Читать книгу Gault&Millau Restaurantguide Deutschland 2020 - Patricia Bröhm - Страница 33

Unsere Besten in Berlin

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▲ Aufsteiger ▼ Absteiger ★ Newcomer

19,5

Tim Raue

19

▲ Facil

18

Horváth

Lorenz Adlon Esszimmer

17

▲ Ernst

Frühsammers

Hugos

▲ Pauly-Saal

Rutz

▲ Tulus Lotrek

16

Bandol sur Mer

▲ Coda Dessert Dining

Cookies Cream

Golvet

Nobelhart & Schmutzig

Prism

Richard

Skykitchen

▼ Volt

15

Bieberbau

★ Bob & Thoms

★ Cell

Christopher’s

Cinco by Paco Pérez

Duke

Eins44

Einsunternull

▲ Golden Phoenix

Grill Royal

Herz & Niere

Kochu Karu

▲ Lode & Stijn

▲ Mrs Robinson’s

▲ Orania

Osteria Centrale

Savu

▲ Slate

Sra Bua

★ The NoName

14

893 Ryōtei

★ Bonvivant

Brasserie Colette by Tim Raue

★ Bricole

Chicha

Cordo

Kin Dee

Lamazère

Layla by Meir Adoni

Panama

★ Pots – Dieter Müller

Rutz-Weinbar

▲ Shiori

13

★ Bar Brass

★ Boujee

★ Carl & Sophie Spree Restaurant

▼ Crackers

▼ Dae Mon

★ Enoiteca Il Calice

▼ Gärtnerei

★ Grace

▲ India Club

Joynes Kitchen

Mani

★ Zenkichi

sowie

Am Steinplatz

★ Barra

Brlo Brwhouse

Data Kitchen

Freundschaft

Funky Fisch

Le Faubourg

Kumpel & Keule Speisewirtschaft

MontRaw

★ Palsta

★ Seaside

Standard serious pizza

Sticks’n’Sushi

Tisk Speisekneipe

Torbar

▼ To the bone

Wagner Cocktail Bistro

BERLIN

14

893 RYŌTEI

10623 · Charlottenburg · Kantstr. 135

(0 30) 91 70 31 21 info@893ryotei.de

www.893ryotei.de

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 69 € · à la carte 22/49 €

res.

The Duc Ngo, als Kind mit den „Boat-People“ nach Berlin gekommen und mittlerweile einer der erfolgreichsten und bekanntesten Gastronomen Berlins, gilt als „König der Kantstraße“: Allein an dieser Ecke besitzt er sechs florierende Restaurants. Jedes erzählt eine andere Geschichte. Hier erfährt man, dass Duc die japanische Hochküche verehrt, aber genug Respekt hat, sie nicht pompös zu inszenieren.

Die ehemalige, mit Graffitis bemalte Drogeriefiliale lässt nicht ahnen, dass sich in ihrem Innern ein ebenso außergewöhnlich dunkles wie edel designtes Restaurant befindet, dessen verspiegelte Scheiben den Blick nach draußen ermöglichen, ohne selbst gesehen zu werden. Imposant ist auch die Auslastung des Restaurants: strenges Doubleseating, trotzdem muss man lange vorher planen, wenn man um 18.30 Uhr einen Tisch bekommen möchte, von dem man ohne Ausnahme von düster-schönen Mangamodels spätesten um 21 Uhr abserviert wird.

Man sollte also vorher schon einen Blick in die online verfügbare Karte werfen, um nicht zu viel Zeit zu verlieren, aus den gut 100 Gerichten eine Auswahl zu treffen. Hier eine kleine Bestellhilfe: Der Ceviche 893, eine recht freie Interpretation des peruanischen Klassikers, vereint exzellente Produktqualität mit der Lust auf ausdrucksstarke Aromen und Schärfe. Nasu Ponzu ist die Variation eines traditionellen japanischen Gerichts mit frittierter Aubergine, ein Leibgericht Ducs, dass er mit Ponzu-Sauce noch geschmacksintensiver interpretiert. Aufs Köstlichste überdreht auch die Unagi Royal: ein Nigiri, großzügig belegt mit süßlichem Unagi (Aal), einem Shisoblatt und geflämmter Foie gras.

Unumgänglich ist auch Daniel’s Tatare, das geschnittenes Rinderfilet mit asiatischen Aromen aus Ingwer, Sesam, Sojasauce, Chili und Nori-Algen auflädt. Einen Blick in Ducs Vergangenheit erlaubt der Miso Cod, den er seit fast 15 Jahren mehr oder weniger variiert. Kenner sollten auch einen Sushi-Gang einlegen, Duc lässt im benachbarten Funky Fisch das Meeresgetier zentral für all seine Restaurants zerlegen, darunter auch metergroße Thunfische. Wer das zartschmelzende Fett des Bauchlappens noch nicht kennt, sollte Toro oder den etwas magereren Chūtoro bestellen. Fast banal wirken dagegen die gut gemachten Grillgerichte, besser ist die Eigenkreation Ducs, Sashimi-Taquitos – ein wilder Mix japanisch-mexikanisch-peruanischen Komfortfoods mit einem Schuss kulinarischer Genialität: Auf kleinen Tacos sind hochappetitlich mal roher Lachs mit Avocado und Chilipower, mal Butterfisch mit reichlich gehobeltem Trüffel oder Thunfisch mit feiner Kresseschärfe versammelt, alles süffig von getrüffelter Mayonnaise begleitet.

Die Küche schöpft aus besten Zutaten und bleibt dem Japanischen irgendwie verhaftet, bemüht sich aber nicht, leise Töne anzuschlagen, sondern spielt kräftig die Aromenklaviatur. Früher hätte Duc mit diesem Ansatz wohl über das Ziel hinausgeschossen, heute meistert er die geschmackliche Gratwanderung souverän. Als Abschluss und zur Sättigung empfiehlt sich statt eines belanglosen Desserts eine kalte Nudelsuppe wie die köstliche Zaru Udon mit Mentsuyu-aromatisiertem Dashi, feinen Buchweizennudeln, Jakobsmuschel und einer Spur Wasabi.

Was man dazu trinkt? Die Weinkarte ist umfangreicher und versierter geworden, Champagner passt aber besser, die Auswahl ist groß und die Perlage wirkt wohltuend der meist präsenten Schärfe der Gerichte entgegen. Kenner trinken Premiumsake, viele werden glasweise ausgeschenkt. Nur sollte man nicht zu viel Zeit mit Überlegen verschwenden, der nächste Gast wartet schon auf einen Platz …

o. Note

AM STEINPLATZ

10623 · Charlottenburg · Steinplatz 4

(0 30) 55 44 44 70 53 steve.pietschmann@hotelsteinplatz.com

www.hotelsteinplatz.com

Gastgeber: Steve Pietschmann

Mittags außer Samstag, Sonn- und Feiertag

Menü 69/79 € · à la carte 40/69 €

res.

Nicholas Hahn, der hier mit seinen dezidierten Gourmetgerichten 16 Punkte erkochte, zog es im Sommer 2019 nach Andernach am Rhein. Seinen Nachfolger und die künftige Küchenausrichtung konnten wir bis Redaktionsschluss nicht erfahren. Das Haus will bei beidem nichts übers Knie brechen. Derzeit bieten drei Köche ein abgespecktes Programm.

Schon da ist als neuer Chef der beliebten Bar gleich neben dem Restaurant Willi Bittorf. Der bisherige Vize entfaltet seine Erfahrungen aus der europäischen Bar-Metropole London.

16

BANDOL SUR MER

10115 · Mitte · Torstr. 167

(0 30) 67 30 20 51 mail@bandolsurmer.com

www.bandolsurmer.de

Gastgeber: Andreas Saul und Alexander Seiser

Küchenchef: Andreas Saul

Mittags; Dienstag, Mittwoch

Menü 130 €

res.


Falls irgendjemand versuchen sollte, ein noch schrägeres Gourmetrestaurant zu inszenieren als dieses, wünschen wir viel Erfolg. Die Kombination vom düsterem Ambiente eines ehemaligen Punk-Döners mit der durchdachten Regionalküche Andreas Sauls und dem unaffektierten, herzlichen Service ist praktisch unwiederholbar – neuerdings kommt durch den stadtbekannten Sommelier Alexander Seiser noch ein gutes Stück Weinkompetenz hinzu. Die imbissbudenkleine Location ist so beliebt, dass sie am Wochenende zwei Seatings hat (18 und 21 Uhr).

Es gibt nur ein Menü, dessen sieben Gänge nicht verhandelbar sind. Bei denen ist von den französisch-mediterranen Wurzeln, die der Name verspricht, wenig zu spüren. Die Küche gehört ganz eindeutig zur neuen Berliner Schule, die streng regional und saisonal arbeitet, aber auch viel einweckt und fermentiert; ein wichtiges Kennzeichen ist z.B. ausgekochtes Johannisbeerholz, das als Aroma in vielen Gerichten auftaucht – hier im Waldpilz-Gersten-Tee mit Kürbiskernen und Sellerie, der fast schon parodistisch die modischen Umami-Motive zusammenfasste.

Die gebeizte Makrele, nebst eingekochter Koji-Sahne (fermentiert!), Rettich und Bohnenkraut, war so knapp geschnitten, dass sie zugunsten eines recht angenehmen Mischgeschmacks mehr oder weniger unterging. Sehr prägnant dagegen die Kombination von kurz angebratenem Störfilet mit einer hausgemachten Andouillette – das ist hier keine müffelnde französische Wurst, sondern eine Speckrolle mit sehr fein schmeckenden weißen Kutteln. Dass Saul auch das klassische Saucenhandwerk schätzt und pflegt, merkt man etwa bei der gut gegrillten Rotbarbe mit ausgebackenen Schuppen als Crunch und Schmorgurke als Begleitung, zu der Unagi-Sauce angegossen wird, für die Aal-Karkassen ausgekocht werden und die mit Sojasauce und Schweineschwänzen noch einen Umami-Kick bekommt. Gleich zwei tolle Saucen gab es zum Spargel mit Seegras: eine aus geschmolzenem Knochenmark, eine als Krebs-Bisque; ein paar Krebsschwänze dazu hätten das Gericht großzügiger erscheinen lassen. Perfekt gegart, diskret aromatisiert kam das Reh aus der Schorfheide, zwei fotoreife Keulenstücke mit russischem Blattkohl, schwarzem Knoblauch und einer sehr sanft mit Fichtennadeln aromatisierten Jus.

Diese durch und durch originelle, allenfalls in Details anfechtbare Küche (es wird z.B. viel getupft) hat nur einen Nachteil: Wer sich in Berlin durch mehrere gleich gesinnte Restaurants isst, kann sie bald nicht mehr auseinanderhalten – das ist die aktuelle Gleichförmigkeit der Avantgarde. Vorteil Bandol: Wer sich für Wein interessiert, kann mit Seiser, dem großen Trendkenner, abendfüllende Fachgespräche führen und Weine probieren, die kein Mensch außer ihm kennt, reif für den übernächsten Kult.

Zum Dessert gab’s keinen Süßwein, sondern eine gut gekühlte Cuvée aus Blauem Zweigelt und St. Laurent vom Neusiedler See, die mit zarten Tanninen den Erdbeeren behagt und die Aromen des gerösteten Fenchels rauskitzelt, der das Akazieneis begleitet. Es lohnt sich, nach alkoholfreien Begleitern zu fragen. Der Verbene-Kombucha etwa erweist sich als willkommener säuerlich-frischer Kompagnon zum Eis aus weißer Schokolade mit Miso, Schoko-Crumble mit Lorbeer und einer Estragoncreme unter kleingeschnittenem Kopfsalat, dem Mispelkompott feinsäuerliche Süße zufügt. Wer in einem Restaurant namens Bandol doch lieber Weine aus Frankreich trinken will, wird fündig und bekommt sogar gute Weine aus Bandol, die einfach nur schmecken und das Essen flexibel begleiten. Die kleine Straßenterrasse ist ziemlich umlärmt. Aber wozu sind wir in Berlin?

13

BAR BRASS

10589 · Charlottenburg · Am Spreebord 9

(0 30) 38 30 32 00 mail@barbrass.de

www.barbrass.de

Küchenchef: Oliver Frahm

à la carte 34/58 €

Abseits aller Trampelpfade der City liegt an der Spree das neue Domizil der berühmten Bildgießerei Noack – und dass im Gebäude noch viel Platz für ein Restaurant war, erfreut nun Gourmets und Kunstliebhaber gleichermaßen. Der schlichte, hohe Raum mit einer riesigen Glasfront verlangt geradezu nach einer passenden modern-puristischen Küche, und die liefert Küchenchef Oliver Frahm, gewissermaßen, aus einem Guss. Rund 20 Gänge, zum Teil vegetarisch, befreien die Gäste vom allenthalben üblichen Menüzwang, aber die kulinarische Moderne ist immer präsent beim Chicorée mit Orangen und Walnüssen oder der feinen Foie gras-Terrine, die wie mit schlechtem Gewissen ein bisschen lieblos in einem Kräutersalat mit Roten Johannisbeeren und Roten Beten versteckt wird.

