Читать книгу Die Musenfalle - Nora Miedler - Страница 17
Lilly, 20:12
ОглавлениеIch war selbstverständlich davon ausgegangen, dass es sich bei der Böhmgasse 1 um ein Lokal handelte. Aber nichts da, lediglich ein schlichtes Häuschen hinter einem Gartenzaun, umgeben von Fichten und Tannen. Oder so was Ähnlichem, irgendwelchen Nadelbäumen eben.
Ich fluchte. Die ganze scheiß Böhmgasse bestand aus Nummer 1. Hier war sonst nichts!
Ich kramte meinen Schlüsselbund aus der Manteltasche und umschloss ihn so, dass die Schlüsselspitzen aus der Faust ragten. Nicht die tollste Waffe der Welt, doch zum Augenauskratzen konnte es reichen.
Das Gartentürchen war verschlossen. Ich klingelte.
Innerlich begann ich zu zählen. Sollte er bis zehn nicht geöffnet haben, würde ich gehen. Zwei, drei, vi– der Summer ertönte. Scheiße. Ich öffnete das Türchen, bewegte mich aber keinen Millimeter.
Die Haustür ging auf. Er hatte die Haare zurückgekämmt und sah womöglich noch besser aus als gestern. Vielleicht lag es aber auch an der Finsternis.
»Wollen Sie ewig da unten warten?«, fragte er jetzt.
»Ich weiß nicht«, bemühte ich mich um einen frechen Tonfall, »ich habe mein Pfefferspray nicht dabei.«
Er machte einen kleinen Schritt in meine Richtung, blieb aber auf dem Treppenabsatz stehen. »Wenn Sie sich hier unwohl fühlen, können wir uns ein Taxi in die Innenstadt nehmen.«
Ich zog mein Handy hervor und wählte Flos Nummer. Die Tonbandstimme teilte mir mit, dass der Teilnehmer momentan nicht erreichbar war. Ohne Strehl aus den Augen zu lassen, sprach ich ins Handy: »Hi, Flo, ich bin’s. Falls du mich brauchst, ich bin derzeit im elften, in der Böhmgasse eins, zusammen mit Alexander Strehl.« Ich klappte mein Handy zusammen und stieg die drei Stufen hoch.
»Sie sehen hübsch aus heute Abend«, sagte Strehl.
»Sie auch«, antwortete ich automatisch und wurde mir im gleichen Moment bewusst, dass er krank aussah. Seine Augen wirkten riesig, die Wangen hohl, und die Haut, die mir gestern als positiv robust aufgefallen war, sah aus wie Schafskäse.
Ich trat ins Haus. Es gab keinerlei Garderobe, ich stand im Wohnzimmer. Trotz Strehls Protesten zog ich mir die Stiefel aus. Ich konnte wenn nötig auch in Socken flüchten, das helle Parkett hingegen sah so aus, als könnte es keine Widrigkeiten ertragen.
»Schön haben Sie es hier«, murmelte ich und betrachtete die Bilder an den Wänden. Moderne Kunst, sicher saumäßig teuer. Ich drehte mich nach Strehl um. Seine Farbe wechselte von Weiß zu Grau.
»Sie haben bestimmt einen sehr guten Geschmack«, versuchte ich ihn aufzuheitern. »Diese Bilder – wow …«
Er starrte mich an. Ich ließ die Schultern fallen und schlug ergeben die Hände auf die Oberschenkel. »Okay, was ist los? Bereuen Sie die Verabredung mit mir? Bereuen Sie, dass ich die Rolle bekommen habe? Wollen Sie den Vertrag stornieren –«
Er trat zu mir und legte den Zeigefinger auf meine Lippen. »Schschscht«, machte er. »Ich finde Sie wunderbar.«
Ich lachte laut, was zeigte, wie unsicher ich war. War der Mann ein Psychopath? Jedenfalls hatte sich die Sache mit dem Sex von selbst erledigt, nie würde ich mit dem Typen – er küsste mich. Und ich küsste ihn.
Er zog mich runter auf das schöne helle Parkett. Ich konnte gerade noch erfreut feststellen, dass er eine Fußbodenheizung hatte, dann drückte er mich so heftig an sich, dass mir die Luft wegblieb. Mechanisch begann ich ihm beim Ausziehen zu helfen. Warum endete es bei mir eigentlich immer so?
»Kondom nicht vergessen«, murmelte ich und überlegte, ob er mir für die Heimfahrt wohl ein Taxi spendieren würde.
