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Zweites Buch Phaethon (II)

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Der Palast des Sonnengottes stand stolz mit hochragenden Säulen da und strahlte von gleißendem Gold und feuerrotem Pyropus. Oben deckte den Giebel schimmerndes Elfenbein, und silberhell glänzten die beiden Torflügel. [5] Noch herrlicher als der Stoff war die Arbeit: Mulciber hatte nämlich dort in getriebenem Metall das Weltmeer dargestellt, wie es die Erde, die in der Mitte liegt, umgürtet; er hatte den Erdkreis gebildet und den Himmel, der sich darüber wölbt. Blaue Götter sind in den Wellen: Triton mit dem Muschelhorn, Proteus der Wandelbare, [10] Aegaeon, der mit den Armen riesige Walfischrücken drückt, Doris und ihre Töchter; einige von ihnen sieht man schwimmen; andere sitzen auf Felsen und trocknen ihr grünes Haar, manch eine reitet gar auf einem Fisch! Jede hat ein anderes Gesicht, und doch gleichen sie einander, wie es sich für Schwestern ziemt. [15] Die Erde trägt Männer und Städte, Wälder und wilde Tiere, Flüsse, Nymphen und andere Götter der Flur. Darüber steht das Bild des Himmels im Sternenglanz: sechs Tierkreiszeichen im rechten und ebenso viele im linken Türflügel.

Kaum ist der Sproß der Clymene auf ansteigendem Pfad hier [20] angelangt und hat das Haus des Vaters, an dessen Vaterschaft er zweifelt, betreten, lenkt er alsbald seine Schritte vor das väterliche Angesicht; doch muß er weit entfernt stehenbleiben, denn aus größerer Nähe ertrug er das Licht nicht. In einem Purpurgewand saß Phoebus auf einem Thron, der von strahlenden Smaragden leuchtete. [25] Zur Rechten und Linken standen der Tag, der Monat, das Jahr, die Jahrhunderte und in gleichmäßigen Abständen die Stunden. Da stand der junge Frühling im Blütenkranz, da stand der nackte Sommer und trug Ährengewinde, da stand auch der Herbst, bespritzt von den Trauben, die er gekeltert hatte, [30] und der eisige Winter im struppigen grauen Haar. Darauf erblickte der Sonnengott, der den Platz in der Mitte innehatte, mit den Augen, mit denen er alles sieht, den Jüngling, den die ungewohnten Wunderdinge einschüchterten, und sprach: »Was ist der Grund deiner Reise? Was suchst du in dieser Burg, Phaethon, mein Sohn? Dein Vater verleugnet dich nicht.« [35] Er erwidert: »Gemeinsames Licht der unermeßlichen Welt, Phoebus, mein Vater, wenn du mir erlaubst, dich so zu nennen, und Clymene nicht unter trügerischer Maske eine Schuld verheimlicht, gib mir ein Pfand, mein Vater, damit man glaubt, daß ich wirklich dein Kind bin, und nimm von meinem Herzen diese Ungewißheit.« [40] Sprach’s; da legte der Vater den Strahlenkranz ab, der rings um sein Haupt blitzte, hieß ihn näher treten, umarmte ihn und sagte: »Du bist es wert, daß ich mich zu dir bekenne, und Clymene hat über deine Herkunft die Wahrheit gesagt. Und damit du nicht mehr zweifelst: Erbitte dir ein beliebiges Geschenk, um es aus meiner Hand zu empfangen. [45] Als Zeugen für dieses Versprechen rufe ich den Sumpf an, bei dem die Götter schwören müssen und den meine Augen nicht kennen.« Kaum hatte er zu Ende gesprochen, da bittet der Knabe um den Wagen des Vaters und um das Recht, einen Tag die Rosse lenken zu dürfen, deren Füße geflügelt sind.

