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Die Kraft der Präsenz

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Wir können so wortgewandt sein, und doch reichen Worte oft nicht aus, um das auszudrücken, was in unserem Leben am bedeutsamsten ist. In Momenten tiefer Liebe und Intimität wie auch in Momenten großer Verluste und Tragödien sagt unsere einfache, beständige Präsenz am meisten.

Eine der schwierigsten Aufgaben in meinem Leben war es, mich von Safta zu verabschieden, der Mutter meines Vaters. Ich war vierzehn, als ihr Krebsleiden metastasierte. Ich begleitete meinen Vater auf seiner Reise zu ihr nach Israel.

Safta und ich hatten niemals die gleiche Sprache gesprochen, aber im Lauf der Jahre viele liebevolle Momente geteilt, während wir Karten spielten oder uns einfach an den Händen hielten und lachten. Sie hatte unglaubliche Hände. Sie waren klein und rau, Hände, die einem Huhn den Hals umdrehten, ebenso wie sie mir zärtlich übers Gesicht streicheln konnten. Die Haut an Saftas Händen schaffte es irgendwie, zugleich prall wie auch faltig zu sein. Ich kann die Lebendigkeit und Wärme dieser Hände noch heute spüren.

Mein Vater und ich besuchten sie jeden Tag im Pflegeheim. Bei unserem letzten Besuch verbrachten wir einige Zeit gemeinsam im Innenhof und gingen dann zurück in ihr Zimmer. Mir liefen die Tränen über die Wangen, als ich ihr in gebrochenem Hebräisch sagte, dass ich sie liebte und sie vermissen würde. Dann hielten wir uns für einen langen, stillen Moment an den Händen. Es war ein Abschied ohne Worte und der bedeutungsvollste, den ich mir je hätte wünschen können.

Manchmal ist es unsere Präsenz, die am meisten sagt.

Prinzipien

Präsenz schafft die Basis für die Verbindung von Mensch zu Mensch.

Beginnen Sie mit Präsenz. Gehen Sie mit Gewahrsein in das Gespräch hinein, kehren Sie zu diesem Gewahrsein zurück, und versuchen Sie, es aufrechtzuerhalten und sich selbst gegenüber ehrlich zu sein in Hinblick auf das, was Sie gerade erleben.

Die wichtigsten Punkte

Präsenz hat uns viel zu geben:

 Sie gibt uns unser Leben zurück, sie macht uns wach für den gegenwärtigen Moment.

 Sie hilft uns, uns daran zu erinnern, die erlernten Kommunikationsmethoden auch anzuwenden.

 Sie liefert uns wichtige Informationen über uns und andere Menschen.

 Sie gibt uns frühe Warnsignale, wenn wir erregt oder verärgert sind.

 Sie gibt uns inneren Raum und Halt, um mit unseren Reaktionsmustern umzugehen.

 Sie hilft uns, emotionale Schmerzen oder Verletzungen zu heilen.

Präsenz ist unser natürlicher Zustand. Wir können Präsenz entwickeln, indem wir:

 uns auf wache und ausgeglichene Weise in unserer Umgebung orientieren,

 erkennen, was uns dabei hilft, mit der Präsenz verbunden zu bleiben, und was uns davon trennt,

 Achtsamkeit auf den Körper praktizieren und uns mithilfe eines Ankers erden: Schwerkraft, die Körpermittellinie, die Atmung, Berührungspunkte wie Hände oder Füße,

 den Tag mit einer Intention beginnen und abschließen,

 eine positive Rückkopplung erzeugen, indem wir es wertschätzen, wenn wir uns daran erinnern, präsent zu sein, anstatt uns zu verurteilen.

Fragen und Antworten

Manchmal fühle ich mich sehr präsent, wenn jemand anders spricht, aber ich bin mir dabei nicht unbedingt meines Körpers bewusst. Ist das trotzdem Präsenz?

Es gibt viele Möglichkeiten, präsent zu sein. Wir können mental und intellektuell im Hier und Jetzt sein, emotional mit unseren Gefühlen und Bedürfnissen und somatisch mit unserem körperlichen Erleben. Wir versuchen, diese drei Bereiche zusammenzubringen. Wenn wir den Körper als Basis für unsere Präsenz nutzen, gibt uns das ein Gefühl der Ganzheit, und wir haben eine Grundlage, auf der wir andere Formen der Präsenz entwickeln können.

Ich habe versucht, präsenter und bewusster zu sein, wenn ich mit jemandem aus meiner Familie spreche. Aber das hat so viele Gefühle in mir ausgelöst, dass es mir schwerfiel, zu sprechen oder zuzuhören. Es schien fast so, als ob ich noch reaktiver würde. Was ist da los?

