Читать книгу Gault&Millau Restaurantguide Deutschland 2020 - Patricia Bröhm - Страница 34

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GOLDEN PHOENIX

im Hotel Provocateur

10707 · Wilmersdorf

Brandenburgische Str. 21

(0 30) 22 05 60 66 33 hello@goldenphoenix.com

www.provocateur-hotel.com

Gastgeber: Mimoun Kabbouch

Küchenchef: The Duc Ngo

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 75/150 € · à la carte 25/79 €

res.

Dieser Phoenix musste sich aus keiner Asche aufwärts bemühen, um Flughöhe zu erreichen, und die hält er auch souverän. Der Berliner Multigastronom The Duc Ngo zeigt hier wohl am ehrgeizigsten, wie die Küche seines Herzens aussehen könnte, nämlich panasiatisch mit europäischem Handwerk, und das im schwülstigen Ambiente eines französisch-vietnamesischen Boudoirs der Zwanziger Jahre. Die Karte ist fürs Gourmetniveau relativ groß, für ein Asien-Restaurant aber klein, und sie bewegt sich voran, jedoch in ganz kleinen Schritten.

Dennoch konnten wir nicht anders, als die zweite Kochmütze herauszurücken für so fein puristische Gerichte wie den Kaisergranat bester Qualität, der nur von Spargel und einer feinsäuerlichen Kalamansi-Sauce begleitet wurde. Immer herausragend gut sind die Dim Sum, für die wir stellvertretend „Shia Long Bao“ nennen wollen, gefüllt mit gehacktem Schweinefleisch, Trüffeln, Ingwer und Lauchzwiebeln. Die Mode der in weiche Hefebrötchen gebetteten „Buns“ bringt hier perfektionierte, wenngleich kaum ohne Kleckerei essbare Ergebnisse, zum Beispiel mit gebackenen Shrimps, Mangochutney und Gurken.

Nur manchmal wirkt etwas ein wenig nebenher gemacht wie der blasse, grob gestückelte Gurkensalat mit Enokipilzen, doch das sind Kleinigkeiten. Denn vor allem die Hauptgänge vereinen gute Produktqualität mit klug reduzierten Kombinationen wie beim Kalbskotelett mit Brokkoli, Mandeln, Pflaumen und Pflaumensauce oder beim saftigen Yuzu-Hähnchen mit Salatherzen und Auberginen – das ist astreine Gourmetküche, die im Aromenprofil und in der Würzung durchaus an Tim Raue erinnert, dessen Stil der Chef natürlich gut kennt. Im Grunde möchte man jedes Mal die Karte rauf und runter essen, was sich im „Experience“-Menü mit 15 Gängen in vier Aufzügen durchaus realisieren lässt. Sehr gut auch die Desserts: Honigbanane mit Bananensorbet, Zitronen-Chiboust, Pekannüssen und Thai-Basilikum oder „Tropical Island“ mit Ananas, Litschisorbet, Erdnüssen und Koriander fegen jede Skepsis gegenüber asiatischen Desserts einfach vom Tisch.

Die Weinkarte prunkt mit Champagnern ohne Ende, hat aber auch sonst allerhand gute Namen aus Deutschland und anderswo zu bieten. Das ist, technisch gesehen, ein Hotelrestaurant in keineswegs besonders zentraler Lage, aber es hat sich gegen alle Vorbehalte mit seiner äußerst souveränen Küche durchgesetzt.

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GOLVET

10785 · Tiergarten · Potsdamer Str. 58

(0 30) 89 06 42 22 info@golvet.de

www.golvet.de

Gastgeber: Benjamin Becker

Küchenchef: Björn Swanson

Mittags; Sonntag und Montag

Menü 90/128 € · à la carte 70/123 €

res.


Die Aussicht ist grandios. Aus dem 8. Stock schweift der Blick über das Kulturforum, die Philharmonie, in der Ferne glitzern der Potsdamer Platz, der Hauptbahnhof, das Kanzleramt. So ein Cinemascope-Panorama sieht man nicht oft in Berlin. Und dazu bekommt man den erfreuenden Eindruck, dass sich Björn Swanson von dem spektakulären Ort, an dem er kocht, nicht die Schau stehlen lassen will. Seine Teller sind oft wuchtig in den Aromen, reich an Details und kleinen und größeren Pointen. Gleichzeitig lassen sie sich stilistisch nicht klar einordnen. Swanson macht weder Fine noch Casual Dining, er hat ein Faible für klassische Saucen und polarisiert ganz gerne.

Das sieht man an der Königskrabbe mit Kalbskopf, die er mit einem schön scharfen Gulaschsaft als Sauce serviert. Das schmeckt besser als es klingen mag. Ein rauchiges Paprikagemüse und eine Roscoff-Zwiebel gefüllt mit Zwiebelespuma bauen die aromatische Brücke, die eine Krustentiermayo noch aromatisch verfugt. Bloß warum? Krabbe und Kalbskopf waren doch sehr saftig. Muss man wirklich gleich ein halbes Menü auf einem Teller unterbringen? Fehlt dann die Sorgfalt, die Morchelcreme nicht so stark zu salzen, dass sie den gut gebratenen Rücken vom Salzwiesenlamm in den Hintergrund drängt, und bei einer der dazu gereichten ganzen Morcheln zu vermeiden, dass der Sand knirscht?

Aber Swanson zaubert auch immer wieder Überraschungen, z.B. wenn er mit der Jakobsmuschel einen Turm baut: als Basis ein Ragout, dem der Corail noch Meergeschmack mitgibt, darüber eine Decke aus geliertem Ayran und darauf geschichtet Carpaccio, dazu aus den Schalen ein kräftiger Sud, der durch Rhabarber eine feine Säure und durch Waldmeister einen feinen Duft mit ätherischer Note erhält. Ungleich kräftigeres Grün bringt das Dessert vom Sauerampfer mit grüner Spitzpaprika, Kopfsalat und grünem Chili.

Swanson, halb Amerikaner, hat eine große Freude am Fastfood, die er gerne als Gags in seinen Menüs auslebt. Mal gibt es Pommes in Hühnerfett ausgebacken, mal einen Vacherin-Käse, der im Miniatur-Pizzakarton serviert wird. Eine feine Kombination glückt ihm mit seinem Dürüm-Döner. In zartes Fladenbrot rollt er Lammbries und Spargel, denen Harrissa eine Schärfespitze gibt – serviert wie in der Dönerbude unten an der Potsdamer Straße: in Silberfolie auf einem ovalen Tablett.

Weniger amüsant fanden wir die Idee, neben dem siebengängigen Menü „Die Gegenwart“ den Gästen ein kürzeres namens „Zukunft“ anzubieten: „Ihr seid unsere ‚Versuchskaninchen‘: In 4 spannenden Gängen zeigen wir euch, was vielleicht schon bald ins neue Menü kommt. Natürlich nur, wenn es euch schmeckt!“ Für das, was die Küche noch nicht ausgereift findet, darf man 90 € zahlen …

Sommelier Benjamin Becker hat ein gutes Händchen für besondere Weine, viele aus Baden, wie er selbst, Spanien oder, recht trinkfreundlich kalkuliert, dem Naturfach. Er kredenzt aber auch spannende alkoholfreie Alternativen wie Wasserkefir mit Holunder oder Rooibos-Kombucha mit Karamell. (Ein Alleinstellungsmerkmal der Bar unter Leitung von Andreas Andricopoulos ist die auffallend große Aquavit-Auswahl.)

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GRACE

10719 · Charlottenburg · Kurfürstendamm 25

(0 30) 88 43 77 50 reservierung@grace-berlin.com

www.grace-berlin.com

Küchenchef: Martin Bruhn

Mittags; Sonntag, Montag

Menü 46/102 €

Die solvente Westberliner Gesellschaft, die es tatsächlich immer noch gibt, war über Jahre ein wenig heimatlos. Das prunkvolle, in allen Details ein wenig übertrieben ausgestattete, überraschend große Grace, eigentlich ein Hotelrestaurant, scheint diese Lücke nun zu füllen. Es ist Auftrittsfläche ebenso wie begehbares Dating-Portal, inspiriert angeblich von der Atmosphäre eines New Yorker Townhouses, dessen Eigentümer allerdings mehr Geld als Geschmack zu haben scheint. So wird niemanden überraschen, dass die Küche sich nicht mit trendig-regionaler Stilistik in den Vordergrund schiebt, sondern routiniert den bekannten kulinarischen Großraum Rom-San Francisco-Singapur plus Steaks und Hummer auslotet. Küchenchef Martin Bruhn ist ein Könner, der das Globale beherrscht und durchaus auch eine Klasse höher kochen kann – allerdings hat er wohl nicht das Publikum, das so etwas würdigen könnte, und zeigt deshalb viel glatte Routine, das gilt vor allem für die fixen Menüs.

Zum Thunfischtatar, leider ein ganzes Stück zu fein gewolft, gibt es gebackene Reiswürfel nebst kräftigen asiatischen Dips, die Burrata schmeckt mit Rucola, Feigen und Tomaten plus leicht süßlicher Sauce angenehm süffig. Die kleinen Tintenfischringe auf einer angenehm fruchtigen Gazpacho sind knusprig, können allerdings kaum Charakter entfalten – Calamaretti fritti wie beim Dutzend-Italiener. Das Flanksteak mit Mais, Maiscreme, Pimientos de padrón und würziger Jus ist gut abgepasst, macht Spaß durch Schmelz, und auch der unvermeidliche Miso-Kabeljau zeigt kochtechnisches Geschick, akzentuiert durch einen frischen Salat mit Radieschen und Kräutern. Zum Dessert dann der ebenfalls unvermeidliche Cheesecake, hier ziemlich fest und batzig, aber vielfältig begleitet von allerhand anderen, durchaus animierenden Süßigkeiten.

Die große, nicht zu aggressiv kalkulierte Weinkarte bietet Gutes aus Europa, aber, stilistisch in diesen Rahmen passend, auch aus Übersee. Routinierter, aufmerksamer Service.

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GRILL ROYAL

10117 · Mitte · Friedrichstr. 105b

(0 30) 28 87 92 88 office@grillroyal.com

www.grillroyal.com

Gastgeber: Andrea Kauk

Küchenchef: Michael Böhnke, Roel Lintermans

Heiligabend

à la carte 44/162 €

res.

Erstmal ein Toast auf die Bar und ihren Mate Maple Smash als belebenden Start in den Abend. Feinbitter, weil der Wodka mit Matetee infusioniert war, frisch und scharf, weil Minze eine ätherische Note ins Soda zauberte, und mit weicher Süße, weil Ahornsirup aromatisch abrundete.

Der „Grill“, wie man ihn in Berlin unter Kennern nennt, ist weit mehr als ein Gesellschaftsrestaurant, auch wenn er das Kunststück vollbringt, seit elf Jahren ein zentraler Ort der Berliner Kultur- und Medienschickeria zu sein. Dass er auch kulinarisch immer interessanter wird, liegt an der permanenten Tüftelei der Patrons Stephan Landwehr und Boris Radczun und am Geschick Roel Lintermans, der seit gut zwei Jahren über die Küche wacht und sie behutsam nach vorne bringt. Der Belgier, lange Zeit beim bedeutenden Pierre Gagnaire, rüttelt nicht am Konzept, sondern verfeinert mit Augenmaß und Präzision. Am deutlichsten merkt man das an den Vorspeisen, etwa beim Hamachi. Die roh marinierte Gelbschwanzmakrele kommt als Carpaccio in einem Sud mit Sojasauce, wozu eingelegte Daikonwürfelchen, kurz blanchierter jodiger Queller und hauchdünne Radieschenjulienne feinscharfe Aromen beisteuern – das ist auch handwerklich mehr Fine Dining als Edelsteakhaus.

Der Grill mag für seine Steakauswahl berühmt sein: Stücke wie die Bavette vom Wagyu mit einer Marmorierung von 6–7 sind ein zartschmelzendes Erlebnis; das Filet vom Pinzgauer Rind aus Waging ist im Talgmantel gereift, was auch diesem mageren Fleisch ein leicht ins Beerige gehendes Aroma verleiht. Er kann aber locker auch als Fischrestaurant durchgehen. Lintermans Händchen für exakte Garpunkte und sensibles Aromenspiel zeigt sich hier am deutlichsten, die Auswahl ist dementsprechend groß. Wer sich nicht entscheiden will, wählt Plateau de fruits de mer (ab zwei Personen): eine dreistöckige Etagere mit Austern, allerlei Gegrilltem vom zarten Oktopus bis zur Riesengarnele sowie Muscheln, Lintermans Krabbensalat und subtil abgeschmeckten Ceviche. Eher mau war bei unserem letzten Besuch bloß das Dessert: Der Babyananas fehlte die Süße und die nur oben angegrillten Marshmallows waren kalt, als sie an den Tisch kamen – das kann bei bis zu 300 Couverts, die hier abends geschickt werden, halt mal passieren.