Da bereute der Vater seinen Schwur, schüttelte drei-, viermal [50] sein lichtglänzendes Haupt und sprach: »Leichtfertig ist mein Wort durch das deine geworden. O wäre es mir erlaubt, mein Versprechen nicht zu erfüllen! Ich bekenne es: Nur dies würde ich dir, mein Sohn, verweigern. Doch abzuraten steht mir frei. Was du dir wünschst, ist gefährlich. Etwas Großes begehrst du, Phaethon, eine Gabe, die diesen deinen Kräften [55] und deinen so jungen Jahren nicht entspricht. Dein Los ist es, sterblich zu sein; nicht sterblich ist, was du begehrst. Sogar mehr, als Göttern zuteil werden kann, beanspruchst du in deiner Unwissenheit. Mag auch jeder Gott viel von sich halten, so kann sich doch keiner außer mir auf die feurige Achse stellen. [60] Auch der Herrscher des großen Olymps, er, der mit furchtbarer Hand verheerende Blitze schleudert, wird diesen Wagen nicht lenken können; und was gibt es Größeres als Iuppiter?

Steil ist die erste Strecke des Weges; kaum bewältigen sie die Pferde, obwohl sie am Morgen ausgeruht sind. In der Mitte des Himmels ist die Bahn sehr hoch; [65] selbst ich fürchte mich oft, von dort auf Meer und Land hinabzublicken, und die Brust erbebt mir vor beklemmender Angst. Die letzte Strecke ist abschüssig und verlangt eine sichere Lenkung: Sogar Tethys, die mich dann im darunterliegenden Wasser auffängt, bangt oft, ich könnte in die Tiefe stürzen. [70] Außerdem ist der Himmel von einem ständigen Wirbel erfaßt, zieht hoch oben die Sterne mit und dreht sie in raschem Umlauf. Ich stemme mich dagegen, mich überwältigt der Schwung nicht, der alles übrige mit sich fortreißt, und ich bringe meine Fahrt ans Ziel, der heftigen Kreisbewegung des Alls entgegen. Nimm an, ich hätte dir den Wagen gegeben. Was wirst du tun? Wirst du dich der Drehung der Himmelspole entgegenstemmen können, [75] so daß dich die schnelle Achse des Alls nicht mit sich fortreißt? Vielleicht stellst du dir vor, daß dort Haine und Städte der Götter sind und Heiligtümer, reich an Weihegaben? Nein, die Fahrt geht mitten durch Orte, an denen Schreckbilder von Tieren lauern. Und auch wenn du auf dem rechten Weg bleibst und dich von nichts beirren läßt, [80] wirst du doch zwischen den Hörnern des Stieres hindurchfahren, der sich dir entgegenstellt, vorbei am Bogen des haemonischen Schützen, am Rachen des reißenden Löwen, am Skorpion, der die unbarmherzigen Scheren in weitem Bogen krümmt, und am Krebs, der sie in anderer Richtung krümmt. Und du kannst nicht ohne weiteres die Rosse lenken; mit wildem Stolz beseelt sie das Feuer, [85] das sie in der Brust tragen und aus Maul und Nüstern ausstoßen; selbst mich dulden sie kaum, wenn einmal ihr heftiger Mut entflammt ist; und ihr Nacken widerstrebt den Zügeln. Du aber, nimm dich in acht, mein Sohn, daß ich dir nicht ein verhängnisvolles Geschenk geben muß, und solange du noch darfst, berichtige deinen Wunsch. [90] Natürlich, ein sicheres Unterpfand verlangst du, damit du glauben kannst, daß du Blut von meinem Blute bist. Ich gebe dir ein sicheres Unterpfand durch meine Furcht, und meine väterliche Angst um dich beweist, daß ich dein Vater bin. Hier: Sieh mein Gesicht! O könntest du in mein Herz blicken und darin die väterlichen Sorgen entdecken! [95] Und schau dir schließlich ringsum alles an, was die reiche Welt besitzt, und verlange irgendeines der so zahlreichen und großen Güter im Himmel, auf der Erde und im Meer! Du wirst keine Zurückweisung erfahren. Nur dies eine nimm, bitte, aus, das eigentlich eine Strafe, keine Ehre ist; eine Strafe erflehst du dir, Phaethon, als Geschenk. [100] Was umschlingst du meinen Hals, Ahnungsloser, mit schmeichelnden Armen? Zweifle nicht, du wirst alles bekommen, was du dir wünschst (ich habe bei den stygischen Fluten geschworen) – aber wähle einen vernünftigeren Wunsch!«

