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»Immer Tag eins.«

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Zurück zum Kern der Krise: die ständige Unsicherheit, die uns in den kommenden Jahren begleiten wird.

Nun wäre es doch gut, wenn es ein Rezept für die Zeit der Unsicherheit geben würde, oder? Ich habe da einen sehr beeindruckenden Ansatz beim reichsten Menschen der Welt gefunden. Das war einmal Bill Gates, ist jetzt aber mit schon ziemlichem Abstand Jeff Bezos. Er ist der Gründer von Amazon. Ein ziemlich reicher, aber auch ziemlich schlauer Mann, dessen Entscheidungen sicher sehr kritisch begutachtet werden müssen. Seine Philosophie ist auf jeden Fall eine Betrachtung wert.


Es ist seit dem Start von Amazon im Jahr 1994 bis heute die Gleiche: Lebe jeden Tag, als wäre es der erste Tag, ein neuer Beginn! Vermeide die Wiederholung, vermeide alte Konzepte. Der zweite Tag ist langweilig? Mach aus ihm wieder einen ersten Tag! Das hat was. Denn wenn man immer so lebt, nimmt man nichts als gegeben oder sicher an. Man muss sich dazu entscheiden, unvoreingenommen den nächsten Schritt in eine unsichere Zukunft zu machen. Diese Philosophie des »Forever Day One« ist das große Credo, das hinter dem Erfolg von Amazon steht: Jeder Tag ist ein neuer Tag, an jedem Tag verändert sich die Welt und wir müssen nach dem Wandel suchen, den Wandel schaffen und uns dem Wandel anpassen.

Ich stelle mir vor, dass Bezos vermutlich nicht so geschockt war, als die Krise kam. Wenn sein System gilt, dann fing er einfach morgens wieder so an, als wäre es der erste Tag von Amazon. Okay, was ist jetzt zu tun? Hier muss man kritisch sehen, dass Amazon natürlich enorm durch die Krise gewonnen hat und den Einzelhandel immer stärker unter Druck setzt. Bezos ist aber nicht untätig, zumindest hat er auf die Klimakrise bereits reagiert. Er sagte bereits im Februar 2020 zu, seinem Bezos Earth Fund zehn Milliarden Dollar zu spenden. Mit dem Geld der Initiative sollen Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und NGOs finanziert werden, um die Welt – man muss es so deutlich sagen – vor dem Untergang zu bewahren.

Zurück zu seiner Tag-eins-Philosophie. Auf einer Tagung wurde Jeff Bezos einmal gefragt, wie denn Tag zwei aussehen würde.7 Und er antwortete: »Tag zwei ist Stillstand. Dann folgen Bedeutungslosigkeit, Niedergang und schließlich Tod. Und deshalb ist bei Amazon immer Tag eins.« Noch Fragen?

Ja, ich hätte eine. Wie sieht denn dieser Gedanke in der Umsetzung aus?

Es ist ja eine sinnvolle Ausgangsbasis auch für unser Handeln – ob privat oder im Business. Wenn wir uns also auf diese Denke einmal einlassen, dann müssen wir als erstes Tag zwei erkennen und bei allem, was nach Tag zwei riecht, vorsichtig sein.

Es riecht nach Tag zwei, wenn Du ein Auto mit Verbrennungsmotor siehst.

Es riecht nach Tag zwei, wenn Dein*e Chef*in sagt: »Gute Idee, darüber sollten wir im Herbst mal reden.«

Es riecht nach Tag zwei, wenn Du nicht mehr weißt, was Du gestern gegessen hast, weil es vermutlich so war wie vorgestern.

Es riecht nach Tag zwei, wenn Politiker*innen über die Rente statt über die Digitalisierung reden.

Vorschlag: Du machst hier weiter und führst die Liste fort.

1.

2.

3.

4.

5.

(Schreib einfach rein, das macht das Buch individuell und passt zu dem Tag-eins-Konzept.)

Und eine Frage hätte ich dann noch. Wie sieht denn Dein Tag eins aus? Welche mutigen Entscheidungen wirst Du treffen?

Tag eins ist ein passendes Konzept für diese Zeit und ich liebe den Tag-eins-Ansatz noch aus einem anderen Grund: Forscher*innen haben untersucht, warum wir als Menschen oft das Gefühl haben, dass die zweite Lebenshälfte schneller vergeht als die erste. Das ist schade, denn die Zeit ist ja faktisch die gleiche, nur irgendwie rasen die Jahre desto schneller an einem vorbei, je älter man wird. Traurig. Aber man fand den Grund:

In der ersten Hälfte unseres Lebens passieren sehr viele spannende Dinge, viele Premieren, die uns begeistern und die wir sehr intensiv erleben. Das sind alles Tag-eins-Sensationen: der erste Kuss, das erste Mal so tanzen, als würde keiner zugucken. Das erste Mal betrunken sein, das erste Mal auf einem Pferd galoppieren. Sich das erste Mal mit einem Motorrad in die Kurve legen. Das erste Mal einen Löwen in freier Wildbahn sehen.

All diese Premieren graben sich in unsere Erinnerung ein und man weiß, dass ein Leben voller intensiver, reicher Erlebnisse zwar im Moment kurzweilig, aber in der Erinnerung als eine lange Lebenszeit empfunden wird. Das Gegenteil ist der Fall, wenn wir so leben, wie viele Menschen es leider tun – voller Routinen, in denen der Geist es sich bequem macht. Fast ohne nachzudenken, was man nach dem Aufstehen tut, denn alles läuft ja automatisch ab – Zähne putzen, duschen, die Zeitung durchblättern. Täglich grüßt das Murmeltier. Und auf einmal sind, huch!, zehn Jahre vergangen …

Die gute Nachricht ist: Du kennst jetzt das Tag-eins-Prinzip. Wie wäre es, ab jetzt ein Leben voller Premieren zu leben? Vielleicht gehst Du morgen mal zu Fuß zur Arbeit, lässt Dich nass regnen, weil Du keinen Schirm dabeihattest, oder nimmst extra einen Umweg und hörst Jazz, um den Deine Ohren bisher einen großen Bogen gemacht haben? Es gibt tausend Arten, jeden Tag eine kleine (oder natürlich große) Premiere zu erleben. Wir sollten jeden Tag beginnen, als wäre er der erste eines neuen, spannenden Projekts.

Die Unsicherheit lässt uns in der nahen Zukunft übrigens auch gar keine Gelegenheit mehr, in hirntote Routinen zu rutschen. Wir sollten dies als Chance begreifen.

Wir haben die Chance, die Unsicherheit zu nutzen, indem wir die alten Konzepte, die vermeintliche Sicherheit versprechen, meiden – um uns und das, was wir tun, jeden Tag neu zu erfinden. »Immer Tag eins« ist das perfekte Beispiel für die Einstellung, die wir jetzt brauchen. Denn mit ihr gibt es kein Zögern, wenn Du neue Optionen siehst. Du wirst sie ergreifen.

So geht Zukunft

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