Die Weinkarte wächst und wächst und einige Schätze der rund 2000 Positionen auf 84 Seiten kann man dank Coravin auch offen trinken. Etwa den wunderbaren 2011er Malterdinger Bienenberg Spätburgunder von Bernhard Huber oder den Le Petit Mouton aus dem Hause Rothschild (68 € per 0,1 Liter). Es finden sich aber auch viele Flaschen um die 40 € auf der generell trinkfreundlich kalkulierten Karte. Das gilt auch für die Champagnerauswahl, die mit ihrer imposanten Jahrgangstiefe eine Liga für sich bildet.

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HERZ & NIERE

10967 · Kreuzberg · Fichtestr. 31

(0 30) 69 00 15 22 restaurant@herzundniere.berlin

www.herzundniere.berlin

Gastgeber: Michael Köhle

Küchenchef: Christoph Hauser

Mittags; Sonntag und Montag

Menü 48/100 €

res.keine Kreditkarten

Ethische Motive drängen immer stärker in die Küche vor – dabei ist Berlin offenbar deutscher Trendsetter. Wir sollen regional essen, entweder ganz vegan oder doch wenigstens vom Tier nichts wegwerfen, das ist der moralische Imperativ, der im Falle dieses intimen Kreuzberger Souterrainlokals erfreulicherweise auch feinschmeckerischen Mehrwert hervorbringt. Drei Menüs werden angeboten: konventionell, vegetarisch, mit Innereien, alle als Überraschung zu ordern.

Christoph Hausers Küche ist bodenständig in dem Sinn, dass er die überwiegend erdigen Aromen der typischen Agrarprodukte seiner Region nicht zu korrigieren versucht, sondern betont, vor allem dort, wo trotz züchterischer Anstrengungen noch letzte Bitternoten auffindbar sind. So beim Chicorée, der mit Staudensellerie, eingelegten Brombeeren, Blumenkohlkrümeln und Pimpinelleblättern etwas karg wirkte, womöglich komplett vegan konzipiert war – die Brombeeren, eine angenehm süß-säuerliche Würze, begegneten uns gleich mehrfach. Mehr Schmelz brachte die Terrine vom Kuheuter mit, die die Möglichkeit einer modernen Innereienküche sehr klug demonstrierte, abgerundet mit Roten Beten, Navetten und cremigem Kräutereis.

Der Saibling mit Löwenzahn und Löwenzahnknospen auf Spargel bereitete geschmacklich Vergnügen, wenngleich das Anrichten mit einem grünbräunlichen Püree nicht unbedingt instagramable schien, aber solche Erwägungen spielen hier ohnehin keine Rolle. Hühnerleber mit lockeren, nussigen Leberknödeln, Bohnen, Möhrenpüree und Perlgraupen, Aal mit Aalleber, Meerrettich und geröstetem Brokkoli in Lauchbutter, gebackener Sellerie mit violetten Möhren, Fichtensprossensud und Aniskraut, Rehbock gebraten und geschmort, mit Pilzen, Holunderbeeren und Selleriepüree, zum Schluss ein Kompott mit Eis aus dem Kräutlein namens Gundermann – nichts gibt es hier, was es auch anderswo gäbe, und die relativ enge Produktbasis ist gewollt, das mag man entweder oder eben nicht.

Keinerlei Zweifel dürfte am Weinangebot nagen, das Patron Michael Köhle und seine Mitstreiterin Viktoria Kniely mit Inbrunst pflegen. Sehr originell und trendig die Weinbegleitung, riesig die Weinkarte, in der rund ein Dutzend Flaschen des Schweizer Kultwinzers Daniel Gantenbein auf solvente Kenner warten. Der kleine Terrassen-Vorgarten zur Straße zeigt sehr schön die idyllischen Aspekte Kreuzbergs.

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HORVÁTH

10999 · Kreuzberg · Paul-Lincke-Ufer 44a

(0 30) 61 28 99 92 mail@restaurant-horvath.de

www.restaurant-horvath.de

Gastgeber: Janine Woltaire

Küchenchef: Sebastian Frank

Mittags; Montag, Dienstag

Menü 120/140 € · à la carte 74/106 €

res.


Der ewig heitere und gelassene Österreicher Sebastian Frank erarbeitete sich schon vor Jahren einen ganz eigenen Kochstil, der bekanntlich das österreichische und osteuropäische Küchenerbe mit der neuen regionalen Küche skandinavischer Prägung verbindet. Das Verblüffende daran ist nun aber, dass er selbst in dieser Nische noch ausreichend Platz findet, immer wieder Neues auszuprobieren, ohne jemals austauschbar zu wirken. Lässige Präzision trifft hier auf nie versiegende Kreativität, das war schon immer so – aber auf dem Weg von vielen kleinen Miniaturen mit unterschiedlicher Trefferquote hin zu einer reifen, puristischen Stilistik, die auch mal aus dem Vollen schöpft, hat er die entscheidenden Schritte gerade erst zurückgelegt, alles schmeckt auch ohne Erklärungen einfach herausragend.

In diesem Sinne möchten wir die kurz gebratene Keule vom Spanferkel hervorheben, supersaftig gegart und nur in der eigenen Jus mit etwas Selleriesaat glasiert, à part begleitet nur von einer gerösteten Zwiebelscheibe und einem geeisten „Puszta-Salat“, wohl vor allem aus grünen Tomaten – herrlich.

Der Weg zu dieser Götterspeise hatte im Menü – nur noch maximal acht Gänge – mit einem klaren, kalten Gemüsesud mit Erdbeerkernöl begonnen, dann folgte ein Segment Eisbergsalat als weiteres Amuse-bouche, benetzt mit Albedo-Zitronencreme, das auch die Bühne für Franks berühmten Sellerie aus dem Salzteig bildete. Der wurde einfach als Umami-Konzentrat auf den Teller gehobelt; offenbar ist er längst ein Signature-Produkt, das zwar keine zentrale Rolle mehr spielt, aber auch nicht verschwinden darf. Neues Markenzeichen ist die aus Austernseitlingen gefertigte „falsche Lebercreme“, die nur mit Apfelbalsam-Reduktion (Gölles, natürlich) und einer Brioche kommt, die auch keine ist, sondern ein Butterstriezel mit Marillenkernöl-Aufstrich.

Fast schon klassisch wirkten die gedämpften ersten Steinpilze der Saison, nur angereichert mit einer schmeichelnden Sliwowitz-Eigelb-Sauce, dünnen Kräuterbutterscheiben und Würfeln von milden Essigzwiebeln. Versteht sich, dass der Gang „Gemüsesuppe“ zwar die formalen Anforderungen an ein solches Gericht erfüllt, es kam tatsächlich Suppe, allerdings verdichtet zu einem komplexen Konzentrat, das neben einen Klecks reduzierte Sahne angegossen und mit, tatsächlich, Bucheckernöl gewürzt wird. Das gibt eine weiche, durch keinen texturellen oder geschmacklichen Kontrast entschärfte Mixtur, die wohl am stärksten den alten Frank-Stil repräsentierte. Neu dagegen war das gegrillte Lachsforellenfilet, dem er eine himmlische Sauce aus reduziertem Gemüse und einem Tick Bitterschokolade beifügte; Haselnuss-Anchovis-Paste und salziges Rhabarberkompott nebenher erlaubten ein spannendes Spiel der Aromen nach eigenem Gusto. Der Spaß am schroffen Rösten kam dann einer außen fast schwarzen Sellerieknolle zugute, die schließlich ganz und gar in der Pannonischen Tiefebene angesiedelt war: mit Knoblauchschaum, Gemüse-Béchamel, fettem Rahm mit Paprika-Minz-Reduktion und winzigen Würfeln von Mangalitza-Schweinespeck mit Estragon – und einer genialen Salatminiatur mit jungen Zuckerschoten, Borretschblüten, Kräutern …

So tickt kein anderer Koch, so etwas findet man nur, wenn man ganz persönlichen Assoziationen folgt, die die geschmackliche Harmonie von sich aus auf wundersame Art mitbringen. Sie reichen bis in die knappen Desserts, beispielsweise das cremige Kümmelbaiser mit Schwarzbrot, Sauerrahmeis und Waldmeisteressig-Molke oder die „g’schmalzten Erdbeeren“, die tatsächlich eine Zitronen-Schmalz-Glasur tragen, begleitet von geröstetem Mohn auf einer Joghurt-Erdbeerkernöl-Emulsion. Nebenbei: All das hat Frank jetzt auch in einem wunderbaren Kochbuch niedergelegt, das viel zum tieferen Verständnis seiner Schöpfungen beiträgt.

Die neue, sehr herzlich und mit Überblick agierende Restaurantleiterin Janine Woltaire führt den bisherigen Kurs der Weinkarte klugerweise fort und schöpft aus einem Sortiment, das keine Standards enthält, dafür aber die Spitzen der deutschen und osteuropäischen Winzerkunst bis nach Serbien, Ungarn und Slowenien exemplarisch vorführt, ohne in der Naturnische zu stranden. Auch die ausgefeilte alkoholfreie Getränkebegleitung spielt eine große Rolle – sie kommt gegen das verknappte Menü vermutlich sogar besser zur Geltung als früher.

Schlusspunkt, wie immer: Wer einen Platz auf der kleinen, von wildem Wein umrankten Sommerterrasse ergattert, der hat das neue, grüne Kreuzberg an seiner besten Stelle erwischt.

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HUGOS

im Hotel InterContinental

10787 · Tiergarten · Budapester Str. 2

(0 30) 26 02 12 63 info@hugos-restaurant.de

www.hugos-restaurant.de

Gastgeber: Manfred Welter

Küchenchef: Eberhard Lange

Mittags; Sonntag, Montag

Menü 110/135 €

res.

Die Panoramaaussicht über Berlin aus dem 14. Stockwerk ist noch immer einzigartig und übertrifft auch die der jüngeren Himmelstürmer Golvet und Skykitchen. Gut überschaubar ist auch das Kontingent an Tischen, das aber dank internationaler Touristen, die sich die Ochsentour durch Berlin ersparen und trotzdem alles sehen wollen, fast immer ausgeschöpft ist. Der Berliner fremdelt ja im Allgemeinen mit Hotelrestaurants, trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Dienste, die nur ein gut ausgebildetes Personal in einem hierarchisch strikt gegliederten Unternehmen leisten kann. So gibt es hier noch Kapazitäten für Türenaufhalten und aufwendige, aber sinnfreie Übergaben – Kellnerballett wie aus einer anderen Zeit. Aber das Team um Maître Manfred Welter ist angenehm, trifft den richtigen Ton und Welter weiß in seiner zweiten Funktion als Sommelier sogar um die Stimmungsschwankungen seiner zum Teil sehr lang gereiften, alle Vorlieben und Budgets bedienenden Weinauswahl, die Deutschland und Frankreich ins Zentrum stellt, aber auch modern gemachte Ausreißer umfasst.

Zu den unumstrittenen Vorzügen eines Hotelrestaurants gehört es, dass man mit einer Fülle von Grüßen aus der Küche rechnen darf. Eberhard Lange bereitet sie mit Pfiff und hohem Anspruch zu und meistert dann den Spagat zwischen klassischem Fine Dining und zeitgemäßen Trends, die als wohltemperiertes Hintergrundrauschen in sein Menü einziehen. So kommt gebeizte Makrele höchst akkurat in Scheibenform gebracht und mild mit Apfelrauch parfümiert auf Salat- und Kefirspiegel mit dem ganz leicht scharf-marinierten Kernhaus einer grünen Tomate und pepufftem Wildreis – raffiniert und unaufdringlich modern wird hier dem Gemüse die Aromenführung überlassen.

