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Apollo und Daphne
ОглавлениеDie erste Liebe des Phoebus war Daphne, die Tochter des Penëus; diese Leidenschaft gab ihm nicht der blinde Zufall ein, sondern der wilde Zorn des Liebesgottes. Der Gott von Delos, stolz auf seinen Sieg über die Schlange, [455] hatte jüngst gesehen, wie Amor die Sehne anzog und die Hörner des Bogens spannte. Da hatte er gesagt: »Was willst du, loser Knabe, mit männlichen Waffen? Diese Zier steht meinen Schultern an; kann ich doch dem wilden Tier und auch dem Feind unfehlbar Wunden schlagen. Eben erst habe ich den aufgeblasenen Python, der mit seinem giftigen Bauche so viele Morgen weit das Land bedeckte, [460] mit zahllosen Pfeilen niedergestreckt. Gib du dich damit zufrieden, mit deiner Fackel irgendwelche Liebeshändel anzustiften, und maße dir nicht meinen Ruhm an!« Ihm antwortete der Sohn der Venus: »Mag dein Bogen alles treffen, o Phoebus – meiner trifft dich! [465] Dein Ruhm ist um so viel geringer als der meine, wie alle Lebewesen einem Gotte nachstehen.« Sprach’s, schlug mit den Flügeln, flatterte durch die Luft, und flink stellte er sich auf den schattigen Gipfel des Parnaß. Aus dem Köcher, der die Pfeile barg, nahm er zwei Geschosse von entgegengesetzter Wirkung: Das eine vertreibt, das andere erregt Liebe. [470] Der Pfeil, der Liebe erregt, ist vergoldet und hat eine blinkende, scharfe Spitze; der sie vertreibt, ist stumpf und trägt Blei unter dem Schaft. Mit dem einen traf der Gott die Nymphe, die Penëustochter, mit dem andern schoß er Apollo durch die Knochen bis ins Mark. Sofort ist der eine verliebt; die andere flieht schon vor dem Wort »Geliebte«. [475] Sie hat nur Freude an Schlupfwinkeln im Wald und an Fellen gefangener Tiere; so eifert sie der unverheirateten Phoebe nach. Eine Binde umschloß das ungeordnet herabwallende Haar. Viele warben um sie. Sie aber verschmäht alle Freier, hat keinen Mann und will von keinem wissen, streift durch unwegsames Gehölz [480] und fragt nicht nach Hymen, Amor und Ehe. Oft sagte der Vater: »Tochter, du schuldest mir einen Schwiegersohn.« Oft sprach er: »Mein Kind, du schuldest mir Enkel!« Sie aber haßt die Hochzeitsfackeln wie ein Verbrechen; ihr schönes Gesicht war von schamhafter Röte übergossen, [485] und indem sie mit schmeichelnden Armen am Halse ihres Vaters hing, sprach sie: »Laß mich, liebster Vater, ewig Jungfrau bleiben; dies hat auch Vater Iuppiter der Diana gewährt.« Zwar erfüllt er die Bitte; aber dir verbietet deine Schönheit, das zu sein, was du sein möchtest, und deine Erscheinung widersetzt sich deinem Wunsch. [490] Phoebus liebt! Kaum hat er sie gesehen, begehrt er Daphne zu heiraten; und was er begehrt, erhofft er: Da täuscht ihn sein eigenes Orakel! Wie leichte Stoppeln in Brand gesteckt werden, nachdem die Ähren abgeerntet sind, wie Zäune sich an Fakkeln entzünden, die zufällig ein Wanderer zu nahe an sie heranbrachte oder im Morgengrauen zurückließ, [495] so ist der Gott in Liebe entbrannt, so glüht sein ganzes Herz und hegt hoffnungsvoll eine fruchtlose Liebe. Er sieht, wie das schmucklose Haar bis zum Hals herabhängt. »Ei«, sagt er, »wenn es erst noch frisiert würde!« Er sieht die sternengleichen Augen Funken sprühen; er schaut das Mündchen an [500] und will sich mit dem bloßen Anschauen nicht begnügen; er lobt die Finger, die Hände, die Arme und die Oberarme, die bis über die Mitte entblößt sind; und was verborgen ist, stellt er sich noch schöner vor. Sie aber flieht schneller als der leichte Lufthauch, ohne auf seine Worte hin stehenzubleiben, mit denen er sie zurückruft:
