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Abendessen mit Alexa
ОглавлениеNicht nur die Entwickler von Apps für Sportlerernährung oder Rotwein arbeiten gerade daran, ihre Inhalte und Services auf digitalen und akustischen Plattformen wie Alexa Echo oder Siri von Apple verfügbar zu machen. Wer etwa auf der Suche nach dem perfekten Abendbrot ist, kann Alexa auch nach dem »besten Bäcker in der Nähe« fragen. Die Stimme aus der schwarzen Säule nennt dann drei Bäckereien zur Auswahl und fragt, ob sie einen »hinbringen« darf. Wer antwortet, bekommt die genaue Wegbeschreibung zum gewünschten Bäcker auf sein Smartphone gesendet. Für diese Vorschläge greift Alexa auf die Daten des Empfehlungsportals Yelp zu und auf Bing, die Suchmaschine von Microsoft.
Auch die Lebensmittelindustrie, der Lebensmitteleinzelhandel, die Systemgastronomie, Restaurantketten und viele einzelne Gastronomen möchten auf Alexa verfügbar sein.
Noch nie haben wir so viel über unsere Nahrungsmittel gewusst. Und noch nie war es so einfach, mehr über das zu erfahren, was bei uns auf den Tellern liegt. Und diese Entwicklung hat erst begonnen. Denn künftig werden wir noch mehr über unser Essen wissen – und wissen können: Herkunft, Eigenschaften, Haltbarkeit, Herstellung, Zusatzstoffe, Verarbeitung, Transportwege, Transportmittel und deren Energieverbrauch. Diese Informationen stehen dann nicht etwa erst nach langwieriger und aufwendiger Recherche zur Verfügung, son dern praktisch sofort: per Alexa, Siri, mit dem Smartphone und einer Vielzahl von Apps.
Und auch unsere Lebensmittel selbst kommunizieren heute schon zunehmend untereinander, wie wir in diesem Buch zeigen werden. Auf dem Weg vom Acker bis zum Teller, in der Lebensmittelindustrie und in der Weiterverarbeitung, auf dem Laster oder Lieferwagen, im Laden, Kühlschrank und auf dem heimischen Esstisch hinterlassen die Lebensmittel digitale Spuren, geben Daten ab, nehmen Daten auf und verarbeiten Signale. Per RFID- oder mit anderen Funk-Chips, mit digitalisierter DNA, gesteuert und überwacht von Rechenverfahren wie etwa der sogenannten Blockchain, die heute schon viele Prozesse in der Herstellungs-, Verarbeitungs- und Lieferkette begleiten, und mit Systemen, welche den Verkauf mittlerweile erstaunlich präzise vorhersagen können.
Noch nie waren Essen und Ernährung aber auch so starken »Moden« unterworfen wie heutzutage. Vegetarisch, vegan oder doch lieber Fleisch? Und noch nie war die Ernährung ein so starkes Distink tionsmerkmal, wie die Soziologen sagen.
Auch das Wissen über unseren Körper, wie er funktioniert, was ihm guttut und was nicht, welche Folgen unsere Wahl der Nahrungsmittel und Ernährungsstile für ihn haben – all dieses Wissen stand den Menschen noch nie in so großem Umfang zur Verfügung. Und: Es war noch nie so allgemein verbreitet. Know-how über richtige oder falsche Ernährung ist heute Allgemeinwissen. Und auch dafür schufen digitale Hilfsmittel die Grundlage.
Was auf den Tisch kommt, was wann gegessen und wie es bewertet wird, was sich zum Trend entwickelt und was nicht, darüber lassen heute immer mehr Menschen elektronische Hilfsmittel entscheiden: Fitness-Apps regeln den Tagesablauf und die Essenszeiten, die Wahl der Lebensmittel und die Mengen auf dem Teller. Food- Tracker entscheiden, welches Nahrungsmittel gerade am besten zur aktuellen Lebens- und Leistungsphase passt. Instagram-Kanäle von Influencern präsentieren schicke Gerichte oder kulinarische Neuentdeckungen. Und Food-Blogs erklären, wo man außerhalb der eigenen vier Wände unbedingt gegessen haben muss.
Im Jahr 2018 kaufte Amazon die Online-Apotheke PillPack. Im Sommer 2020 brachte der eCommerce-Riese das Armband Halo auf den Markt, das seine Träger rund um die Uhr beobachtet. Wie die Konkurrenzprodukte von Xiaomi, Fitbit oder die Apple-Watch misst das Armband, das zur Produktgruppe der sogenannten Wearables (steht für »kann am Körper getragen werden«) zählt, Herzfrequenz, Hauttemperatur und Schritte. Wer einen Account erstellt und nicht widerspricht, dessen Daten werden automatisch ausgewertet.
Zusätzlich soll Halo den Körperfettanteil berechnen können. Für diese Bodyscan-Funktion muss man mit der Halo-App auf seinem Handy ein Ganzkörperbild in Unterwäsche oder ganz ohne aufnehmen, das die App dann auswertet. Dazu lädt das Programm die Bilder für die Körperfettanalyse auf den Server von Amazon hoch, wo sie aber nach Angaben des Unternehmens nach der Verarbeitung gleich wieder gelöscht werden. Inzwischen simuliert das Programm, wie man mit fünf oder zehn Kilogramm Körperfett weniger aussähe.