Vor allem die handwerklich perfekten Fischgänge wie der Knurrhahn mit Karotten und Estragonkohlrabi oder die saftige Dorade mit Erbsen, Pfifferlingen und würziger Sauce Romesco machen Eindruck. Und selbst die Desserts, wie Erdbeeren mit Mascarpone und Holundersorbet oder der weiße Pfirsich mit Milchrahmeis und Basilikum-Shortbread, halten Schritt, obwohl sie in allen Komponenten vorbereitet und aufs schnelle Schicken optimiert sind. Das dürfte dann auch hier der Knackpunkt sein: Wird der talentierte Küchenchef genug Mitarbeiter bekommen, um auch im größten Andrang konzentriert arbeiten zu können?

Es war nicht zu übersehen, dass bei Vollbesetzung auch der lässige, freundliche Service mehr zu kämpfen als zu arbeiten hatte – Kompliment, dass sich die Wartezeiten dennoch in Grenzen hielten. Die noch recht kleine Weinkarte passt zum Essen und ist angenehm kalkuliert, der große Garten im Sommer trotz Straßennähe ein angenehmer Ort.

BARRA

12049 · Neukölln · Okerstr. 2

(0 30) 81 86 07 57 reservations@barraberlin.com

www.barraberlin.com

Gastgeber: Kerry Westhead

Küchenchef: Daniel Remers

Mittags; Dienstag, Mittwoch

à la carte 11/38 €

Zwischen Restaurant und Weinbar klafft eine Lücke. Die wird in Berlin derzeit in enorm vielen Varianten bespielt, und zwar meist von Briten, Skandinaviern oder Israelis, die vielfältige kulinarische Erfahrungen mitbringen und unter ihre einfachen, preisgünstigen Gerichte immer einen Tick Gourmetwürze mischen. Hier im schlichten Ambiente in einer rauen Nebenstraße am Rande Neuköllns sind es Briten, die aus der offenen Küche Einfaches wie Focaccia, Käse und Schinken schicken, aber auch Komplexeres gestalten können wie intensiv zitronenwürzige Ricotta-Ravioli, Räucheraal mit Schwarzkohl und Quitte oder Kabeljau mit Mönchbart (dem Pilz) und geräuchertem Rogen. Danach gibt es Desserts wie Schokomousse mit Kardamom oder Zitronencreme mit Joghurt und Pistazien, alles gut und sehr bezahlbar.

Der Service spricht Englisch, auch das ist inzwischen ganz normal in Berlin, und unweigerlich tragen die Weine auch das Etikett „low intervention“, das den Natur- und Orange-Bereich umfasst; man findet Trinkbares. Die Musik ist laut, die Stühle sind schmal und die nächsten Gäste warten schon, kurz: Neuköllner Szene in Reinkultur.

15

BIEBERBAU

10715 · Wilmersdorf · Durlacher Str. 15

(0 30) 8 53 23 90 restaurant@bieberbau-berlin.de

www.bieberbau-berlin.de

Gastgeber: Familie Garkisch

Küchenchef: Stephan Garkisch

Mittags; Samstag, Sonn- und Feiertag

Menü 43/66 €

res.

Koch mit eigenem Garten – das bleibt in Berlin meist ein Wunschtraum. Stefan Garkisch hat ihn sich erfüllt, auch wenn das mit allerlei Fahrerei aufs Land verbunden ist. Aber sein Sortiment an ungewöhnlichen Kräutern und Gemüsen ist in der Saison tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal. Wir möchten allerdings anmerken, dass sich dadurch auch eine gewisse Fixierung in die Küche einschlich, die nur da und dort durch neue Impulse aufgebrochen wird. Ein solcher war das ausgelöste Eisbein vom Duroc-Schwein mit Ananas, gelben Erbsen und Erdnusssauce, das als gelungener Brückenschlag in Richtung Asien funktionierte und den Tellerableckreflex auslöste, der hier trotz aller Kunstfertigkeit manchmal ausbleibt.

Adlerfisch kann man nehmen, man kann ihn sicher auch mit Safran beizen und mit Kresse bestreuen, aber das recht trockene Ergebnis verlangte dringend nach einer Sauce, die der höchst gelungene Waldorfsalat dazu nicht zu ersetzen vermochte. Viel stimmiger fanden wir das gebackene Schollenfilet mit Avocado-Remoulade und einer mit Oliven, Fenchel und Kapuzinerkresse nachempfundenen „Salade niçoise“.

Vegetarisch läuft hier auch, eins der drei Fünf-Gang-Menüs ist dafür reserviert; wir probierten die kontrastreiche Kombination von Zuckermais (inklusive Popcorn) und Roten Beten mit Salzkraut, Shiso-Kresse und Ringelblumen, ein Gericht, das alle Stärken des eigenen Gartens zeigte. Ähnlich angelegt war die Tomaten-Erdbeer-Gazpacho mit grünem Pfeffer und Tagetes, die durch eine Beigabe von zartem Pulpo aus der veganen Ecke geholt wurde.

Die beiden recht zähen Lammrückenstücke waren vermutlich zu winzig zum richtigen Garen und sie fielen auch nicht sehr ins Gewicht neben einer Begleitung aus gelben und grünen Bohnen, die mit Portulak, Feta und Minze munter in Richtung Ägäis stilisiert waren. Volle Gartenladung schließlich wieder bei den Desserts, einem Roseneis auf einem mit Stachelbeerkompott bedeckten Baba au rhum mit Blattkoriander und Ingwer sowie einem Stück Charentais-Melone mit Eisenkrauteis, Himbeeren, Borretschblüten und einer blassen Sauce aus grünem Tee. Das alles ist hübsch auf vielfältiger Keramik angerichtet und zudem vernünftig kalkuliert, aber wir würden doch dazu raten, die Proportionen von Hauptprodukt und Beilagen wie schon beim Schwein so zu verschieben, dass der Eindruck zu großer Beliebigkeit verschwindet.

Die ausschließlich deutsche Weinkarte mit guten Namen ist wohlsortiert und gepflegt, im Service haben Anne Garkisch und ihre offenbar einzige Mitarbeiterin beim üblichen Andrang kaum Zeit für eingehendere Betreuung. Nicht zu vergessen: Der Name „Bieberbau“ geht auf den Stukkateur Richard Bieber zurück, der die Räume im vorletzten Jahrhundert mit sehenswerten bukolischen Landschaftsszenen in Gips ausstattete, die noch heute zu dem intimen Weinstuben-Ambiente beitragen. Es gibt aber auch eine angenehme Sommerterrasse zur Straße hin.

15

BOB & THOMS

10777 · Schöneberg · Welserstr. 10–12

(0 30) 20 92 94 92 info@bobthoms.berlin

www.bobthoms.berlin

Gastgeber: Oliver Körber

Küchenchef: Felix Thoms

Mittags; Sonntag, Montag

Menü 45/75 € · à la carte 35/72 €

res.

Es gibt sie kaum noch, diese kleinen Restaurants, die von einem Koch und einem Kellner gewuppt werden können. Hier ist sogar ein neues, so klein, dass es nicht mal einen Spüler hat. Aber die beiden Macher sind Hochkaräter: Oliver Körber war 28 Jahre lang im unvergessenen Alt Luxemburg, und auch der junge Koch Felix Thoms arbeitete dort eine Weile. Und der legte sich hier derartig ins Zeug, dass wir die erste Kochmütze gleich mal überspringen: Seine Terrine aus Enten-Foie gras, klassisch mit Portweingelee, Cumberland-Sauce und Brioche, ist schlicht und einfach Weltklasse. Auch die genau geröstete Hummerbisque, eine nostalgische Erinnerung ans Alt Luxemburg, kommt makellos, aber er kann natürlich auch viel moderner, z.B. mit rohem Saibling auf Yuzu- Creme mit Dillsauce, genau balanciert und proportioniert mit frischer, aber nicht überschießender Säure.

Zum Kabeljau, exakt gegart, gab es eine reiche Vielfalt von dreierlei Linsen in Texturen, die dennoch den Fisch respektierten, während die angebratene Kaninchenrolle mit Kräutern etwas brav wirkte, aber den kräftigen Geschmack der begleitenden Fondant-Kartoffeln gut herausstellte. Aus dem Veggie-Menü kosteten wir ein würziges, kontrastreiches Spiel mit verschiedenen Möhren, Haselnüssen und pochiertem Ei, bevor die Desserts anrückten, die einen Glanzpunkt nach dem anderen setzten: großartiger Pfirsich Melba, ganz traditionell, dann eine moderne Kombination aus Joghurt, Yuzu, Haferflocken und Brennnesselsorbet und schließlich ein flockig-leichtes Törtchen aus Porcelana-Schokolade mit einem umwerfenden (Wald?)-Erdbeersorbet. Hier gibt ein großes Talent seine Visitenkarte ab, eines, das vermutlich nicht die avantgardistische Küche vorantreiben wird, aber ganz genau weiß, wie Genuss geht.

Oliver Körber, erstmals selbst Chef, berät und serviert mit der freundlichen Gelassenheit des erfahrenen Könners, sein Weinsortiment ist zwar noch sehr klein, aber gut aufgebaut, und es wird wachsen. Im Sommer bietet die kleine Terrasse vor der Tür Einblick in die ruhige, bunte Nachbarschaft.

14

BONVIVANT

10781 · Schöneberg · Goltzstr. 32

0176-1722602 info@bonvivant.berlin

www.bonvivant.berlin

Küchenchef: Ottmar Pohl-Hoffbauer

Mittags; Montag, Dienstag

à la carte 24/63 €

Berlin mag die deutsche Hauptstadt der fleischlosen Ernährung sein – aber in der Gastronomie sprach sich das noch nicht herum, nimmt man die Veggie- Menüs einiger Luxusrestaurants und die Tofu-Ersatzbefriedigung an den Imbissen mal aus. Dass Gemüsegänge mit dem Know-how der Spitzenküche auch auf Bistroniveau für verblüffend wenig Geld geboten werden können, zeigt uns nun der Bio-Spezialist Ottmar Pohl-Hoffbauer in dieser schlicht-stilvollen Neugründung.

Viele Zutaten, vor allem Kräuter, holt er aus dem eigenen Garten und setzt sie so gezielt und gekonnt ein, dass sie ihr Aroma frei entfalten können. So wird das beinahe klassische Bohnencassoulet – mit gebratenen Artischocken statt Fleisch – durch Thymian und Basilikum zu einer südfranzösischen Duftbombe, aber es geht auch subtiler mit Anis-Ysop zum Kirsch-Gazpacho oder Duftnessel zum Blumenkohl mit Haselnüssen und Beurre blanc. Beim Mangold mit einer gefüllten, knusprigen Reisteigrolle steht dann eher das zungenorientierte Umami-Handwerk im Vordergrund, das dem vielfältig aufgefächerten Gemüse bittere und süße Noten abgewinnt und säuerliche Schärfe mit fermentiertem Rettich und Radieschen addiert. Auch die Desserts sind strikt auf Region und Saison bezogen, köstlich das rote Johannisbeersorbet mit Schaum aus Weißen und Sauce aus Schwarzen Johannisbeeren.

Da man als Cocktailbistro firmiert, steht die Versorgung mit Getränken von der Bar im Vordergrund, gekonnt dargeboten vom Szenestar Yvonne Rahm. Das Weinangebot war zum Start sehr minimalistisch.

13

BOUJEE

10707 · Wilmersdorf · Pariser Str. 18a

(0 30) 86 45 94 17 hello@boujee.de

www.boujee.de

Mittags; Sonntag

à la carte 21/47 €

res.

Italienische Restaurants mit russischem Hintergrund scheinen sich langsam zu einer Berliner Spezialität zu entwickeln. Das jüngste ist dieses hier, gegründet von einem Modehändler mit russischen Wurzeln und kulinarisch beraten von dem in Moskau tätigen und dort wohl recht bekannten Italiener Christian Lorenzini. Das bedeutet: Es gibt allerhand Effekte, viel Bling-Bling und eine ungewöhnlich aufwendige Einrichtung, die höhlenartig anheimelnd und gleichzeitig modern wirkt; man meide im Sommer die Stühle mit den Kunststoffkissen.

Aus der offenen, allerdings im Hintergrund kaum auffallenden Küche kommen Gerichte, die sich meist explizit auf die italienische Tradition berufen. Allerdings wird in der Karte so viel getrüffelt, dass wir drum herum bestellten, um Trüffelöl-Attacken aus dem Weg zu gehen. Das gut gemachte Thunfischtatar mit Kapern, Orangenaroma und einem dünnen Jakobsmuschel-Carpaccio obendrauf wirkte mit seinen Balsamicofäden rührend nostalgisch. Den darüber gehäuften Salat trocken ohne Marinade zu servieren, fanden wir weniger anrührend.

