Читать книгу So geht Zukunft - Oliver Leisse - Страница 17
Die Wirtschaftskrise.
ОглавлениеDie nächsten Jahre werden auch in wirtschaftlicher Hinsicht nicht leicht. Im zweiten Quartal 2020 fällt das Bruttoinlandsprodukt um mehr als zehn Prozent im Vergleich zum ersten Quartal. Das ist der stärkste Rückgang seit Beginn der BIP-Berechnungen im Jahr 1970!
Es wird viele Insolvenzen geben und die haben nicht einmal alle mit Corona zu tun. Die Wirtschaftsleistung stagnierte bereits im Schlussquartal 2019, das gesamte wirtschaftliche Umfeld war schon vor der Corona-Krise schwierig: Hohe Unsicherheit herrschte auch im Weltmarkt, ausgelöst durch Handelskriege und einen unberechenbaren amerikanischen Präsidenten.
Es gab wenig Innovation und wenige neue Impulse. Viele Unternehmen haben in der Vergangenheit nötige Veränderungen aufgeschoben. Das konnten sie unter anderem, weil die Zinsen, abgesichert durch die Europäische Zentralbank, so günstig sind. Unternehmen, die eigentlich nicht mehr wettbewerbsfähig sind, nennt man in der Finanzbranche Zombie-Unternehmen. Also schon tot, aber sie machen den Eindruck, als könnten sie sich noch einigermaßen koordiniert auf dem Parkett bewegen. Das ist nicht gut, denn sie verhindern das, was Joseph Alois Schumpeter, ein legendärer österreichischer Nationalökonom, bereits in seinem erstmals 1942 auf Englisch erschienenen Werk Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie die »creative destruction«, also schöpferische Zerstörung genannt hat: die Erkenntnis, dass eine Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert werden muss. Die alte Struktur muss unaufhörlich zerstört werden, um unaufhörlich eine neue, bessere zu schaffen.
Von Zeit zu Zeit müssen sich die wirtschaftlichen Systeme erneuern. Dieser Prozess ist in Deutschland überfällig und hat jetzt begonnen. Womit sollen wir in Zukunft handeln? Die Welt muss unsere Produkte haben wollen, wenn wir als Exportnation eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft haben wollen. Aber zum einen werden die Märkte in vielen Regionen der Welt noch viel stärker als unsere hier von der Corona-Pandemie getroffen, was bedeutet, dass dort die Nachfrage nach deutschen Produkten erst einmal sinkt. Zum anderen haben wir als Exportnation unser Talent zu Innovationen irgendwie vergessen: So fahren unsere Autos nicht mehr vorne mit, Elon Musk hat die Innovationsführerschaft übernommen und hat sein Unternehmen im Juli 2020 zumindest zeitweise zum wertvollsten Automobilunternehmen der Welt gemacht, noch vor Toyota. Und dass Schwarzwälder Schinken und bayrische Dirndl für China die Exportdefizite ausgleichen können, ist leider eher unwahrscheinlich …
Wo sind neue, nachhaltige Innovationen einer verantwortungsbewussten Wirtschaft? Hier gibt es eine Nachfrage, doch zu wenige Angebote, wir fahren immer noch mit Autos herum, die fossile Rohstoffe nutzen, die nur 30 Prozent der Energie in Bewegung umsetzen können, der Rest wird durch den Auspuff gejagt und belastet die Umwelt.
Und wenn wir schon beim Rundumblick sind, dann schauen wir bitte gleich auch mit hochgezogenen Brauen auf ganze Branchen, deren Systeme erneuert werden müssen. Die Lebensmittelbranche steht vor einer Umstrukturierung in Richtung Nachhaltigkeit. Banking ist wichtig, Banken sind es nicht, das hat Bill Gates schon 1994 gesagt. Auch Banken müssen sich neu erfinden. Der Tourismus muss nach der Pandemie von 2020 neue Geschäftsmodelle entwickeln, um nicht mehr nur auf die klassischen Urlaubstrips angewiesen zu sein, denn die können ja mit der nächsten Welle wieder vorbei sein. Der stationäre Handel muss was tun, er wurde schon vor fast 30 Jahren von der amerikanischen Zukunftsforscherin Faith Popcorn in ihrem 1991 erschienenen Trendreport4 gescholten. Er beschränkt sich auf das Verteilen von Waren, hat eine große Auswahl, ein verwirrendes Produktangebot und bietet keine Erlebnisse und kaum Emotionen. Daran hat sich wenig geändert, der Handel muss sich grundlegend neu aufstellen oder der E-Commerce gewinnt langfristig das Spiel.
Der Popcorn Report hat mich übrigens damals inspiriert, Zukunftsforscher zu werden. Ich verschlang das Buch. Zu der Zeit war ich bei der Werbeagentur BBDO als Berater für den Kunden Pizza Hut zuständig und ich erinnere mich noch, wie ich dem Unternehmen anhand der Popcorn-Trends Empfehlungen für die Zukunft geben wollte. Pizza Hut fand die prima – nur änderte sich nichts. Genauso läuft es mit dem Handel in Deutschland an vielen Stellen.
Und das Fazit? Das Fundament ist brüchig. Angebot und Nachfrage driften auseinander, wie ich es beim Thema Banken, Handel und Export schon angesprochen habe. Wieder ist meine kritische Sicht hier nur der Ansatzpunkt für positive Veränderungen. Nutzen wir die Chance, erfinden wir die Branchen – und vielleicht, wenn wir dabei sind, das ganze Wirtschaftssystem – neu. Die Verantwortung haben gar nicht nur die Unternehmen, die Politik oder die Wirtschaft. Wenn wir auf die Veränderungen von dieser Seite warten … ich fürchte, dann können wir lange warten, es wird nicht genug passieren. Die Zeit des Wartens ist vorbei. Wir sind die Marktteilnehmer*innen, die den Markt beherrschen. Was wir wollen, wird produziert. Die Verantwortung liegt jetzt bei uns. Im Bankenbereich hat ein großes Filialsterben begonnen, etwa ein Drittel aller Bankfilialen wird geschlossen – weil wir diese Filialen nicht mehr wollen. Wir gehen da einfach nicht mehr hin. Die Banken reagieren mit neuen, besseren Angeboten, und so muss es in allen Bereichen der Wirtschaft passieren, um die Krise zu überwinden. Wir Verbraucher*innen werden aufgefordert, wieder mehr zu konsumieren. Die Mehrwertsteuer wird gesenkt, viele Milliarden Hilfsgelder gezahlt. Wir sollten in der Zukunft nicht wieder mehr, sondern die richtigen Dinge und Angebote konsumieren. Wir steuern und finanzieren das Spiel. Wir sollten die richtigen Entscheidungen treffen. Unsere Kinder werden uns danken (und eigentlich haben wir auch gar keine andere Wahl!).
Wir stehen auch wirtschaftlich vor einem Umbruch. Das ganze Wirtschaftssystem ist gestrig und nicht auf die Zukunft vorbereitet. Das ist kein Problem, sondern eine Chance, wenn wir ganzen Branchen helfen, sich neu zu erfinden. Von selbst wird sich nichts verändern. Wir, also Du und ich, müssen einen Neuanfang gemeinsam einleiten. Durch die Art, wie wir konsumieren oder eben nicht konsumieren, in der Art, wie wir die Probleme angehen – mit dem Mut, das Alte infrage zu stellen und kreativ zu zerstören, um eine neue, nachhaltigere und gerechtere Wirtschaft zu schaffen.