Ein Mikrofon erfasst außerdem die Stimme, eine Software analy siert beim Sprechen, in welcher Stimmung sich der Träger gerade befindet. Das kann entscheidend dafür sein, wann man etwa für Werbung empfänglich ist. Oder wann bestimmte Werbung besonders wirksam ist. Es lässt Rückschlüsse zu, ob man beim Genuss am Tisch wirklich Freude hat. Bisher gibt es Halo noch nicht frei zu kaufen. In ter essierte müssen das Armband per E-Mail beantragen und einge laden werden. Das geht bisher nur in den USA.
Über 368 Millionen Wearables sollen laut Statista, dem Onlineportal für Wirtschafts- und Marktdaten, im Jahr 2020 weltweit verkauft worden sein. Für das Jahr 2024 sagt das Portal einen Absatz von 527 Millionen Stück voraus. Der größte Umsatz wird in China erwartet. Ein Massengeschäft.
Als Fitness-Apps gelten dagegen kleine Programme, die entweder auf dem Smartphone oder eben auf dem Wearable installiert sind und Körperdaten einlesen und verarbeiten. Auch ohne direkten Kontakt zum Körper erkennen Fitness-Apps auf dem Handy etwa, ob gegangen, gerannt oder geradelt wird, ob der Nutzer gerade eine Treppe steigt oder im Wohnzimmer sitzt. Viele Wearables übertragen mit dem Mini-Funknetz Bluetooth ihre gemessenen Daten an die App auf dem Smartphone. Im Jahr 2019 nutzten in Europa laut Statista bereits rund 126 Millionen Menschen eine Fitness-App. In China waren es im gleichen Zeitraum 280 Millionen Menschen. In den USA, der Nation mit den weltweit meisten Übergewichtigen, immerhin 92 Millionen. Bis 2024 soll die Zahl der Nutzer in den USA auf 100 Millionen, in Europa auf 154 Millionen und in China auf 323 Millionen steigen, berichtet das Onlineportal für Wirtschafts- und Marktdaten Statista im Januar 2020.
»Studien haben gezeigt, dass Apps zur Ernährung und Gewichtsabnahme zusammen mit Fitnesstracking-Apps bei denjenigen, die Gesundheits-Apps verwenden, am beliebtesten sind. Ein Nielsen-Marktforschungsbericht über die Verwendung tragbarer Geräte zur Selbstkontrolle in den USA ergab, dass Frauen häufiger als Männer Diät- und Kalorienzähl-Apps verwenden«, schreibt die australische Soziologin Deborah Lupton in ihrer Veröffentlichung »›I Just Want It to Be Done, Done, Done!‹ Food-Tracking-Apps, Affects, and Agential Capacities«.
Die kleinen digitalen Helfer übernehmen immer mehr die Regie und versprechen mit dem richtigen Lebensmittel zur richtigen Zeit mehr Gesundheit, mehr Fitness, mehr Leistungsfähigkeit, besseres Aussehen, attraktivere Erscheinung, ein glücklicheres Leben.
Lebensmittelindustrie und Lebensmitteleinzelhandel haben erkannt, dass diese Programme künftig für ihr Geschäft wichtig werden können. Wenn die App schon sagt, was man essen sollte, warum Lebensmittel nicht gleich in der App an Ort und Stelle verkaufen? Wenn Ernährungs-Apps zum Massenmarkt werden, dann auch das Einkaufen im Fitness-Programm. Oder mit Alexa oder Siri. Denn die digitale Verarbeitung von gesprochenem Wort ist relativ simpel: eine Spracherkennung verwandelt die Töne in geschriebenen Text. Der wird verarbeitet. Als Ergebnis entsteht ebenfalls ein schriftlicher Text. Eine Sprachgenerierung liest diesen Text vor. Schon bald verfügt Alexa über alle Fähigkeiten und den gesamten Wortschatz, den sie braucht, um eine umfassend gebildete, wissende und vielleicht auch kluge, in jedem Fall aber geschäftstüchtige Gesprächspartnerin oder Assistentin abzugeben – mit einer hohen kommerziellen Eigeninitiative: »Soll ich das optimale Gemüse für dein Trainingsprogramm bestellen?«
Und da die Programme ein gutes Gedächtnis haben und praktisch kein Detail vergessen, fallen ihnen ganz automatisch Regelmäßigkeiten auf, die sie dann einfach in gut gemeinte Vorschläge umsetzen: »Soll ich dir eine Pizza bestellen? Du bekommst um 18:00 Uhr doch immer Hunger. Und ich habe mir gemerkt, dass ich dir in den letzten drei Jahren meistens am Dienstag eine Pizza bestellen durfte. Und heute ist Dienstag und es ist gleich 18:00 Uhr …« Wer kann so ein Angebot schon abschlagen? Und je länger man das Werkzeug nutzt, desto besser kann es auch vorhersagen, was geschehen wird: »Deinen Daten nach zu urteilen, wirst du heute um 18:10 Uhr Hunger bekommen – also in zwei Stunden. Soll ich schon mal …?«