Wo sie einfacher wird, ist die Küche am besten, z.B. bei den köstlichen, geviertelten und angebratenen Artischocken mit Minzblättern und erst recht bei den lehrbuchmäßigen Spaghetti Vongole, die als „Remake“ angekündigt wurden, aber ganz traditionell zubereitet waren. Auch der branchenübliche Fisch in Salzkruste wird hier mit kohlschwarzem Salz nur leicht modifiziert – warum der Küchenchef ihn vor dem Tranchieren am Tisch theatralisch flambiert, blieb unklar. Aber es kam saftiger Wolfsbarsch, das ist immer ein Genuss, den beiliegenden Zitronenschnitz nutzten wir, um den wiederum trockenen Salat zu würzen. Zur gebratenen und leider zu durchgegarten Entenbrust gab es gute, differenziert behandelte Gemüse von jungen Zucchini bis zum Pak Choi in einer guten, an Möhrenpüree erinnernden Orangensauce. Wir mochten allerdings die hervorragend knusprigen und aromatischen Pommes frites am liebsten, die wir nur aus Jux auf die Frage nach einer Beilage bestellt hatten.

Die Desserts kommen offenbar allesamt unter einer eigens gesponnenen Haube aus zitronig duftender Zuckerwatte, das ist Show. Das hervorgeholte Zitronensoufflé war eher ein lockerer, leicht körniger und innen flüssiger Zitronen-Mandel-Kuchen mit perfektem Zestengeschmack; dazu gab’s gutes Eis aus dunkler Schokolade alla stracciatella. Die italienische Weinkarte ist ein Wort, animierend bestückt und weit entfernt von der Klassikerlangeweile, die fast alle Italiener in Berlin pflegen.

14

BRASSERIE COLETTE BY TIM RAUE

10789 · Schöneberg · Passauer Str. 5–7

(0 30) 21 99 21 74 berlin@brasseriecolette.de

www.brasseriecoletteberlin.de

Gastgeber: Stefan Grill

Küchenchef: Dominik Obermeier

à la carte 24/64 €


Mittags sollte man hier tunlichst reservieren: Die stilvoll auf alt und edel getrimmte Brasserie brummt, seit sich herumsprach, dass man hier für wenig Geld aus einer Mittagskarte wählen kann, die so nah am KaDeWe konkurrenzlos ist. Und für deren Überraschungspotenzial Tim Raue zumindest mit seinem Namen und als Konzeptgeber bürgt: Garnele Marocain mit Litschi, Kabeljau mit Rose und Tonic oder Schweinebäckchen mit Passionsfrucht und grüner Papaya – das hat was, nicht nur nach einer Shoppingtour durch die City West.

Abends geht es entspannter, aber nicht minder überraschend zu. Denn die avisierte klassisch französische Bistroküche wird auf der Karte zitiert, aber oft mit typischem Asia-Dreh und immer mit voller Aromenwucht interpretiert: Die Bouillabaisse kommt ultraintensiv verdichtet, das Clubsandwich ist ein Turm aus Brioche, Tomate, knuspriger Coppa statt Bacon und Hummer im Backteig statt Hühnchen. Dazu gute Pommes mit einer orangigen Sauce Rouille. Das alles ist aber nicht auf Effekt ausgelegt, sondern folgt der Devise, dass auch in einem Bistro keine Langeweile aufkommen darf.

Herausragend die Garnelen im Tempuramantel, gehüllt in Kreuzkümmelmayo und gewälzt in Pistazie, oder der Heilbutt in einer gallertartig verdichteten Hühnerbouillon mit Erdnüssen und Kohlrabi. Das hat mächtig Bumms und ist doch wohldosiert. Etwas über das Ziel schießt dann der zarte Pulpo hinaus, der mit Topinamburcreme, kräftig abgeschmecktem Kalbskopf und Sauce béarnaise überausgestattet wird. Dafür freut man sich über die Bereicherung eines ehernen Bistroklassikers, der Crème brûlée: mit einem Eis von weißer Schokolade, gegrillter hauchdünner Zitronenscheibe und karamellisierter Olive – quelle surprise!

Die Weinkarte ist (fast) rein französisch und enthält sich jeglicher Trendansprüche. Neu dabei und sehr zu empfehlen ist der hauseigene Jahrgangschampagner, der als Aperitif und zu den kräftig austarierten Begleitern der Austernauswahl hervorragende Dienste leistet. Als neuer Gastgeber und versierter Weinmoderator ist Stefan Grill – nach einem Zwischenspiel im Clubrestaurant Crackers – wieder zurück im Raue-Universum, wo er schon im Sra Bua heimisch war.

14

BRICOLE

10437 · Prenzlauer Berg · Senefelderstr. 30

(0 30) 84 42 13 62 info@bricole.de

www.bricole.de

Gastgeber: Fabian Fischer

Küchenchef: Steven Zeidler

Mittags; Sonntag, Montag

Menü 35/54 €


Das ist fair: Nicht einfach die Portionen aufs Minimum verkleinern und dann den Gewinn einstreichen – sondern vorher sagen, dass es nur Vorspeisenportionen gibt, und das zu angemessenen Preisen. Aber das Restaurant wird hier natürlich vor allem beschrieben, weil es gute Küche bietet, attraktiv arrangiert und in angenehm unprätentiösem Rahmen aufgetischt. Schon solche Starter wie das Tatar vom Wolfsbarsch mit Champignons und Sardellenmayonnaise in würziger Gazpacho oder der Fenchelsalat mit Schweinebauch, Orangenfilets und Kümmel zeigen anschaulich, wie geschickt hier der Standard der aktuellen Gourmetküche fürs kleine Budget passend gemacht wird, ohne offensichtliche Lücken zu reißen.

Der Heilbutt auf Perlgraupen mit Möhrenpüree und milder Sauerampfersauce wird vorsichtig vorgegart und dann abgeflämmt, das bringt ein perfektes Ergebnis. Ebenso saftig schmeckt die Perlhuhnbrust mit dunkler Jus, Spinatpüree und Maracujaperlen. Und auch das schmale Stück vom dry aged Flanksteak mit Selleriepüree, Rettich und knuspriger Schweinehaut war zwar nichts für die Liebhaber von pfundschweren T-Bones, erfüllte aber als knapp dimensionierter De-facto-Hauptgang unsere Erwartungen. Nur die vegetarische Petersilienwurzel, wohl im Ofen gebacken, mit Tomatencreme und Vogelmiere angerichtet, blieb eine zähe Angelegenheit, zumal wir nicht verstanden, weshalb sie auf (leider) durchgedrehten und zur Mousse geformten Artischocken aufgebockt worden war. Passend schließlich die Desserts wie Erdbeeeren mit Limetten-Basilikum-Eis und Balsamico oder die gebackene Banane mit Nougatparfait und karamellisierten Pecannüssen.

Auch bei den originell und trendig sortierten Weinen in rund 100 Abfüllungen geht Spaß vor Imponieretikett wie beim feinen Viognier von Jürgen Krebs aus der Pfalz. Sehr netter Service. Insgesamt eine gute Location für anspruchsvolle Sparfüchse.


BRLO BRWHOUSE

10963 · Mitte · Schöneberger Str. 16

(0 30) 55 57 76 06 brwhouse@brlo.de

www.brlo-brwhouse.de

Küchenchef: Ben Pommer

Montag; mittags von Dienstag bis Freitag

Menü 18/84 € · à la carte 12/31 €

res.

Die Attraktion der Berliner Craft Bier-Szene beeindruckt auch architektonisch: aus 38 schwarzen Überseecontainern zusammengeschweißt. Hier braut Brlo (altslawischer Ursprung des Namens Berlin) die meisten seiner Biersorten und lässt Ben Pommer an einer Neudefinition der Gasthausküche tüfteln. Wird sie wirklich weitgehend vegetarisch?

Der gebürtige Berliner arbeitete schon in der Spitzenküche (bei Nils Henkel im Schloss Lerbach) und in der Szenegastronomie (des Berliner Streefood). Hier bringt er beides zusammen. Beispielsweise mit seiner Steckrübe: Die gibt es als mit Ricotta gefüllte Ravioli, dazu eine Steckrübencreme sowie ein paar fein gehobelte und gebratene Scheiben von den fermentierten Rüben, die nötige Säure bringt eine geräucherte Buttermilch und den modischen Crunch liefern ein paar Brösel Kaffeeerde. Ähnlich ergeht es einer Salatgurke. Die wird in Gin eingelegt und begleitet von einem Gurken-Wacholder-Gelee, einer Dill-Emulsion, eingelegten Senfkörnern, Gurken-Granité, Wacholderbiskuit und Tonic-Espuma ...

Fleischfreunde können noch dry aged Schweinebauch vom Mangalitza, Bürgermeisterstück, Rippchen und Rindernacken extra bestellen – wie so vieles hier auch aus dem Smoker.

Dem kooperativen Geist der jungen Bierszene entsprechend sind etwa die Hälfte der 20 Zapfhähne für befreundete Craft Brauer reserviert, die hier ihre neuesten Sude präsentieren können.

13

CARL & SOPHIE SPREE RESTAURANT

im Hotel Ameron

10559 · Moabit · Alt-Moabit 99

(0 30) 39 92 07 98 eat@carlundsophie.de

www.carlundsophie.de

Gastgeber: Nicola Feist

Küchenchef: Maico Orso

Menü 39/49 € · à la carte 28/58 €

Altdeutsche Vornamen pflegt man derzeit gerne in der Gastronomie, meist steckt eine Geschichte dahinter, so auch in diesem Fall: Carl und Sophie Bolle versorgten von hier aus einst ganz Berlin mit Milch. Ihre ehemalige Meierei am Spreeufer verleiht dem Restaurant einen für Berlin besonderen Rahmen – der Gastgarten liegt so schön am Wasser, dass sich der Besuch wie eine Auszeit vom Alltag anfühlt.

Über die kulinarischen Ambitionen der Ameron-Gruppe, des Vier-Sterne-Ablegers des Althoff-Imperiums, ist wenig bekannt, aber die Karte von Küchenchef Maico Orso, der es in der Gärtnerei schon zu 14 Punkten brachte, wirkt ehrgeizig. Er versteht sich auf gekonnte Modernisierungen klassischer Rezepturen: Leipziger Allerlei peppt er mit Hummer, Erbspüree, grünem Spargel und Morchelrahmsauce auf, den typisch Berliner Gurkensalat wertet er optisch und aromatisch auf durch fein gescheibelte Schlangen- und saure Gurken, Senfsaat und einen grünen Zylinder aus Apfelgelee. Lammschulter wird zunächst geschmort, dann in Scheiben geschnitten und nachgebraten, dazu gibt es Fregola sarda, Mandelmilch und Brokkolipüree. Seine Liebe zum Gemüse, aus der Gärtnerei bekannt, unterstreicht er mit roh mariniertem Kohlrabi samt Pfifferlingen und Ziegenquark; gedünsteten Kabeljau serviert er mit schön frisch-scharfem Sommer-Kimchi, Shii-Take und Koriander. Zum Dessert gibt’s marinierten Pfirsich mit Ziegenquark, Blätterteigstückchen und Himbeeren oder, etwas gewagter, aber aromatisch stimmig, die Kombination von Kopfsalat mit weißem Schokoeis, Passionsfruchtsaft und Granatapfelkernen.

Die Weinkarte lässt das Kennerherz höherschlagen – sie bietet große, gereifte Flaschen zu Traumpreisen an, sechs verschiedene Jahrgänge von Weils Gräfenberg oder drei von Christmanns Mandelgarten-Riesling zum Beispiel für je 78 €. Drunter ist das Angebot etwas schmaler, besticht aber auch durch gute, preisgünstige Offene. Ein Platz also für Weinfreaks und Liebhaber grüner Oasen in der Innenstadt.

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CELL

10719 · Charlottenburg · Uhlandstr. 172

(0 30) 86 33 24 66 info@cell.restaurant

www.cell.restaurant

Gastgeber: Peter Izarik

Küchenchef: Liam Valentine Faggotter

Mittags; Sonntag, Montag

Menü 85/130 €

Russische Unternehmungen in der Berliner Gastronomie gibt es mittlerweile einige. Das Cell ist seit Herbst 2018 die ehrgeizigste. Und es blickt trotz seiner kurzen Existenz schon auf eine bewegte Geschichte zurück. Evgeny Vikentev, der in Russland als Star in der Gastroszene gilt, kam – und ging nach einem guten halben Jahr wieder. Nun kocht hier Liam Valentine Faggoter, der weniger Star-Appeal, aber doch einige glanzvolle Stationen im Lebenslauf hat (u.a. Relae in Kopenhagen und Hibiscus in London), zuletzt Souschef im Tulus Lotrek.