Er hatte seine Warnung beendet, doch Phaethon sträubt sich gegen die Worte, beharrt auf seinem Vorsatz und brennt vor Begierde nach dem Wagen. [105] Solange er durfte, hat der Vater gezögert. Nun führt er den Jüngling also zu dem hohen Wagen, einem Geschenk Vulcans. Golden war die Achse, die Deichsel golden, golden die Felge außen am Rad; die Reihe der Speichen war silbern. Am Joch spiegelten Chrysolithe und aufgereihte Edelsteine den Phoebus [110] und warfen sein strahlendes Licht zurück. Während der hochgemute Phaethon dies bewundert und das Kunstwerk betrachtet – siehe, da hat die wachsame Aurora im hellen Osten die purpurnen Tore und die rosengefüllten Hallen geöffnet: Die Sterne fliehen, ihren Zug beschließt [115] Lucifer und verläßt als letzter seinen Posten am Himmel. Als er sah, daß dieser sich der Erde zuwandte, die Welt sich rötete und die Ränder der Mondhörner sich gleichsam verflüchtigten, gebietet Titan den flinken Horen, die Pferde anzuschirren. Rasch führen die Göttinnen den Befehl aus, holen die feuerspeienden Rosse, [120] die sich an saftiger Ambrosia gesättigt haben, von den hohen Krippen herbei und legen ihnen das klirrende Zaumzeug an. Dann bestrich der Vater das Gesicht seines Sohnes mit einem heiligen Zaubermittel und feite es gegen die zehrenden Flammen, setzte ihm den Strahlenkranz aufs Haar und sprach, indem er [125] wiederholt aus tief besorgter Brust aufseufzte – denn er ahnte Schmerzliches –:

»Kannst du wenigstens diesen Ermahnungen deines Vaters gehorchen: Geh, Knabe, mit dem Stachel sparsam um und gebrauche kräftiger die Zügel! Aus eigenem Antrieb eilen die Rosse; die Arbeit besteht darin, ihren Eifer zu bändigen. Und wähle nicht den Weg, der geradlinig durch die fünf Zonen führt! [130] Schräg geschnitten verläuft in weitem Bogen die Bahn; sie gibt sich mit dem Bereich dreier Zonen zufrieden und meidet den Südpol und den Großen Bären mit seinen Nordwinden. So sei dein Weg! Deutlich wirst du die Radspuren sehen. Und damit Himmel und Erde gleichmäßig erwärmt werden, [135] drücke den Wagen nicht zu weit hinab und lenke ihn nicht durch den obersten Äther. Steigst du zu hoch empor, wirst du die himmlischen Hallen verbrennen, gehst du zu tief, die Erde; in der Mitte wirst du am sichersten fahren. Möge dich auch das Rad nicht zu weit nach rechts tragen zur Schlange, die sich ringelt, und auch nicht zu weit nach links zu dem tief am Himmel stehenden Altar! [140] Halte dich zwischen beiden! Das Weitere überlasse ich dem Schicksal. Es möge dir helfen und besser für dich sorgen als du selbst! Während ich rede, hat die feuchte Nacht die Wendemarken am Hesperischen Strand berührt. Länger dürfen wir nicht warten: Wir werden verlangt. Aurora glüht, und die Finsternis ist vertrieben. [145] Nimm die Zügel in die Hand – oder, wenn dein Sinn sich noch ändern kann, dann mache dir meinen Rat, nicht meine Räder zu eigen, solange du noch kannst, solange du auf festem Boden und nicht unerfahren auf der Achse stehst, die du dir zu deinem Unheil gewünscht hast. Laß mich der Erde das Licht spenden, damit du es in Sicherheit schauen kannst.«