Gleiche Anlage auch bei einem sehr klassisch wirkenden Gang: Imperialkaviar als großzügige Nocke dient nur als Akzent und Blickfang. Die Hauptrolle übernimmt Blumenkohl in Texturen, unterstützt von kräftigem Röstgemüsesud und gebeiztem Eigelb von der Wachtel. Die intensiven Cremetupfen von der Schnittlauchblüte torpedierten die sanfte Harmonie, ließen sich aber gut dosieren. Beim Eisbein mit Räucheraal greift Lange tief in die Anrichtekiste, um daraus ein in Meerrettichschaum gebettetes Tellerkunstwerk zu gestalten, dem man seine rustikale Wucht nicht ansieht.

Steht ein Gourmetprodukt im Geschmackszentrum, freut man sich über perfekt gebratenen Steinbutt oder Rehfilet in außerordentlicher Qualität. Dass der Chef beim Fisch zu Erbsen und Pfifferlingen weit außerhalb der Saison einen Bärlauchsud komponiert, rechtfertigt sich damit, dass erst durch längeres Einwecken das aufdringliche Aroma des Lauchgewächses verfliegt. Und dass die Klassik bei Reh immer noch die besten Ergebnisse hervorbringt, zeigen dessen Pekannusskruste, die glänzende Jus, eingelegte Aprikosen und – mittlerweile kurios wirkende – tournierte Navetten.

Nach einem coolen Medley aus geeistem Apfel und Gurke kommt das, was Hotelrestaurants den eigenständigen Betrieben meistens voraushaben: eine Pâtisserie. Die legt sich z.B. im Frühjahr bei einem psychedelisch von Himbeerspuren durchzogenem Taler aus Schafsjoghurt so richtig ins Zeug: Joghurteis, Himbeeren und Rhabarber in allerlei Darbietungen (großartig!), wobei die kandierte mit Langpfeffer-Espuma gefüllte Rhabarberrolle ebenso eine Extraerwähnung verdient wie die genau das richtige Maß an Süße spendenden Schokokiesel.

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INDIA CLUB

10117 · Mitte · Behrenstr. 72

(0 30) 20 62 86 10 info@india-club-berlin.com

www.india-club-berlin.com

Gastgeber: Mahyar Mika Rahimkhan

Küchenchef: Manish Bahukhandi

Mittags

Menü 50/75 € · à la carte 29/53 €

res.

So richtig scheint die Idee Anno August Jagdfelds, der Stadt einen Topinder zu schenken, noch nicht gefruchtet zu haben. Dafür wurden die Tische im Vergleich zur Eröffnung bedeutend enger gestellt, so eng, dass der stilvoll gekleidete Service kaum noch durchkommt – es handelt sich kurioserweise anders als zur Eröffnung um Italiener …

Die Küche hat ihre Arbeit seitdem ein wenig präzisieren können und arbeitet gut heraus, dass die Grundprodukte, vor allem die Hühner, ein ganzes Stück besser sind als im landläufigen indischen Restaurant. Auch Vegetarisches kann gefallen, beispielsweise der fast schon thailändisch anmutende Kohlrabi-Apfel-Salat mit saurer Mango, Minze und Knusperperlen, der erfrischend über die Zunge geht. Als „2C Kulcha“ gibt es ein heißes Fladenbrot mit (sehr wenig) Huhn und Käse sowie unauffälliger Ingwer-Basilikum-Würze. Feuer macht hingegen der Garnelen-Kebab, das sind saftige, glasig im Ofen gegarte Garnelen mit Joghurt und Kurkuma. Das Hähnchen-Kebab mit grünem Kardamom und Koriander kam dagegen nicht über eine stark würstchenhafte Konsistenz hinaus. Frische für den Gaumen brachte der Reis mit Joghurt und knusprigen Linsen, während die grünen Bohnen mit Kokosraspel und Senfsaat eindeutig untergart waren.

Beim Pistazieneis mit Granatapfelkernen rücken wir mal die Kochmütze als Ansporn heraus, denn wer hätte etwas gegen ein richtig gutes indisches Restaurant? Die guten, nicht zu teuren Weine sind schon da, das kann gern so bleiben. Hin zur unruhigen Straße hinten am Adlon liegt sogar ein kleiner Gastgarten, den die Soldaten der US-Botschaft nebenan immer im Auge behalten.

13

JOYNES KITCHEN

10629 · Charlottenburg · Mommsenstr. 42

(0 30) 94 86 92 19 info@joynes-kitchen.de

www.joynes-kitchen.de

Gastgeber: Lucia Schmalstieg

Küchenchef: Anthony Joynes

Mittags; Montag, Dienstag

Menü 35/65 € · à la carte 28/53 €

res.

Große Spiegel an den Wänden, hüfthohe Holzpaneele, bequeme lederbezogene Stühle – ein Ambiente ohne Kitsch, aber mit viel ausgeruhtem Stilbewusstsein. Die angenehme Wohnzimmeratmosphäre wird noch durch den herzlich unaufdringlichen Service der Gastgeberin Lucia Schmalstieg verstärkt, die auch mal von einem Wein abrät, weil der Jahrgang dann doch nicht ihren Erwartungen entsprach. Alternativen finden sich flugs aus der überschaubaren, nach oben limitierten Weinkarte dank der emphatischen Beratung. Alle Positionen handverlesen, ein paar aus dem Naturweinfach, darunter aber kein Stoff, mit dem man sich für die Berliner Avantgarde empfehlen kann.

Dazu bietet sie Anthony Joynes gut gemachte französische Bistroküche mit überraschenden Amuse-bouches wie einer Croquette aus Kartoffel und Kaviar mit fein akzentuierter Mayonnaise. Auch die Estragonmayonnaise zu frittierten Froschschenkeln zeugt von feiner Zunge, der Pflücksalat dazu allerdings auch von überschaubaren Küchenkapazitäten. Zumal die Salatmischung auch noch die sehr dick geschnittene Kalbszunge begleitet, die etwas diffus von Kalbsjus, Meerrettich, grünem Spargel und Cremesaucen-gesättigtem Zwiebelgrün begleitet wird. Besser und geradlinig der Rehbock mit gebratener Artischocke und mächtiger Artischockencreme, sautiertem Spinat und Johannisbeergelee. Bei Desserts wie Millefeuille mit Erdbeeren, begleitet von gutem Erdbeereis und Crème pâtissière, oder Quarknocke mit Fettgebackenem zu einer Fruchtvariation offenbart Joynes, dass er immer in der Lage wäre, eine Schippe draufzulegen. Was vermutlich den entspannten Rahmen zumindest für die Küche sprengen würde.

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KIN DEE

10785 · Tiergarten · Lützowstr. 81

(0 30) 2 15 52 94 reservations@kindeeberlin.com

www.kindeeberlin.com

Gastgeber: Moritz Estermann

Küchenchef: Dalad Kambhu

Mittags; Sonntag, Montag

Menü 55 €

Das Kin Dee bricht mit allen Klischees, die man mit Thai-Restaurants verbindet. Als erstes fällt auf: Das Ambiente ist puristisch und frei von Ethno-Zitaten, dafür hängt gelassen-moderne Kunst an den Wänden – was typisch ist für alle Restaurants aus dem Grill Royal-Universum, zu dem es gehört. Dann bemerkt man edel eingedeckte Tische, akkurat-lässigen Service und die gut sortierte Weinkarte, die in der Oberliga stark ist, bei Naturweinen erfreulich zugänglich und im Basissegment etwas forsch kalkuliert. Beim Essen erkennt man das wichtigste Merkmal der Grill Royal-Küchen: Artifizielles und Irritationen gehören an die Wand und nicht auf den Teller, die Gerichte sollen gradlinig mit bestmöglichen Produkten für den jeweils ausgerufenen Küchenstil stehen.

Die Wurzeln von Küchenchefin Dalad Kambhu liegen in Thailand, ihre stilistischen Vorbilder gedeihen in New York. Sie kocht den Geschmäckern nach, die sie aus ihrer Kindheit in Bangkok erinnert. Aber sie zitiert keine Klassiker, sondern arbeitet für ihre selbst gemachten Pasten und Saucen die traditionell-thailändischen Aromen präzise heraus und setzt sie in einen neuen Kontext, der undogmatisch die Region mit internationalen Edelprodukten verbindet. Das alles schnürt sie in ein völlig unthailändisches und für den Gast verpflichtendes Menükonzept.

Es beginnt mit drei Vorspeisen zum tischweisen Teilen: Pfifferlinge mit Pflaumensauce, Chicken Satay, bei dem man die gute Herkunft des Hühnchens schmeckt – und die Simplizität des Klassikers vermisst, doch durch die Gewürzkruste und die Beilage aus Gelber Bete eine größere Aromenvielfalt bekommt. Die ist noch eindrucksvoller bei der köstlichen Kombination von sensibel gebratener Jakobsmuschel, die in ihrer Schale in einer intensiv scharfen Sauce aus Koriander, Zitronengras, Galgant, Kaffirlimettenblättern, Thai-Basilikum und Limettensaft liegt, und Ceviche von Fjordforelle, die eine sehr feine Textur durch die Beize in Sojasauce erhielt und von einem Zitronengras-Sud geprägt ist, der den typischen säurebasierten Garprozess auslässt.

Den Zwischengang kann man tischweise wählen, bei zwei gebotenen Alternativen sollte eine Einigung schnell möglich sein. Wer „Thai-scharf“, wie auf der Karte angekündigt, nicht verträgt, kommt nicht in den Genuss des confierten Pulpoarms, der von elegant dicksämiger, den westlichen Gaumen rauchen lassender Krapao-Sauce befeuert wird. Sondern nimmt die Tofu-Kombi mit Kokosmilch, fermentierten Sojabohnen und Gemüse. Die Hauptgänge dürfen dann individuell gewählt werden, drei stehen zur Auswahl: zart gegarte Venusmuscheln in Bärlauch-Chili-Sauce, mit Zitronengras und reichlich eingelegtem Knoblauch in der Papillote gegarter Degenfisch sowie grünes Rindercurry. Der noch von „Thai-scharf“ betäubte Gaumen wird nicht mehr viel würdigen können, aber man kann seinen von den klein portionierten Häppchen zuvor kaum gebändigten Hunger durch Reis stillen, was durch die üppig mit Saucen ausgestatteten Gerichte gut funktioniert.

Als Klärgang kommen Stücke gekochter Gurke in leichtem Gemüsesud. Wohltuend, diese simple Speise, die Kombhu aus ihrer Kindheit zitiert. Das Menü endet mit einem Kokoseis plus Milchbrot und Beeren in Palmzucker. Es lässt den Gaumen Revue passieren, welcher Aromenvielfalt er ausgesetzt war und wie jedes einzelne, klar in thailändischer Stilistik verwurzelte Gericht sich doch in der kraftvoll ausbalancierten Würzung von den anderen abhob.

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KOCHU KARU

10437 · Prenzlauer Berg · Eberswalder Str. 35

(0 30) 80 93 81 91 info@kochukaru.de

www.kochukaru.de

Gastgeber: Bini Lee

Küchenchef: José Miranda Morillo

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 37/54 € · à la carte 20/52 €

Gastgeberin Bini Lee und Küchenchef José Miranda Morillo schaffen das Kunststück, ein entspanntes Nachbarschaftsrestaurant mit kreativem, großem Küchenanspruch zu vereinbaren. Und das auch noch extrem eigenständig. Die Koreanerin und der Spanier vereinen ihre beiden Landesküchen zu herzhaften, ausgefeilten und sehr vergnüglichen Gerichten; à la carte ab 9 €, im Menü 3 Gänge für 37 €).

Ein Klassiker ist längst der Hummerdumpling. Die filigrane Teigtasche ist gefüllt mit galizischem Krustentier, sautierten Sojasprossen, Lauch, Zucchini, Glasnudeln, Chili und Kimchi und ein fast dreidimensionales Geschmackserlebnis: Denn den scharfen, süßen kleinen Dumpling schieben ein Krustentiersalz, scharfes Popcorn, eine cremige Bisque aus Hummerschalen mit Anis und Sahne und obendrauf noch ein paar Apfelspaghetti aromatisch kräftig an. Nachhaltig in Erinnerung blieb auch ein veganer Gang, der wie mancher der kleinen Teller vorneweg der koreanischen Tempelküche entlehnt ist: „Hänsel und Gretel“ heißt er blumig und ist ein feines Arrangement aus Enoki und gegrillten Kräuterseitlingen, das eine süß-bitter-erdig-knusprige Grundierung durch einen feinen Klecks Marmelade aus Shii-Take-Pilzen und Blutorangen und etwas Kakao-Crumble erhält.