Es kann durchaus überfordernd sein zu fühlen, was in unserem Inneren los ist, besonders wenn es sich um ein schwieriges Gespräch handelt. Manchmal kann gesteigerte Präsenz Gefühle oder Dynamiken aufdecken, die bislang unter der Oberfläche verborgen waren. In anderen Situationen fühlen wir uns vielleicht eher offen und verletzlich. All das kann ein Gefühl der Desorientierung hervorrufen. Ich möchte Sie ermutigen, dennoch weiter möglichst präsent zu sein. Tun Sie Ihr Bestes, um im Gleichgewicht zu bleiben, egal, was hochkommt, denn die Alternative wäre, in den Autopilotmodus zu verfallen. Wenn Sie sich überfordert fühlen, können Sie jederzeit zu der anderen Person sagen: »Ich würde gern weitersprechen, aber ich bemerke, dass ich mich etwas überfordert fühle. Wäre es in Ordnung, wenn wir eine kurze Pause machen?«

Meistens fühle ich mich nicht sicher genug, um mich zu entspannen und präsent zu sein. Wie kann ich das üben, wenn ich mich nicht sicher fühle?

Es berührt mich sehr, diese Frage zu hören. Meiner Meinung nach verweist sie sowohl auf unsere Sehnsucht, uns von Mensch zu Mensch zu verbinden, als auch auf unsere Verletzlichkeit. So vieles in unserer Gesellschaft fördert nicht die Art von Entspannung, nach der sich unser Organismus sehnt: das Wohlgefühl warmer sozialer Kontakte und das Gefühl, einen Platz zu haben. Mir ist es wichtig, dass wir unsere individuelle Erfahrung im Kontext der größeren Strukturen unserer Gesellschaft verstehen, sonst neigen wir dazu, all unsere Herausforderungen zu persönlich zu nehmen und zu denken, dass wir irgendwie schuld daran seien.

Wenn wir bedenken, wie wenig unsere moderne Kultur durch ein Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit gekennzeichnet ist und wie wirtschaftlicher Druck die Zeit zum Aufbau einer gesunden Bindung zwischen Eltern und Kindern auf ein Minimum reduziert, ist es ganz klar, dass wir uns nicht entspannt und sicher fühlen! Vielleicht haben wir einen Mangel an Sicherheit aus negativen Erfahrungen internalisiert, die auf unserem Geschlecht, unserer sexuellen Orientierung, ethnischen Zugehörigkeit, sozialen Schicht oder einem anderen soziokulturellen Merkmal basieren. Es ist wichtig herauszufinden, an welchen Stellen wir Unterstützung brauchen, Ressourcen schaffen und daran arbeiten müssen, die strukturellen Ursachen dieser Probleme zu verändern.

Zudem ist es wichtig, unsere Annahmen zu überprüfen. Vielleicht suchen wir Sicherheit, indem wir uns an dem festklammern, was uns emotionale Geborgenheit vermittelt. Doch Sicherheit ist illusorisch. Wir können tun, was in unserer Macht steht, um Verletzungen zu vermeiden und eventuelle Misshandlungen zu ­beenden, und zugleich anerkennen, dass die Welt kein sicherer Ort ist, weder physisch noch emotional. Anstatt unsere Angst noch zu verstärken, kann diese Einsicht zu großer Lebendigkeit und Freiheit führen.

Die Methoden und Perspektiven, die ich hier mit Ihnen teile, können uns helfen, eine stabile Basis des Wohlbefindens und der Verbundenheit mit uns selbst zu schaffen, sodass unser Sicherheitsgefühl mehr von innen als von außen gestärkt wird. Hier ist das Prinzip, erst mal am »flachen Ende des Schwimmbeckens« zu üben, besonders wichtig. Halten Sie Ausschau nach Menschen oder Situationen, mit denen Sie sich eher sicher und eher entspannt fühlen, um mit dem Üben zu beginnen – und sei es mit Ihrem Haustier oder Ihrem Lieblingsbaum. Unser Nervensystem sehnt sich nach der beruhigenden Wirkung freundlicher sozialer Interaktion. Wir Menschen kennen sie seit Jahrtausenden, und unser Körper erinnert sich daran, wie wir uns untereinander verbinden, uns mitteilen und einander zuhören können, wenn wir nur die richtigen Umstände schaffen und alldem Gelegenheit geben.

12 Zwar unterscheiden viele Meditationsansätze zwischen den Begriffen »Achtsamkeit«, »Gewahrsein« und »Präsenz«, doch für unsere Zwecke gebrauche ich diese Begriffe synonym. Jede trägt eine etwas andere Konnotation der Erfahrung des bewussten Gewahrseins in sich.

13 Mir wurde auch klar, dass das unbewusste Ausleben der typischen Geschlechter­rollen – der Mann hat das Sagen, die Frau fügt sich – zu der Situation beigetragen hatte.

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