»Natürlich«, sagte er und robbte zu einer Kommode. Ich wusste, je länger ich auf den halbnackten Mann starrte, der in seinen Laden wühlte, desto mehr würde mir die Lust vergehen. Ich griff nach meiner Handtasche und holte meine Geldbörse hervor. Darin befanden sich ein paar Ausweise, meine gesperrte Kreditkarte – und ein uraltes Kondom, wusst ich’s doch.
Während er auf mir lag und viel zu wilde Bewegungen machte, wurde ich wütend. Was zum Teufel trieb ich da? Keine zwei Minuten hatte es gebraucht, bis ich schwach geworden war. Hätte er mich gleich bei der Tür geküsst, dann hätte sogar weniger als eine Minute gereicht. Ich war der Welt größte Schlampe.
Er drückte seine Wange an meine, schwitzte und stöhnte – ich verdrehte die Augen. Wie konnte ich die Sache möglichst nett beenden? Ich musste warten, bis er fertig war, oder? Egal, so wie der sich aufführte, konnte es nicht mehr lange dauern.
Es dauerte lange. Ich hatte genügend Zeit für den Entschluss, Kostüm-Puck, Frederick-Ricky und Wollweste zu sagen, dass ich die Maskerade nicht so nuttig wollte. Ich sehnte mich nach Biederkeit und Anstand, Worte, über die ich sonst nur lachte. Oh, und meinen Eltern würde ich sagen, dass ich Weihnachten zu ihnen kam, ja, dieses Jahr bestimmt. Aua, was machte dieser Idiot da auf mir? Weihnachten, genau, diesmal konnte ich ihnen was richtig Cooles kaufen, vielleicht einen Flatscreen oder so eine Whirlpoolfunktion für die Badewanne. Bis dahin musste ich doch schon die erste Zahlung erhalten haben. Und 2010 konnte ich ausziehen. Raus aus der WG, weg von Britta. Flo würde dann sowieso in Graz sein. Ihm würde ich auch was Cooles kaufen zu Weihnachten, irgendwas für den PC. Und Britta, ja, die würde aus den Latschen kippen, wenn ich ihr eine tolle Handtasche oder so was schenkte, dann könnte ich auch mit ruhigem Gewissen ausziehen, dann würde sie nicht denken, dass es ihretwegen war – Strehl brach erschöpft über mir zusammen. Ich frohlockte. Er begann in meinen Haaren zu wühlen. Bitte kein Nachspiel, bitte, ich brauch so was nicht.
»Na, sehr gut …«, sagte ich, um die Stimmung ein wenig aufzulockern. Er vergrub sein Gesicht in meinen Haaren. Ich räusperte mich, so laut es ging. Er schreckte hoch und setzte sich auf. Ich erstarrte. »Das Kondom? Wo ist das Kondom?«
Er stutzte. »Oh, das muss wohl –«
Ich rappelte mich hoch. Verdammt, das verfluchte Ding musste noch in mir sein. Ich biss mir auf die Lippen und begann herumzustochern.
»Soll ich dir helfen?«, fragte Strehl. Ich musste mich zurückhalten, um ihm nicht an die Kehle zu springen.
Als ich das Ding endlich erwischt hatte, stolperte ich Richtung Bad. Ich schmiss die Tür hinter mir zu, stieg in die Dusche und reinigte mich so gründlich wie noch nie in meinem Leben. Als ich schließlich auf dem Frotteeteppich stand und mich abtrocknete, konnte ich mir den Blick in den Spiegel nicht verkneifen. Mein Gesicht sah so aus, wie ich mich fühlte. Ich streckte ihm meine erhobenen Daumen entgegen und gratulierte mir zu dem gelungenen Abend. Dummes Stück, wenn du so was schon ohne Spaß und Freude machst, dann nimm wenigstens Geld dafür.
Ich öffnete die Tür, hörte Strehl mit irgendjemandem reden und blieb abrupt stehen. Seine Stimme klang emotionslos und doch völlig entrückt. »Frieda, tu mir das nicht an … bitte … Frieda …«
Scheiße, war das alles peinlich. Ich stand in seinem Handtuch in seiner Badezimmertür und hörte mit an, wie er eine andere anflehte. Ich kniff die Augen zusammen. Scotty, beam me up!