Mit seinem modern-französischen Stil besetzt der gebürtige Australier in Berlin durchaus eine Lücke. Seine Linie ist klar und ohne viele Schnörkel. Der trockengereifte Wolfsbarsch, perfekt gegart mit extraknuspriger Haut und innen glasig, liegt in sehr tiefer Beef Jerky-Brühe, der ein paar Tropfen Aprikosenöl fruchtige Leichtigkeit und XO-Sauce einen ordentlichen Kick Schärfe verleihen. Aromatisch erschien die trockengereifte und im Stroh eingewickelte Imperialtaube sehr gefällig und bestens begleitet durch gegrillten Roten Chicorée, der mit dem Kaffee in der Jus ein schönes Bitterduett bildete, doch die sous vide gegarte Brust war leider entsprechend weich. Warum nicht einfach grillen? Sehr interessant die Dessert-Inspiration: Zum Lorbeerparfait mit Eisenkrautstaub und Pfirsich servierte Sommelier Pascal Kunert einen Gin Tonic, der die kräuterige, frische Note des Desserts spiegelt. Der Longdrink kommt fast ohne Alkohol, da er mit dem Destillat Seedlip gemixt wird, einem alkoholfreien „Gin“. Wein hätte Kunert bei den 400 Positionen auf seiner Karte genug. Er bewegt sich stilistisch eher auf der sicheren Seite und wartet mit einigen großen Namen aus Deutschland (z.B. Bernhard Huber mit großer Jahrgangstiefe) und viel Hochadel aus Frankreich auf, dazu Weine aus ökologischem und biodynamischen Anbau sowie ein paar Exoten à la Chateau Musar aus dem Libanon.

Das Ambiente unterstreicht den Anspruch des Cell: aufwendiges Geschirr, viel russische Kunst an den Wänden, insgesamt ein edler Look.

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CHICHA

12047 · Neukölln · Friedelstr. 34

(0 30) 62 73 10 10 info@chicha-berlin.de

www.chicha-berlin.de

Gastgeber: Robert Peveling-Oberhag

Küchenchef: Simon Castro Mendoza

Mittags; Montag und Dienstag

à la carte 16/39 €

keine Kreditkarten

Das Chicha tarnt sich geschickt in der Neuköllner Gastro-Boheme als einfache Taqueria mit kleinem Bartresen, wildbuntem Ambiente, enger Bestuhlung, recht lauter Musik und ebensolchen Gästen. Aber die legere Kneipenatmosphäre täuscht, denn in der Küche führt Simon Castro Mendoza hochkonzentriert und mit besten Produkten die Klassiker und die Erneuerung der peruanischen Küche vor und erleichtert mit ebenso gut gemachten Pisco Sour-Varianten den Start in die Nacht.

Beim traditionellen Ceviche ziehen Stücke vom sehr frischen Adlerfischfilet in mit Chili geschärfter Limettensäure gar, dazu gerösteter Mais, Radieschen und eingelegte Süßkartoffel – alles etwas feiner und auch kunstvoller angerichtet als in einfachen Cevicherias. Die elegantere Version aus der Nikkei-Küche verzichtet auf harsche Säure und Schärfe: Bester Lachs wird roh in Sesamöl, Sojasauce und Limettensaft mariniert; Sesamsaat, Noriblätter und Avocado runden den auch optisch eleganten Klassiker ab. Noch deutlicher wird das subtile Upgrade bei der Causa: Der Kartoffelkuchen ist hier ein mit Sepiatinte gefärbtes Püree mit Lachs, Rogen, Avocadocreme, Microkräutern sowie Chips und Crunch von der Andenkartoffel; Raffinement und Spannung liefert dazu eine Tigermilch-Mayonnaise, die wohlakzentuiert das Schärfe-Säure-Spiel des Ceviche zitiert. Herausragend auch der gegrillte Bauch vom Duroc-Schwein: Geräuchertes Kochbananenpüree, Bananenchips und säuerlich marinierte Zwiebeln hieven den oft belanglosen Hauptgang ins zeitgemäß Köstliche.

Auch wenn es die Karte nicht vorgibt, es lohnt nach einem tischweise servierten Menü zu fragen. Bei dem nimmt sich Mendoza die Freiheit, Partien zu servieren, die sich aus der Verwertung ganzer Fische ergeben, z.B. das mild marinierte Kinn des Adlerfischs mit gepopptem Quinoa oder Tempura von der Brustflosse, wobei das fettreiche Fleisch mit Ponzu-Sauce, Olivencreme und einer Mischung aus Tomaten, Koriander, Zwiebeln und Limettensaft fein kontrastiert ist. Und bei dunkel gegrillten Salatherzen mit Mango, Maniok, geröstetem Maca-Mehl und Lachsrogen erlebt man ein kraftvolles Beispiel für moderne peruanisch inspirierte Gemüseküche.

Beim Dessert zeugen Maracuja-Marshmallows und -Meringue unter feinsäurigem Schaum und Macarons mit Koriandercreme und geröstetem Amarant vom Anspruch der Küche, und das kunstvoll arrangierte Parfait aus peruanischem Bier mit Amarant, frittierten und, nun ja, vergoldeten Reisnudeln könnte sogar beim Fine Dining bestehen.

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CHRISTOPHER’S

10629 · Charlottenburg · Mommsenstr. 63

(0 30) 24 35 62 82 info@christophers.online

www.christophers.online

Gastgeber: David Monnie

Küchenchef: Christopher Kümper

Mittags; Sonntag, Freitag

Menü 45/65 € · à la carte 29/62 €

res.

Die Küche von Christopher Kümper (dessen Restaurant seit Spätsommer 2019 nicht mehr Schwein heißt) hat es in sich, auch wenn er alles versucht, möglichst tief zu stapeln. So taucht in den schlicht klingenden Vorspeisen eine Burrata-Komposition voller Finesse und ausgeklügeltem Aromenspiel auf: Der Käse versteckt sich unter einem Blatt gedörrten Kimchi-Kohls, darauf liegen Kleckse von Kimchi-Mayonnaise und Algen-„Kaviar“. Unter dem Blatt finden sich Shii-Take-Pilze, Creme aus schwarzem Sesam und Queller, alles süffigst in Shii-Take-Dashi mit aufreizenden Korianderöl-Akzenten gebettet. Zusammen ergibt es einen Wohlklang, den man am besten mit dem Löffel großzügig aufnimmt – eine Köstlichkeit auf hohem Niveau für 13,50 €. Da macht Tiefstapeln Spaß!

Kümper legt seine Kreationen so an, dass sie ohne eine Mannschaft aus Pinzettenartisten in schicken Keramikschüsseln angerichtet werden können. So auch der plattierte, zur Roulade gedrehte rohe Zander in Buttermilch-Yuzu-Spiegel sowie Algenpulver, Blutorangen als Creme und Granité, alles von frischem Meerrettich angeschärft. In solchen Gerichten verdichtet er seine Erfahrungen, die er bei Nils Henkel auf Schloss Lerbach, im Daniel in New York sowie im André in Singapur sammelte: Er lässt weg, was nicht dem Aroma dient, scheut aber keine Mühen, asiatische Techniken mit höchsten Produktstandards zu kombinieren. Bodenständige Ausnahmen bilden allenfalls der perfekt gegarte Aal mit Dill, Schwarzwurzel, Apfel und Kräuterquark, der in deftig austariertem Rauchfischsud liegt, oder als „Fang des Tages“ ein stattliches Stück Kabeljau mit Speck und Sauerkraut in Sauerkraut-Velouté: einfach, stimmig, eine sich selbsterklärende Kombination.

Das Kontrastprogramm bieten Hühnerklein, Blumenkohlcreme und wachsweiches Ei unter einer kunstvoll im Schachbrettmuster gelierten Decke aus Feta-Lake und intensivem Blumenkohlsud – den ganzen Aufwand treibt er, weil so die Splitter aus krosser Hühnerhaut, die auf der Schachbrettdecke liegen, nicht aufgeweicht werden. Seiner asiatischen Seele lässt Kümper freien Lauf, wenn er beim Schwein bester Qualität den Geschmack eines mit köstlichem Fett durchzogenen Nackenstücks mit Schweine-Dashi, Karashi-Senf, Quitte und gepoppter Schweinehaut in eine neue saugute Dimension hebt. Bei der Kalbsschulter setzt die Kalbsjus dank Hoisin- und Austernsauce zum aromatischen Höhenflug an. Der bleibt beim Kokosmacaron in Bagelform mit Ananas-Paprika-Chutney, Mango, Curryeis mit salzigen Kokosspänen und Cremetupfen von Paprika und weißer Schokolade noch aus – was der Freude über ein wirklich überraschendes Menü aber keinen Abbruch tut.

Die Weinkarte ist in allen Winkeln der Welt wohlsortiert und hält einige rare Sommelierslieblinge bereit, aber die meisten nur flaschenweise bestellbar. Zumindest, wenn man sich der Karte und nicht dem charismatischen Gastgeber David Monnie anvertraut. Der nimmt sich die Freiheit, das Offenangebot um Passendes zu ergänzen.

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CINCO BY PACO PÉREZ

im Hotel Das Stue

10787 · Tiergarten · Drakestr. 1

(0 30) 3 11 72 27 40 5@das-stue.com

www.das-stue.com

Gastgeber: Christian Böckmann

Mittags; Sonntag bis Dienstag

Menü 130/165 € · à la carte 70/141 €

res.

Das Mauerblümchen der Berliner Luxusgastronomie. Nach dem Verkauf des von spanischen Investoren gegründeten Hotels drumherum an Accor wurde seine Isolation noch deutlicher. Auch Kücheninspirator Paco Pérez kommt kaum noch aus Spanien, sondern überlässt seine Leute mit einer seit Jahren kaum veränderten Speisekarte weitgehend sich selbst. So stehen die beiden einzigen Fleischgänge, Wagyu in drei Gängen und Taube in Mole-Sauce mit Mais, nach wie vor auch in den beiden Menüs. „Arroz Meloso Mar y Montaña“ für pralle 49 € wird auch schon ewig unverändert angeboten – und schmeckt als Mischung aus Risotto und Paella mit geschmorten Hühnerflügeln und Langostinos unverändert gut.

Die Bernsteinmakrele mit Kaviar und „Umami“ erwies sich als mit Blattgold verziertes Tatar, das von der umgebenden, süß-intensiven Ponzu-Sauce zwar in der Tat mit reichlich Umami versorgt, aber dabei auch gleich komplett erschlagen wurde; dem Kaviar ging es nicht besser. Das wie immer perfekt gebratene Wolfsbarschfilet bester Qualität mit Seegurke in einer intensiv sämigen Sauce zeigte, wie sehr die Pérez-Küche noch das Andenken an die versunkene spanische „Molekularküche“ pflegt: Die enorm intensiv schmeckenden Oliven-„Sphären“ machten, einmal angestochen, alle subtileren Aromen nieder. Auch die mit Stickstoff heruntergekühlten Perlen gibt es hier noch, aber das war zum Beispiel beim Amuse-bouche, einer Auster in eisigem Gelee mit Sellerieperlen, ein durchaus willkommener Effekt. Viel mehr Vergnügen bereiteten die differenziert aufbereiteten Desserts, das sehr erfrischende „Yuzu, Mango, Joghurt“ ebenso wie das schlicht „Lakritz“ betitelte, das das problematische Aroma subtil in verschiedenen Schokoladen-Schattierungen einbettete.

Steter Wechsel ist hier nur im Service üblich, der aber immer kompetent und freundlich arbeitet und die imposant bestückte und himmelhoch kalkulierte Weinkarte zumindest da und dort ein wenig weiterentwickelt. Das Restaurant ist architektonisch mit seinen zahlreichen Kupferkesseln unter der Decke so angenehm wie das völlig unkonventionelle Hotel.Gleich neben dem Cinco lohnt The Casual mit einfacherer, bodenständiger Küche durchaus einen Versuch. Aber wir wetten keine hohe Summe, dass all das im kommenden Jahr noch genauso aussieht.

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CODA DESSERT DINING

12047 · Neukölln · Friedelstr. 47

0 30) 91 49 63 96

table@coda-berlin.com

www.coda-berlin.com

Küchenchef: René Frank

Mittags; Montag, Mittwoch, Sonntag

Menü 58/158 €

res.

In der an originellen Alleinstellungsmerkmalen nicht eben armen Berliner Gastroszene besitzt das Coda ein ganz besonderes. Denn René Frank präsentiert in der smart-minimalistisch gehaltenen Bar die Pâtisserie als Dessert Dining in erstaunlicher Bandbreite und spannender Dramaturgie.

Schon die Snacks spielen souverän auf der Klaviatur der Aromen und Emotionen. Der mazerierte Apfel bekommt dank Ingwer und Minze Schärfe und Frische, die gepoppte, knusprige Schweinehaut mit der Apfelglasur fruchtig-karamellige Bittertöne, die Fruchtgummis aus Gelber und Roter Bete überraschen mit einer leicht erdigen Note. Und sie alle wecken Kindheitserinnerungen als geschmacklich optimierte Wahlverwandte von sauren Apfelringen, Popcorn und Gummibärchen.

