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Wie die Gabe der Vernunft uns besser macht

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Die Pythagoräer hielten Tiere für vernunftbegabte Wesen, der anarchistische Diogenes behauptete sogar, sie seien dem Menschen in vielerlei Hinsicht überlegen. Doch das war nicht die allgemeine Auffassung.

Die jüdisch-christliche Tradition sagt eindeutig: Die Erde mit ihren Pflanzen- und Tierarten wurde geschaffen, um der menschlichen Gattung zu dienen. Gleich zu Beginn des Buches Genesis heißt es, Gott gebe dem Menschen die Herrschaft über alle Geschöpfe der Erde, denn der Mensch stehe im Mittelpunkt der Schöpfung, und Zweck der Natur sei es, ihm zu Diensten zu sein.

Einen ähnlichen Gedanken entwickelten die antiken griechischen Philosophen. Aristoteles fand eine überzeugende Begründung für den hierarchischen Aufbau des Hauses der Schöpfung – der Mensch sei als einziges Wesen mit Intellekt bedacht worden, und die Macht der Vernunft sei von allen menschlichen Eigenschaften die wichtigste und bedeutendste. Alle Wesen, die über einen geringeren Verstand verfügten, stünden in der Hierarchie naturgemäß niedriger (mit derselben Logik rechtfertigte Aristoteles den Sklavenhandel – er behauptete, bestimmte Menschen seien Sklaven »von Natur aus«).

Ihre endgültige Gestalt erhielt die Idee bei Augustinus, der es für falsch hielt, das biblische Gebot »Du sollst nicht töten« auch auf nicht vernunftbegabte Geschöpfe zu beziehen.

Wann immer man etwas Definitives über das frühe Christentum sagen möchte, sollte man bedenken, wie viele unterschiedliche Visionen, Ideen und Interpretationen ihm zugrunde lagen. Sicher ist aber, dass sein Verhältnis zu den Tieren voreingenommen und feindselig war. Thomas von Aquin, der aus der frühchristlichen Vielstimmigkeit eine kohärente und ausgeklügelte Philosophie formte, schloss an die Ideen des Augustinus an und ging zugleich darüber hinaus. Er meinte, die Tiere seien nicht nur nicht vernunftbegabt, sondern es fehle ihnen auch die unsterbliche Seele, weshalb ihr Tod – im weitesten Sinne – völlig bedeutungslos sei. Wir hätten keine direkten moralischen Verpflichtungen gegenüber den Tieren, weil nur eine Person (das heißt ein vernunftbegabtes und zur Selbstbeherrschung fähiges Wesen) Subjekt von Pflichten und Rechten sein könne.

Dies war zweifellos ein radikaler Standpunkt, der später die Massentierhaltung zur Fleischproduktion begünstigen sollte. Man kann auch sagen, dass der Aquinate die Menschen für lange Zeit von der Verantwortung für das Töten von Tieren lossprach. Wir haben immer noch das klare »Du sollst nicht töten« in Erinnerung, das aber durch Interpreten wie Thomas von Aquin so durch Voraussetzungen und Ausnahmen verwässert wurde, dass der ursprüngliche Sinn des Gebots völlig verloren ging. In den meisten antiken Kulturen war der Verzehr von anderem als Opferfleisch tabu. Um ein Tier zu essen, musste man es erst als Opfer darbringen; diese Geste befreite den Tötenden von der Schuld, einem anderen Wesen das Leben genommen zu haben.

Bei Descartes erscheint zum ersten Mal die schreckliche Vision des Tiers als Maschine, die nach recht einfachen mechanischen Regeln funktioniere. Der Mensch zeichne sich durch die Vernunft und eine unsterbliche Seele aus, die Tiere indes ähnelten eher Automaten als lebendigen Wesen, womit nicht mehr nur das Töten und der Verzehr von Tieren ethisch unbedenklich erschienen, sondern auch Praktiken wie die Vivisektion.

Kant schrieb am Ende des 18. Jahrhunderts, wir hätten den Tieren gegenüber keine unmittelbaren Pflichten, weil sie keine selbstbewussten Wesen seien. Sie seien lediglich Mittel zum Zweck. Der Zweck wiederum sei der Mensch.

Auch die katholische Kirche bestritt konsequent jede moralische Verpflichtung des Menschen gegenüber den Tieren. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts verweigerte Papst Pius IX. die Zustimmung zur Gründung einer Gesellschaft zur Verhütung von Tierquälerei. Im gegenwärtigen Katechismus der Katholischen Kirche heißt es, der Mensch schulde den Tieren Wohlwollen und dürfe sie nicht unnötig leiden lassen, aber auch: »Tiere, Pflanzen und leblose Wesen sind von Natur aus zum gemeinsamen Wohl der Menschheit von gestern, heute und morgen bestimmt.«

In der Biologie hingegen gilt nach wie vor der Lehrsatz, den Conwy Lloyd Morgan, ein Pionier der experimentellen Tierpsychologie, gegen Ende des 19. Jahrhunderts formulierte: »In keinem Fall sollten wir eine Handlung als das Ergebnis der Ausübung eines höheren geistigen Vermögens interpretieren, wenn sie auch als das Ergebnis eines in der geistigen Skala niedrigerstehenden geistigen Vermögens interpretiert werden kann.« Will sagen: Wir sollten das Verhalten von Tieren besser mit Reflexen und Instinkten erklären, statt ihnen höheres Denken und Fühlen zuzuschreiben.

Der Gerechtigkeit halber muss jedoch an die großen Denker erinnert werden, die einen anderen Standpunkt vertraten. Der heilige Johannes Chrysostomos lehrte – gleichsam im Vorgriff auf Darwins Theorie –, die Herkunft der Tiere sei dieselbe wie unsere, wir schuldeten ihnen deshalb Güte und Sanftheit. Der heilige Franziskus von Assisi predigte die Liebe zur Natur, doch vor allem forderte er, wir sollten die Tiere als unsere Brüder und Schwestern betrachten. Der große Montaigne, der seiner Zeit in jeder Hinsicht voraus war, hielt es für ein Zeichen mangelnder Vorstellungskraft und für ein Vorurteil eines beschränkten Geistes, sich über den Rest der Schöpfung zu stellen. Den größten Dienst erwies den Tieren aber Jeremy Bentham, ein Philosoph des 18. Jahrhunderts und Vorläufer der modernen Tierethik. Er formulierte als Erster, was vielen heutigen Menschen offensichtlich erscheint: Zweifellos seien die Menschen in vielerlei Hinsicht vollkommener als die Tiere, auch aufgrund ihres Verstandes oder des Grades ihres Selbstbewusstseins. Für die moralische Betrachtung seien diese Unterschiede freilich irrelevant. Im Jahr 1780 schrieb er: »Die Frage ist nicht: können sie [die Tiere] verständig denken? Oder können sie sprechen? Sondern: können sie leiden?«[1]

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