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Die Systemkrise.

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Die Situation fordert nun eine Auseinandersetzung mit all den vielen offenen Fragen. Die haben sich in den vergangenen zehn Jahren angesammelt und sind immer dringlicher geworden. Und währenddessen haben unsere Politiker*innen – und wenn wir ehrlich sind, eigentlich fast jede*r von uns auch – den Kopf in den Sand gesteckt.

Aber es ist ein fundamentaler Wandel, der da auf uns zukommt, und es sind ganz wichtige Fragen, die unser System des Zusammenlebens betreffen. Fragen, deren Antworten so verdammt kompliziert sind, dass man erst mal gründlich nachdenken muss, um überhaupt nur zu so etwas wie einem Lösungsansatz zu kommen. Das ist unangenehm und niemand aus der Politik möchte mit seinen oder ihren Wähler*innen hier in die Diskussion einsteigen. Die Fragen sind aber notwendig und wir müssen aufhören, ihnen auszuweichen, sondern anfangen, uns ihnen zu stellen, um sie beantworten zu können. Zusammen.

Ich will hier nur ein paar dieser Fragen am Beispiel der Bildungskrise ansprechen.

Wie soll unser Bildungssystem an die neuen Anforderungen angepasst werden? Und das so schnell wie möglich? Was ist wichtig, was sollten unsere Kinder lernen und was nicht?

In den USA kennt man die »STEM fields«. STEM ist eine Abkürzung für »science, technology, engineering and mathematics«, also Naturwissenschaft, Technologie, Ingenieurwissenschaften und Mathematik. Bei uns in Deutschland reden wir von den MINT-Fächern, was ungefähr denselben Bereichen entspricht: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.

Da hängen wir hinterher, aber das ist leider auch nur die halbe Wahrheit. Denn auch wenn wir führend in den Studiengängen wären, würde uns immer noch eine wichtige Fähigkeit fehlen: die Empathie, also die Fähigkeit, sich mitfühlend in die Wünsche der Menschen hineinzuversetzen. Die empathische Innovationsfähigkeit kommt in der Ausbildung zu kurz, ist aber enorm wichtig für den Weg in die Zukunft.

Empathie fehlt übrigens aus meiner Sicht auch im Silicon Valley. Hier findet man brillante Ingenieur*innen und Programmierer*innen, hochintelligente Techniker*innen, aber nur in der Unterzahl Menschen, die sich wirklich in andere Menschen hineinversetzen können. Eine Eigenschaft, die meiner Ansicht nach aber unerlässlich ist, wenn es darum geht, das nächste Level im großen Zukunfts-Spiel zu erreichen.

Ich hatte im letzten Jahr eine Anfrage von einem Unternehmen für ein Forschungsprojekt aus dem Silicon Valley, das ich leider ablehnen musste, es war einfach eine Nummer zu groß für uns. Im Kern ging es darum, dass das Unternehmen unter anderem technisch brillante Hardware herstellt, aber nicht immer das richtige Gefühl dafür hat, was die Menschen wirklich benötigen. Hier sollten wir helfen.

Für die Unternehmen der Zukunft geht es um das, was Du Dir wünschst. Und das kann man herausfinden, indem man sich in Deine Situation hineinversetzt, Dich fragt, was Dich stört, was Dir fehlt und was schon ganz gut funktioniert. So geht letztlich Zukunftsforschung – Deine Erwartungen sind das, was die Märkte morgen antreiben wird.

Um das herauszubekommen, müssen Unternehmen über Einfühlungsvermögen verfügen. Einfühlungsvermögen in die Situation der potenziellen Kund*innen und ihre Erwartungen und Wünsche ist einfach die wichtigste Fähigkeit eines Unternehmens.

Steve Jobs ist hier ein gutes Beispiel für einen Menschen, der zwar viele Probleme im Umgang mit anderen Menschen hatte, aber dennoch sehr feine Antennen dafür, was die Menschen wollten. Jobs war kein Programmierer – und erst recht kein Nerd, wie man denken könnte. Er hatte von Technik sogar eher weniger Ahnung, den Part übernahm sein Partner Steve Wozniak, genannt »The Woz«. Aber was Jobs wirklich draufhatte, war, die Bedürfnisse der Menschen zu erkennen und ihnen etwas zu geben, von dem sie gar nicht wussten, dass sie es brauchen würden. Ein Beispiel ist die grafische Benutzeroberfläche der Macintosh-Computer. Die hatte sich Steve Jobs bei einem Einblick in das legendäre Forschungszentrum von Xerox im Palo Alto Research Center (PARC) abgeschaut. Allerdings hatte er Xerox dafür auch recht ordentlich bezahlt, denn als Dankeschön durfte das Unternehmen vor dem Börsengang von Apple 100 000 Aktien für eine Million US-Dollar kaufen.