Die Frage, was Desserts ausmacht und warum, findet in sieben Menügängen überraschende Antworten. Etwa durch eine knautschige, weil confierte Aubergine, die auf einem Pekannussküchlein und unter einem Pekannusseis liegt und mit sehr fruchtigem Apfelbalsamico und Lakritzsalz ein großes Aromenkino bietet. Und dazu noch einen Special Effect: Im begleitenden Oolong-Tee-Sherry-Drink sorgt ein Spritzer Kardamomspray für süßlichen Duft.

Immer wieder tauchen unvermutet herzhafte Momente auf. Aus der osmanischen Palastküche entlehnt ist das Datteleis mit Mandelschaum, das mit krosser Hühnerhaut eine knusprig-vollmundige Umami-Note bekommt. Höhepunkte sind die beiden Käsegänge. Etwa eine mit Raclettekäse gefüllte Reiswaffel mit einem Klecks Joghurt zum Dippen und einem Salzgurkenpulver als Gewürz. Oder der „Käsekuchen“, eine Art Soufflé aus gut gereiftem Bergkäse mit Sauerkraut-Granité. Das mit dehydriertem Sau- erkraut gemischte Birnenpulver zeigt exemplarisch Franks Umgang mit Süße: Die kommt aus dem Produkt selbst und wird nicht aus industriell verarbeitetem Zucker zugefügt. Die Birne wird eingeweckt, getrocknet und erhält so ihre weiche, intensive Fruchtsüße, die das Sauerkraut noch herauskitzelt. Ein Geschmack, den man nicht vergisst.

Originell auch der „Rotweingang“: Ein Boskop-Apfel, der über Buchenholzkohle gegrillt wird, was ihm robuste Raucharomen verleiht, die das Rauchsalzeis aufnimmt, auf dem zwei getrocknete Schalotten für Crunch sorgen. Und ja, Schokolade gibt’s auch, aber erst ganz zum Schluss, quasi als Dessert-Dessert. Die aus ganzen Kakaobohnen hausgemachte Mousse hat kakaoige Bitterkeit, die fein vom Amazake-Eis akzentuiert wird und durch Cashew- sauce mit Bonitoflocken eine salzige Tiefe bekommt.

Dazu führt die Getränkekarte je 30 Sakes und deutsche Jahrgangssekte. Beim Weißwein ist sie auf Riesling spezialisiert – feinsüß und süß. Die Auswahl an Moselrieslingen will Frank ausbauen. (Ab 22 Uhr kann man auch für 3 oder 4 Gänge einkehren.)

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COOKIES CREAM

10117 · Mitte · Behrenstr. 55

(0 30) 68 07 304 48 cream@cookies.ch

www.cookiescream.com

Gastgeber: Kevin Leismann

Küchenchef: Stephan Hentschel

Mittags; Sonntag, Montag

Menü 59/79 €

res.

Das unangefochten beste vegetarische Restaurant der Stadt ruht sich nicht auf seinen Lorbeeren aus, geht aber nur kleine Schritte: Neuerdings wird tatsächlich ein fünf- statt des bisherigen dreigängigen Menüs als Standard angeboten, und das sogar mit einer ziemlich ausgefeilten Getränkebegleitung, mit Wein oder alkoholfrei. Wer das nicht will, kann aber auch bei drei Gängen bleiben und ist dann so rasch durch wie immer; die nächsten Gäste danken es, denn dieses nicht gerade kleine und auch nicht unbedingt anheimelnde Loft-Restaurant im Hinterhof-Obergeschoss ist anscheinend immer ausgebucht. Was natürlich nicht nur am Szenefaktor, sondern vor allem an Stephan Hentschels Küche liegt, die sich nach einer kleinen Schwächeperiode wieder auf hohem Niveau bewegt.

Keine Sorge, die Parmesanknödel, das Signature Dish, gibt es immer noch, schön fluffig auf einem sahnigen Trüffelsud mit Pinienkernen, Schnittlauch und streifig geschnittenem Spinat. Aber die neueren Gerichte sind raffinierter komponiert, nehmen wir nur den marinierten Chicorée, der in einem kunstfertig spiralförmig angerichteten Ensemble aus Dillöl, Mandelcreme, Haselnüssen und Senfkörnern kommt. Das ist eben die Kunst: milden Schmelz, Kräuterwürze, Knusperbiss und feine Säure so zu balancieren, dass sie sich wohlig ergänzen und doch der Hauptsache, dem Chicorée, nicht die Schau stehlen. Eine feine Etüde über das Thema Ei und Kartoffel kommt in zwei geköpften Eierschalen, einmal gekrönt von geriebenem Eigelb, das andere von pechschwarzem Algen-„Kaviar“, einer ganz passablen vegetarischen Alternative zum Original. Naturgemäß unterscheiden sich die Desserts hier nur durch einen zentralen Süßakzent von den anderen Gerichten, wir probierten Sellerie-Eis mit Portulak auf einem Apfel-Walnuss-Törtchen und betont frische Gurkenvariationen mit Limetten-Wacholder-Eis, Ingwer, Borretschblüten und Tonic.

Das flinke Team im Service gibt sich betont jugendlich-direkt, kann aber auch einen Schritt zurücktreten. Dass Sommelier Kevin Leismann stilgerecht am Thema Naturwein arbeitet, wird keinen Kenner der Berliner Moden überraschen. Aber er lässt mit sich reden, lässt probieren und ändert gegebenenfalls seine Empfehlung, womit fast jeder Gast glücklich werden sollte – die anderen finden sicher was im alkoholfreien Angebot. (Jedes Jahr der Hinweis für Neulinge: Ja, der Weg hinein führt tatsächlich über den düsteren, muffigen Wirtschaftshof des WestinHotels. Wird oben hinter den Klimarohren der Kronleuchter sichtbar, ist es fast schon geschafft.)

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CORDO

10115 · Mitte · Große Hamburger Str. 32

(0 30) 27 58 12 15 bar@cordobar.net

www.cordobar.net

Gastgeber: Gerhard Retter

Küchenchef: Yannic Stockhausen

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 42/107 €

res.

Die Cordobar erfand sich nach Willy Schlögls etwas rumpeligen Weggang in die Freundschaft neu, eliminierte die Bar im Namen und blieb sich dennoch treu. Die fantastische Weinauswahl ist selbstredend noch da, Österreich steht nach wie vor in Klassik und Moderne praktisch lückenlos zur Verfügung. Auch die Weinexpertise hat nicht gelitten.

Allerdings ist es jetzt deutlich ruhiger als früher, was nicht nur die mäkelnde Nachbarschaft erfreut, die ab 22 Uhr das Sitzen auf der lauschigen Terrasse unmöglich macht, sondern auch gut zum neuen Stil passt, der mehr auf ausgefeilte Küche als auf ausgelassene Party setzt. Verantwortlich dafür ist der im Hamburger Haerlin und Wolfsburger Aqua geschulte Yannic Stockhausen, der schnell zu einer eigenen Handschrift fand.

Gegessen wird Menü, auch wenn alle Speisen à la carte verfügbar sind, aber so kommt man in den Genuss der Amuse-bouches, bei denen Stockhausen die Latte für die folgenden Gänge ziemlich hoch hängt: Gratinierte Auster, Tatar bedeckt mit säuerlich hochgejazzter Hollandaise und köstliche, mit geräuchertem Aal gefüllte Cracker demonstrieren, dass die Küche auf Produktqualität setzt und Aromenteppiche aus- und übereinanderlegt. Das funktioniert gut, wenn Stockhausen Gemüse ins Zentrum stellt: Die zwei Stangen Spargel, eine scharf gegrillt, die andere zart gekocht, sind mit Haselnuss, eingelegten Radieschen und Nussbutter bereits gut ausgestattet, die Bärlauch-Kartoffel-Creme dazu wirkt zunächst rustikal, fügt sich dann aber harmonisch ins Ganze ein. Noch besser die Variationen von der Möhre, bei denen das Spiel mit Texturen und Temperaturen allein schon recht unterhaltsam ist, durch die Zugabe von Kimchisauce, Korianderöl, Ziegenfrischkäse und Sesam wird daraus ein ebenso feinsinniger wie kraftstrotzender Paradegang. Schön auch der dekonstruierte Caesar’s Salad, bei dem wieder zwei Saucen – aus Salat und Bacon – um die Hoheit über das saftig gebackene Hühnchen unter reichlich Parmesan kämpfen.

Manches wirkt überambitioniert. Zum Kabeljau unter mit Sepiatinte schwarz gefärbter Senfhülle mit gepopptem Reis, Erbsen und Tomatenessenz haben die Himbeeren keine geschmackliche Chance, sondern können nur Farbe beisteuern. Und der in Topinamburasche gebeizte Stör wird von einem fast schwarz gerösteten und dominant rauchigen Topinambur-Zwiebel-Sud regelrecht erschlagen. Danach erstaunt beim Dessert aus Rhabarber mit Butterkekskrümeln, wie gekonnt deren Süße von Petersilienbiskuit und Petersilienwurzeleis eingefangen wird oder dass in einer Aromenschlacht von Eis aus gebratener Banane, Specksauce und Shiso-Gel auf einem Feld von Muscovado-Zucker-Sand der Wohlgeschmack siegen kann.

Erinnern wir uns an die Zeiten, als Lukas Mraz hier mit asiatischer Schärfe jede Option auf ein Weinpairing torpedierte, sind Stockhausens großkalibrige Salven keine Überraschung.

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CRACKERS

10117 · Friedrichstr. 158 / Unter den Linden

(0 30) 6 80 73 04 88 crackers@crackersberlin.com

www.crackersberlin.com

Gastgeber: Sander Bosmann

Küchenchef: Dean Sprave

Mittags

à la carte 29/72 €

res.

In der Szenegastronomie ist es üblich, immer mal wieder nachzujustieren, denn die Vorlieben der Gäste schwanken und ein allzu persönlicher Küchenstil ist oft gar nicht gewünscht. Das Crackers, das sich bekanntlich jeden Freitag und Sonnabend nach neun zum Club mit eigenem DJ wandelt, stellte sich deshalb beim Küchenchefwechsel von Daniel Lengsfeld zu Dean Sprave kulinarisch ein ganzes Stück breiter auf, was der Küche nicht unbedingt guttat.

Der Kingfish-Ceviche kam mild, durch Limettenschaum eher aromatisiert als mariniert, mit sehr gut gemachtem Salat. Im Gericht namens „Erbsen“, zubereitet aus grünen Erbsen, Schoten, Sprossen, Minze und irritierend harten Kichererbsen, fehlte ein geschmeidiges verbindendes Element. Gut gefiel uns der sauber gegarte Kabeljau mit dünnen Topinamburscheiben und eher süßlich als sauer abgestimmtem Sanddornkompott, und auch das Schwarzfederhuhn mit Oliven erfüllte alle Erwartungen. Die mehr als weichen, sehr klein gestückelten Pommes frites, die wir aus der Beilagenliste orderten, hätten allerdings keinen Berliner Imbisstest bestanden.

Zum Dessert gefielen die eingelegten Früchte mit Pekannüssen und Kokossorbet, den „Broken Brownie“ mit Ganache, Salzkaramell und Grapefruit schickten wir hingegen zur Hälfte zurück: Die enorm dichte, batzige Masse war praktisch nicht essbar. Der Küchenchef rückte allerdings sofort an und erklärte freundlich, dass das Absicht sei, denn er möge die Zähigkeit ungebackenen Teigs …

Der Service funktioniert akkurat und flott, das muss er auch, weil Reservierungen auf zwei Stunden limitiert sind. Die spannende, moderne Weinkarte ist nach drei Preisgruppen, nämlich 30, 40 und 50 € sortiert, ein übersichtliches Konzept.

Neulinge seien vorsichtshalber gewarnt: Der große, höhlenartige Raum mit offener Küche am Rand hat keine Fenster, dafür aber gute, stimmungsvolle Beleuchtung.

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DAE MON

10178 · Mitte · Monbijouplatz 11

(0 30) 26 30 48 11 mail@dae-mon.com

www.dae-mon.com

Gastgeber: Stefan Reinhardt

Küchenchef: Raphael Schünemann

Mittags außer Samstag und Feiertag; Sonntag

Menü 45/84 € · à la carte 26/62 €

res.

Kaffeepartner


Ursprünglich wollte das Dae Mon die koreanische Küche mit dem Fine Dining vermählen. Nach einigen Kurskorrekturen kocht hier Raphael Schünemann, zuvor Pâtissier im Reinstoff. Mit ihm scheint das smart in dunklen Tönen gehaltene Restaurant in der postkonzeptionellen Phase angekommen: Die Karte verheißt open minded cuisine mit Einflüssen aus Korea, Japan und Europa.