»Oh, du bist wieder da …«
Ich musste fast die Finger benutzen, um meine Augen zum Öffnen zu überreden. »Ja, ähm, die Dusche ist super, alles Marmor, nicht wahr? Wow …« Ich stakste im Handtuch in die Mitte des Raumes, wo meine Sachen auf dem Boden lagen. Strehl stand daneben mit dem Handy in der Hand und einer Hautfarbe, die mehr als gespenstisch war. Dabei war er es, der mich anglotzte, als hätte er einen Geist gesehen. Und das während der gesamten Zeit, in der ich mich anzog, wo es doch nach dem ersten Mal sowieso kaum was Erniedrigenderes gab, als sich wieder in Klamotten zu werfen.
»Und? Geht es dir gut?«, fragte er.
Der Reißverschluss meiner Jeans klemmte. »Bestens. Ich nehme doch an, dass du kein Aids hast, oder?« Meine Finger zitterten plötzlich, und ich setzte ein kleines Lachen hinterher.
Er hingegen blieb ganz ernst. »Nein, habe ich nicht. Und du?«
»Nein. Und schwanger bin ich hoffentlich auch nicht.« Ich ließ den Reißverschluss einfach offen und sah Strehl an.
Er starrte zurück, als würde er nicht verstehen.
Ich versuchte es noch mal mit dem blöden Lachen. »Ich meine, es wäre eine sehr interessante Info für mich, wenn du mir jetzt sagen würdest, dass du eine Vasektomie hattest. Hm? Vielleicht?«
Sein Gesicht und sein Tonfall blieben völlig ausdruckslos, als er sagte: »Nein, ich hatte keine Vasektomie.«
»Na prima«, presste ich hervor und wünschte, ich könnte die Zeit eine halbe Stunde zurückdrehen.
»Es tut mir leid, dass der Abend so plötzlich endet.«
Ich winkte ab. »Aber nein, das macht doch nichts, ich bin keine von diesen Frauen. Ich bin nicht beleidigt, ehrlich. Und wir – wir können ja mal zusammen essen gehen oder so …«
Während ich sprach, zwängte ich mich in die Stiefel und meinen Mantel. Ich hob die Hand zum Abschied, winkte und stolperte aus der Tür, ehe er mich aufhalten konnte. Ich rannte durch den Garten, durch die Böhmgasse und stoppte erst, als ich den Brechreiz nicht mehr unterdrücken konnte. Ich erbrach mich auf den Hinterreifen eines Porsches, und zwar gerade in der Sekunde, als der Besitzer kam.
Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause, hatte allerdings kein Geld für ein Taxi. Geschlagene dreizehn Minuten dauerte es, bis die Straßenbahn kam.
Ich setzte mich ganz nach hinten und vergrub das Kinn im Mantelkragen. In meiner Nase lag der Dunst von Erbrochenem.
So was war mir eine ganze Weile nicht mehr passiert. Weder das Kotzen noch der Sex, und schon gar kein verrutschtes Kondom. Früher, ja … aber mein Gott, früher war ich jung und dumm.
Und ausgerechnet jetzt, wo ich das erste Mal etwas Lukratives in Aussicht hatte, was heißt in Aussicht? – ich hatte es! Ausgerechnet jetzt musste ich in der Straßenbahn sitzen und mir den Kopf darüber zerbrechen, ob ich mir irgendwas eingefangen hatte. Scheiße!
Der Heimweg dauerte über eine Stunde. Ich war durchgefroren, und auf dem letzten Stück hatte es auch noch zu regnen angefangen. Meine Füße schwammen in den Stiefeln. Das wäre auch mal was. Wasserdichte Schuhe, nicht immer das billige Zeugs.
Wenigstens hatte ich meinen Schlüssel mit, und wenigstens waren beide Vögel ausgeflogen.
Ich warf die Wohnungstür hinter mir zu und schlüpfte mit einem lauten Schmatzgeräusch aus den nassen Tretern. Meine Socken hatte ich bei Strehl gelassen.
Dann ging ich schnurstracks in mein Zimmer und verkroch mich ins Bett. Ich presste die Augenlider aufeinander und war so wütend, dass ich Sterne sah. Blitzende Sterne auf rotem Hintergrund. Mit einem Ruck setzte ich mich auf. Ich drehte das Lämpchen über meinem Bett an, holte Gras, Tabak und Papier aus dem Nachtkästchen und drehte mir eine Tüte. Und gleich noch zwei weitere.
Nur heute noch, nur wegen dieser Aidssache, sobald die ausgestanden war, nie wieder. Nie wieder in meinem ganzen Leben.
Ich rauchte zweieinhalb Joints und fühlte mich ordentlich beschwummert. Besser ging es mir nicht, aber zumindest konnte ich einschlafen.