Читать книгу Sag mir, was du wirklich meinst - Oren Jay Sofer - Страница 40
Resilient werden
ОглавлениеBei einem Workshop hob eine Teilnehmerin die Hand und fragte mit schmerzerfülltem Gesicht: »Was ist, wenn es wehtut, hier zu sein?« In die Präsenz zurückzukehren, kann sich manchmal so anfühlen, als ob man auf das falsche Ende einer Harke tritt: Völlig unerwartet bekommt man einen Schlag ins Gesicht. Wir sind die ganze Zeit mit Hochgeschwindigkeit unterwegs; wenn wir dann endlich entschleunigen und wieder mit uns selbst in Kontakt kommen, kann es sein, dass wir es erst mal mit einem Rückstau aus körperlichem Unwohlsein, Stress oder emotionalem Schmerz zu tun bekommen.
Oft versuchen wir, Schmerzhaftes oder Unangenehmes durch Ablenkung oder Vergnügen zu lindern. Tatsächlich kann das auch dabei helfen, ein überlastetes Nervensystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die Gefahr besteht allerdings darin, dass die Suche nach Erleichterung zu einem chronischen Reflex auf alles Unangenehme wird. Dann kann es passieren, dass wir irgendwann nicht mehr in der Lage sind, auch nur den leisesten Schmerz auszuhalten, ohne sofort etwas zu tun, um es zu verändern.
Wenn man dem Schmerz jedoch mit authentischem Wohlwollen und Präsenz begegnet, kann etwas Tolles geschehen – nämlich Heilung. Geduldige, stete Aufmerksamkeit lindert emotionalen Schmerz. Denken Sie nur einmal daran, wie es sich anfühlt, wenn man Kummer hat und ein anderer Mensch einem mit Empathie und Präsenz begegnet.
Ich war neunzehn, als ich anfing, in einem Kloster am anderen Ende der Welt, in Indien, den Buddhismus zu studieren. Ich hatte ziemliches Heimweh, und der Leiter für Auslandsstudien ermutigte mich, mit einem der Meditationslehrer darüber zu sprechen, wie ich mich fühlte.
Godwin Samararatne war ein hochgewachsener Mann aus Sri Lanka mit sanften Augen und einem ausgelassenen Lachen. Seine tiefbraune Haut bildete einen deutlichen Kontrast zu seinem traditionellen weißen Gewand. Wir saßen einander in einem sonnigen Raum gegenüber, und Godwin hörte zu, während ich darüber sprach, wie sehr mir meine Familie und meine Freundin fehlten. Nach einer Weile neigte er leicht den Kopf und fragte: »Wo tut es denn weh?« Ich deutete auf die Mitte meiner Brust und fühlte den Schmerz nun ganz unmittelbar.
Die Tränen stiegen mir in die Augen, während der Schmerz von meinem Herzen in meinen Hals aufstieg. Godwin sah mir in die Augen und nickte langsam. Für einen Moment wurde der Schmerz noch intensiver, dann flaute er ab und verschwand. Ich strahlte ihn an und dankte ihm, in dem Glauben, er habe ein Wunder bewirkt. Es sollte noch lange dauern, bis ich verstand, was tatsächlich geschehen war: Sein Mitgefühl hatte mich in die Präsenz eingeladen, dazu, den Schmerz zu fühlen und ihn vorüberziehen zu lassen.
Wenn wir tiefer die Muster erforschen, die unsere Kommunikationsgewohnheiten antreiben, kann es sein, dass wir schwierige Gefühle oder schmerzhafte Erinnerungen entdecken. Präsenz ist eine essenzielle Ressource, um mit diesen Stellen umzugehen. Sie ist ein Weg in die Widerstandskraft, die Resilienz, und hilft uns, die uns innewohnenden heilsamen und selbstregulierenden Fähigkeiten von Geist und Körper zu aktivieren. So wie unsere Zellen wissen, wie sie einen Schnitt heilen, besitzt unsere Psyche die Intelligenz, emotionale Wunden heilen zu lassen. Mit Zeit, Unterstützung und liebevoller Präsenz können unsere Herzen genesen.