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Auf der New South Wales, 18. Mai 1895

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Ich habe noch gar nicht richtig von unserem Schiff berichtet. Mir wurde erklärt, dass New South Wales der älteste Bundesstaat Australiens sei. Der Name des Schiffes ist für jeden verständlich, der weiß, dass wir von einer australischen Reederei befördert werden. Der Heimathafen der New South Wales ist Sydney. Ich kenne mich eigentlich nicht mit Dampfschiffen aus, ich weiß nur, und zwar jetzt aus eigener Erfahrung, dass sie eine Menge Kohle benötigen. Die Maschinen stampfen den ganzen Tag und sind selbst in meiner Kabine zu spüren. Mit der Zeit habe ich mich aber daran gewöhnt und es würde mir mittlerweile auch etwas fehlen, wo ich doch auch weiß, dass jeder dumpfe Schlag meine Mädchen und mich immer ein Stück näher zu Victor bringt. Meine Kabine ist geräumig. Ich habe ein separates Schlafzimmer, in dem auch Thérèse und Julie schlafen. Die wunderschöne hölzerne Wiege aus Allaire konnte ich leider nicht mitnehmen, dafür habe ich jetzt ein Metallbettchen, das etwas kleiner ist, aber noch ausreicht. In der Kabine habe ich dann noch ein offenes Bad mit Waschtisch und einer Badewanne. Es gibt einen Vorhang, den wir zuziehen können, wenn ich oder Schwester Jolanta das Bad benutzen. Schwester Jolanta ist wirklich eine angenehme Reisebegleitung. Sie schläft im kleinen Salon, wie ich ihn nenne, auf der Couch. Die Kinder sind die meiste Zeit sehr brav. Sie schlafen viel und dennoch macht es Arbeit, sie zu füttern, sie zu wickeln, sie zu trösten und vieles mehr. Ich denke an meine Mitreisenden und das, was Mrs. Bly widerfahren ist. Ich glaube es war auf der Etappe von Colombo nach Singapur, als in der Kabine neben ihr eine Familie mit Kindern logierte, die alle sehr viel Lärm verbreitet haben, sodass Mrs. Bly um ihren Schlaf gebracht wurde. Ich werde es gleich noch einmal nachlesen. Die Mädchen, Schwester Jolanta und ich sind morgens auch immer recht früh auf, doch wir bemühen uns leise zu sein. Ich habe jedenfalls noch keine Beschwerden gehört. Schwester Jolanta ist bei der Arbeit immer recht schweigsam und die Kinder können noch nicht sprechen, höchstens weinen oder kreischen. Besonders Julie kreischt gerne und ist dann immer über ihre eigene Stimme erschrocken, sodass diese Laute nur recht kurz sind, bevor es wieder still ist. Ich weiß nicht einmal, wen der Lärm stören sollte. Die Kabine links neben uns ist ohnehin nicht belegt. Von rechts höre ich manchmal Schritte, keine Stimmen und ich habe auch noch nie jemanden auf dem Gang getroffen, der in diese Kabine hineinging oder herauskam. Auf dem Schiff gibt es nicht viel zu tun. Am Anfang der Reise, im Mittelmeer, war es wie ein Urlaub. Ich lag an Deck, wenn Schwester Jolanta bei den Kindern war, und habe mich gesonnt und vor allem gelesen. Zum Glück habe ich einige Bücher dabei. Ich habe meine Literatur dem Anlass angepasst und lese derzeit Melvilles »Typee«, damit ich etwas über mein Reiseziel erfahre. Die Empfehlung dafür habe ich in einem Buchladen in Marseille erhalten. Ein fachkundiger Verkäufer hat mir gleich eine Trilogie verkauft. Neben »Typee« sind es noch die Fortsetzungen »Omu« und »Weißjacke«. Ich muss natürlich beim Lesen die Reihenfolge einhalten, obwohl ich zunächst gerne mehr über Tahiti erfahren hätte, doch das findet sich erst im zweiten Teil, in »Omu«, während »Typee« von einer Insel namens Nuku Hiva erzählt, von der ich bislang noch nie etwas gehört habe. In meinem Atlas habe ich sie aber gefunden und festgestellt, dass sie weitab von Tahiti liegt und zu einer ganzen Inselgruppe im Stillen Ozean gehört. Egal, es ist trotzdem sehr unterhaltsam, weil auch die Menschen auf den Inseln beschrieben werden. Das Buch »Typee« ist vor fast fünfzig Jahren geschrieben worden. Sicherlich hat sich bis heute viel verändert. Vielleicht werde ich es erleben und kann dann auch vergleichen, mit dem was ich gelesen habe und mit dem, was mir in der Realität begegnet. Natürlich besitze ich auch Melvilles berühmtestes Werk, die Geschichte von dem Weißen Wal. Das Buch hat Victor schon besessen, noch bevor ich ihn kannte. Es war ein Zufall, dass ich es überhaupt aus Paris mitgenommen habe, weil mir ja erst in Marseille erklärt wurde, dass Melville zum Thema Ozeanien ein bedeutender Schriftsteller sei. Ich hoffe alle meine Bücher reichen für eine Beschäftigung über mehrere Wochen, die mich als Reisezeit noch erwarten. Da ich meine kleine Bibliothek gerade in Sichtweite habe, zitiere ich auch daraus. Ich habe mich auf Abenteuergeschichten eingelassen und zunächst die mir bekannten heimischen Dichter gewählt, Alexandre Dumas mit »Die schwarze Tulpe« und »Memoiren eines Arztes«. Natürlich darf Jules Verne mit »Fünf Wochen im Ballon«, »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer« und »Die Schule der Robinsons« nicht fehlen, all diese Werke habe ich übrigens auf Englisch, Mutter hatte sie mir in diesem Jahr aus Liverpool mitgebracht. Ich überlege, das Buch »In achtzig Tagen um die Erde« habe ich auch einmal besessen, oder nein, ich habe es mir damals nur geliehen, als ich mich auf Mrs. Blys Reisebericht vorbereitet habe. Schließlich gehört auch noch Victor Hugos »Die schwarze Fahne« zu meiner Bibliothek. Ebenfalls in Liverpool habe ich irgendwann einmal den richtigen »Robinson Crusoe« von Daniel Defoe entdeckt. Es lag bestimmt zwei oder drei Jahre ungelesen bei uns herum, sodass ich mir dieses Buch gleich zu Beginn meiner Reise genommen und noch vor Port Said durchgelesen habe. Eigentlich hätte mir bange werden müssen, weil auch ich zum Seereisenden geworden bin, den das Schicksal eines Schiffbruchs genauso wie diesem Robinson ereilen kann. Doch ich glaube, dass sich in den letzten zweihundert Jahren einiges geändert hat und wenn ich unser Schiff so betrachte, wird es von einem Sturm kaum gefordert sein. Schwester Jolanta hat die Holmes-Geschichten für sich entdeckt und sich die Bände ausgeliehen, die ich selbstverständlich auch dabeihabe. Sie hat mir mehrfach versichert, sie mir sofort zurückzugeben, wenn ich sie bräuchte. Da ich aber vorerst noch genug Lesestoff zur Verfügung habe, werde ich ihr dieses kleine Vergnügen ohne Unterbrechung lassen. Schwester Jolanta spricht übrigens sehr gut Englisch. Ich hoffe nicht, dass ich des Lesens irgendwann müde werde, denn außer Schlafen und essen, könnte ich nur noch an der Reling stehen und übers Meer blicken. Auf dem Weg nach Port Said habe ich auf diese Weise das Afrikanische Festland sehen können, weil wir dicht an der Küste vorbeifuhren.

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