Читать книгу Food Code - Olaf Deininger - Страница 13
Die kulinarische Kirche namens Instagram
ОглавлениеEssen bedeutet heute Identität – zumindest einen Teil davon. Menschen kommunizieren über das Essen indirekt auch ihre politische, regionale, ethische oder soziale Wertehaltung. Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme. Durch das Bekenntnis zu einem klaren Ernährungsstil tritt man einer Community bei. Man sagt: »Ich bin Veganer«, »Ich bin Paleo«, »Ich bin Slow-Food Mitglied«. Der Kulturanthropologe und Völkerkundler Gunther Hirschfelder stellt fest, dass in einer Zeit, in der Kirche und Religion an Bedeutung verlieren, das Essen »quasi religiöse Züge annimmt«.
Digitale Kommunikation ermöglicht der Generation Food heute, Kontakt zu ihren »Ess-Religionsgemeinschaften« zu halten und sich reformistischen oder orthodoxen Richtungen anzuschließen, egal ob Grillfans, Pulvernahrungsjünger oder Gemüseheilige. Wer wissen will, wie hart es heute ist, aus einem orthodoxen Veganerstamm auszutreten, muss sich nur mit Aussteigern unterhalten, die nach einer streng veganen Phase wieder Milch trinken oder sogar Fleisch essen. Digitale Selbstdarstellung in Social Media macht diesen Ausstieg schwer, ganz abgesehen von den bekannten labyrinthartigen Filterblasen oder sogenannten »Rabbit Holes«, in denen man sich in extreme Ernährungsformen verrennen kann. Der eine oder die andere findet sich dank algorithmischer Vorschläge »Das könnte dir auch gefallen« eher in einer Ernährungssekte als in einer fröhlichen Tisch gesellschaft wieder.
Und das ist kein europäisches oder US-amerikanisches Phänomen, sondern ein weltweites. Auch in Südafrika gibt es geheime Dinnerclubs, in denen sich kleine verschworene Gruppen über Social-Media-Plattformen verabreden. Chinesische Foodies zeigen über ihre Expertise zu Tisch, wie kultiviert und smart sie sind. Food Litracy, also »die Fähigkeit, den Ernährungsalltag selbstbestimmt, verantwortungsbewusst und genussvoll zu bestimmen«, wie es Margareta Büning-Fesel, die Leiterin des Bundeszentrums für Ernährung, definiert, wird zum kulturellen Klassenmarker. Wer kochen kann und die Zeit hat, sich mit elaboriertem Lebensmittelkonsum zu beschäftigen, und dies in der digitalen Welt adäquat präsentieren kann, gehört zur gebildeten Klasse. Und wer ohne zu hinterfragen bei Lidl oder Aldi einkauft, Fertiggerichte konsumiert und kein Foto davon mit seinem Smartphone macht, kann nicht mehr mithalten. Die neue digitale Welt schafft nicht nur neues Wissen und neue Möglichkeiten, sondern auch neue soziale Trennlinien.