Jobs erkannte sofort die Bedeutung von dem, was er im Xerox-Forschungszentrum sah: den Prototyp einer grafischen Oberfläche, die er sofort für seine Computer übernahm und natürlich noch weiterentwickelte. Da gab es dann ansprechende Schriftarten, eine Schreibtischoberfläche mit Ordnern und einem Papierkorb. Eine Ausrichtung also an einer intuitiven Bedienung, an der Art, wie Menschen wirklich arbeiten. Das war der Grund für den Erfolg von Apple. Innovation hat immer mit Empathie zu tun. Nie mit Effizienz, Kostenminimierung oder Profitmaximierung. Das ist der Fluch der Manager*innen, die den Fokus in den vergangenen Jahrzehnten einfach falsch gesetzt haben. So haben wir in Deutschland zwar die Nase beim Ingenieurwesen vorn, aber verstehen gleichzeitig immer weniger, uns in Kund*innen und deren Wünsche hineinzudenken. Aber ohne Innovation haben wir nun mal nichts mehr, was wir exportieren können.

Fähigkeiten wie emotionale Intelligenz und empathische Innovation müssten neben den MINT-Fächern dringend an den Schulen gelehrt werden!

Wobei hier auch schon die nächste Systemfrage aufkommt: Brauchen wir überhaupt noch Schulen? So wie wir weniger Krankenhäuser brauchen, wenn immer mehr Krankheiten besiegt werden, so wie wir keine Banken mehr brauchen, weil das Banking überflüssig wird, wenn wir uns Techniken wie der Blockchain bedienen können, so wenig brauchen wir in der Zukunft vielleicht noch Schulen. Müssen die Schüler*innen zum Wissen kommen oder kommt das Wissen morgen zu ihnen? Vielleicht sehen wir in der Zukunft eine Art moderner Wander-Lehrer*innen, die als moderne Gurus interessierte und wissbegierige junge Menschen um sich scharen? Oder kommen die Lektionen zu den Menschen, immer dann, wenn sie in den Lebenskontext passen? Beispielsweise eine Lektion in Sachen Hygiene, die in Zeiten der Pandemie beim Händewaschen auf dem Waschbecken-Spiegel als erklärender Infoclip abgespielt wird und aus dem Händewaschen eine unterhaltsame Lerneinheit in Viren- und Bakterienkunde macht? Informationen über den Eisvogel – genau dann, wenn wir ihn sehen und in diesem Moment etwas über ihn wissen möchten? Informationen über Ian Anderson und die Querflöte in der Rockmusik genau dann, wenn wir Locomotive Breath hören …?

Alles wird infrage gestellt. Systeme wie Bildung, Hyperkapitalismus, Wirtschaftstheorien, insbesondere die des unbegrenzten Wachstums, die Optimierung der Demokratie, Konzepte für das Leben in der Gemeinschaft, die Aufgaben der Gesellschaft – all das muss wirklich von Grund auf neu gedacht werden!

Ich fürchte nur, diese Aufgabe ist groß, sehr groß. Systeme sind in vielen Bereichen nicht mehr in der Lage, sich zu regenerieren und an die neue Zeit anzupassen.

Ich weiß aus Gesprächen mit Investor*innen in der Berliner Start-up-Szene, dass es unter den internationalen Investor*innen nur noch wenige gibt, die die Mühe auf sich nehmen, in Deutschland Geld anzulegen. Zu viele Hindernisse, veraltete Gesetzgebung, bürokratische Hürden. Das ist kein neues Lied, das hier gesungen wird.

Doch die Diskussion hat längst begonnen, sie wird lauter und offener. Vor allem findet sie nicht mehr in den Talkshows dieses überholten Mediums Fernsehen statt, das die jungen Generationen ja oft kaum noch kennen oder wahrnehmen. Sie findet auch (leider) in der Regel nicht in der Politik statt.

Ich spüre die Diskussion besonders stark in den für diese Themen geeigneten sozialen Medien. Auf LinkedIn, Xing, Twitter zum Beispiel. Ich beteilige mich hier auch mit vielen Einwürfen und ich bin erfreut über das Echo. Hier wird die Welt beobachtet, nach Chancen gesucht und mitgedacht. Hier geht man respektvoll miteinander und achtsam mit Kritik um, hier entstehen große Gedanken. Das ist ein hoffnungsvoller Start.

Vielleicht greift auch hier das Gedankengebäude von Herrn Schumpeter: Vielleicht sollten wir die alten Strukturen überwinden, indem wir sie gedanklich jetzt erst einmal grundsätzlich infrage stellen, um sie rundum zu erneuern.

Die Zeit fordert zum Neudenken auf. Nutzen wir die Chance! Hat jemand eine Idee, wie wir die Demokratie, das Bildungssystem, die Wirtschaftssysteme, ja einfach alle Systeme neu denken und erneuern können? Bitte melden! Die Diskussion beginnt jetzt. Wo ist Dein Beitrag?

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