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Verstand gegen Verstand – Singer
ОглавлениеPeter Singer ist der radikalste Ethiker unserer Zeit. Wir kennen seine erhellende und schlüssige Argumentation für die Rechte der Tiere. Seit Jahren legt er dar, wie irrational und unlogisch unser Verhältnis zu diesen Wesen ist. Seine Methode ist die des Philosophen: die Ordnung der Vernunft dort einzuführen, wo Vorurteile und Inkonsequenz herrschen.
Für Singer ist das fundamentale Prinzip, auf das sich die Gleichheit aller menschlichen Wesen stützt, das Prinzip der gleichen Abwägung von Interessen. Dem wird jeder zustimmen, der die Rassen- oder Frauendiskriminierung zu den drängendsten moralischen und politischen Fragen zählt. Niemand bezweifelt heute mehr, dass eine derartige Diskriminierung ethisch verwerflich ist. Singer geht noch weiter und fordert, das Gleichheitsprinzip als sittliche Grundlage der Beziehungen zu anderen Menschen auf das Verhältnis zu den Tieren auszuweiten. Warum? Weil die Sorge für die anderen nicht davon abhängen dürfe, was sie seien und welche Fähigkeiten sie besäßen (wenngleich natürlich auch von ihren unterschiedlichen Merkmalen und Eigenschaften abhänge, was wir für sie tun könnten). Dass manche Menschen nicht unserer Rasse angehörten, berechtige uns schließlich nicht, sie auszubeuten. Dasselbe habe für die Tiere zu gelten – die Tatsache, dass sie nicht unserer Gattung angehörten, berechtige uns nicht, ihnen Leid zuzufügen.
Singer ist Utilitarist, das heißt, ethisch ist für ihn ein Verhalten, das für die Betroffenen die bestmöglichen Konsequenzen hat. »Bestmögliche Konsequenz« ist für Singer, was der Verwirklichung ihrer Interessen dient und nicht nur – wie im klassischen Utilitarismus Benthams – ihr Wohlbefinden steigert und ihren Schmerz mindert. Mit Bentham verweist Singer auf die Fähigkeit zu leiden als wesentliches Merkmal, das gleichsam jedem Wesen das Recht gebe, mit anderen leidenden Wesen, auch mit dem Menschen, auf eine Stufe gestellt zu werden.
In der buddhistischen Philosophie gibt es den Begriff des »fühlenden Wesens«. Er wird allgemein als Bezeichnung sowohl des Menschen als auch anderer, nichtmenschlicher Lebewesen gebraucht. Es ist eine besondere, ungewöhnliche Kategorie, die nichts mit der Vernunftbegabung zu tun hat, sondern sich auf die Fähigkeit zum Empfinden von Leid und Freude, zur körperlichen und geistigen Teilhabe an der Welt bezieht. Einen solchen Zugang hat unsere Philosophie erst vor zweihundert Jahren entdeckt. Singer begreift die Fähigkeit zu leiden in eben diesem Sinne und ist darin stark dem buddhistischen Denken verpflichtet. Zugleich meint er, dass sich die Widersprüche und Missverständnisse im Denken über die Tierrechte mithilfe des Verstandes lösen ließen. In Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere zeigt er seinen Lesern, wie sie ihren Standpunkt logisch und rational darlegen und auf Gegenargumente erwidern können. Er glaubt, dass der Gegner seine Ansichten ändert, wenn man ihm Unlogik oder Inkonsequenz nachweist.
Zusammenfassend können wir sagen: Singer zeigt auf, dass unser von Grausamkeit geprägtes Verhältnis zu den Tieren eigentlich unreflektiert ist. Es gründet auf Vorurteilen und entbehrt jeglicher Logik. Es ist ein Fehler im logischen Denken, der das selbstsüchtige und primitive Beharren auf den Privilegien rücksichtsloser Ausbeuter rechtfertigt. Und wenn wir nur erst unseren Verstand in seinem vollen Umfang nutzen, wie er es verdient, dann werden wir erkennen, wie primitiv und inkohärent die cartesianische Logik ist.