»Nymphe, Penëustochter, bitte, bleib stehn! Ich folge dir nicht als Feind. [505] Nymphe, bleib stehn! So flieht das Lamm vor dem Wolf, die Hirschkuh vor dem Löwen, so fliehen vor dem Adler die Tauben mit ängstlich schlagenden Flügeln – ein jedes vor seinem Feind; Liebe ist der Grund, warum ich dich verfolge. Weh mir! Stürz nicht vornüber und laß die Dornen nicht deine Schenkel ritzen, die keine Verwundung verdienen. Ich will dir keinen Schmerz zufügen. [510] Die Gegend, durch die du dahineilst, ist rauh. Lauf, bitte, langsamer und zügle deine Flucht! Dann werde ich dich langsamer verfolgen. Frag wenigstens, wessen Wohlgefallen du erregst! Kein Bergbewohner, kein Hirte bin ich, kein struppiger Wächter von Zug- und Herdentieren. Du weißt nicht, Unbesonnene, du weißt nicht, [515] vor wem du fliehst. Und nur darum fliehst du. Mir dient das delphische Land, Claros, Tenedos und die patareische Königsburg. Iuppiter ist mein Vater. Ich offenbare, was sein wird, was war und was ist; ich lasse Gesang und Saitenspiel harmonisch zusammenstimmen. Mein Pfeil trifft zwar ins Ziel, doch gibt es einen Pfeil, [520] der noch genauer ins Ziel geht; der hat meinem noch freien Herzen eine Wunde geschlagen! Die Heilkunst ist meine Erfindung, die Welt nennt mich den Heilbringer, und die Kraft der Kräuter steht mir zu Gebote. Weh mir, daß gegen die Liebe kein Kraut gewachsen ist und daß die Künste, die allen nützen, ihrem Herrn und Meister keinen Nutzen bringen!«
[525] Er wollte noch mehr sagen, doch die Tochter des Penëus entfloh ihm in angstvollem Lauf, ließ ihn hinter sich und mit ihm seine Rede, mit der er noch nicht zu Ende war. Auch in diesem Augenblick sah sie reizend aus. Windstöße entblößten ihren Körper, der entgegenkommende Luftzug ließ die Kleider, auf die er traf, flattern, ein leichtes Lüftchen ließ das Haar nach hinten wehen, [530] und die Schönheit steigerte sich durch die Flucht. Doch der jugendliche Gott erträgt es nicht länger, Schmeichelworte zu verschwenden. Und wie Amor selbst es ihm eingab, folgt er mit beschleunigtem Schritt ihren Spuren. Wie wenn ein Jagdhund aus Gallien auf dem offenen Feld einen Hasen erspäht hat und der eine nach seiner Beute, der andere um sein Leben rennt [535] – der eine sieht aus, als wolle er schon zubeißen, hofft von einem Augenblick zum andern zuzupacken und streift mit vorgestreckter Schnauze die Fersen der Beute; der andere ist sich im Zweifel, ob er schon gefangen ist, entzieht sich gerade noch den zuschnappenden Zähnen und läßt das Maul, das ihn schon berührt, hinter sich –: So erging es dem Gott und der Jungfrau; den einen beflügelt die Hoffnung, die andere die Furcht. [540] Doch der Verfolger, dem Amor Schwung verleiht, ist schneller und gönnt ihr keine Rast. Die Fliehende spürt ihn schon unmittelbar im Rücken, und sein Hauch streift ihr Haar, das ihr in den Nacken fällt. Schließlich versagten ihr die Kräfte, sie erblaßte, von der Mühe der raschen Flucht erschöpft, und blickte zu den Wassern des Penëus. [545] »Vater, komm mir zu Hilfe«, sprach sie, »sofern ihr Flüsse göttliche Macht besitzt! Zerstöre durch eine Verwandlung diese Gestalt, in der ich allzusehr gefiel!« Kaum hat sie ihr Gebet beendet, da kommt über ihre Glieder eine lastende Starre. Um die zarte Brust legt sich dünner Bast. [550] Das Haar wächst sich zu Laub aus, die Arme zu Ästen; der eben noch so flinke Fuß haftet an zähen Wurzeln, das Gesicht hat der Wipfel verschlungen: Allein der Glanz bleibt ihr. Auch so liebt Phoebus sie noch. Er legt die rechte Hand an den Stamm und fühlt noch, wie die Brust unter der frischen Rinde bebt, [555] umschlingt mit den Armen die Äste, als wären es Glieder, küßt das Holz – doch das Holz weicht den Küssen aus. Zu ihr sprach der Gott: »Da du nicht meine Gemahlin sein kannst, wirst du wenigstens mein Baum sein. Stets werden mein Haupthaar, mein Saitenspiel, mein Köcher dich tragen, Lorbeer! [560] Du wirst den latinischen Feldherrn nahe sein, wenn frohe Stimmen das Triumphlied singen und das Capitol den langen Festzug sieht. Du wirst auch als treue Wächterin der Türpfosten am Hause des Augustus vor dem Eingang stehen und den Eichenkranz, der in der Mitte hängt, beschützen. Und wie mein Haupt im ungeschorenen Haarschmuck stets jugendlich ist, [565] so trag auch du fortwährend als Ehrenschmuck dein Laub.« Paean war zu Ende; der Lorbeer nickte mit den neuentstandenen Ästen und schien den Wipfel wie ein Haupt zu bewegen.