Die Hauptgänge fallen konventioneller aus. Das solide gegrillte Husumer Kalb begleitete forsch angegrillter Lauch mit Trüffel und eine gedämpfte Brioche mit Shii-Take-Pilzen. Beim auf den Punkt gegarten Seeteufel mit Brandade, Blumenkohl und einem Chip aus Sepiatinte war der Mandelschaum dann doch too much in einer sonst so kurssicheren wie originellen Küche. Die übrigens auch spannende Desserts kann: Zum Dulce de Leche-Eis gab’s eine feinsäuerliche Kombucha-Aprikosencreme und einen knusprigen Mandelkeks, dem die grüne Olive eine salzige Länge verlieh.

Die Weine sucht Bini Lee aus, die ausgebildete Opernsängerin ist und das einmal pro Monat bei den Sing-Mahl-Menüs hören lässt. Ihr vinophiles Herz schlägt besonders für spanische und deutsche Weine. Auch Portugal hat sie aufmerksam im Blick. Ihre glasweise Weinbegleitung kann man nur empfehlen.


KUMPEL & KEULE SPEISEWIRTSCHAFT

10997 · Kreuzberg · Skalitzer Str. 97

(01 70) 650 37 79 speisewirtschaft@kumpelundkeule.de

www.kumpelundkeule.de/speisewirtschaft

Gastgeber: Marco Scolaro

Küchenchef: Martin Temlitz

Sonntag, Montag

à la carte 19/65 €

Die Speisewirtschaft der pädagogischsten Fleischerei Deutschlands folgt dem Credo, dass gutes Handwerk auch transparent sein, hohen Qualitätsstandards folgen und alles offensiv kommuniziert werden muss. So wird in der „Markthalle Neun“ für alle Besucher sichtbar hinter Glas gewurstet, zerteilt, pariert und manch unedles Teil mit Rezepten to go und gutem Zureden an den Kunden gebracht. Hier in der 400 Meter entfernten Speisewirtschaft wird jeder Gast als Kumpel mit Handschlag und einem kleinen Glas Bier, der „Hopfenkeule“, begrüßt und geduzt. Schaumwein spart man sich, Wein gibt es zwar, aber man trinkt besser Bier oder Cocktails des Hauses, die auch mal Whiskey und Bacon-Krokant recht stimmig vereinen.

Bei aller Kumpanei erstaunt zunächst das recht hohe Preisniveau, aber was hier auf den kleinen Tellern landet, stammt von ausgewählten Erzeugen und wirkt nur wegen der seltsamen Namen wie Kindergeburtstag, aber die „Kumpel-Kroketten“ sind akkurat frittierte Bällchen und gefüllt mit gereiftem Cheddar oder Rotschmierkäse, Jalapeños und Bacon, dazu ein säuerlich-frischer Mangodip. Das grob geschnittene Tatar vom Kalb hat Biss und Charakter und kommt mit frittierten Kapern, gebeiztem Eigelb (ein Darling des Hauses) und knusprigem Brot des Bäcker-Kumpels und Szenelieblings Sironi. Immer empfehlenswert: das „Brainfood“ als ordentliche Portion Bries in verschiedener Begleitung, die Lammbratwürste, die sich mit Linsen, Ziegenkäse und Selleriegrün gut in die multikulturelle Nachbarschaft integrieren, oder die „Starters“, die man sich teilen sollte, um einiges Lohnendes zu probieren.

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LAMAZÈRE

10627 · Charlottenburg · Stuttgarter Platz 18

(0 30) 31 80 07 12 brasserie@lamazere.de

www.lamazere.de

Gastgeber: Régis Lamazère

Küchenchef: Michael Paesler

Mittags; Montag

Menü 38/44 € · à la carte 34/56 €

res.

Eine Brasserie wie man sie gern in seiner Nachbarschaft hätte, auch wenn man eng an eng sitzt. Das Essen ist klassisch Französisch, aber auch immer für eine Überraschung gut. Die Gerichte sind mit Kreide auf die Tafel geschrieben, die der Service durch den Raum trägt, und wechseln wöchentlich – jedenfalls die meisten. Denn ohne Œuf Cocotte oder Milchreis mit Salzkaramell und Mandeln würde es wohl bald unruhig in der Stammkundschaft, die das Lokal fest im Griff hat.

Für 50 € bekommt man 4 Gänge (3 für 42 €, auch à la carte ist möglich), davor gibt’s ein bisschen Charcuterie zur Einstimmung und irgendwann, wenn der Abend schon etwas fortgeschrittener ist, verteilt Régis Lamazère noch ofenfrische Madeleines. Dazwischen geht es bodenständig zu oder kommt die Gelbschwanzmakrele mit Orangenjus, filetierten Orangen und einem Klecks Orangen-Gel, das mit seiner zestigen Bitterkeit einen schönen Kontrast zur süßlich-fruchtigen Jus auffächert. Das schmale Endstück der Makrele, das ein wenig übergart ist, sollte man als Pech abhaken. Ein Standard des Hauses sind die Kalbskutteln. Sie haben zarten Biss, eine süffige Cremantsauce und ein Eigelb sorgen für eine vollmundige Cremigkeit (den so genannten Avruga-Heringskaviar schieben wir beiseite). Zum echten Wohlfühlgericht gerät der saftige confierte Schweinenacken vom Ibérico mit Erbsen, Zuckerschoten, Kürbispüree und einer Schale geschmorten Kohlrabis.

Wenn’s voll ist, und das ist es eigentlich immer, dann kann es schon mal ein bisschen dauern zwischen den Gängen. Dann erfreut in dieser Bastion der Beständigkeit das Weinsortiment, das Régis Lamazère ausschenkt – bien sûr ausschließlich aus Frankreich. Die Karte gliedert sich nach Regionen und bietet einige Jahrgänge sowie ein paar Vertreter des Naturfachs und eine große Auswahl im Offenausschank. Im Sommer sitzt man auf dem Bürgersteig mit Blick auf den trubeligen Stuttgarter Platz.

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LAYLA BY MEIR ADONI

im Hotel Crowne Plaza

10963 · Kreuzberg · Hallesche Str 10

(030) 8 01 06 60 layla.at.berlin@gmail.com

www.layla-restaurant.com

Gastgeber: Diana Kis

Küchenchef: Meir Adoni

Mittags; Montag

à la carte 45/85 €

res.

Auf Anhieb etablierte Meir Adoni hier im vormals kulinarisch blassen Hotel ein lebendig-pulsierendes Restaurant, das – nicht nur wegen der Amtssprache Englisch – die Aura von großer weiter Welt verströmt: Lederbestuhlung, modern designtes, unaufdringlich von Ethnomotiven durchzogenes Interieur, offene Küche im Zentrum, angeschlossener Barbereich und eher undezente Musikbeschallung, die aber den Vorteil mit sich bringt, dass man den Gesprächen der internationalen Gäste an den immer ausgebuchten und recht eng stehenden Nebentischen nicht folgen muss. Adoni weiß, was er tut, er gilt als einer der bekanntesten Köche Israels, sein Bistro in Tel Aviv und sein Nur in New York laufen hoch erfolgreich. In Berlin backt er kleinere Brötchen, alles ist auf Casual Dining ausgelegt: kein Amuse-bouche, kein Brot vorneweg (das bestellt man mit gut gemachten Dips in orientalischer Aromatik optional dazu), die Gerichte sind zum Teilen, das Weinangebot ist überschaubar (mit Angeboten für Statustrinker und Naturweinliebhaber), der sehr hippe Service bringt gut gelaunt und gerne Cocktails an die etwas zu kleinen Tische – insgesamt ein Laisser-faire, wie es in Berlin so professionell und weltstädtisch nur ganz selten inszeniert wird.

Am meisten Spaß macht das Layla, wenn man in einer größeren Gruppe kommt, der Küche eine Carte blanche erteilt und einfach die Hand hebt, wenn es genug sein soll. So bekommt man am meisten von der schier unerschöpflichen Aromenvielfalt der Levante-Küche mit. Und: Wer à la carte bestellt, kann beim ersten Besuch nur schwer abschätzen, wie viel ihn erwartet und ordert unweigerlich zu reichlich.

Panipuri, die man als Straßensnack vor allem aus der indischen Küche kennt, kommen hier in einer Schale auf schwarzen Steinen als zwei hinreißend schön dekorierte frittierte Teigtaschen, gefüllt mit einer sehr milden Fisch-Ceviche und aromatisiert mit Buttermilchschaum, Yuzu-Aïoli, Curryöl und Aprikose – ebenso delikat wie leicht. Das Kalbstatar hingegen ist eine aromenwuchtige Tellerlandschaft mit geräucherter Auberginencreme, Sesampaste, Tomatentatar, Erbsen, Pinienkernen, Chilis, schwarz gegrilltem Salat, Joghurt und einer ostmediterranen Gewürzmischung zum selbst Handanlegen. Das klingt viel, ist auch viel, sehr feinziseliert arrangiert – und nach ein paar Bissen ein einziges Kuddelmuddel. Das soll auch so sein, die Gerichte sind so angelegt, dass sich alles vermischen darf, ja muss – für immer neue Geschmacksmomente. Auch das Fisch-Souvlaki ergeht sich in ein Durcheinander aus von Kreuzkümmel- und Zitronenaromen dominierten Cremes, dazu viel Öl, das von Zitronenabrieb gekontert wird. Diese Art der Aromenkraftmeierei mag man oder nicht, sie ist aber typisch für die meisten Gerichte im Layla.

Zwei Gerichte gilt es unbedingt zu probieren: Zum einen das bildschön anzusehende geräucherte Auberginencarpaccio mit salzigem Fetaschnee, Dattelhonigsüße, Tahin, knusprigen Pistazien und Rosenwasser – vermutlich das beste Upgrade, das Baba Ganoush je erfahren durfte. Zum anderen sollte man in jedem Fall ein Gericht wählen, zu dem als Beilage Couscous serviert wird, denn Adoni gelingt es auf unnachahmliche Weise, das feine Potenzial dieser Getreidemischung herauszuarbeiten. Als Desserts locken Chocolate Cremeux mit salzigem Karamellschaum, Datteln und Brioche oder Malabi Rose, ein levantinischer Süßspeisenklassiker aus Kataifi-Teig mit kandierten Pistazien, der hier mit Rosenwasser-Panna cotta und fruchtigem Kirschsorbet saisonal neu interpretiert ist.

o. Note

LE FAUBOURG

im Hotel Sofitel

10789 · Wilmersdorf · Augsburger Str. 41

(0 30) 80 09 99 77 00 lefaubourg@sofitel.com

www.lefaubourg.berlin

Gastgeber: Andrea Sinner

Sonntag

Menü 69/85 € · à la carte 51/76 €

res.

Anfang August 2019 begrüßte das Sofitel René Klages als Nachfolger für seinen langjährigen Küchenchef Felix Mielke und „Gewinn für unser Restaurant“. Klages, mehrfacher Senkrechtstarter und Sich-selbst-Erfinder, beeindruckte auf Anhieb durch einen Mix aus französisch basiertem Wohlgeschmack und japanischen Techniken der Aromenverstärkung. So legte er confiertes Eigelb auf einen Spiegel aus cremig-nussbuttrigem Dashifond, würzte mit weißer Sojasauce und widmete ihm einen Kranz aus scharf gebranntem Blumenkohl, knuspriger Hühnerhaut und angefrorenem Lardo di Colonnata. Oder füllte Takoyaki, kleine gebackene Teigbällchen, mit Foie gras und toppte sie mit Selleriestroh und Koji-Asche. Für solche Kreationen sollte er in diesem Guide 16 Punkte bekommen.

Doch Ende September trennte man sich schon wieder – aus gesundheitlichen Gründen. Hatte sein bewegtes Berufsleben zu sehr an den Kräften des 31-Jährigen gezehrt? In diesem Jahrzehnt wirkte er bereits in Pfinztal, Friedrichsruhe, Bensberg, Saarbrücken, Backnang und Burg/Spreewald; am kürzesten verweilte er bei Klaus Erfort in Saarbrücken, nämlich drei Monate, am längsten im 600 Meter entfernten Le Noir Gourmet: zwei Jahre.

