Читать книгу Metamorphosen - Ovid - Страница 12
Die Sintflut
ОглавлениеSchon wollte er über alle Lande Blitze ausstreuen, doch befürchtete er, so viele Feuer könnten den heiligen Äther [255] in Flammen setzen und die lange Himmelsachse entzünden. Auch erinnert er sich eines Schicksalsspruchs, es werde die Zeit kommen, da Meer, Erde und Himmelsburg in Brand geraten und das Weltgebäude in schwerer Bedrängnis ist. Er legt die Waffen beiseite, die von Cyclopenhand gemacht sind, [260] und entscheidet sich für die entgegengesetzte Strafe: das sterbliche Geschlecht im Wasser zu ertränken und vom ganzen Himmel Regengüsse niedergehen zu lassen.
Alsbald verschließt er in den aeolischen Höhlen den Nordsturm und alle Winde, die heraufgezogene Wolken vertreiben, und läßt den Südwind los: Der Südwind fliegt auf feuchten Schwingen heraus, [265] das furchterregende Gesicht mit pechschwarzer Finsternis bedeckt. Der Bart ist schwer von Regen, vom grauen Haar fließt Wasser, an der Stirn ruhen Nebelschwaden, von Tau triefen die Federn und das Gewand. Kaum hat er mit der Hand die weit und breit am Himmel hangenden Wolken gepreßt, platzen sie mit Getöse; dann gießt es vom Himmel in Strömen. [270] Die Botin der Iuno, Iris im bunten Farbenkleide, zieht Wasser empor und bringt den Wolken Nahrung. Zu Boden gedrückt werden die Saaten; beweint liegt die Frucht darnieder, um welche die Bauern gebetet haben, und die Arbeit eines langen Jahres ist verloren und vertan.
Und Iuppiters Zorn beschränkt sich nicht auf seinen Himmel; [275] ihn unterstützt sein wasserblauer Bruder mit helfenden Wellen. Er ruft die Flußgötter zusammen. Nachdem sie das Haus ihres Tyrannen betreten hatten, sprach er: »Es bedarf jetzt keiner langen Ermahnung. Laßt euren Kräften freien Lauf! So muß es sein. Öffnet eure Pforten, beseitigt die Dämme [280] und laßt euren Strömen ganz und gar die Zügel schießen!« Soweit sein Befehl; sie kehren heim, öffnen die Schleusen der Quellen und wälzen sich in entfesseltem Lauf zum Meer. Der Meister selbst hat die Erde mit seinem Dreizack erschüttert; sie erzitterte, und ihr Beben bahnte dem Wasser neue Wege. [285] Die Flüsse verlassen ihr Bett, stürzen durch das offene Feld und reißen zugleich mit den Saaten Büsche, Vieh und Menschen, Häuser und geweihte Räume samt den heiligen Götterbildern mit sich fort. Und wenn ein Gebäude erhalten blieb und noch standhielt, ohne von dem verheerenden Unglück in Trümmer gelegt zu sein, stehen doch die Fluten höher als sein First, [290] und tief unter dem Strudel sind die Türme versteckt. Schon gab es zwischen Wasser und Land keinen Unterschied; alles war ein einziges Meer; und das Meer hatte keine Küsten.
Der eine besetzt einen Hügel, der andere sitzt im gebogenen Nachen und rudert dort, wo er neulich gepflügt hat; [295] jener segelt über Saaten oder über Dächer eines versunkenen Landhauses hin; dieser fängt im Ulmenwipfel einen Fisch. Der Anker senkt sich, wenn es der Zufall will, in eine grüne Wiese, oder die gebogenen Kiele streifen darunterliegende Weingärten; und wo eben noch magere Ziegen Grashalme rupften, [300] legen sich jetzt häßliche Robben zur Ruhe. Die Nereiden bewundern unter dem Wasser Haine, Städte und Häuser, Delphine wohnen in Wäldern, stoßen an hohe Zweige und schlagen an Stämme, die nachschwingen. Es schwimmt der Wolf mitten unter Schafen, die Woge trägt gelbbraune Löwen, [305] die Woge trägt Tiger; seine Kraft, die dem Blitze gleicht, hilft dem Eber nicht; die schnellen Schenkel nützen dem Hirsch nicht, der hinweggespült wird; und nachdem der flüchtige Vogel lange nach Land gesucht hat, auf dem er sich niederlassen könnte, fällt er schließlich mit ermatteten Schwingen ins Meer. Die See hatte in ihrer unermeßlichen Zügellosigkeit die Hügel bedeckt, [310] und ungewohnte Fluten schlugen an Berggipfel. Die meisten Menschen werden von der Woge dahingerafft, und die wenigen, welche die Woge verschont hat, zermürbt endloser Hunger; denn sie finden keine Nahrung.