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Frieda, 16:30

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Frieda pfefferte die Autotür hinter sich zu und strebte ihrem Haus entgegen. In einem Tempo, das vor allem dazu diente, die Niedergeschlagenheit und die Angst abzuschütteln. Es war der neunzehnte Oktober, die Tage endeten viel zu rasch, die frühe Dunkelheit drückte zusätzlich aufs Gemüt. Aber doch nicht bei mir, schrie Frieda im Innern, ich lasse mich von weltlichen Dingen nicht beeinflussen, ich habe keine Zeit für Schwäche. Zähne zusammenbeißen, Kopf heben und jedem Widerstand mit offenen Augen begegnen, das war ihre Devise. Das lehrte sie ihre Schüler, und das erwartete sie von ihnen. Das Theater war ein hartes Brot, nicht geeignet für allzu sensible Seelen, auch wenn die oft das meiste Talent besaßen. Doch es gehörte eben viererlei dazu: Talent, Disziplin, Begeisterung und ein eiserner Wille. Frieda biss die Zähne zusammen und streckte den Nacken.

Sie schloss die Tür auf und trat ein. Die Halle war leer, doch sobald sie ihren Mantel aufhängte, kamen die Ersten angelaufen.

»Wir haben uns Sorgen gemacht, Frieda, du warst lange weg.«

»Papperlapapp, Sorgen, was sollte einem alten Mädchen wie mir schon zustoßen. Habt ihr den ersten Akt geprobt?«

»Zweimal.«

»Zweimal?«

»Ich sagte ja, du warst lange weg.«

Sie musste lächeln. Diese lieben, eifrigen Menschen. Wer behauptete, dass die heutige Jugend keine Ideale, keine Werte besaß, lag falsch. Frieda wusste ganz genau, dass ihre jungen Leute denselben Ehrgeiz und dieselbe Freude in sich trugen wie sie damals. Sie tätschelte die Wangen der vertrauten Gesichter und fragte dann nach Max.

»Er ist noch drüben auf der Bühne und probt seinen Monolog«, antwortete Marianne.

Frieda nickte. »Hol ihn bitte, und dann kommt beide zu mir.« Zu den anderen sagte sie: »Und wir, meine Lieben, sehen uns beim Abendessen.«

Sie stieg die Treppe hinauf, die rechte Hand fest am Geländer, um den plötzlichen Schwindel in den Griff zu bekommen. Sechzehn junge Menschen lebten unter ihrem Dach, vertrauten ihr bedingungslos. Noch nie war ihr diese Bürde so bewusst gewesen wie heute Abend.

Sie hatte es gerade in ihr Zimmer auf das Sofa geschafft, als es auch schon klopfte. »Kommt herein!«

Max. Wie stets zog sich ihr Herz bei seinem Anblick zusammen. Seit drei Jahrzehnten arbeitete sie mit Schülern, doch keinem war sie je so nahe gewesen wie ihm, und das seit dem Tag vor elf Jahren, als er auf das Anwesen kam.

»Willst du etwas trinken, Frieda?«, fragte Marianne.

Friedas Blick wanderte von Max zu seiner Begleiterin. Sie vermutete schon lange, dass die beiden eine Beziehung hatten. Das störte sie nicht, junge Leute brauchten so etwas, und besser, sie fanden sich hier, als dass sie draußen zu suchen anfingen.

»Frieda?«, hörte sie die Stimme des Mädchens.

»Ja bitte, Marianne, ein Wasser, nur ein Glas Wasser.«

»Du siehst müde aus.«

Frieda wischte die Sorge in Max’ Stimme mit einer Handbewegung weg. »Wie geht es mit dem Ferdinand?«

Er setzte sich neben sie. »Ich hab ihn noch nicht ganz. Komischerweise macht mir die erste Szene zwischen ihm und Luise zu schaffen. Der Monolog funktioniert, denke ich.« Er machte eine kurze Pause, dann lächelte er. »Ich liebe diesen Monolog.«

»Und er liebt dich«, erwiderte sie und nahm das Wasserglas entgegen, das Marianne ihr hinhielt.

Max wartete, bis sie fertig getrunken hatte, dann sagte er: »Du hast nichts erreichen können, nehme ich an …«

Frieda schüttelte den Kopf. Dann rückte sie näher an Max und zog Marianne an ihre freie Seite aufs Sofa. »Ich möchte, dass ihr beiden mir jetzt gut zuhört«, begann sie. »Wir müssen eine Entscheidung treffen, wir drei, hier und jetzt.«

Marianne atmete heftig, Max legte seine Hand auf Friedas und drückte sie leicht. Sie liebte ihn allein für diese Geste. »Meine lieben, lieben Kinder, wollt ihr, dass unser Haus, unser Zusammensein, unsere Bühne, unsere Truppe bestehen bleibt?«

»Natürlich …«

»Dann gibt es nur eine Möglichkeit.«

»Aber ich dachte, es wäre vorbei …«

Frieda packte Mariannes Hand. »Ist das Theater dein Leben? Ist es deine Sehnsucht, deine Leidenschaft, der Sinn deiner Existenz? Oder könntest du auch ohne?«

»Niemals ohne«, stieß das Mädchen hervor.

»Dann müssen wir dieses Opfer bringen! Als ihr euch mit achtzehn entschieden habt, Schauspieler zu werden, und zwar richtige Schauspieler, nicht irgendwelche Bundestheater­marionetten, da seid ihr gleichzeitig auch eine Verpflichtung eingegangen. Wir sind keine Durchschnittsmenschen! Wir leben nicht, um unsere Miete zu bezahlen, auf Urlaub zu fahren und abends vor dem Fernseher einzuschlafen. Jeder von euch, jeder von uns, kann sich umentscheiden, doch sobald er das tut, ist hier kein Platz mehr für ihn.«

Marianne nickte heftig. »Das weiß ich, Frieda, das weiß ich. Und du weißt, dass ich die Letzte bin, die sich umentscheiden würde.«

Die Musenfalle

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