Als Start ins Menü darf man Kohlrabi als Tatar, Gelbe Bete und Ringelbete erwarten, darauf ein paar gepoppte Hanfsamen als Crunch, mit etwas Matcha-Mayonnaise für den Schmelz, ein Nashi-Birnen-Mus und ein bisschen Korianderöl. Oder man bekommt Sellerie geschmort, gegrillt und fermentiert (was der Knolle eine knautschig kaugummimäßige Konsistenz verleiht und einen tiefen Geschmack) mit Selleriesalz sowie mit Rettich gefüllte Mandu (Teigtasche) und ein paar Rettichscheiben am Tellerrand – letztens alles komplett kalt. Genauso wie das Sellerie- und das Knoblauchpüree zum Schwarzfederhuhn mit Streifen von der Schwarzwurzel. Das geschmorte US-Prime Rib mit gepoppter Schweinekruste und Rote Bete war weitgehend frei von Subtilitäten.

Köstlich dagegen die Desserts. Der Rosmarin im Shortbread zaubert ätherische Leichtigkeit in den buttrigen Kekscrumble, die Säure der Grapefruit harmoniert fein mit dem Joghurteis, Lemoncurd-Baiser und weiße Schokolade bieten Frische und Schmelz. Geschmacklich ebenbürtig, aber optisch überlegen, der quietschgrün gedeckte, aufgeschlagene Mascarpone mit Apfelchutney, köstlich komplettiert durch Apfelchip, Kakaocrumble und Yuzu-Gel.

Den Tee zum Essen gibt’s in Weingläsern, was ihn adeln soll, aber auch schnell kalt werden lässt. Geschmacklich ist das Pairing oft überraschend stimmig. Zur Makrele (die als Sashimi ein bisschen trocken mit Passepierre, Wasabimayo und Wildreis kam) passte der gelbe Tee mit erdigen Noten bestens. Neben guten Weinen gibt es auch Sake, darunter die Enter Sake Kollektion von Star-DJ Richie Hawtin.


DATA KITCHEN

10178 · Mitte · Rosenthaler Str. 38

(0 30) 68 07 30 40 info@datakitchen.berlin

www.datakitchen.berlin

Gastgeber: Christian Hamerle

Küchenchef: Alexander Brosin

Abends; Samstag, Sonn- und Feiertag

à la carte 11/25 €

Bestellen per Website und online bezahlen, hingehen und zum gewählten Zeitpunkt mit dem Handy die Klappe des Speisenfachs öffnen und genießen – das Ganze geht fast so schnell wie ein Besuch in der Kantine, wo allerdings von Genuss meist keine Rede sein kann. Hier erfreut leichte und gemüsebetonte Küche, die sich weder mit Standard-Langweilern noch mit Exotismen aufhält, sondern die Idee eines regionalen Saisonangebots ohne altbackene Rustikalität liebevoll pflegt.

Das führt zu Gerichten wie Lachsklößchen auf gebackenen Kartoffeltalern in würziger Fenchelpüreesuppe, Schweinebauch mit Mangold, Zwiebeln und Pflaumenchutney oder glasiger Saiblingsrolle mit Zitronenmarmelade und Kartoffelpüree. Auch die Salate überzeugen hier stets durch Frische und fantasievolle Zusammenstellung – und das bei mehr als gnädigen Preisen.

Zu beachten ist nur, dass alles online bestellt und bezahlt werden muss, selbst der Espresso danach und das Trinkgeld; ob der Tip vom notfalls hilfreichen Service auch in bar genommen wird, haben wir noch nicht ausprobiert. Schöne Sommerterrasse auf dem Hinterhof, alles aber nur von Montag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr. Das 2017 vom Szene-Helden Heinz „Cookie“ Gindullis und dem Berliner Ableger des Softwarekonzerns SAP entwickelte Konzept scheint im Rest der Republik kaum Nachahmer zu finden.

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DUKE

im Ellington Hotel

10789 · Charlottenburg

Nürnberger Str. 50–55

(0 30) 6 83 15 40 00 contact@duke-restaurant.com

www.duke-restaurant.com

Gastgeber: Anke Wellendorf

Küchenchef: Florian Glauert

Sonntag

Menü 59/79 € · à la carte 26/79 €

res.

Manchmal täuscht der erste Eindruck. Auf der Website stand ein Menü, das schon lange nicht mehr serviert wird. Und beim Griff in den abendlichen Brotkorb war die erste Scheibe wohl schon zum Frühstück aufgeschnitten worden. Der Rest ist Fine Dining, denn Florian Glauert ist ein verlässlicher Küchenchef, der die eben nicht leichte Aufgabe hat, ein großes Hotelrestaurant mit Klassikern wie Caesar’s Salad und Wiener Schnitzel sowie kreativer Moderne zu bespielen. Zu der gehörte 2019, da das Duke in der Architektur der Neuen Sachlichkeit residiert, solch ein Bauhaus-Teller: ein rotes Viereck aus dem Tatar von Langostinos, bedeckt von einem Chip aus Pimentón de la Vera (geräuchertes, mildscharfes Paprikapulver aus Spanien), ein hellblaues, säuerlich-frisches Dreieck aus der Spirulina-Alge, ein Kügelchen Zitronenemulsion und ein schwarzer Klecks Aïoli, der seine Farbe von Sepia und Holzkohle bekommt. Die geometrische Aufgeräumtheit der Präsentation mag ein Spiel zum Bauhaus-Jubiläum sein, beim Essen wirkt der Teller aber gar nicht verkünstelt, sondern im besten Sinne klar.

Ähnlich akademisch kommt auf den ersten Blick auch der Hühnerhauptgang daher, fein säuberlich im Dreiviertelkreis aufgereiht: Leber, Herz, Sot-l’y-laisse, Flügel, Keule und in der Mitte die Brust (letztens ein bisschen trocken und leicht kalt), dazu etwas Mangosalz, eine Miso-Creme und die Haut als Crumble. Dass es Spaß macht, die unterschiedlichen gegrillten, geschmorten und gebratenen Cuts durchzuprobieren und zu vergleichen, liegt auch am tollen Produkt, das Huhn stammt vom gerade schwer angesagten Züchter Odefey & Töchter. Zwischendurch kann man sich ein vollmundiges, französisch-japanisches Durcheinander mit regionaler Grundierung gönnen: eine Bowl mit Spargelspitzen, Morcheln (gebraten und als Crumble), Onsen-Ei, Schalotten, Sauce Bercy und Bärlauchbutter.

Dem Finale widmet man im Duke besonders viel Aufmerksamkeit – vom dänischen Kirschweinerlebnis über die Versammlung aller dessertaffinen japanischen Aromen bis hin zu einer mit Zartbitterschokolade glasierten Joghurtcreme, die ein Klecks Birkenwassergelee spannend macht. Da freut man sich, wenn der Nachtisch auf zwei Tellern kommt, nachdem man zuvor manche Gänge relativ groß portioniert finden konnte.

Der Weinkeller birgt noch einige alte Schätze, die in den vierstelligen Bereich gehen. Die jüngeren Zukäufe sind weniger ehrgeizig.

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EINS44

12045 · Neukölln · Elbestr. 28/29

(0 30) 62 98 12 12 info@eins44.com

www.eins44.com

Gastgeber: Jonathan Kartenberg und Klaudia Boyke

Küchenchef: Tim Tanneberger

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 59/89 €

res.

In den zahlreichen Kultstätten der Berliner Regionalkulinarik kommt es für den Küchenchef mehr denn je darauf an, einen eigenen Stil zu entwickeln, statt im muffigen Dreierlei von der Steckrübe mit Molke und Gundermann hängen zu bleiben. Tim Tanneberger im Eins44, einer behutsam aufgefrischten Neuköllner Hinterhof-Destillerie auf zwei Ebenen, liegt da weit vorn: Seine überwiegend vegetarischen Gerichte fallen durchweg auf durch eine frische, aber nicht überzogene Säure, die den Gaumen wachhält und immer eine gute Balance zu süßen und salzigen Elementen zeigt. Einiges wurde auch verknappt, die Teller wirken konzentrierter, und so fällt die detailfreudige Durcharbeitung der Zubereitungen noch stärker ins Gewicht.

Dem à la Sashimi rohen, aber mit einem Hauch Honig glasierten Zanderfilet steht eine sanft aus Zwiebeln und Kalbskopfwürfeln komponierte und mit cremiger Sauce abgerundete Begleitung gegenüber. Zum genau glasig gegarten Saibling gibt es ausgehöhlte Gurkenstücke mit verschiedenen Füllungen – Tatar, cremige Sauce, Saiblingskaviar – sowie kleine Schinkenkrümel, das ist ziemlich verspielt, funktioniert aber auf der Zunge recht gut.

Im Vegetarischen gefällt die in ein Kohlblatt gerollte Petersilienwurzel mit Rösthefe und einer sahnigen, von Kürbiskernöl umgebenen Sauce. Interessant fanden wir auch, wie Tanneberger unterschiedlich marinierte und mit Porree und Hanf gewürzte Kohlrabistreifen in sanftem Morchelrahm zur Geltung kommen lässt.

Perfekt gegart das Stück Rind bester Qualität, ergänzt nur um Roggenkörner, eine mit Heu aromatisierte Jus und einen kleinen Salat. Spröde, aber durchaus überzeugend das Spargeleis auf Pekannusscreme mit Kräuteröl oder der Stilton mit Sellerie und Totentrompeten.

Leider wurde das Küchenprogramm so stark gebündelt, dass nur noch zehn Gänge in zwei Menüs angeboten werden, davon sieben vegetarische – und das bei fünf Gängen Minimum. Man macht das in Berlin gegenwärtig so, aber wir äußern doch die stille Hoffnung, dass bald ein wenig mehr Wahlfreiheit auf die Teller zurückkehrt.

Die Weinkarte ist vernünftig kalkuliert und mit Klassikern und Trendigem ausgewogen gefüllt; Jonathan Kartenberg findet mit seinen Leuten im Service immer den richtigen Ton ohne Steifheit und Anbiederung.

Nachtrag: Wie wir hörten, plant das Restaurant eine Filiale in der Potsdamer Straße nahe der Nationalgalerie. Es könnte sein, dass dann ein Teil der Truppe mit dorthin umzieht.

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EINSUNTERNULL

10115 · Mitte · Hannoversche Str. 1

(0 30) 27 57 78 10 kontakt@einsunternull.com

www.restaurant-einsunternull.de

Gastgeber: Ivo Ebert

Küchenchef: Silvio Pfeufer

Mittags; Dienstag und Mittwoch

Menü 129 €

res.


Es war ein Befreiungsschlag, der die Szene polarisierte. Patron Ivo Ebert trennte sich von seinem Küchenchef Andreas Rieger, dessen kunstvoll stilisierte und extrem durchdachte neue Regionalküche zwar in Hochglanzmagazinen brillierte, aber bei den Gästen offenbar auf Dauer nicht die nötige Resonanz fand, zumal sie sehr auf der Stelle trat. Nachfolger Silvio Pfeufer, inspiriert vor allem durch ein paar Jahre bei Jan Hartwig in München, warf das Ruder entschlossen herum. Er setzt nun auf eine zwar weitgehend regionale, aber doch bedeutend weniger hermetische Küche, die zum Genuss keine Promotion in Sachen Nova Regio voraussetzt.

Wir stecken mit der Bewertung in einem gewissen Dilemma, weil wir die kopfbetonte Artistik der Rieger-Jahre beeindruckend eigenständig fanden und hoch einstuften; die faktische Abwertung um zwei Punkte ist aber durchaus als hohes Lob für den frisch eingestiegenen Nachfolger zu verstehen, als Ansporn, die eigene Linie zu präzisieren, denn da ist noch allerhand zu erwarten.

Das zeigte sich vom Start weg in so hübschen Miniaturen wie etwa dem marinierten Hering mit Räucheraal und Dill in subtilem Dashi-Fond, beim geflämmten Saiblingsfilet mit Kalbskopf und gebackenen Kapern in cremiger Kapernsauce, fotoreif angerichtet, oder beim Zanderfilet mit knusprigen Schuppen, Lauch, Kräuterseitlingen und einem Hauch Zitronenthymian. Auch die Fleischgänge zeigten schon eine originelle Linie mit klug dosierter Deftigkeit: Die schnöde als „Broiler“ annoncierte Hühnerbrust punktete mit fabelhafter Saftigkeit, tiefer Jus und einem zwischen knuspriger Hühnerhaut eingeschlossenen Eigelb; die versteckten Schnipsel von Passepierre blieben allerdings ebenso eine Randerscheinung wie die beiden Pommes frites. Bei der etwas übergart wirkenden Short Rib „Sonnenallee“ ging es dann würzig in die Vollen mit Minzspinat, Joghurt-Aubergine und einer deftig in Richtung Arabien abgeschmeckten pürierten Linsensuppe. Frisch, erfinderisch: Rooibos-Granité mit gebrannter weißer Schokolade sowie Passionsfrucht. Das alles hatte hohen kulinarischen Unterhaltungswert, wirkte befreiend wie ein eleganter Walzer nach anstrengenden Jahren der Zwölftonmusik.