Hoffentlich bleiben der talentierte Pâtissier Raphael Gasque und Sommelier Nicolas Hopchet, dessen französisch-deutsch-österreichische Wein- und vor allem Schaumweinauswahl bestimmt auch den nächsten Küchenchef eindrucksvoll begleitet. Gasque bietet schlicht klingende, aber verführerisch schmeckende Desserts wie halbflüssiges Schokoladeneis unter einer Kekscreme-Decke mit Krokantsplittern.

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LODE & STIJN

10999 · Kreuzberg · Lausitzer Str. 25

(0 30) 65 21 45 07 contact@lode-stijn.de

www.lode-stijn.de

Küchenchef: Lode van Zuylen

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 75 €

res.

Es geht voran. Schon auf den ersten Blick. Die Bar, die hier wohl bereits stand, als das Lausitzer Eck aufmachte, ist jetzt weg, was dem sehr puristischen Gastraum etwas Großzügiges verleiht, die zuvor fiese Akustik wurde erträglicher. Der neue Sommelier Ole Ortmann hilft Stijn Remi im Service. Und auch an ihrem fixen fünfgängigen Menü (mit vegetarischen Alternativen) haben die beiden holländischen Köche weiter gefeilt. Ihrem Stil bleiben sie trotzdem treu. Sie kochen nach der Saison mit Produkten aus der Region, die sie geradlinig auf die Teller bringen.

Ihrer Heimat verpflichtet sind die Starter: frittierte Bitterballen (Kroketten) vom Glattbutt, dazu eine Mayonnaise mit körnigem Senf und frischem Meerrettich. Dann Rindertatar, das durch Anchovis und frittierte Kapern eine originelle Salzigkeit bekommt. Der erste Gang schlägt leisere Töne an. Ein hauchfein geschnittener Tintenfisch, einmal gegrillt, einmal gebraten, mit Lauch, knusprig frittiert und gedünstet, sowie Creme von der gebratenen Zwiebel schmeicheln dem Gaumen. Wuchtiger folgt der Aal vom Stechlinsee. Er liegt geräuchert in einem aromatisch-würzigen Sud, begleitet von fein gehobelten Kartoffeln, die roh in Butter geschwenkt und mit Essig mariniert sind, Senfkohlblätter geben leichte Bitterkeit und Frische. Noch ein Gang, der von einer herausragenden Zutat lebt, ist die Karotte aus dem Moor. Die wird sehr langsam geschmort, bis sie eine elastische Konsistenz und eine dunkelorange Farbe annimmt, der seidigen Beurre blanc verpasst ein guter Schuss Cidre einen ordentlichen Säurekick.

Der Hauptgang bricht dann stilistisch ein bisschen aus: Den geschmorten Schweinebauch vom Mangalitza begleitet nahezu köstlicher, mikrofeiner (und mal nicht fermentierter) Weißkohl mit Kümmel aus dem Mörser. Dazu eine Petersiliencreme und Petersilienwurzelchips mit Apfelmus-Tupfen. Letzteres wirkt ein bisschen verkünstelt und passt nicht zu dem sonst so geradlinigen Stil. Nach den aromatisch recht harmonischen Tellern zündet die Küche ein finales Feuerwerk der Aromen, Konsistenzen und Temperaturen: Eine Pavlova mit zestenbitterem Mandarineneis, Blutorangenstückchen und einem Joghurt, der die säuerliche Brücke schlägt und alles harmonisch zusammenführt.

Auch die sehr solide, auf Naturweine konzentrierte Weinbegleitung wartet mit einem Highlight auf: Der südfranzösische Peach of Mind, eine als Rosé ausgebaute Cuvée aus Grenache und Cabernet Sauvignon, ist fruchtig, aber auch salzig, und ein wirklich perfektes Pairing.

Fazit: Hier hat man einen ganzen Schritt nach vorne getan und die Entwicklung scheint noch lange nicht zu Ende.

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LORENZ ADLON ESSZIMMER

im Hotel Adlon

10117 · Mitte · Unter den Linden 77

(030) 22 61 19 60 lorenz.adlon@kempinski.com

www.lorenzadlon-esszimmer.de

Gastgeber: Oliver Kraft

Küchenchef: Hendrik Otto

Mittags; Sonntag bis Dienstag

Menü 145/205 € · à la carte 83/162 €

res.

Kaffeepartner

Mit schweren Teppichen, dunklen Holzvertäfelungen, stoffbezogenen Sesseln und den Putten am gewölbten Dachgemälde (mit eingemalten „Rissen“ für die Patina) strahlt das Esszimmer eine Gediegenheit aus, die man so in Berlin sonst nicht bekommt. Schon gar nicht mit spektakulärem Blick aufs Brandenburger Tor. In dieser Bastion der Beständigkeit inszeniert Hendrik Otto seit 2010 die Große kulinarische Oper und zählt dabei nicht im mindesten zu jenen Avantgardisten, die eine neue Idee lieber zu früh als ausgereift umsetzen. Er bietet perfekte Produkte und perfektes Handwerk.

Zwei konzeptuell nicht sonderlich unterschiedliche Menüs stehen zur Auswahl sowie ein kleines à la carte-Programm als Hommage an die klassische Küche mit Royal Kaviar, Côte de Bœuf oder Loup de mer in Salzkruste, die am Tisch tranchiert werden. Alte Schule eben. Im Menü gönnt er sich etwas mehr Modernität, gelegentlich. Dann kommt der mit Anisblüten und hauchfeinen Scheiben vom Kohlrabi und eingelegtem Rettich belegte Hamachi roh in einem mit Tomate und Olivenöl abgeschmeckten Fenchelsud, dem etwas Ingwer eine schöne Schärfespitze mitgibt; dazu zaubert die derzeit quasi unvermeidliche Miso-Mayonnaise etwas Umami. Den feinen Gang steigert der perfekt gegarte Loup de mer mit ein paar mehr Kontrasten und Konsistenzen. Auf der knusprigen Haut liegen ganz feine Walnusspartikel, im angeschärften Sud mit Honigtomaten und Fenchelgrün ein paar Kichererbsen und unter dem begleitenden Kopfsalat ein Kichererbsenmus.

Ein Signature Dish von Hendrik Otto ist der lackierte Schweinebauch. Der kommt als Dim Sum in schön dichtem Asia-Sud, dem Kaffirlimettenblätter zitronige Frische verleihen, und paniert mit gepopptem Buchweizen und Kresse. Obgleich er drei Stunden sous vide gegart war, hätte der Bauch durchaus etwas zarter sein dürfen.

Am konventionellsten erscheint der Hauptgang, wenn es Omaha Beef gibt. Es ist mit einer Roscoff-Zwiebel belegt, die durch Birnenesssig eine feine süßsaure Note hat, und umgeben von einem Blätterteigkringel mit diversen Kräutern und ein paar Klecksen von grünen Bohnen- und Speckmousse, wobei Letztere in ihrer Dreieranordnung an die drei Tupfen erinnern, die Hendrik Ottos Markenzeichen sind und die er wie alles Kleinteilige ein bisschen reduzierte. Eine Konzentration, die den Tellern guttut.

Glanzstücke sind im Lorenz Adlon traditionell die Desserts. Etwa der Erdbeersud von der Sorte Mieze Schindler mit Estragon, im Geleit von Passionsfruchteis, grüner Paprika, Luftschokolade und knuspriger Milchhaut; nicht zu vergessen das à part servierte Holunderküchlein. Die folgende Parade von Petits Fours wird gekrönt durch den am Tisch abgeflämmten Gugelhupf mit Grünteejus und Jasminblüte. Die weiße Schokolade mit Rosmarin, die Schwarzwälder Kirsch-Miniatur und der Passionsfrucht-Macaron kommen dann auf einem knorrigen Weinstock und beschließen den Abend.

Der Service um Maître Oliver Kraft und Sommelier Hans-Martin Konrad ist weniger livriert als der Rahmen vermuten lässt. Abgesehen davon, dass er präzise wie ein Uhrwerk funktioniert, bricht er das schwere Ambiente im Laufe des Abends mit herzlicher Zugewandtheit und feinem Humor, der hier eben auch gepflegt wird. Die mit Großen Gewächsen gespickte Weinkarte ist nicht nur für Nerds eine Lektüre der unvergesslichen Art. Spätestens wenn man beim Blättern in Burgund angekommen ist, wo die Flaschen der Domaine de la Romanée-Conti bis in fünfstellige Preisregionen reichen. Diese, klärt die Karte auf, müssen im Hotel getrunken werden, weil die Flaschen anschließend vernichtet werden, um Fälschungen der berühmten Weine vorzubeugen.

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MANI

10119 · Mitte · Torstr. 136

(0 30) 5 30 280 82 55 manirestaurant@hotel-mani.de

www.amanogroup.de

Küchenchef: Lukas Opielka

Samstagmittag; Sonn- und Feiertag

à la carte 30/59 €

res.

Als das Mani vor ein paar Jahren am Rosenthaler Platz eröffnete, da war die Küche des östlichen Mittelmeers noch kein großes Thema in Berlin. Heute darf sich das Restaurant zu den Vorreitern eines Trends zählen, bei dem es um den Geschmack, aber auch eine Form der Gastlichkeit geht, wie sie etwa in Tel Aviv allabendlich vibriert.

Im Mani kamen und gingen die Küchenchefs, das Konzept hingegen blieb gleich. Im Zentrum stehen die „Chuzpeles“ – kleine Teller zum Teilen wie anderswo Tapas, Antipasti oder Mezze. Etwa ein zart gegrillter, mit einem Limettengelee glasierter Pulpo, der von einer Erbsencreme, ein paar Blättern Babymangold, etwas Tomatenconfit und angerösteten Maiskörnern stimmig begleitet wird. Oder gegrillte Jakobsmuscheln, die die etwas überdimensionierten Kleckse von schwarzer Knoblauchcreme und Labneh mit Pistazie an den Rand drängten. Ein bisschen konventioneller sind die Hauptgänge: der in Salzteig saftig gegarte Wolfsbarsch mit Petersilien-Zitronen-Paste für mediterrane Frische und Oliven-Crumble auf den Kopfsalatherzen für die Konsistenzfans, das Rinderfilet auf Rote Bete-Hummus oder die mit Labneh und Kalamata-Oliven gefüllten Ravioli, deren gegrillte Paprikasauce mit reichlich Raucharoma an eine Tüte Paprikachips im Freibad erinnert. Die meist schokoladigen Desserts haben würzigen Pep.

Ein bisschen mehr Bewegung würde der Speisekarte durchaus guttun. Denn ein Problem der Levante-Küche ist ja ihr Erfolg: Standards wie den gerösteten Blumenkohl bekommt man mittlerweile selbst im Umkreis von fünf Gehminuten dreimal in guter Qualität, wobei die Version im Mani mit den Salzzitronenzesten, den gerösteten Mandelblättchen und der Beurre blanc mit Knoblauch schon die beste ist.

Das Angebot an Weinen ist überschaubar, aber gut gewählt. Unter den Winzern aus Deutschland und Frankreich sind ein paar bekannte Namen. Für den neugierigen Trinker steht die Auswahl aus Israel bereit. Weil hier die Abende schon mal länger dauern, besonders einmal im Monat, wenn die hauseigene Isramani-Party gefeiert wird, gibt es auch eine gut sortierte Bar, die sich auf Gin Tonics spezialisiert hat. Im Sommer sitzt man sehr lauschig in dem mit Bambus bewachsenen Innenhof. (Unschlagbar günstig ist der gute Businesslunch; 2 Gänge für 11,50 €, 3 für 15 €.)


MONTRAW

10405 · Prenzlauer Berg · Straßburger Str. 33

(0 30) 25 78 27 07 info@montraw.com

www.montraw.com

Gastgeber: Shimon Rokhlin

Küchenchef: Ben Berrebi

Mittags außer Sonntag; Montag

Menü 8/33 € · à la carte 24/54 €

res.

Was wäre die Berliner Gastronomie eigentlich ohne die vielen Expats, die in den letzten Jahren in die Stadt kamen? Sie wäre definitiv langweiliger, leiser und Locations wie diese würde es gar nicht geben. Und das wäre schade. Betrieben wird das smarte Ecklokal von jungen Israelis. Die Gerichte von Küchenchef Ben Berrebi nehmen es angenehm ungenau mit geografischen Grenzen. Sie setzen die Aromen ihrer Heimat ideenreich in Beziehung zum weiteren Mittelmeerraum.