[150] Phaethon besteigt den leichten Wagen mit seinem jugendlich schlanken Körper. Schon steht er oben, freut sich, mit den Händen die leichten Zügel zu berühren, und dankt von dort aus dem widerstrebenden Vater. Inzwischen erfüllen die vier geflügelten Sonnenrosse Feurig, Morgenschein, Brand und Lohe die Lüfte [155] mit flammendem Wiehern und schlagen mit den Hufen an die Schranken. Schon hatte Tethys diese aufgestoßen, ohne vom Schicksal ihres Enkels etwas zu ahnen, und den Rossen stand der unermeßliche Himmel offen: Da stürmen sie los, bewegen die Beine durch die Luft, zerreißen Nebelschleier, die ihnen im Wege stehen. [160] Von den Flügeln emporgetragen, überholen sie die Ostwinde, die aus derselben Richtung kommen. Aber das Gewicht war leicht, so daß es die Sonnenrosse nicht wiedererkennen konnten, und dem Joch fehlte die vertraute Schwere. Wie gebogene Schiffe ohne den rechten Ballast hin und her schwanken und, weil sie zu leicht sind, unstet über das Meer fortgetragen werden, [165] so macht der Wagen, frei von der gewohnten Last, Sprünge in der Luft und wird in die Höhe geschleudert, als wäre er leer. Sobald das Viergespann dies bemerkt hat, stürzt es los, verläßt die ausgefahrene Bahn und läuft nicht mehr geordnet wie sonst. Phaethon ist erschrocken und weiß nicht, wohin er die ihm anvertrauten Zügel lenken soll, [170] auch weiß er den Weg nicht, und selbst wenn er ihn wüßte, könnte er den Pferden seinen Willen nicht aufzwingen. Damals erwärmte sich zum ersten Mal das eisige Gestirn der Sieben Dreschochsen am Strahl der Sonne, und sie versuchten vergebens, in dem verbotenen Meer zu baden; und die Schlange, die ganz nahe am eisigen Pol wohnt, vor der sich bisher niemand zu fürchten brauchte, weil sie durch den Frost träge geworden war, [175] wurde warm und bekam durch die Hitze neue Angriffslust. Man sagt, sogar du, Bootes, seist verwirrt geflohen, wenn du auch noch so träge warst und dein Karren dich aufhielt. Doch als Phaethon von der höchsten Höhe des Äthers hinabblickte, der Unglückliche, auf die Lande, die weit, weit unten hingebreitet waren, [180] erbleichte er, in plötzlicher Angst erzitterten ihm die Knie, und ungeachtet all des hellen Lichtes senkte sich Finsternis über seine Augen. Schon hätte er lieber die Rosse des Vaters nie angerührt, schon reut es ihn, seine Herkunft erfahren und seine Bitte durchgesetzt zu haben, schon wünscht er sich sehnlich, ein Sohn des Merops zu heißen. [185] Er wird fortgetragen wie vom rasenden Nordwind ein fichtenes Schiff, dessen Lenkung der verzweifelte Steuermann aufgegeben und das er Göttern und Gebeten überlassen hat. Was tun? Eine große Himmelsstrecke liegt bereits hinter ihm, eine größere vor ihm. Im Geiste schätzt er beides ab; bald blickt er voraus gen Sonnenuntergang – wohin zu gelangen ihm nicht beschieden ist –, [190] bald zurück zum Sonnenaufgang. Wie betäubt weiß er nicht, was er tun soll. Weder läßt er die Zügel los, noch kann er sie anziehen, noch kennt er die Namen der Pferde. Auch sieht er, bunt über den weiten Himmel verstreut, Wunderwesen und die Bilder riesiger Tiere, die ihm Angst einjagen. [195] Es gibt einen Ort, an dem der Skorpion seine Scheren in zwei Bögen krümmt und mit seinem Schwanz und den beiderseits gebogenen Armen seine Glieder über den Raum von zwei Tierkreiszeichen ausdehnt. Sobald ihn der Knabe sah, wie er von schwarzem Gift troff, das er ausschwitzte, und ihn mit seinem krummen Stachel zu verwunden drohte, [200] verlor er die Besinnung, eisig packte ihn die Angst, und er ließ die Zügel los. Diese liegen schlaff auf dem Rücken der Pferde; durch die Berührung geraten die Rosse außer Rand und Band und jagen, ohne daß jemand sie zurückhält, durch unbekannte Luftregionen. Regellos rasen sie, wohin ihr Ungestüm sie treibt, [205] stoßen an die Sterne, die am hohen Himmelsgewölbe befestigt sind, reißen den Wagen durchs Unwegsame, steigen bald zu den höchsten Höhen empor, bald stürzen sie abwärts auf halsbrecherischen Wegen in der Nähe der Erde dahin. Luna wundert sich, daß die Rosse ihres Bruders auf einer tiefer gelegenen Bahn laufen als die ihren, und versengt dampfen die Wolken. [210] Überall dort, wo die Erde am höchsten ist, wird sie vom Feuer ergriffen, bekommt Spalten und Risse und dörrt aus, weil ihr die Säfte entzogen sind. Das Gras wird grau, samt seinen Blättern brennt der Baum, und das trockene Saatfeld liefert seinem eigenen Unheil Nahrung.