Ebert in seiner Doppelrolle als Gastgeber und Sommelier schien ebenso erleichtert und glänzte wie stets mit Weinempfehlungen, die Enthusiasmus und großes Wissen voraussetzen – mit dem raren 1994er Barbacarlo aus der Lombardei hatte er die Gewürze der „Sonnenallee“ leichthändig im Griff. Serviert wird in makelloser, schlicht eleganter Tafelkultur.


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ENOITECA IL CALICE

10629 · Charlottenburg

Walter-Benjamin-Platz 4

(0 30) 3 24 23 08 restaurant@ilcalice.de

www.ilcalice.de

Gastgeber: Antonio und Louis Bragato

Küchenchef: Roberto Sannino

Sonn- und Feiertagmittag

Menü 65/78 € · à la carte 41/69 €

res.

Da war doch mal was …? Dieses noble metropolitane Weinrestaurant war über Jahre Dauergast in unserem Guide, bis Gründer Antonio Bragato die Lust verlor und verkaufte. Doch die Nachfolger konnten es nicht und schmierten ab, und so ist Bragato nun wieder ins Geschäft gekommen. Er ließ renovieren, baute eine Bar rund um die stattliche Säule im Eingangsbereich ein und stellte Sommelier Nitya Kostka mit der Aufgabe ein, die heruntergekommene italienische Weinkarte zu restaurieren. Das dauerte eine Weile, aber nun lohnt sich der Besuch wieder, zumal Juniorchef Louis Bragato einen ganz anderen Ton in den Service gebracht hat, freundlich zugewandt statt arrogant selbstbezogen.

In der Küche steht der ebenso ehrgeizige wie blutjunge Roberto Sannino, der seinen Tatendrang vermutlich sogar zügeln muss, um den Boden italienischer Stilistik nicht zu verlassen. Der gelungene Ceviche vom Hamachi mit Avocado, Mango und Koriander zeugt davon … Neben den großen Aufschnittplatten mit Fischmarinaden, Käse und Wurst blieb auch ein anderer Hausklassiker, die venezianische Makrele „in saor“ mit Zwiebeln, aber Neuerungen wie die Kaninchenravioli mit Oliven und Kamille im Kaninchensud, der Kartoffel-Parmesan-Schaum mit grünem Spargel und weichem Eigelb oder das Rindertatar mit Haselnuss-Crumble und Oliven zeugen vom höheren Anspruch der Küche. Sie schwächelt noch ein bisschen bei den Hauptgerichten, wenn das Filet vom St. Petersfisch deutlich unter dem Garpunkt bleibt und zur saftigen Pluma vom Ibérico-Schwein strohiger Mangold zwar gut aussieht, aber nicht wirklich schmeckt. Keine großen Sachen, die den weiteren Wiederaufstieg dieses Berliner Klassikers nicht gefährden werden.

Die Weinkarte präsentiert alle bekannten Größen des italienischen Weinbaus, öffnet sich aber auch neuen Trends und beansprucht deshalb in ihrem Fach in Berlin schon wieder einen Spitzenplatz. Vor der Tür sitzt man großstädtisch auf dem Walter-Benjamin-Platz – der beste Ort besonders für einen gehobenen Lunch in der West-City.

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ERNST

13347 · Wedding · Gerichtstr. 54

info@ernstberlin.de

www.ernstberlin.de

Gastgeber: Spencer Christenson, Dylan Watson-Brawn, Christoph Geyler

Küchenchef: Dylan Watson-Brawn

Mittags; Sonntag bis Dienstag

Menü 190 €

res.

Selbst für Berliner Verhältnisse hält das kleine, gerade mal zwölf Gäste fassende Restaurant eine Ausnahmestellung: Es schert sich nicht um Lage, betreibt kein Marketing, sucht nicht den Schulterschluss mit anderen Avantgardisten und erlaubt sich ein Reservierungssystem, dass allenfalls Superstars der Szene nicht das Genick brechen würde: Alle zwei Monate werden die raren Plätze freigeschaltet, wer bucht, zahlt den ganzen Abend im Voraus – inklusive 15 % Trinkgeld. Die Weinbegleitung immerhin ist freiwillig, empfiehlt sich aber: Aus gut 200 naturnah ausgebauten Positionen gelingt Christoph Geyler ein Reigen rarer Entdeckungen jenseits von Klischees, präzise und großzügig immer auf mehrere Gänge abgestimmt, ein Vergnügen, auch wenn man mit dieser Stilistik bislang fremdelte. Summa summarum landet man so bei der Reservierung bei aktuell 333,50 €. Puh, damit gehört das Ernst schon mal rein preislich zur absoluten Berliner Topliga.

Das wohl ungewöhnlichste an diesem Konzept ist die Küche des jungen Dylon Watson-Brawn. Die hat ihre handwerklichen wie produktphilosophischen Wurzeln in Japan. Aber Watson entwickelt sich weiter und löste sich vom streng traditionellen Stil seiner japanischen Lehrmeister, er setzt nicht mehr nur auf Inszenierung der puren Produktqualität, sondern schafft ein Menü in bis zu 40 Gängen, das überrascht, nicht mit Aromen geizt und immer die vollste Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nimmt.

Die ersten Tellerchen kommen flott: frisch gestockter Käse mit Feigenholzöl, Radieschen und mit hausgemachtem Umeboshi-Pulver parfümierte Rübchen, ein Stiel vom bleichen Rhabarber bestrichen mit ausgelassenem Mangalitza-Speck, geräucherte Butteremulsion auf rohem Kohlrabi mit Zierquittenblüten … Es ermüdet, alle Gänge zu erwähnen, die es verdient hätten, aber der Auftakt gelingt nach Maß und ohne Schwächen. Höhepunkt ist das Buchweizen-Chawanmushi, Watsons Paradedisziplin.

Seine Küche folgt einer Microsaison, beim Spargel dauert diese gerade mal zwei Wochen. Das Gemüse, das Watson selbst erntet, wird dann ohne Angst vor Wiederholung im Menü zitiert, von ganz dünnen Spargelspitzen fast roh und ungeschält, köstlich herausgestellt von Steinbutt-Bottarga, über mitteldicke Spargel in Dinkeltempura und – herausragend – ganz roh in Spargelsaft und Feigenöl, bis zu dickem Spargel gegrillt, mal mit Lorbeerblättern und Molke, mal mit Vin-Jaune-Hollandaise. Oder grüner Spargel mit vier Stunden gegartem Entenei und junger Zwiebel.

Japanisch kochen heißt schneiden, das beherrscht Watson und zeigt das bei Gängen wie Fenchelfäden in Sahne und Steinbutt-Bottarga oder frittierter, hauchdünn geschnittener Lauch- und Kartoffeljulienne auf Eiskraut und einem Dashi aus Gemüseresten. Aber mehr als früher setzt er Aromen ein, gart und montiert. Klassisch französisch der Gang aus Sauerklee und Sauerampferwurzel in Beurre monté, süffig die gegrillten und gedämpften Rosenkohlsprösslinge in Nussbutter-Dashi, exzellent die Rotbarbe auf einem Spieß gegrillt und unablässig lackiert mit einem Sud aus ihren getrockneten Gräten, der auch montiert mit Schnittlauchblüte die Aromen verstärkte.

Das Menü ist auch gehaltvoller geworden, Mangalitza-Speck spielt eine große Rolle, immer wieder ausgelassen als Fettgeber, aber auch mal pur mit einem Parfüm aus 78-prozentigem Trester, das man nur dazu atmet. Fisch und Meeresfrüchte bezieht er direkt von einem Fischer aus der Bretagne – ein Segen, dass er sich nicht einem strengen Regio-Dogma unterwirft: Sashimi von der Brasse, sieben Tage in feuchten Tüchern „gereift“, dazu gegrillte Zitrone, oder Steinbutt an der Gräte mit brauner Butter und Rhabarbersaft bieten Produktqualitäten, die in Erinnerung bleiben, wohldosiert herausgestellt.

Sensationell sind die Tranchen vom Perlhuhn: Das Huhn wird kaltgerupft, um ein erstes Garen der Haut zu vermeiden, dann reift es zwei Wochen trocken und noch einmal zwei Wochen in Bienenwachs, bevor es langsam gegart wird – ein neues Fleischerlebnis, ohne Röstnoten, aber ungemein saftig und mit effektvoll schmelzendem Fettrand. Pures Vergnügen.

Auch der Abschluss, eine schnelle Folge an Variationen von Rhabarber und Sahne (Sahnesauce mit Zuckerrübe und Karamell!), Kombuchabasiertem und Petits Fours, gelingt mit hohem Unterhaltungswert. Den braucht es auch, denn das Menü und die Weinbegleitung verlangen volle Aufmerksamkeit, die Tellerfolge ist eng getaktet, die empfindlichen Kreationen dulden keinen Aufschub, deren Anmoderation nimmt deshalb auch keine Rücksicht auf die Interaktion der Gäste.

Aber das Storytelling nimmt nicht mehr die epische Länge früherer Tage ein, hier hat man sich zurückgenommen, gut so. Es bleibt einzigartig in seinem Konzept, die Küche ist präzise im Handwerk, die Produkte sind herausragend.

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FACIL

im Hotel The Mandala

10785 · Tiergarten · Potsdamer Str. 3

(0 30) 5 90 05 12 34 welcome@facil.de

www.facil.de

Gastgeber: Manuel E. Finster

Küchenchef: Michael Kempf und Joachim Gerner

Samstag, Sonn- und Feiertag

Menü 128/205 €

res.

Aufstieg in die Königsklasse nach 18 Jahren: Wir beglückwünschen Michael Kempf und seine Truppe nicht nur zur Grandeur der Gerichte, sondern auch zu allem anderen, was diesen Schritt zu 19 Punkten möglich machte, zur unvergleichlichen Kontinuität beim Personal, zur nie nachlassenden handwerklichen Präzision über viele Stilwendungen hinweg und zur offenbar höchst motivierenden Arbeit eines Chefs, der gelassen genug ist, seinen Leuten wirkliches Vertrauen entgegenzubringen – er weiß, dass das Niveau ganz oben bleibt, auch wenn er sich mal um seine Zwillinge kümmern muss oder alle paar Wochen nach Süden zum TV-Kochen beim „ARD-Buffet“ jettet.

Das Verblüffende an den aktuellen Facil-Gerichten war für uns, dass sie dem aktuellen Trend zum Purismus eher entgegenliefen, nicht wieder in Richtung „Pinzettenküche“, aber doch hin zu größerer Komplexität, die aber immer den Punkt traf. Heben wir also besonders hervor, welche Bühne hier dem Imperialkaviar gebaut wurde: Unten eine Schicht dünner Schweinebauch, darauf mild geräucherte Austernstücke, Lardo mit Kardamomcreme zum Schutz des Kaviars, kleine Würfel von Gelben Beten, mariniert in Passionsfruchtsaft, drumherum eine sanft-würzige Kardamomjus. Das klingt verrückt, aber es ist eben die Verrücktheit großer Küche, die so was nicht aus dem Ärmel schüttelt, sondern die Kontraste und Gleichklänge in vielen, oft ermüdenden Versuchen optimiert, bis der Teller an den Gast darf.

Großzügig, aber ohne sättigende Schwere schon die Häppchen zum Aperitif, ein Gelbe Bete-Würfel mit knusprigem Amarant umhüllt, ein Rindertatar mit perfekter Mayonnaise und eine aus Topinambur gefertigte, verblüffend echt aussehende Erdnuss, bei der schon die Dessertkunst von Thomas Yoshida grüßen ließ. Es folgte ein würziger Chawanmushi-Eierstich mit knusprigem Mais, Spitzkohlstreifen und Saiblingskaviar, eine Kombination, die noch schlüssiger schmeckte, als sie klang.

Auch dem Auge wird allerhand geboten, das sahen wir schon beim saftigen Wagyu-Roastbeef, das mit Blüten, Tomatenmarmelade, Avocadokugeln und Kräutern aber nicht nur „instagramable“ aussah, sondern mit den unsichtbaren Ceviche-Aromen und einem Hauch des arabischen Baharat-Gewürzes im angegossenen Sud auch wunderbar schmeckte, spannungsreich durchzogen von feiner Säure. Der klassisch kombinierte Rochen Grenobler Art stiftete zunächst Vergnügen wegen des in Berlin nur noch selten anzutreffenden Produkts, dann zog die feine Ausgestaltung mit gebackenen Kapern, einem mit knusprigen Topinamburscheiben bedeckten Kartoffelconfit und Petersiliencreme die ganze sensorische Aufmerksamkeit auf sich – alles in allem ein tolles Fischgericht. Top auch der Kaisergranat, gestückelt in einer kleinen Schüssel, angerichtet mit Algen und geröstetem Brokkoli und zusammengehalten von einem teedunklen Schalentiersud mit einem Hauch von Earl Grey.