Immer auf der regelmäßig wechselnden Karte ist die hausgemachte und im Fischsud gar gezogene Fischerpasta, die mit Pastis, Sardellen und Estragon eine französische Leichtigkeit umweht. Offene knusprige Blätterteigtaschen namens Burekas (ein beliebter israelischer Streetfoodsnack, in Varianten auch in der Türkei und auf dem Balkan beliebt) sind hier mit Garnelen gefüllt und kommen auf einer fruchtigen Tomatensauce, deren Säure mit der Joghurt-Tahini-Sauce aufgefangen wird. Der gegrillte Blumenkohl (noch arg roh) liegt auf einem dicken Klecks Labneh, eine Erbsencreme spendiert süßliche Frische und ein gegrillter Knoblauch deftige Würze. Noch so ein Grenzgänger ist das Kohlrabi-Carpaccio, das fast zu üppig belegt ist mit Rucola, Feta und Mandeln, in Amalfi-Zitronenvinaigrette und Chili.

Auf der Weinkarte steht auch der ein oder andere große Name aus der Toskana oder von der Rhône, dank Coravin kann man sie teils auch glasweise ordern; das Gros der Auswahl bleibt in entspannten Preisregionen. Typisch für diese Art Gastronomie ist die große Auswahl an Drinks, die die Bar bereithält. Viele davon sind Eigenkreationen. Im Sommer lockt eine schöne Terrasse.

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MRS ROBINSON’S

10437 · Prenzlauer Berg · Pappelallee 29

(0 30) 54 62 28 39 hello@mrsrobinsons.de

www.mrsrobinsons.de

Gastgeber: Samina Raza

Küchenchef: Ben Zviel

Mittags; Dienstag, Mittwoch

Menü 59 € · à la carte 28/59 €

res.

Der weltberühmte Berliner Bezirk Prenzlauer Berg ist eine Kneipenmeile, kein Gourmetziel. Wer sich dort stilistisch überhebt und zu hohe Preise für zu gute Qualität fordert, der scheitert regelmäßig. Dieses schlichte Restaurant in der ruhigen Pappelallee scheint die Ausnahme von der Regel zu sein – warum auch immer. Denn Ben Zviel geht in der Küche keinerlei Kompromisse ein und denkt nicht daran, irgendetwas nach den vermeintlichen Wünschen der Nachbarn anzurichten. Der Lohn: Selbst am Montag wird das Restaurant von überwiegend fremdsprachigen Foodies meist bis auf den letzten Platz gefüllt.

Zviel ist einer aus der Liga der Puristen, die sich gegenwärtig am liebsten mit offenem Feuer und den damit erreichbaren kulinarischen Zielen beschäftigt, aber seine Gerichte, alle in edler Keramik serviert, wirkten im Vergleich zum Vorjahr schlüssiger, besser erprobt und durchdacht. Die modischen Motive bringt er originell unter einen Hut, beispielsweise beim rohen Wolfsbarsch mit rohen Kohlrabischeiben und Ceviche-typischer Tigermilch, die auf dem fermentierten asiatischen Reisdrink Amazake beruht. Merkliche Schärfe bestimmt den Taschenkrebssalat, der mit dem „Old Bay“-Gewürz, einer Art US-Südstaaten-Curry, subtil abgeschmeckt ist; den Clou liefern zwei in knusprigem, hauchdünnem Tempurateig gebackene Wachteleier. Aus Italien stammen die „Gnudi“, feine Grießklößchen mit einer Füllung aus hausgemachtem Ricotta in Pistazien-Kräuter-Pesto.

Noch nichts Angebranntes? Hier kommt es: Die entgrätete kleine Rotbarbe ist in Lauch gewickelt und dann auf dem Grill schroff angeröstet. Dem feinen Fischaroma bekommt das absolut nicht, aber es entsteht im Zusammenspiel mit der milden Kimchi-Brühe, schaumig geschlagenem Hühnerfett und dem etwas lakritzig schmeckenden Öl aus gerösteten Kombu-Algen (letzter Schrei der Szene!) etwas durchaus animierend Neues. Und die ganze gegrillte Wachtel sieht dann aus, als wäre sie bei einem Waldbrand umgekommen, doch beim Hinschmecken offenbart sich nicht nur die extrem ausgefeilte Technik der Küche im Umgang mit Feuer, sondern auch die tolle Fleischqualität. Chili-Honig-Butter und ein wiederum südstaatlich inspirierter „Southern Biscuit“ stützen die Zubereitung vorbildlich.

Ideenreich auch die Desserts: Wiederum auf Amazake basierte ein herrlich cremiges Eis in einem sehr sanft mit Spargelessig gewürzten Sud nebst Kirschblüten und geröstetem Buchweizen, während das Eis von Aprikosen und Aprikosenkernen eher nach Nougat schmeckte und die getrockneten, eingeweichten Aprikosen mitten in der Obstsaison ein wenig Frust erzeugten. Zu alldem gibt es ganz überwiegend Weine aus dem Naturregal, das ist szenetypisch, führt aber dazu, dass unter 50 € praktisch keine Flasche zu haben ist und auch die Offenen krass ins Geld gehen. Samina Raza, die charmante, um keine wortreiche Erklärung verlegene Patronne, hat ihr Deutsch inzwischen stark verbessert. Dennoch bleibt im Umgang mit ihren fröhlichen Mitstreiterinnen Englisch die Amtssprache in diesem bemerkenswerten Restaurant.

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NOBELHART & SCHMUTZIG

10969 · Kreuzberg · Friedrichstr. 218

(0 30) 25 94 06 10 dubist@nobelhartundschmutzig.com

www.nobelhartundschmutzig.com

Gastgeber: Juliane Winkler

Küchenchef: Micha Schäfer

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 95/120 €

Ein langer Tresen um die offene Küche, schummriges Licht, Musik vom Plattenspieler: Billy Wagner, Sommelier, Wirt und charismatischer Master of Ceremony, baute sich mit dem Nobelhart & Schmutzig die perfekte Bühne. Als er es Anfang 2015 eröffnete, war die nordische Version der Regionalküche nicht mehr neu, aber in Berlin noch nicht konsequent umgesetzt. Ebenso wie die Idee, nur ein Menü anzubieten. Und sonst nichts. Dieser konzeptuelle Minimalismus erweist sich mit den Jahren immer mehr als Motor für Kreativität. Micha Schäfer erkochte längst einen ganz eigenen, unverwechselbaren Stil: sehr nah am Produkt, immer auf der Höhe der Saison und im engen Austausch mit den wenigen, handverlesenen Produzenten, mit denen man schon seit Jahren zusammenarbeitet. Um den Kontakt zu diesen kümmert sich Souschef Maximilian Müller, der auch selbst über die Brandenburger Dörfer fährt, um Wildkräuter und Erdbeeren einzusammeln, die dann am Abend im Menü landen.

Schon der Ayran aus Ziegenmilch zeigt: Unter regional versteht man hier nicht nur, was in der Region wächst, sondern auch das, was in ihr an Esstraditionen gepflegt wird, z.B. das im Kreuzberger Umfeld nicht nur an den vielen Dönerbuden beliebte feinsäuerlich-salzige Joghurt-Wasser-Getränk (in der Türkei ein Symbol für Gastfreundschaft). Die folgenden Radieschen auf Roggenchip mit einem festen Joghurt offenbaren: Der Grat zwischen banal und beeindruckend ist arg schmal, wenn man so minimalistische Kompositionen serviert wie Micha Schäfer. Großartig hingegen der Aal: ein junges, gerade mal zehn Jahre altes Tier von den Müritzfischern, kaltgeräuchert mit Buchenholz, begleitet von blanchiertem Spinat und einem Dillzweiglein für den entscheidenden Hauch Frische in der vollmundigen, rauchigen Saftigkeit.

Micha Schäfer ist ein Gemüseexperte und hat eine ganz eigene Philosophie, was Garpunkte angeht. Den ohne Folie angebauten Spargel aus der Prignitz gart er knapp, sodass er sehr bissfest bleibt (und gibt Leindotteröl sowie in Butter geschwenkte Holunderblüten hinzu), den Blumenkohl grillt er kurz (und spendiert ihm einen Klecks Rahm und Brösel), die Erbsen in einer Beurre blanc mit Bohnenkraut sind ebenfalls fast roh.

Der Gang, der Schäfers Kunst der Verknappung vielleicht am besten vorführt, ist das Lamm, ganz kurz in Pfanne und Ofen gebraten und gegart, mit drei in Butter geschwenkten Fingermöhrchen und Koriandersamenöl. Der Clou des minimalistischen Gangs: Das Rückenstück hat nach drei Wochen Reife in Bienenwachs ein begeisterndes Aroma – und wird von Wagner mit einem saftigen, unfiltrierten 2016er Pinot Noir La Pépée aus dem Jura von Jean-Baptiste Menigoz begleitet, der mit seinen ganz wenigen Tanninen quasi die Jus ersetzt.

Auch das anschließend als eigener Gang servierte Kartoffelpüree ist ein Paradebeispiel für gekonntes Reduzieren. Das Püree ist so schlicht wie unvergesslich: nur mit geräucherter Butter angerührt und mit in Molke gegarten Zwiebeln und Rosenblättern angerichtet. Der Cidre von Johanna Cecillion aus der Bretagne bricht mit seiner feinen Fruchtigkeit den cremigen Schmelz auf.

Wer die Getränkebegleitung per Glas bestellt, was großen Spaß macht, bekommt auch immer mal ein Bier. Zu den von Maximilian Müller am Morgen in Brandenburg gepflückten Erdbeeren mit Waldmeistereis etwa eine handwerklich hergestellte Berliner Weiße der Brauerei „Schneeeule“ (eine Anspielung darauf, dass der Berliner Biergartenklassiker ja typischerweise mit Waldmeistersirup aufgegossen wird).

Fazit: Die Gänge wirken mit ihren wenigen Komponenten fast meditativ. Gerade deshalb sorgen sie für einen langen Nachhall. Schäfer schafft Geschmackserlebnisse, die man lange nicht vergisst. Eine Besonderheit: Dienstag und Mittwoch kostet das Menü 95 €, den Rest der Woche und vor gesetzlichen Feiertagen 120 €.

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ORANIA

10999 · Kreuzberg · Oranienplatz 17

(030) 69 53 96 87 80 restaurant@orania.berlin

www.orania.berlin

Gastgeber: Johannes Linster

Küchenchef: Philipp Vogel

Menü 52/52 € · à la carte 33/61 €

Kaffeepartner

Wir vermuten, dass Philipp Vogel nicht viel Schlaf braucht, denn sonst könnte er in seiner Doppelfunktion als höchst aktiver Küchenchef und Hoteldirektor kaum so viel Erfolg haben. Während aber das Hotel als quasi vorgeschobener Luxusposten im Kreuzberger Feindesland allerhand Ärger hat, von dem auch die beschädigten Scheiben zeugen, fällt über das Restaurant kein böses Wort.

Vogel ist ein Asien-Spezialist und er erzählt gern, wie er einen echten Pekingenten-Ofen mit 80 Zentimetern Durchmesser bestellte und dann einen Ofen mit 80-Zentimeter-Deckel bekam. Das Monster steht nun mitten in der offenen Küche und ist die Ursache dafür, dass hier die beste Pekingente der Stadt serviert wird, und das, gefühlt, für mindestens die Hälfte aller Gäste: die „X-berg Duck“. Sie kommt in vier Gängen: Eröffnet wird mit einer Enten-Dashi-Brühe mit Dumpling, köstlich, dann säbelt der Service am Tisch penibel die knusprig glänzende Haut ab, wie es eher in Thailand üblich ist; der Gast wickelt sie selbst mit Hoisinsauce, Gurken und Lauch in kleine Pfannkuchen ein. Dritter Gang ist die rosa gebratene, saftig-zarte Brust mit Pfeffersauce und Pak Choi, dann kommt zum Schluss das gezupfte Keulenfleisch mit gebratenem Reis und Eigelb. Und vollendet ein Glanzstück.