Doch was ich beklage, ist noch gering! Große Städte gehen mit ihren Mauern unter, [215] und der Brand legt ganze Länder mit ihren Völkern in Asche. Es brennen die Wälder mit ihren Bergen. Es brennt der Athos, der cilicische Taurus, der Tmolus, der Oeta, der Ida, der damals trocken war, sonst überreich an Quellen, der Helicon, der Berg der jungfräulichen Musen, und der Haemus, der damals noch nicht dem Oeagrus gehörte. [220] Es brennt der Aetna von zweierlei Feuern, die sich ins Unermeßliche steigern, es brennt der Parnaß mit seinen zwei Gipfeln, der Eryx, der Cynthus, der Othrys, Rhodope, die endlich einmal die Schneekappe verliert, Mimas, Dindyma, Mycale und der Cithaeron, der für heilige Orgien geschaffen ist. Scythien nützt die heimische Kälte nichts; der Caucasus brennt. [225] Ebenso der Ossa, der Pindus, der Olymp, der größer ist als beide, die luftigen Höhen der Alpen und der wolkentragende Apennin.

Da sieht Phaethon den Erdkreis von allen Seiten in Flammen stehen und hält die gewaltige Hitze nicht aus; glühendheiße Luft wie aus dem tiefen Schlund einer Esse [230] atmet er mit dem Mund ein, spürt, daß sein Wagen sich bis zur Weißglut erhitzt, kann die aufgewirbelte Flugasche nicht mehr ertragen und ist ringsum in heißen Rauch gehüllt. Von pechschwarzem Dunkel bedeckt, weiß er nicht mehr, wohin er fährt oder wo er ist, und läßt sich von der Willkür der Flügelpferde fortreißen. [235] Wie man glaubt, wurden damals Aethiopiens Völker schwarz, weil die Hitze das Blut an die Oberfläche ihres Körpers lockte. Damals ward Libyen trocken, weil die Glut dem Lande die Feuchtigkeit entzog. Damals weinten die Nymphen mit aufgelöstem Haar um ihre Quellen und Seen: Boeotien vermißt Dirce, [240] Argos Amymone, Ephyra die Wellen der Pirene. Nicht einmal Flüsse, denen weit voneinander entfernte Ufer beschieden sind, bleiben verschont: Inmitten seiner Wellen dampfte der Tanais, ebenso der alte Penëus, der teuthrantische Caicus, der schnelle Ismenus, der Erymanthus bei Phegia, [245] der Xanthus, der später noch einmal brennen sollte, der gelbe Lycormas, der Maeander, der spielerisch seinen Lauf immer wieder zurückbiegt, der mygdonische Melas und der taenarische Eurotas. Es brannte auch der babylonische Euphrat, es brannte der Orontes, der schnelle Thermodon, der Ganges, der Phasis und die Donau. [250] Es siedet der Alpheus, die Ufer des Spercheus brennen; das Gold, das der Tagus in seinem Strome mit sich führt, wird im Feuer flüssig; und den Flußvögeln, die das Ufer Maeoniens durch ihren Gesang belebten, wurde mitten im Caystros heiß. Der Nil flüchtete voll Entsetzen ans Ende der Welt [255] und verbarg sein Haupt, das bis heute nicht wieder entdeckt ist. Seine sieben Mündungsarme sind staubig und leer, sieben Täler ohne Flußlauf. Dasselbe Geschick läßt den thracischen Hebrus zusammen mit dem Strymon austrocknen und die abendländischen Flüsse: den Rhein, den Rhodanus, den Padus und den Tiber, dem die Weltherrschaft verheißen war.

