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Menschliche Stimme, Atem und Identität

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Ein weiterer Grund, warum Kommunikation ein solch heikles Terrain ist, hat damit zu tun, wie sich unser Hören entwickelt hat. Unsere Ohren sind auf eine sehr spezifische Bandbreite an Klängen eingestellt und reagieren besonders sensibel auf einen engen Frequenzbereich: die menschliche Stimme. (Die Ohren vieler Tiere sind ebenfalls auf einen bestimmten Klangbereich eingestellt. Die Gesänge der Wale in den Meeren oder das tiefe Grummeln von Elefanten finden in Frequenzen statt, die für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar sind.) Kennen Sie das: Sie hören, wie jemand in lautes Gelächter oder auch in Schluchzen ausbricht, und verspüren einen unbestimmten, aber heftigen Drang herauszufinden, was los ist? Oder waren Sie schon einmal vom Geheul einer Herde Kojoten irritiert, das der menschlichen Stimme so ähnlich ist, dass man es kaum unterscheiden kann?

Hier sind zehntausende Jahre Evolution am Werk. Um für unseren Nachwuchs zu sorgen und unsere Sippe zu schützen, hat sich die Architektur unseres Innenohrs so entwickelt, dass es ganz präzise auf die menschliche Stimme eingestellt ist und den Klang eines Menschen in Not sofort erfasst.9 Erinnern Sie sich, dass Babys zunächst nur durch Lächeln oder Weinen kommunizieren? Die Konditionierung, auf diese Signale zu reagieren, ist tief in uns eingegraben.

Wenn wir einander zuhören, wird genau diese Architektur beansprucht, daher reagieren wir darauf in zwei potenzielle Richtungen. Das Hören der menschlichen Stimme kann die im Nervensystem angelegten Mechanismen Kämpfen, Flüchten oder Erstarren aktivieren oder aber das (nach Stephen W. Porges) sogenannte »Social Engagement System«,10 das bewirkt, dass wir uns beruhigen und uns verbunden fühlen.

Der physiologische Vorgang des Sprechens trägt seinerseits dazu bei, dass Worte so aufgeladen sein können. Wir Menschen erzeugen Sprache, indem wir einen Luftstrom über den Kehlkopf und die Stimmbänder lenken. Unsere Worte werden auf einer Atemwelle getragen, demselben Atem, der die Zellen unseres Körpers mit Sauerstoff versorgt, vom Moment unserer Geburt bis zum Augenblick unseres Todes. Lassen Sie das einen Moment auf sich wirken: Wir nutzen denselben physiologischen Vorgang zum Sprechen wie zum Aufrechterhalten unserer Lebensenergie.

Es geht sogar noch weiter. Unser Atem (und damit unser Sprechen) steht mit dem Nervensystem in einer engen wechselseitigen Beziehung: Verändert sich etwas auf der einen Seite, wirkt sich das auch auf die andere aus. Wenn wir aufgeregt, ängstlich oder aggressiv sind (verschiedene Arten sympathischer Aktivierung), beschleunigt der Atem. Sind wir entspannt, ruhig oder fühlen uns wohl (verschiedene Arten parasympathischer Deaktivierung), wird unser Atem langsamer und tiefer.

Das liegt zum Teil an der besonderen Rolle der Atmung im autonomen Nervensystem, das die grundlegendsten Funktionen unseres Körpers reguliert.11 Die Atmung vollzieht sich sowohl willentlich als auch unwillentlich; sie funktioniert automatisch, lässt sich aber auch durch den Willen steuern. Beim Sprechen manipulieren wir den Atem bewusst und absichtsvoll.

All das ist für unser Training in achtsamer Kommunikation bedeutsam. Wenn wir die Beziehung zwischen unserem Atem, unseren Worten und unserem mental-emotionalen Zustand verstehen, können wir unsere Erfahrung und unseren Selbstausdruck besser steuern. An einigen Stellen in unserer Erkundung werde ich Anregungen geben, wie Sie das bewusste Atmen dazu nutzen können, die Aufmerksamkeit eines Zuhörers zu halten, mit intensiven Gefühlen umzugehen und in angespannten Situationen inneren Halt zu finden.

Auf dieser Physiologie beruht die komplexe Verbindung zwischen dem Atem, der Stimme und unserem Identitätsgefühl. Unsere Stimme ist einer der intimsten und persönlichsten Aspekte unserer selbst. Für die meisten Menschen ist sie das wichtigste Ausdrucksmittel, eine Art akustische Unterschrift, an der man uns erkennen kann. Von all den Dingen, die sich im Laufe des Lebens wandeln – unser alternder Körper, unser verwitterndes, faltiges Gesicht –, ist es ab dem Erwachsenenalter die Stimme, die sich am wenigsten und am langsamsten verändert. Das Gefühl dafür, wer wir sind, hängt oft sehr eng mit unserer Stimme zusammen.

Überlegen Sie einmal, womit andere uns außer unserer Stimme typischerweise noch identifizieren: Eines der wichtigsten Erkennungsmerkmale ist der Vorname – ein Wort, das repräsentiert, wer ich bin. In Konflikten sind es oft die Angriffe auf unsere Identität oder unser Selbstbild, die uns besonders treffen und mit denen wir nicht gut umgehen können.

Zusätzlich zu diesen tief verwurzelten physiologischen und psychologischen Komponenten der Kommunikation spielen auch Gefühle, soziale Schicht, Kultur und weitere verborgene Variablen eine Rolle bei den so alltäglichen Aktivitäten des Sprechens und Zuhörens. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie viele Ebenen ein einfaches Gespräch hat, ist es kein Wunder, dass Kommunikation uns so nahegeht.

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