Sehr gut schmeckt auch der kross ausgebratene Schweineschwanz mit gepickeltem Pak Choi und schön weichem Schweinebauch „Dong Po Rou“. Das allerdings ist nur das halbe Küchenprogramm, denn die recht große Karte bietet auch allerhand globale Brückenschläge vom gartechnisch perfekt gedämpften und dann nachgebratenen Heilbuttfilet mit Paprika und Wasserspinat über das Sot-l’y-laisse vom Perlhuhn mit Garnelentatar und Grünspargel bis zu den Parmesan-Ravioli mit Eigelb in Sud von grünem Salat – alles angerichtet ohne Pinzettenpenibilität, aber immer mit einer schon fast altmodischen Extradosis köstlicher Sauce, herzhaft gewürzt in durchaus stattlichen Portionen. Diese global angelegte, scheuklappenfreie Spaßküche setzt sich auch bei den feinen Desserts fort. Dulce de Leche mit Nougat und Yuzu und eine fluffige Variation von weißer Schokolade mit zwei Sorbets und Mohn sind handwerklich top und geschmacklich gut ausgewogen.

Die von Maître Johannes Linster gepflegte große Weinkarte folgt dem Stil der Küche durch undogmatische Modernität bei Riesling, Veltliner, Pinot Noir und anderen Trendlieblingen. Das anheimelnde Restaurant ist Teil der Hotelhalle, in der meist Livemusik läuft: Flüsteratmosphäre ist also das einzige, was man hier nicht erwarten sollte.

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OSTERIA CENTRALE

10623 · Charlottenburg · Bleibtreustr. 51

(0 30) 31 01 32 63 osteriacentrale@yahoo.de

Gastgeber: Mila Gomez

Küchenchef: Roberto de Santis

Mittags; Sonn- und Feiertag

Menü 45/75 € · à la carte 34/75 €

res.keine Kreditkarten

Immer wieder schafft es Roberto de Santis, mit seiner geradezu wissenschaftlich präzisen, aufs Äußerste reduzierten Küche den Gast mitten in den Magen zu treffen und größtes Wohlgefühl auszulösen. Zu diesem Paradoxon gehört neben Kennerschaft der italienisch-mediterranen Küche, handwerklichem Können und besten Produkten vermutlich auch ein gewisses Etwas, das er selbst weder erklären kann noch will, denn der zurückhaltende Könner lässt sich draußen im Restaurant gerne von der trocken-sympathischen Mila Gomez und weiteren Familienmitgliedern repräsentieren.

Vordergründige Kreativität fehlt völlig, wenn er eine Zucchiniblüte mit aromatischem Ricotta füllt, sie in japanisch perfektem Tempurateig ausbäckt und mit ein paar Fäden Honig vollendet – aber am hohen Genuss fehlt gar nichts. Schmelzende Kalbszunge balanciert er mit einem herben grünen, wohl auf Rucola basierendem Pesto und etwas Olivenöl, sein zarter Pulpo mit subtil gewürztem Fenchelsalat ist ebenso ein Klassiker wie kalte Caponata und warme Parmigiana im Duett; die saftige Wachtelbrust mit Pfifferlingen kommt als Triumph des Weniger-ist-mehr. Dann sind da grandiose Nudeln, beim letzten Mal z.B. klassische Linguine mit Venusmuscheln, die durch die hohe Qualität der Muscheln ebenso überzeugen wie durch die makellose Zubereitung mit der richtigen Dosierung von Petersilie und Chilischärfe.

Mancher Stammgast, der die Küche einfach machen lässt, erreicht deshalb, gut gesättigt, nie die Hauptgänge, die keine Steigerung mehr bringen, aber doch weit über dem deutschen Ristorante-Niveau liegen wie der ausgelöste Kalbsschwanz in der Jus mit feinem Kartoffelpüree und genau abgepasstem Gemüse. Und zum Dessert vielleicht eine sizilianische Cassata oder eine schulmäßige Zabaione auf Beerenfrüchten? Mila Gomez reicht dazu kenntnisreich Weine aus einem profund gefüllten Keller, der die großen Klassiker Italiens ebenso umfasst wie bezahlbare Neuentdeckungen aus weniger populären Regionen. Einer der größten Anhänger dieser schlichten Osteria ist übrigens Tim Raue, der selbst völlig anders kocht – ein echter Ritterschlag.

PALSTA

12049 · Neukölln · Oderstr. 52

(01 76) 22 33 06 05 hello@palstawinebar.de

www.palstawinebar.de

Gastgeber: Viivi Haussila-Seppo

Küchenchef: Filip Sondergaard

Mittags; Sonntag, Montag

à la carte 23/34 €

res.

Schillerndes Beispiel der neuen Berliner Sachlichkeit, die zwischen Begriffen wie Gastropub, Bistronomy und Naturweinbar als lässig inszeniertes Understatement oszilliert. Barra, St. Bart, Wagner Cocktailbistro, Freundschaft und auch die inzwischen verblichenen Industry Standards Cordobar und Wild Things prägten einen Stil, der unprätentiösen, oft rein englischen Service, mit anspruchsvoller Küche und hochindividueller Weinauswahl mischt. Man trinkt Unbekanntes, nicht selten Extremes und teilt überraschend ausgefeilte Gerichte, die zumindest Assoziationen zur Nordic Cuisine zulassen – beim Palsta sogar aufdrängen. Für dieses Programm sind hier die aufmerksame Gastgeberin Viivi Haussila-Seppo, die ausschließlich „naturbelassene“, hier „low intervention“ genannte Weine ausschenkt, und Küchenchef Filip Sondergaard verantwortlich.

Der frühere Souschef in Victoria Eliasdóttirs Restaurant Dóttir schickt kleine Teller in loser Reihenfolge zum tischweisen Teilen wie (etwas zu stark) panierte Sardellen mit Joghurt und Gurken oder Charcuterie der feineren Art. Das Garnelentatar ist nicht nur eine Augenweide, es zeigt mit Buttermilch und Kohlrabi auch fundierte Kompetenz beim Abschmecken. Ebenso das Buchweizenrisotto mit Blauschimmelkäse und Rote Bete sowie der Wolfsbarsch, der in einem Wirsingblatt punktgenau gegart wurde. Das alles wird zu geerdeten Preisen zwischen 7 und 16 € angeboten und auf der Terrasse noch mit dem unverbauten Blick auf eine andere Spielwiese Berlins geboten, den ehemaligen Flughafen Tempelhof.

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PANAMA

10785 · Tiergarten · Potsdamer Str. 91 (Hof)

(0 30) 9 83 20 84 35 hello@oh-panama.com

www.oh-panama.com

Gastgeber: Joshua Lange

Küchenchef: Sophia Rudolph

Sonntag, Montag

à la carte 30/43 €

Die internationale Design- und Architektenszene hat die Potsdamer Straße in ihr Herz geschlossen, Szeneliebling ist das im Hinterhof versteckte Panama des Impresarios Ludwig Cramer-Klett, der die zwei Etagen der Remise mit viel moderner Kunst und skandinavischen Designmöbeln füllte und damit offensichtlich den Stilnerv traf. In der halb offenen Küche steht Sophia Rudolph, die als Souschefin von Marco Müller im Rutz zeigte, dass sie feinziselierte Produktküche auf höchstem Niveau beherrscht. Hier bietet sie ausschließlich „Gerichte zum Teilen“, alles in Schüsseln angerichtet, was Verkünstelungen praktisch ausschließt. Der Patron wünscht Lockerheit, Nachhaltigkeit und die Gleichberechtigung von Gemüse zu Fisch und Fleisch. Auch in diesem Korsett wird ihr Können sichtbar: Sie mag ausdrucksstarke, intensiv mit Säure und Schärfe spielende Gerichte, beweist aber ein feines Händchen, wenn es ums Abschmecken geht.

Und sie liebt es, Standards wie zur Überraschung zu machen. Das Rindertatar bekommt Umami und Textur durch eingelegte Shii-Take-Pilze und säuerlich-fruchtige Akzente von Johannisbeer-Granité. Ceviche (von der Eismeerforelle) interpretiert sie mit einer angenehm scharfen Kokosmilchreduktion. Und Schweinebäckchen schickt sie butterzart geschmort in feuriger Würzung, die kraftvoll ausbalanciert ist mit gegrillter Ananas und Thai-Basilikum, und mit fein geschnittenen Salatschnitzen, die knackige Textur und Kühlung bieten. Ananas als Gegenpol zur Schärfe setzt sie auch bei einer gelierten klaren Gazpacho ein, in der Maiscreme noch das Jalapeño-Feuer lindert – eine Suppe zum Teilen dürfte kaum an jedem Tisch bestellt werden. Lohnen würde das exzellent frittierte Fried Chicken mit Spitzkohl und à part serviertem Chili-Ahorn-Sirup.

Die Desserts sind etwas blass, die Weinauswahl hingegen strahlt mit vielen namhaften Winzern und Jahrgangstiefe (und gibt Einblick in die Naturweinszene). Bei schönem Wetter lockt die Terrasse.

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PAULY-SAAL

10117 · Mitte · Auguststr. 11–13

(0 30) 33 00 60 70 office@paulysaal.com

www.paulysaal.com

Gastgeber: Shahab Jalali

Küchenchef: Dirk Gieselmann

Montag- bis Donnerstagmittag; Sonn- und Feiertag

Menü 115/115 €

res.

Arne Ankers Abschied und Dirk Gieselmanns Antritt im Frühjahr 2019 war für das Berliner Trendbarometer eine Rolle rückwärts. Denn Anker zeigte als hyperaktiver Schüler Sergio Hermans moderne Tellerkunst aus unterschiedlichen Texturen und verzwickten Aromenkonstellationen. Gieselmann hingegen ist nicht erst seit seiner Zeit als Küchenchef der legendären Auberge de l’Ill der modernen französischen Hochküche verpflichtet. Bahnt sich hier in den kirchenhohen Räumen der ehemaligen jüdischen Mädchenschule und jetzigen Zeitgeistkathedrale vielleicht ein kulinarischer Backlash an, die Restauration des klassischen Fine Dinings?

Die Antwort ist einfach. In den Pauly-Saal lotsten Boris Raczun und Stephan Landwehr, die auch Macher des Grill Royal sind, den international bewanderten Gieselmann aus zwei Gründen: In Berlin gibt es aktuell keine französische Küche auf höchstem Niveau und – vermutlich der entscheidende Grund – die beiden lieben Burgunderweine bester Lagen, was passt also besser dazu, als die klare, unverkünstelte Stilistik eines bewährten Edeltechnikers. Somit scheint die exklusive und zweifellos reizvoll bestückte Weinkarte, die sich gar nicht erst bemüht, alltäglichen Genuss zu präsentieren, endlich ein stimmiges Küchenpendant gefunden zu haben.

Der Hummersalat Riviera ist ein feinsinnig arrangiertes Œuvre aus ausgezeichnetem Grundprodukt mit leichter Hummermayonnaise, Wachtelei, Artischocke, Taggiasca-Oliven, Sardellen und Basilikumöl. Die Gänseleberterrine kann man kaum besser machen, weshalb Gieselmann nur Aprikosen gegrillt und als Chutney sowie ein sehr stimmiges Gelee aus Hühnerbrühe mit Sternanis dazustellt und gänzlich auf kunstvolles Anrichten verzichtet. Mehr Sein als Schein – diese Rückbesinnung allein auf den Geschmack ist wohltuend.

Absolute Klarheit und bestmögliche Produktqualität bieten auch der gebratene Seeteufel im Bouillabaisse-Sud mit Petersilienöl, Fenchel und Sauce Rouille sowie das Kalbsbries, wobei sich der Chef einen Spaß erlaubt, indem er das Bries ungewöhnlich zart gart, aber darauf eine Kartoffelkruste setzt, die wie bei einem Schweinsbraten in rösche Würfel aufgeht. Dazu Erbsen „à la française“ mit geräuchertem Speck, Pfifferlingen und Kalbsjus mit Sherry-Essig, fertig – und großartig. Bei der tadellosen Steinpilzconsommé mit gut gemachten Brennessel-Ravioli und Ziegenkäse-Gnocchi allerdings irritiert der vergoldete Steinpilz – ist das Ironie?