[260] Der ganze Erdboden wird rissig, durch die Ritzen dringt Licht in den Tartarus und erschreckt den König der Unterwelt und seine Gattin; das Meer schrumpft, und was eben noch Gewässer war, ist eine trockene Sandfläche; Berge, die das tiefe Meer bedeckt hatte, kommen zum Vorschein und vermehren die weitverstreuten Cycladen. [265] In die tiefsten Tiefen tauchen die Fische, und die Delphine wagen es nicht, sich in gekrümmtem Sprung über die See in die vertraute Luft zu erheben. Leblose Robbenleiber schwimmen rücklings auf dem Meeresspiegel. Selbst Nereus, Doris und ihre Töchter sollen sich in warm gewordenen Grotten versteckt gehalten haben. [270] Dreimal hatte Neptun sich erkühnt, die Arme und sein finster blickendes Gesicht aus dem Wasser hervorzustrecken, dreimal ertrug er die glutheiße Luft nicht. Doch die Mutter Erde, vom Meer umgeben, wie sie war, inmitten der Gewässer der See und der Quellen, die sich von allen Seiten um sie drängten und sich im Innern der schattenspendenden Mutter versteckt hatten, [275] erhob – vertrocknet bis in die Kehle – ihr bedrücktes Gesicht, hielt sich die Hand vor die Stirn, erschütterte alles mit starkem Beben, sank etwas in sich zusammen, saß weiter unten als sonst und sprach mit heiserer Stimme folgendermaßen: »Ist dies dein Ratschluß und habe ich dies verdient, was lassen dann noch deine Blitze auf sich warten, [280] oberster der Götter? Soll ich schon durch die Gewalt des Feuers vergehen, so laß mich wenigstens durch dein Feuer vergehen und mich in meinem Untergang damit trösten, daß du der Urheber bist. Kaum kann ich den Mund für diese wenigen Worte öffnen« – die Hitze schloß ihr die Lippen – »hier sieh nur mein ausgedörrtes Haar und so viel Asche in meinen Augen und auf meinem Gesicht! [285] Zahlst du mir diesen Zins, erweisest du mir diese Ehre für meine Fruchtbarkeit, meinen treuen Dienst, dafür, daß ich mich vom krummen Pflug und der Hacke verwunden und das ganze Jahr schinden lasse, daß ich dem Vieh das Laub liefere, dem Menschengeschlecht das Getreide als unblutige Nahrung und auch euch Göttern den Weihrauch? [290] Aber nimm an, ich hätte den Tod verdient – was hat das Wasser, was dein Bruder verbrochen? Warum schrumpft das Meer, das ihm durchs Los verliehen ist, warum muß es jetzt weiter vom Himmel entfernt sein? Läßt du dich aber weder deinem Bruder noch mir zuliebe rühren, so erbarme dich wenigstens deines Himmels! Sieh ihn dir an beiden Enden an! [295] Beide Pole rauchen; wenn sie das Feuer versehrt, werden eure Hallen einstürzen. Schau, selbst Atlas leidet Qualen und kann die glühende Himmelsachse kaum auf den Schultern halten! Wenn Meer und Lande vergehen und die Burg des Himmels, dann werden wir wieder ins alte Chaos gewirbelt. [300] Ist noch etwas übrig, so entreiß es den Flammen und sorge für das Wohl der Welt!«

Die Erde hatte zu Ende gesprochen, denn sie konnte die Hitze nicht länger ertragen und nichts mehr sagen, zog ihr Antlitz in sich selbst zurück und verbarg es in Höhlen, die näher bei der Unterwelt lagen.

