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Die Regie bei hochfrontalem Licht

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Da hochfrontales Licht so wandelbar und variantenreich ist, können Sie es für unterschiedliche Grundstimmungen und verschiedenartige Bildaussagen einsetzen. Der Ausdruck des Modells ist bei diesem Licht in allen Einzelheiten erkennbar; nichts lässt sich im Schatten verbergen. In diesem Sinne ist hochfrontales Licht recht gnadenlos und wenig anfängergeeignet. Da es von sich aus neutral bis strahlend positiv wirkt, lässt es sich mit den unterschiedlichsten, meist eher positiven Ausdrücken eines Modells verbinden und durch weitere Gestaltungselemente verstärken.

Exkurs

Marlene Dietrich hatte recht weit vorne im Schädel liegende Augen und in ihren frühen Jahren ein etwas rundliches Gesicht. Daher konnte hochfrontales Licht bei ihr sehr steil eingesetzt werden, was ihr Gesicht unverkennbar machte. Im Alter ließ sie sich sogar die Backenzähne ziehen, um die Wangenschatten noch deutlicher werden zu lassen. In fast allen Filmszenen wird sie mit hochfrontalem Licht gezeigt, das meist sehr steil eingesetzt war, da die Schauspielerin sich weigerte, in einem anderen Licht dargestellt zu werden. Als Marlene Dietrich später Chansons sang, wurde sie ausnahmslos mit einem Verfolgerspot beleuchtet, der sie frontal und sehr steil anstrahlte. Ihr Auftritt erfolgte immer durch den Vorhang in der Mitte der Bühne und sie ging rückwärts ab, um jederzeit in perfektem hochfrontalem Licht zu stehen.

Niemals ging sie seitlich auf die Bühne; der Verfolgerspot hätte ihr Gesicht direkt auf der langen Seite erwischt und dieses schattenfrei, flächig und damit wenig markant aussehen lassen. Beim Singen drehte sie ihren Kopf nie zur Seite, um zu verhindern, dass das Licht auf die lange Seite fiel. In ihrer Villa ließ die gebürtige Berlinerin einen Spot oberhalb der Eingangstür einbauen, der immer dann eingeschaltet wurde, wenn sich Besuch ankündigte. Sie stand hinter der Tür, und wenn sich diese öffnete, erstrahlte Marlene Dietrich in perfektem hochfrontalem Licht, um ihre Gäste zu empfangen. Auch wenn das hochfrontale Licht bereits in der Renaissance Einzug in die Malerei gehalten hatte, war es »ihr« Licht. Daher hat sich für diese Hauptlichtart auch der Name Marlene-Dietrich-Licht eingebürgert.

Hochfrontales Licht ist für ein unerfahrenes Modell zudem recht gut geeignet, um es mit dem Phänomen Licht vertraut zu machen. Weisen Sie es einfach an, seine Nase immer in Richtung Hauptlichtquelle zu drehen und anschließend ein kleines bisschen zurück zur Kamera. So erhalten Sie bei korrekter Höhe der aufgestellten Lampe immer eine perfekte Ausleuchtung und das Modell gewinnt ein wenig Bewegungsfreiheit zurück, da es sich nun ohne Weiteres selbstständig korrekt zum Licht ausrichten kann und somit zwischendurch einmal lockern und frei bewegen darf.

In der Modefotografie werden Modelle öfter in Bewegung fotografiert. Dann bewegt ein Assistent die Hauptlichtquelle der Bewegung des Modells entsprechend mit. Auch hier ist hochfrontales Licht ein guter Einstieg, da der Assistent nur immer in Richtung der Nase des Modells stehen muss, wobei er seine Position evtl. ein klein wenig in Richtung der kurzen Seite korrigiert. Zudem kann der Assistent, der dann unter der Lampe am Stativ steht, die Wirkung im Gesicht des Modells selbst beurteilen. Die Lichtquelle auch in Bewegung genau auszurichten, ist daher bei hochfrontalem Licht für den Assistenten sehr viel einfacher zu erlernen als bei Rembrandt- oder Seitenlicht. Auch verzeiht hochfrontales Licht ein knappes »Danebenzielen« viel leichter als das Seitenlicht. Ein kleiner »Fehltritt« ändert nur wenig an der Grundstimmung und es geht kein Akzent auf dem Auge verloren. Bei Seitenlicht sind die Schatten für den Assistenten vom Lampenstativ aus viel schwieriger zu beurteilen, da diese von ihm aus gesehen auf der abgewandten Seite des Modells entstehen. Seitenlicht ist für einen »mobilen« Assistenten eine doppelt schwierige Angelegenheit, da er recht zielgenau das Auge der von ihm abgewandten Seite treffen muss und bereits ein kleines bisschen Fehlpositionierung dieses im Schatten verschwinden lässt. Seitenlicht vergibt dem Assistenten keinen Fehler. Bei Rembrandt- oder Seitenlicht ist es einem unerfahrenen Modell meist nicht möglich, seine Haltung ohne Spiegel selbst zu »kontrollieren« und sich dann auch noch auf seine Rolle und die Regie einzulassen. Erfahrene Modelle und Schauspieler wissen nur dank viel Übung auch bei letztgenannten Lichtarten ihren Kopf so zu halten, dass das Licht perfekt bleibt und sie zugleich auch noch einen Gesichtsausdruck beibehalten, der nicht angestrengt wirkt. Beobachten Sie vor allem Schauspieler in Hollywood-Filmen. Dort finden Sie die bisher beschriebenen Lichtarten meist in großer Perfektion eingesetzt, selbst bei Szenen, in denen sich die Schauspieler frei im Raum bewegen. Übung ist in diesem Fall alles.

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