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Masken. Jenseits des Verstandes oder Was wir nicht wissen, aber ahnen

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In einer Stadt im Fernen Osten steht ein von Mönchen und Nonnen errichtetes Museum der Religionen. Frappierend ultramodern und elektronisch so weit fortgeschritten, dass die üblicherweise sehr selbstzufriedenen Europäer plötzlich ihr Überlegenheitsgefühl verlieren. Es ist das ungewöhnlichste Museum, das ich in meinem Leben gesehen habe. Jede der großen Weltreligionen hat dort einen eigenen Saal, aber es gibt auch viel Raum für außerinstitutionelle Manifestationen menschlicher Religiosität. Bei meinem Besuch gelangte ich schließlich in einen Raum voller Bildschirme, auf denen Interviews mit Menschen aus unterschiedlichen Gegenden und Kulturen der Welt gezeigt wurden. Unter den Interviewten waren Wissenschaftler, Künstler, Ingenieure. Jeder erzählte von einem tiefen Erlebnis, das ihn verändert hatte, von einer Grenz- oder – wie die humanistische Psychologie es nennen würde – Gipfelerfahrung (peak experience).

Zutiefst beeindruckt war ich vom Beitrag Jane Goodalls. Sie schilderte, wie sie einst Schimpansen beobachtet habe, die unter einem kleinen Waldwasserfall badeten. Sie habe gesehen, wie sie spielten, schwammen, kommunizierten. Aber auch, wie sie dasaßen und die Strömung des Wassers betrachteten, wie sie sich die fallenden Tropfen anschauten, wie sie reglos und stumm den Blick über die Wellen schweifen ließen.

Goodall sprach tief bewegt von einer Ahnung, die sie damals empfunden habe. Ihr sei es nämlich vorgekommen, als ob in den in die Betrachtung des Wassers versunkenen Tieren etwas profund Wichtiges vorginge. Als ob sie an der Erfahrung der Veränderung und damit am Vergehen der Zeit teilhätten. Und auch wenn sich Worte wie »kontemplieren«, »denken« oder »überlegen« hier von selbst aufdrängen und man arg lavieren muss, um sie zu vermeiden, muss ich natürlich vorsichtig bleiben und mich an Lloyd Morgans denkwürdige Maxime vom Vorrang der einfachsten Mechanismen in der Interpretation tierischen Verhaltens halten. Jane Goodall freilich kümmerte sich nicht um die Gebote dieses Ockhams der Ethologie und formulierte ihre Vermutung klar und deutlich: Bei der Beobachtung der Schimpansen habe sie gesehen, dass ihrem Verhalten eine Art Nachsinnen über die Bewegung innewohnte, dass auch sie die Fähigkeit zur Reflexion, zu einem tieferen, ergreifenden Sein-in-der-Zeit besitzen. Dass womöglich auch sie etwas wie unsere religiöse Erfahrung erleben.

Die ethologische Forschung liefert uns immer neue Erkenntnisse über die Psychologie der Tiere.

Die jüngsten mir bekannten betreffen ihre Fähigkeit zur Antizipation von Ereignissen. Ich habe auch Studien gelesen, die Tieren eine Art Humor zuschreiben – eine Veranlagung zum spielerischen Täuschen.

Als Kind hatte ich den Eindruck, die Tiere wären eine Art Kostüm, eine Art Maske, und hinter den behaarten Schnauzen oder Schnäbeln verbärge sich ein anderes »Gesicht«. Jemand anderes. Ich entdeckte das an Saba, einer heimatlosen Hündin, die ganz gut lebte, indem sie sich in der Schulküche bediente. Sie war einzigartig und schlau und in sich irgendwie klar. Später sah ich das nicht mehr so scharf, aber der Verdacht ist mir bis heute geblieben.

Ist es euch nie vorgekommen, als hätten die Tiere Masken, als wären irgendwo hinter ihren Ohren Schnüre oder Reißverschlüsse versteckt, die sie festhalten, und als wären diese Masken ebenso rätselhaft, enigmatisch und gleichsam emblematisch wie die Masken der Menschen? Wer also verbirgt sich hinter der Katze des Nachbarn, und wer ist die fröhliche Yorkshire-Hündin, die ich jeden Tag im Treppenhaus sehe? Wer ist das Schwein, das Huhn und die Kuh?

Darf ich so fragen?

Singer geht auf einem breiten Weg – einem Weg für alle. Wir alle besitzen die Fähigkeit zur Reflexion und können uns der eigenen Vernunft bedienen. Seine Argumente lassen sich so darlegen, dass sie von Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung und unterschiedlichen Alters verstanden werden. Vorstellbar ist auch eine Version für Kinder, für den Ethikunterricht in der Schule.

Costellos Weg ist schmaler, was ihr selbst absolut bewusst ist. Warum lässt etwas, das für die einen abscheulich und entsetzlich ist, die anderen völlig kalt? Vielleicht sind wir psychologisch unterschiedlich konstruiert, vielleicht erfahren wir die Welt auf unterschiedlichen Ebenen, vielleicht ist Sensibilität angeboren und lässt sich nicht antrainieren. Vielleicht besitzt am Ende nicht jeder die Begabung zur Empathie, und viele Menschen begreifen ganz einfach nicht, wovon diese alte, nicht einmal real existierende Schriftstellerin spricht.

Und dann Jane Goodall – ein ganz schmaler Pfad, reserviert für diejenigen, die über ausreichend Sensibilität, Sinne, Verstand und Aufrichtigkeit verfügen, um Vorurteile und Illusionen zu überwinden. Um durch diese seltsamen Masken zu schauen und hinter ihnen jene anderen, unbegreiflichen und uns so nahen Wesen zu erblicken – die Tiere.

Deutsch von Bernhard Hartmann

Übungen im Fremdsein

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