Doch der allmächtige Vater rief die Himmlischen und auch [305] den Geber des Wagens dafür als Zeugen an, daß alles einem schweren Verhängnis zum Opfer fallen werde, wenn er nicht Abhilfe schaffe. Steil steigt er zur höchsten Zinne empor, von wo aus er die weiten Lande mit Wolken zu überziehen pflegt, von wo aus er Donner erregt und mit Schwung Blitze schleudert. Damals hatte er freilich keine Wolken, um die Erde zu überziehen, [310] keinen Regen, um ihn vom Himmel herabzusenden. Also donnert er; dann holt er weit aus – bis zum rechten Ohr – und wirft den Blitz auf den Wagenlenker, raubt ihm zugleich den Stand und das Leben und bezähmt mit grausamem Feuer das Feuer. Scheu werden die Rosse, springen in verschiedene Richtungen, [315] reißen den Hals aus dem Joch und hinterlassen zerfetzte Riemen. Hier liegt Zaumzeug, dort, von der Deichsel abgebrochen, die Achse, hier die Speichen geborstener Räder, und weit verstreut sind die Reste des zertrümmerten Wagens.

Aber Phaethon, dessen Haar die verheerende Flamme rötet, [320] wird kopfüber hinabgewirbelt und stürzt in weitem Bogen durch die Luft, wie zuweilen ein Stern vom heiteren Himmel zwar nicht fällt, aber zu fallen scheint. Fern der Heimat, am anderen Ende der Welt, nimmt ihn der gewaltige Eridanus auf und wäscht sein dampfendes Gesicht. [325] Hesperische Naiaden übergeben den Leib, der noch von dem dreizackigen Blitz raucht, dem Grabhügel, und sie ritzen in den Stein einen Spruch: »Hier ruht Phaethon, der Lenker des väterlichen Wagens; zwar konnte er ihn nicht halten, doch fiel er als einer, der Großes gewagt.« Der bejammernswerte Vater hatte in schmerzvoller Trauer [330] sein Angesicht verhüllt, und wenn wir es glauben wollen, soll ein Tag ohne Sonne vergangen sein; die Feuersbrunst spendete Licht, und so war dieses Übel wenigstens zu etwas nütze.

Clymene aber zerreißt, nachdem sie alles gesagt hat, was man in so schwerem Unglück sagen muß, in besinnungsloser Trauer ihr Kleid, [335] schlägt sich an die Brust und durchforscht die ganze Welt, zuerst auf der Suche nach den entseelten Gliedern, dann nach den Gebeinen. Sie fand sie schließlich an fremdem Ufer bestattet, sank an der Stätte zu Boden, wusch den Namen, den sie im Marmor las, mit ihren Tränen und wärmte ihn mit der bloßen Brust.

