raumes hoch zu ihrer Wohnung, auf direktem Weg ins Badezimmer. Dort angekommen verschwand sie schnell in ein anderes Zimmer, nur um Ayden kurz darauf ein Handtuch, eine kuschlige Jogginghose, lila Boxershorts, ein altes T-Shirt und Nathans weißen Hoodie, den sie vom Lager mit hochgenommen hatte, durch einen schmalen Türschlitz ins Badezimmer zu werfen.
»Ich denke mal, meine Boxershorts sollten an dir gut sitzen. Du hast zwar mit Sicherheit mehr in der Hose als ich, aber ich trag die normal nur zum Schlafen, weshalb ich sie immer etwas größer kaufe«, rief sie Ayden noch lachend durch den Türspalt zu. Ayden musste grinsen, erfrischt von Shadows natürlicher Ungeniertheit. »Aber meine Jogginghose sollte dir bei den kurzen Stelzen mit Sicherheit passen!«, setzte sie nach und schloss blitzschnell die Tür hinter sich. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sie sich gerade auf der anderen Seite der Tür vor Lachen kringelte, woraufhin er belustigt den Kopf schüttelte und in die Dusche stieg.
Nach einer erfrischenden Dusche, die sich auch auf der kältesten Stufe für ihn trotzdem anfühlte wie ein Bad in Thermalwasser, öffnete er die Glastüren der Duschkabine und griff nach dem Handtuch. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, sah er das erste Mal seit Ewigkeiten in einen großen Spiegel, in dem er sich von oben bis unten mustern konnte. Er sah grauenvoll aus, um nicht zu sagen, abstoßend.
Aydens Körper war voll von langen Kratzern, die Blutergüsse an seiner rechten Körperhälfte, die seinem Zusammenbruch auf dem Felsen zu verschulden waren, zogen sich von seiner Schulter bis hin zu seiner Hüfte. Durch den Stoß des Angreifers in der Bar schmückten nun auch seinen unteren Rücken schmale Blutergüsse. An genau dieser Stelle war er an der Kante der Thekenoberfläche aufgekommen, woraufhin diese so stark gewackelt hatte, dass der Inhalt der Vitrine auf ihn herabgeregnet war. Zu seinem Erstaunen blieb sein Kopf von Verletzungen unberührt, aber scheinbar hatten seine Haare die gefährlichen Scherben gut abgefangen.
Seine Augen zierten tiefe, dunkelblaue Ringe und seine Unterlippe wies leichte Bissspuren auf. Diese kamen nicht zuletzt davon, dass er sich immer wieder selbst auf die Lippe und in die Innenseite seiner Wange gebissen hatte, um seine Verwandlung weiterhin aufhalten zu können. Er hatte bei der Auseinandersetzung in der Bar nicht nur einmal das Verlangen verspürt, seine Kräfte zu nutzen, um den vier Idioten ihr dämliches Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen. Aber das war zu keinem Zeitpunkt eine Option. Er hatte auf dem kleinen Raum mit so vielen Menschen kein Aufsehen erregen, oder gar das Risiko eingehen wollen, ihnen sein wahres Ich zu zeigen.
Vorsichtig zog er sich die Boxershorts über die Füße, musste sich aber direkt mit einer Hand am Waschbecken neben sich abstützen, weil er sofort ins Wanken geriet, als er seinen rechten Fuß anhob. Bei jeder Bewegung zuckte sein Körper unter dem Schmerz in seinen Gliedern zusammen. Stückweise schaffte er es endlich, sich die Boxershorts, das T-Shirt und die graue Jogginghose anzuziehen. Letztere war ihm wirklich einen Ticken zu lang, weshalb sie sich an seinen Knöcheln schoppte.
Bevor er sich allerdings den Hoodie überzog, drehte er sein Deckhaar zu einem kleinen Dutt zusammen und befestigte ihn mit seinem hellgrauen Haargummi. Die Haare an den Seiten und am Hinterkopf ließ er immer nach unten hängen, sodass die Narbe an seinem rechten Ohr nicht auffiel. Er wusste selbst nicht mehr, wie diese zustande gekommen war und hatte einfach keine Lust auf irgendwelche bemitleidenden Blicke. Wenn er selbst damit leben konnte, sollte das Fremden wohl ebenso möglich sein.