Ein vegetarisches Menü gibt es hier nur auf Anfrage, aber die könnte sich lohnen, wie wir beispielsweise an den makellosen Cannelloni von Knollensellerie und Ricotta mit Zucchini und Oliven feststellen konnten, jedes einzelne Gemüse war optimal zubereitet und dimensioniert.

Doch hier sollte nun wirklich niemand auf Fleisch verzichten. Die Étouffé-Taubenbrust, supersaftig gebraten, aber nicht künstlich weich durch die leidige sous vide-Garung, kam auf einer schaumigen, dennoch geschmacklich tiefen Jus mit Brombeeressig und Bockshornklee bestens zur Geltung, unterstützt nur durch ein wenig Mangold und knusprig gepoppten Buchweizen. Und auch das Shirt-Steak vom Black Angus zeigte beispielhaft, wie hier geschmackliche Tiefe und große Leichtigkeit Hand in Hand gehen – fermentierte Linsen, gebratener Chinakohl und Reiskraut brachten köstliche Kontraste ins Spiel, ohne zu sättigen.

Denn das Facil ist ja – leider – eins der wenigen Berliner Restaurants, das sich überhaupt noch einen speziellen Pâtissier gönnt, und es gönnt sich einen der besten in Deutschland. Thomas Yoshida ist ein begnadeter Tüftler, dem hier niemand hineinredet, er schafft lebendige Skulpturen, die manchmal ein wenig am optischen Kitsch schrammen wie die „Sleeping Beauty“ aus himmlisch leichter Nougatmousse, die innen noch eine ebenso fluffige Zitronencreme birgt, ergänzt um Himbeer-Cassis-Sorbet und allerhand Knusperelemente; puristischer sah die „Wolke“ aus, ein Wunderwerk aus verschieden großen weißen Schokoschaumkugeln, die drinnen allesamt gefüllt waren, mit Passionsfruchtsaft, Haselnusscreme … Dazu ein herrliches Ananassorbet mit Ananaskompott.

Wir mögen das Facil gerade wegen dieses großzügigen Überschwangs, der uns die besten Produkte in bester Zubereitung ohne ideologische oder andere Scheuklappen zugänglich macht. Ein Sonderlob gibt es für das Angebot à la carte, auch ein Luxus, der selten geworden ist angesichts der in Erz gegossenen Pflichtmenüs. Hier sind die Gerichte schmerzhaft teuer, aber es kommt auch so viel auf den Teller, dass drei Gänge völlig ausreichen.

Über den Service von Manuel Finster und Sommelier Felix Voges gibt es gottlob nichts Neues zu sagen. Das ist Old School, perfektionistisch ohne Aufdringlichkeit, nie anbiedernd, aber auch nicht steif. Die Weinkarte bietet das komplette Prestigeprogramm, aber auch viel Aktuelles aus Deutschland, das nicht gerade billig, aber noch fair kalkuliert ausgeschenkt wird.

Das Restaurant, auch das ist bekannt, ist in seiner lichten Großzügigkeit sicher das schönste in Berlin. Wer es dann auch noch schafft, an schönen Tagen einen Platz im Freien zu ergattern, der kann wirklich von Glück sagen.


FREUNDSCHAFT

10117 · Mitte · Mittelstr. 1

(0 30) 80 49 24 44 wein@istdeinbesterfreund.com

www.instagram/com/bar_freundschaft

Gastgeber: Willi Schlögl, Johannes Schellhorn

Mittags; Sonntag, Montag

à la carte 15/27 €

Was macht das Genre „Berliner Weinbar“ aus? Die Freundschaft bringt es auf den Punkt: Rustikale Gemütlichkeit ist ein No-Go! Kunst, die man nicht verstehen muss, ist Pflicht, ein Tresen, der nicht der Bequemlichkeit der Gäste, sondern als Bühne für die Wirte dient, ebenso. Die heißen hier Willi Schlögl und Johannes Schellhorn, sind bekanntermaßen Leuchten des Berliner Nachtlebens, haben Charisma und wissen einen Abend zu rocken. Man kommt nicht wegen der Weine, auch wenn die 500 Positionen kenntnisreich zwischen klassischem Genuss und trinkbarer Avantgarde ausgesucht sind – man kommt, um sich von ihnen Neues empfehlen zu lassen und wie an einer Perlenschnur glasweise selig zu werden. Die Musikauswahl perlt cool vom Plattenspieler, der Umgangston ist lässig, die Gäste bemühen sich nach Kräften, da mitzuhalten.

Die Küche schickt „modernes Barfood“: Brotzeit mit Beinschinken von Thum aus Wien, Leberkäse aus St. Johann und Käse von Maître Philippe, dazu kleine Gerichte wie gebeizter Schweinebauch im Bao-Bun mit Rotkohl-Slaw, Austern mit Wassermelone, Venusmuscheln mit Asia-Swing …

Ab 17 Uhr startet der Unterhaltungsbetrieb und geht bis spät in die Nacht.

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FRÜHSAMMERS

14193 · Grunewald · Flinsberger Platz 8

(0 30) 89 73 86 28 info@fruehsammers-restaurant.de

www.fruehsammers-restaurant.de

Gastgeber: Peter Frühsammer

Küchenchef: Sonja Frühsammer

Mittags von Mittwoch bis Samstag; Sonntag bis Dienstag

Menü 99/109 €

res.

Die alte Villa ist ein ebenso eleganter wie zeitloser Ort. Mit ihrem Fischgrätenparkett, den langen weißen Tischdecken und dem gelegentlichen Ploppen der Tennisbälle, die sich die Spieler auf den Plätzen ringsum zuschlagen, ist sie gleichsam epochal weit weg von Kreuzberg, Neukölln und Mitte mit ihren tätowierten Köchen, kumpeligen Sommeliers und konzeptuell ehrgeizigen Locations. Das heißt aber noch lange nicht, dass man in diesem so gediegenen Restaurant keine Überraschungen erleben könnte.

Speisekarte? Gibt’s heute keine. Schnell zählt der Service die fünf Gänge plus drei Alternativen auf, die die Küche für diesen Abend vorbereitet hat. Nicht mal der Preis wird genannt (99 €). Gut, und die Weinkarte? Ach, die bilde nicht ab, was er gerade dahabe, sagt Peter Frühsammer nonchalant. Und schon kommen die Spargelpraline mit Estragon und gepopptem Buchweizen, die Kohlrabicreme und Fischconsommé, das Karottensüppchen und ofenfrisches Brot, das der Restaurantleiter, Sommelier und ehemalige Spitzenkoch selbst bäckt (wenn er nicht gerade Bier braut).

Was seine Frau Sonja Frühsammer kocht, die lieber in der Küche werkelt, als die große Runde durch den Gastraum zu drehen, gehört seit Jahren zum Besten, was man in Berlin essen kann. Sie ist eine der wenigen Topköchinnen in Deutschland, ihr ausgeprägter Sinn für Aromen und Kombinationen macht ihr Essen zum Vergnügen. Schon der Auftakt aus Ziegenfrischkäse (als Eis und als Creme) und Erbse (als Creme und klein geschnitten) auf einem Spiegel und mit einer Kugel aus Melone bietet ein feines Spiel mit der Süße, Mais als Babykolben und Polentaschnitte erdet die Komposition. Zur Jakobsmuschel überrascht ein scharfer Spinat sowie Hummerbisque samt einem Stückchen Hummerzange und Zitronen-Gel; ein Tusch sind das Kräuter- und Vanilleöl, die dem Gericht auch einen feinen Duft geben.

Dem perfekt gegarten Heilbutt mit Pak Choi verleihen Kokosschaum, geröstete Kokoschips und Erdnüsse eine willkommene Thai-Note. Ein bisschen konventioneller wirkt danach Rehbock mit eleganter Pistaziencreme und zartsäuerlicher Frische des in Rettich eingewickelten Kohlrabischaums. Als leichtes Finale tänzelt eine „Yogurette“ aus Schokoladenmouse, Erdbeere und Joghurteis und -schaum an, mit Aromen-Aplomb tritt der Dessertcocktail aus Kaffeecreme, Ananas, Rum und Honig auf.

Die Weine, die Peter Frühsammer aussucht, sind ein Vergnügen, viele kommen aus Deutschland, alle sind fair kalkuliert.

Wer lieber à la carte isst, bekommt im Bistro Grundschlag im vorderen Teil der Villa eine kleine Auswahl an Gerichten vom Caesar’s Salad über Short Rib mit Grenaillekartoffeln und geschmorte Lammschulter mit Kartoffeltortilla bis zu Crêpes Suzette.


FUNKY FISCH

10625 · Charlottenburg · Kantstr. 135–136

(01 63) 93 822 15 reservation@funky-fisch.de

www.funky-fisch.de

Gastgeber: Jana Kämpfer

Küchenchef: Lukas Markwalder

Sonntag, Montag

Menü 35/69 € · à la carte 29/57 €

res.

Ein Stück topfrischer Fisch und so wenig wie möglich dazu – oft ein Wunschtraum, weil Köche mit der entsprechend guten Ware ehrgeizige Gourmetgerichte konstruieren, die man nicht immer will. Hier bleibt der Gast von solchen Anstrengungen verschont, weil die Fische aus der großen Vitrine garantiert unverfremdet auf den Teller kommen, vom kleinen Doradenfilet für den Solo-Esser bis zum Fünf-Kilo-Steinbutt für eine Gruppe. The Duc Ngo, der von hier aus all seine Berliner Restaurants mit fertig präparierten Fischen beliefert, bietet aber noch ein paar modische Zugaben wie Carpaccios, Poke Bowls und Buns, Salate mit Fisch und Tempura-Varianten. Mittags eher ein Geheimtipp, abends immer brechend voll. Aber nur Mut: Wegen der kargen Einrichtung mit harten Sitzen verharrt niemand allzu lange … Viele bezahlbare, gute Weine. Im Sommer sitzt man entspannt draußen an der verkehrsumtosten Straße.

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GÄRTNEREI

10115 · Mitte · Torstraße 179

(0 30) 24 63 14 50 info@gaertnerei-berlin.com

www.gaertnerei-berlin.com

Gastgeber: Bernhard Hötzl

Mittags, Sonntag

Menü 35/55 €

res.

Nach dem Wechsel des ambitionierten Küchenchefs Maico Orso ins Carl & Sophie präsentiert sich der Gemüsefokus der Küche zugänglicher, ohne Menükorsett und mit zahlreichen nicht rein vegetarischen Alternativen.

Ebenso wie der modische Ceviche mit einer Maracuja-säuerlichen Tigermilch und den Kontrasten von Cantaloupe-Melone, Koriander und Avocado gefiel uns, dass österreichische Klassiker Einzug hielten. Beispielsweise gut gemachter Spinatknödel mit zerlassener Butter, Wiener Schnitzel und karamellisierter Kaiserschmarrn mit à part serviertem Arrangement aus Eis, eingelegten Pflaumen und karamellisierten Mandeln – eine köstliche Dekonstruktion des klassischen Zwetschgenrösters.

Der alpine Dreh der Speisekarte setzt die Österreich-Orientierung der gutbesetzten Weinkarte (mit kleinen Schlenkern nach Deutschland und Frankreich) fort und bereichert die quirlig-hippe Torstraßen-Gastronomie. Bei manchen Gerichten scheint die neue Küche noch auf der Suche nach einer eigenen klaren Handschrift zu sein. Das Havelländer Apfelschwein, geschmort und kurz gebraten in üppiger Portionierung serviert, hätte zarter und saftiger sein können und wurde neben intensiv-reduziertem schwarzem Zwiebelsirup und schwarz gegrillten Zwiebeln noch von einem gummiartigen Riemen aus gelierten Gewürzen begleitet, der feinsinnliches Schmecken nachhaltig zunichtemachte.

Zum Gärtnerei-Salat, der (Berliner kennen das aus dem Grill Royal) wieder zusammengesteckt als ganzer Kopf serviert wird und durch ein cremig-grünes Dressing sowie frittierte Kapern angenehm akzentuiert ist, wird noch à part eine für sich genommen gute Joghurtcreme mit geröstetem Pumpernickel und Radieschen serviert, die etwas beziehungslos wirkt. Eher auf der unentschlossenen Seite schien uns auch das mit Blaubeeren, Wildkräutern und einer fruchtigen Emulsion abgeschmeckte Rote Bete-Sashimi, das von gerösteter Quinoa wiederum sehr stimmig begleitet wurde.

Geblieben sind der gut eingespielte Service des schicken Restaurants, dessen Name verpflichtet: lindgrünes Interieur und opulente Blumengestecke zwischen den eleganten Sitznischen. Die Bar in der Mitte des Raums lädt dazu ein, das Abendmahl in die Nacht zu verlängern.

Gault&Millau Restaurantguide Deutschland 2020

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