[340] Nicht weniger trauern die Sonnentöchter und bringen dem Tod als nutzlose Gaben ihre Tränen dar. Mit der flachen Hand schlagen sie sich an die Brust, rufen Tag und Nacht nach Phaethon, der ihre unglücklichen Klagen nicht hören kann, und werfen sich am Grabe nieder. Viermal hatte Luna ihre Hörner zum Vollmond ergänzt: [345] Die Mädchen hatten nach ihrem Brauch – einen Brauch hatte nämlich die Gewöhnung entstehen lassen – ihre Klage ausgestoßen; als eine von ihnen, Phaethusa, die älteste der Schwestern, sich auf die Erde niederwerfen wollte, klagte sie, ihre Füße seien erstarrt. Zu ihr versuchte die strahlende Lampetie zu kommen und wurde von einer plötzlich gewachsenen Wurzel festgehalten. [350] Die dritte wollte sich mit den Händen die Haare raufen und riß Blätter ab. Diese empfindet Schmerz, weil ein Baumstamm ihre Beine umschließt, jene, weil ihre Arme zu langen Ästen werden; und während sie sich noch darüber verwundern, umfaßt Rinde ihre Weichen und legt sich Schritt für Schritt um den Leib, die Brust, die Schultern, die Hände. [355] Nur noch die Gesichter blickten hervor und der Mund, der nach der Mutter rief. Was soll die Mutter tun als hierhin und dorthin gehen, wohin sie ihr Gefühl treibt, und Küsse geben, solange sie noch darf? Das genügt ihr nicht; sie versucht, die Leiber aus den Stämmen zu reißen, und bricht mit den Händen die zarten Zweige ab; [360] doch da quellen Blutstropfen wie aus einer Wunde hervor. »Bitte, schone mich, Mutter«, ruft eine jede, sobald sie verletzt ist, »schone mich, bitte! Im Baum verwundest du meinen Leib. Leb wohl!«, und Rinde wuchs über die letzten Worte. Daraus fließen Tränen; [365] was von den neuentstandenen Zweigen herabtropft, wird an der Sonne hart: Bernstein, den der klare Strom aufnimmt und den Latinerfrauen als Schmuck schickt.

Bei diesem Wunder war Cygnus dabei, der Sohn des Sthenelus, der mit dir, Phaethon, mütterlicherseits blutsverwandt war; doch noch enger war die Seelenverwandtschaft. Er hatte sein Reich verlassen – [370] herrschte er doch über die Völker und die großen Städte der Ligurer. Eben hatte er die grünen Ufer und den Strom des Eridanus mit Klagen erfüllt sowie den Wald, den die Schwestern vermehrt hatten, als seine Stimme plötzlich dünn wurde. Weißgrauer Flaum überdeckt das Haar, von der Brust aus streckt sich der Hals weit nach vorn, [375] Schwimmhäute verbinden die rot gewordenen Zehen, Federn verhüllen die Seite, und das Gesicht bekommt einen stumpfen Schnabel. Es entsteht ein neuer Vogel: der Schwan. Er vertraut sich dem Himmel und Iuppiter nicht an, als erinnere er sich seines ungerechten Blitzschlages. Sümpfe sucht er und weite Seen, und da er das Feuer verabscheut, [380] hat er die Flüsse, die den Flammen feindlich sind, zur Wohnstätte erkoren.

Unterdessen ist Phaethons Vater vor Gram entstellt, läßt die Schönheit vermissen, die ihm eigen ist, sieht aus wie bei einer Sonnenfinsternis, haßt das Licht, sich selbst und den Tag. Ganz gibt er sich der Trauer hin, läßt zur Trauer den Zorn hinzutreten [385] und verweigert der Welt seinen Dienst. »Ruhelos genug«, so spricht er, »ist mein Leben seit Anbeginn der Zeit gewesen, und mich verdrießt die Arbeit, die ich ebenso endlos wie ruhmlos verrichtet habe. Soll doch ein anderer den Wagen lenken, der das Licht trägt! Gibt es aber keinen und erklären sich alle Götter außerstande, [390] dann soll der Herr doch selber den Lenker spielen, um doch einmal, wenigstens solange er meine Zügel erprobt, seine Blitze ruhen zu lassen, die Väter kinderlos machen. Hat er einmal die Kraft der feuerfüßigen Rosse zu spüren bekommen, wird er wissen, daß der den Tod nicht verdient hat, der sie nicht gut lenkte.« Während er solches spricht, umringen alle Götter den Sonnengott [395] und bitten ihn mit flehender Stimme, die Welt nicht mit Finsternis zu überziehen; Iuppiter entschuldigt sich gar wegen des Blitzschlags und würzt nach Königsart die Bitten mit Drohungen. Da sammelt Phoebus seine besinnungslosen und immer noch völlig kopfscheuen Pferde und wütet in seiner Trauer mit Stachel und Peitsche. [400] Ja, er wütet, macht ihnen Vorwürfe und gibt ihnen die Schuld am Tod des Sohnes.

Metamorphosen

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