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Entstehung der Welt und des Menschen

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[5] Ehe es Meer, Land und den allumschließenden Himmel gab, hatte die ganze Natur ringsum einerlei Aussehen; man nannte es Chaos: eine rohe, ungeordnete Masse, nichts als träges Gewicht und auf einen Haufen zusammengeworfene, im Widerstreit befindliche Samen von Dingen, ohne rechten Zusammenhang. [10] Noch kein Titan spendete der Welt Licht, keine Phoebe ließ ihr Mondhorn immer wieder aufs neue nachwachsen. Keine Tellus schwebte in der Luft, die sich um sie ergoß, und hielt sich durch ihre eigene Schwerkraft im Gleichgewicht; keine Amphitrite hatte die Arme weit um den Rand der Länder gespannt. [15] Zwar gab es da Erde, Wasser und Luft; doch konnte man auf der Erde nicht stehen, die Woge ließ sich nicht durchschwimmen, und die Luft war ohne Licht. Keinem Ding blieb die eigene Gestalt, im Wege stand eines dem anderen, weil in ein und demselben Körper Kaltes kämpfte mit Heißem, Feuchtes mit Trockenem, [20] Weiches mit Hartem, Schwereloses mit Schwerem.

Diesen Streit schlichtete ein Gott und die bessere Natur. Er schied nämlich vom Himmel die Erde und von der Erde die Gewässer, und er sonderte von der dichten Luft den klaren Himmel. Nachdem er diese vier herausgeschält und aus dem unübersichtlichen Haufen genommen hatte, [25] trennte er sie räumlich und verband sie so in einträchtigem Frieden. Die feurige Kraft des schwerelosen Himmelsgewölbes sprühte empor und schuf sich ganz oben in der höchsten Höhe einen Platz. Am nächsten steht ihr die Luft, was die Leichtigkeit und den Standort betrifft. Dichter als beide ist die Erde; sie zog die wuchtigen Elemente an sich [30] und wurde durch die eigene Schwere nach unten gedrückt. Ringsum strömte das Feuchte, nahm den Rand in Besitz und umschloß das feste Erdenrund.

Kaum hatte er – welcher der Götter es auch sein mochte – das Durcheinander so geordnet, zerschnitten und gegliedert, da ballte er zuerst die Erde zusammen, damit sie auf allen Seiten gleich sei, [35] und gab ihr die Gestalt einer großen Kugel. Dann gebot er den Meeren, sich weithin zu ergießen, von stürmischen Winden gepeitscht anzuschwellen und die Küsten der Erde rings zu umfließen. Dazu schuf er noch Quellen, unermeßliche Seen und Teiche. Mit kreuz und quer sich hinschlängelnden Ufern umsäumte er die abschüssigen Ströme, [40] die, an verschiedenen Orten, teils von der Erde selbst verschlungen werden, teils ins Meer gelangen und, von der freieren Wasserfläche aufgenommen, statt an Flußufer an Meeresküsten branden. Er gebot auch den Feldern, sich auszubreiten, den Tälern, sich zu senken, den Wäldern, sich mit Laub zu bekleiden, und den steinigen Bergen, sich zu erheben. [45] Und wie den Himmel zwei Zonen zur Rechten und ebenso viele zur Linken durchschneiden, wobei die fünfte heißer ist als die anderen, so teilte des Gottes Vorsorge die vom Himmel umschlossene Erdmasse durch dieselbe Zahl, und gleich viele Zonen hat die schwere Erde. Die mittlere von ihnen ist wegen der Hitze unbewohnbar; [50] zwei Zonen bedeckt tiefer Schnee; ebenso viele hat der Gott dazwischengesetzt und ihnen ein gemäßigtes Klima gegeben, indem er Feuer mit Kälte mischte. Darüber schwebt Luft, die so viel schwerer ist als Feuer, wie Wasser leichter ist als Erde. Dort gebot er den Nebeln, dort den Wolken zu wohnen, [55] den Donnerschlägen, die Menschenherzen erschrecken sollten, und den Winden, die Blitze und Wetterleuchten bewirken. Doch auch ihnen überließ der Schöpfer der Welt die Luft nicht uneingeschränkt; selbst heute kann man ihnen nur mit Mühe verwehren, daß sie die Welt in Stücke reißen, [60] wo doch jeder von ihnen in einer ganz anderen Richtung weht; so groß ist die Uneinigkeit der Brüder. Der Ostwind entwich zur Morgenröte, zum Reich der Nabataeer, nach Persien und zu den Bergen, auf welche die ersten Strahlen des Tages fallen; der Abend und die Küsten, welche die untergehende Sonne wärmt, sind dem Zephyr am nächsten; in Scythien und dem Norden fiel der Nordwind ein, [65] der uns schaudern läßt; das entgegengesetzte Ende der Welt befeuchtet der Südwind beständig durch Regenwolken. Darüber stülpte der Schöpfer den klaren, schwerelosen Äther, dem gar kein irdischer Bodensatz anhaftet.

Kaum hatte er so alles mit klar umrissenen Grenzen aufgegliedert, [70] als plötzlich die Sterne, die lange von undurchdringlichem Dunkel bedeckt gewesen waren, am ganzen Himmel aufzuglühen begannen. Und damit kein Bereich ohne Lebewesen sei, die ihm angehören, haben Gestirne und Göttergestalten den Himmelsboden inne, den schimmernden Fischen fielen die Wogen als Wohnstatt zu, [75] die Erde nahm Tiere auf und Vögel die bewegliche Luft.

Noch fehlte ein Lebewesen, heiliger als diese, fähiger, den hohen Geist aufzunehmen, und berufen, die übrigen zu beherrschen. Es entstand der Mensch, sei es, daß ihn aus göttlichem Samen jener Weltschöpfer schuf, der Ursprung der besseren Welt, [80] sei es, daß die junge Erde, erst kürzlich vom hohen Äther getrennt, noch Samen des verwandten Himmels zurückbehielt; diese mischte der Sproß des Iapetus mit Regenwasser und formte sie zum Ebenbild der alles lenkenden Götter. Und während die übrigen Lebewesen nach vorn geneigt zur Erde blicken, [85] gab er dem Menschen ein emporblickendes Antlitz, gebot ihm, den Himmel zu sehen und das Gesicht aufrecht zu den Sternen zu erheben. So nahm die Erde, die eben noch roh und gestaltlos gewesen war, verwandelt die bisher unbekannten menschlichen Formen an.

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