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2 Die Kraft der Achtsamkeit
Оглавление»Es ist etwas Mysteriöses und Heiliges daran, lebendig zu sein. Es ist ein Gewahrsein über etwas, was zu wichtig ist, um es zu vergessen.«
Christina Feldman
Mein Vater wuchs in den Vierzigerjahren in einer Hütte auf, die aus einem einzigen Raum bestand. In Palästina, damals unter britischem Mandat, züchtete seine Mutter Hühner, Ziegen und Hasen, während sein Vater Wände verputzte und einen Kiosk betrieb, in dem Zeitschriften, Süßigkeiten und frischer Saft angeboten wurden. Sie beide waren als Jugendliche in der Hoffnung auf ein besseres Leben aus Belarus und Polen gekommen. Als ältestes von drei Kindern wurde mein Vater mit dreizehn Jahren in einen Kibbuz geschickt, damit es in der Familie »ein Maul weniger zu stopfen« gab.
Erst kürzlich erzählte er mir, wie er in den ersten Wochen, die er im Kibbuz verbrachte, jeden Abend in seinem Zimmer stand und zusah, wie die Sonne über den Feldern unterging. Er erzählte, wie schön diese Sonnenuntergänge gewesen seien und wie friedlich er sich dabei gefühlt habe. »Ein paar Monate später schaute ich zufällig auf, als ich gerade in meinem Zimmer war, und stellte fest, dass die Sonne unterging. Ich hatte aufgehört, sie wahrzunehmen.« Er hielt inne und wurde still. »Das beschäftigt mich seither. Wie kommt es, dass ich aufgehört hatte, den Sonnenuntergang wahrzunehmen?«
Einen Großteil unserer Zeit sind wir nicht wirklich hier; wir sind nicht mit unseren Sinnen und der unmittelbaren Erfahrung unserer Lebendigkeit verbunden. Unsere Aufmerksamkeit ist woanders, wir denken an die Vergangenheit oder die Zukunft – planen, machen uns Sorgen, erinnern uns, bedauern. Die Geschichte meines Vaters erzählt von einem Schlüsselmoment, den wir in ähnlicher Form alle immer wieder erleben – wenn wir bemerken, dass wir nicht in voller Bewusstheit leben, was machen wir dann damit?