Als er den weißen Hoodie in beide Hände nahm, stieg ihm ein vertrauter Geruch in die Nase. Zirbenholz. Lagerfeuer. Wie auf Knopfdruck schossen ihm die Tränen in die Augen.
Was war nur los mit ihm? Woher kamen diese überemotionalen Reaktionen immer?
Vehement biss er die Zähne zusammen, um keine weiteren Tränen mehr zu vergießen und streifte sich den Kapuzenpullover über, in dem er regelrecht versank. Er hob den Kragen der Kapuze mit beiden Händen an, um sein Gesicht mit geschlossenen Augen in dem weichen Stoff zu vergraben. Er erinnerte sich sofort an die Umarmung auf dem Parkplatz. An den Stoff von Nathans T-Shirt, in dem er auch dort sein Gesicht versteckt hatte. Die starken Arme, die ihn hielten, als er drohte in sich zusammenzusacken. Die Wärme, die ihn wie eine kuschlige Decke umhüllt hatte. Den Körpergeruch, den er unter Hunderttausenden wiedererkennen würde.
»Ayden? Alles okay da drin?« Erschrocken schnellte Aydens Kopf in Richtung der Stimme, die von der anderen Seite der Tür zu ihm durchdrang.
»Ah, ja, bin gerade fertig geworden!« Er trat zur Tür, drehte den Knauf und öffnete die Tür zu sich, woraufhin Shadow ihm fast in die Arme fiel. »Hast du gerade echt gelauscht?«, fragte er sichtlich amüsiert.
»Entschuldigung Mister „mir geht's gut“!« Shadow verschränkte ihre Arme vor der Brust und sah ihn mit gespielt ernster Miene an. »Was weiß denn ich, hätte gut sein können, dass du auf einmal bewusstlos in der Dusche liegst! Oder noch schlimmer, im Waschbecken! Wenn du die Beine anziehst passt du da doch rein, oder?« Ihre Mundwinkel schnellten amüsiert in die Höhe. Sie hob ihre Hand vor den Mund und prustete hinein, während sie auf dem Absatz kehrt machte und die Flucht in Richtung des Wohnzimmers ergriff.
Ayden machte keine Anstalten ihr im selben Tempo zu folgen. Stattdessen trat er aus dem Badezimmer, ging ihr langsam den Flur entlang hinterher und setzte sich, in einem großen Raum angekommen, mit nach oben zuckenden Schultern auf das in der Zwischenzeit mit einem Laken bezogene, große Sofa. »Ich glaub, das hab ich wohl nach dem ganzen Aufruhr verdient.«
»Das mein ich aber auch!«, entgegnete Shadow gackernd. »Aber jetzt mal im Ernst. Mach mir ja nicht noch mal solche Sorgen! Ich weiß, wir kennen uns noch nicht lange, aber ich hab dich echt ins Herz geschlossen und ich will nicht, dass dir was passiert. Ich verarzte jetzt noch schnell deine Wunden und dann muss ich noch mal runter zur Bar.« Sie setzte sich auf den Wohnzimmertisch und befand sich damit direkt auf Augenhöhe mit Ayden.
»Ich komm auf jeden Fall noch mal mit runter, wenn du mir was Passendes zum Anziehen-«, wollte Ayden sagen, wäre er nicht sofort von Shadow unterbrochen worden.
»Ah ah ah! Nichts da!«, stoppte sie Ayden, als würde sie ein kleines Kind ausschimpfen, das nach dem dritten Eis immer noch quengelte. »Du bleibst schön hier. Wenn du Hunger hast, ich hab noch eine Portion Nudeln von heute Mittag im Kühlschrank, mach's dir einfach warm! Ansonsten leg dich bitte bald schlafen und ruh dich aus. Ich brauch dich doch so schnell wie möglich wieder unten!« Mit einem Zwinkern beendete sie ihre Belehrung und deutete Ayden, die Oberteile noch mal auszuziehen, um seine Wunden versorgen zu können.
»Ja, Mama«, antwortete er mit einem Augenrollen, woraufhin Shadows helles Lachen erneut den Raum erfüllte.