Gieselmann besitzt ein feines Händchen, seine exquisiten Produkte aromatisch so zu begleiten, dass keine Konkurrenzsituationen entstehen. Der auf der Haut vorbildlich gebratene Wolfsbarsch kommt mit getrockneten Tomaten, Urkornrisotto und Gremolata-Hippe, den Clou liefern die Artischocken „à la barigoule“, die mit nichts als sich selbst aromatisiert sind und dem Fisch die große Bühne überlassen. Mehr Kraft haben die mit Zucchini und Pilzen gefüllte und selbstredend enthäutete Grilltomate sowie die mild gesalzenen Panisses, die das gebratene Weidelammkarree und dessen Jus begleiten. Das Karree besitzt einen markanten, sehr wohlschmeckenden Fettrand, das Fleisch ist ebenmäßig gegart, aber nicht wie so oft bei der modischen sous vide-Garung sämig-fad, sondern zart-saftig, mit Charakter und gleichzeitig eleganter Textur. Ein Meisterstück der Fleischbehandlung.

Feine Technik lässt Klassisches neu auferstehen. Wer vergessen hat, wie gut eine traditionelle Crème brûlée schmecken kann, sollte die hier aus Pistazien und weißer Schokolade probieren, die mit marinierten Sauerkirschen, Beeren, Kirschsorbet und Schokoladenhippe lange in Erinnerung bleiben wird. Schön auch die Vorlage, das Menü mit einem Champagner – die Auswahl ist hier groß – zu beenden: Mandelbavaroise mit Rhabarber und marinierten Erdbeeren, dazu Sorbet vom Rosé-Champagner mit Holunder ist ein würdiger Abschluss.

Gieselmann ist einer der ersten etablierten Köche, die den Gang nach Berlin wagen. Er bringt Souveränität und einen in Berlin einzigartigen Stil mit, er muss sich nicht mehr erklären und ins Rampenlicht kochen. Der Kontrast seiner Küche zu dem mit modernem Zeitgeist aufgeladenen Pauly-Saal könnte nicht größer sein. Aber diese Mischung funktioniert.

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POTS – DIETER MÜLLER

10785 · Tiergarten · Potsdamer Platz 3

(0 30) 3 37 77 54 02 pots.berlin@ritzcarlton.com

www.potsrestaurant.com

Gastgeber: Mathias Brandweiner

Küchenchef: Frederik Grieb

Samstagmittag, Sonn- und Feiertag, Montagabend Menü 59 € · à la carte 31/45 €


Es tat sicher vielen Hotelmitarbeitern und Gästen weh, als die einst mit riesigem Aufwand aus Burgund ins stark französelnde Ritz-Carlton herbeigekarrte Brasserie Desbrosses nun demontiert wurde und im Depot verschwand. Das neue Pots ist lichter und moderner, durchaus etwas weniger eigenständig – aber eine Brasserie geblieben.

Das zu betonen ist deshalb wichtig, weil überraschend Altmeister Dieter Müller für den Neuanfang gewonnen wurde, und der hat ja in Schloss Lerbach mal für 19 Punkte gekocht. Doch er ist über 70, hat auch mit dem Kreuzfahrtgeschäft abgeschlossen und überlässt die Tagesarbeit natürlich seinem Schüler Frederik Grieb, der in der großen offenen Küche seinen vermutlich sehr ausgeprägten Ehrgeiz darauf konzentriert, handwerklich saubere, gut restaurierte und bezahlbare deutsche Gerichte auf den Teller zu bringen – wer mag, kann sich sogar mit Flammkuchen und einem Glas Wein bescheiden.

Der Stil ist puristisch und modische Elemente spielen nur eine geringe Rolle wie bei der geflämmten Lachsforelle, die in quietschgrünem Dill-Gurken-Fond an den Tisch schwimmt, federleicht begleitet von Kohlrabi und Lachskaviar. Das klassische Senfei kommt in einer knusprigen Pankokruste, umgeben von schaumiger, lilafarbener Senfsauce auf Kartoffelpüree – obenauf leuchtet dramatisch ein farblich passendes Stiefmütterchen. Zu brav fällt dagegen das badische Schäufele mit mustergültigem Kartoffelsalat und sanftem Meerrettich aus, während die Bisque aus schön saftigen Berliner Krebsen ins klassische französische Fach gehört. Das Milchlammkarree mit Erbsen und frischen Morcheln trifft die Saison nicht weniger genau als der Kabeljau mit Creme aus Frankfurter Kräutern und Räucheraal-Gemüse-Kompott, und danach ist es kein Wunder, dass die Küche auch bei Dampfnudel mit Vanillesauce und Rahmeis, Milchreis mit Zwetschgenröster und Karamelleis und einer Schwarzwälder-Kirsch-Rolle mit Tonkabohnen nichts schiefgehen lässt.

Restaurantleiter Mathias Brandweiner beherrscht seinen Job und agiert als echter Gastgeber, auch wenn er manchmal ein wenig forciert kumpelhaft auftritt. Seine rein deutsche Weinkarte trifft den legeren Ton mit guten Namen und vernünftigen Preisen.

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PRISM

10627 · Charlottenburg · Fritschestr. 48

(0 30) 54 71 08 61 reservierung@prismberlin.de

www.prismberlin.de

Gastgeber: Jacqueline Lorenz

Küchenchef: Gal Ben Moshe

Mittags; Dienstag, Mittwoch

Menü 95/125 €

res.

Als Gal Ben Moshe vor sechs Jahren sein erstes Restaurant in Berlin eröffnete, das Glass, war er noch der Molekularküche verhaftet, die er auf seinen vielen Stationen in internationalen Topküchen kennengelernt hat. In seinem im Herbst 2018 eröffneten zweiten Restaurant, dem Prism, fand er einen neuen Stil. Der Israeli hebt die Geschmäcker seiner Heimat auf Fine Dining-Niveau, liegt damit im kulinarisch schwer angesagten Levante-Trend und ist vergleichbaren Lokalen mindestens einen Schritt voraus. Denn niemand stellt diese Küche so modern und ausgeklügelt dar wie er.

Etwa durch die in Öl eingelegte rohe Bernsteinmakrele, die auf einer gegrillten Gurkengazpacho mit forschen Raucharomen liegt und mit der pürierten Salzzitrone und Labneh, einem festeren Rahmjoghurt, eine wohlproportionierte Säurespitze plus Cremigkeit bekommt. Oder die über offenem Feuer gegrillte Jakobsmuschel, die von einem Rosensabayon und geräucherter Butter vollmundig begleitet wird und der ein selbst hergestelltes Garum (altrömische Fischsauce) einen entscheidenden Umamikick verleiht.

Wuchtige Aromen haben auch die gegrillten Calamaretti auf feinsämigen Tahini (Sesampaste) und gegrilltem Mashawiya-Salat (aus Tomaten, Paprika und Auberginen), wozu frittierter Palmkohl feinen Knusper beisteuert. Zur gegrillten Keule von der Bresse-Poularde mit (an Spinat erinnernden) Molokhia und gegrilltem Blumenkohl hat die Vanille-Tamarinden-Sauce eine schön ausbalancierte Säure – ein sehr harmonisches Gericht. Im Dessert bieten Eis vom Olivenöl mit Kamille-Gel, gerösteten Pistazien und Guavensorbet mit Grapefruitfilets ein kleinteiliges, aber spannungsreiches und zudem noch sehr frisches Ensemble.

Kurzum: Hier kann man was erleben. Und das gilt auch uneingeschränkt für das, was Gastgeberin und Sommelière Jacqueline Lorenz dazu an Getränken aussucht. Die Weinreise, hier darf man sie wirklich so nennen, führt vom Libanon über Israel nach Griechenland und kommt auch zu einem von christlichen Palästinensern gekelterten Messwein. Die mehr als 230 Weine sind dank dem Coravin-System auch glasweise zu haben.

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RICHARD

10997 · Kreuzberg · Köpenicker Str. 174

(0 30) 49 20 72 42 mail@restaurant-richard.de

www.restaurant-richard.de

Gastgeber: Bernadette Wullich, Hans Richard

Küchenchef: Francesco Contiero

Mittags; Sonn-und Feiertag, Montag

Menü 68/120 €

res.

Es klingt ein wenig nach Herkunftsklischee – aber Küchenchef Francesco Contiero hat die stilistische Richtung dieses immer etwas durch die Regionen geisternden Restaurants deutlich in Richtung italienisch-mediterran gedreht und kreative Ausflüge stark reduziert, ohne gleich ein Ristorante daraus zu machen. Das halten wir für eine plausible Idee, um sich von den vielen in regionaler Nabelschau begriffenen Konkurrenten gleichen Niveaus abzuheben.

So kommt das geflämmte Makrelenfilet, ein in der letzten Saison ziemlich malträtiertes Modeprodukt, hier in dezenter Paarung mit grünem Spargel, gegrillten Orangenfilets und Bottarga sehr klar und präzise zur Geltung. Sehr gut gefiel uns auch die in Berlin nur noch selten anzutreffende Meeräsche, ganz schlicht mit Fenchel, einem Hauch Anis und einer Tomaten-Sardellen-Tapenade. Die Perlhuhn-Tortellini mit jungen Artischocken in würziger Brühe distanzierten qualitativ jeden Berliner Italiener, während der gegrillte weiße Spargel mit Haselnussemulsion und schwarzem Knoblauch eher die Brücke zum Berliner Zeitgeist schlug, ausgewogen, gut gewürzt und proportioniert. Als gelungen stellte sich auch die wieder mit Artischocken angereicherte vegetarische Bouillabaisse heraus und das Reh mit Heidelbeeren funktionierte als klarer Hauptgang.

Bemerkenswert in fast allen Gerichten ist, dass Contiero und sein mitkochender Patron Hans Ri-chard auf leichte, geschmacklich aber substanzielle und großzügig dimensionierte Saucen setzen. Das Menü ist allerdings so knapp gestrickt, dass für Desserts kaum Raum bleibt: Käse oder Erdbeeren mit Bronte-Pistazieneis, das war’s beim letzten Mal – bei aller Qualität etwas wenig. Beim vegetarischen Angebot fragten wir uns, ob es da genügt, beispielsweise die Makrele im Auftaktgang einfach durch Provolone zu ersetzen …

Der Service macht seine Arbeit gut ohne allzu steife Attitüde und manchmal packt sogar der Patron mit an. Das ziemlich hoch kalkulierte Weinangebot dürfte wenig Wünsche offenlassen. Es bietet bei den Weißen mehr Deutsches und Österreichisch-Osteuropäisches, bei den Roten mehr Klassiker aus Frankreich. Aber auch modische Naturweine sind verfügbar. Der große Restaurantraum, der mal ein Offizierskasino war, verströmt einen ganz eigenen Charme bis hin zu den Bleiglasfenstern. Aber der vielseitige, auch als Künstler tätige Chef hat ihn dennoch modern inszeniert.

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RUTZ

10115 · Mitte · Chausseestr. 8

(0 30) 24 62 87 60 info@rutz-restaurant.de

www.rutz-restaurant.de

Gastgeber: Falco Mühlichen

Küchenchef: Marco Müller

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 158/198 €

res.

Seit zehn Jahren leitet Marco Müller jetzt schon die Küche. Er gehört zu Berlins erfahrensten und beständigsten Spitzenköchen. Aber man kann ihn auch zu den Jungen Wilden zählen. Denn was er kocht, sprüht immer vor Neugierde und Zeitgeist. Es ist nordisch geprägt, ohne in die minimalistische Strenge zu verfallen, die dieser Küche bisweilen anhaftet. Und es gerät nie plakativ. Das zeigt schon die rohe Quellwasserforelle zum Auftakt. Die kommt aus dem eigenen Teich und wird mit knuspriger Haut, kurz eingelegtem Kohlrabi und geeisten Molkekügelchen begleitet. Geschmackliche Tiefe bekommt dieser ganz leichte Menüstart aus feinen Schichten an salzigen Elementen, dem dünn gehobelten Steinbutt-Bottarga und dem Garum von der Makrele. Die altrömische Fischsauce erlebt gerade eine steile Renaissance, auch dank des Noma in Kopenhagen. Im Rutz ist sie dreieinhalb Jahre gereift und hebt das Aroma eher fein an statt es zu dominieren.

Reifezeit ist ein Leitmotiv in Müllers Natur- und Aromenküche – und entsprechend in den Kurzreferaten des Service. Der Starter des selbst gebackenen Sauerteigbrots ist sieben Jahre alt, die Äpfel im Rhabarber-Granité sind soeben mikrofein gewürfelt, die Kohlblätter ein Jahr eingelegt, ebenso die laktofermentierte Johannisbeere auf der Blutcreme, die die perfekt gegrillte Brust und confierte Keule der Taube begleitet. Sie war der klare Höhepunkt des Menüs. Schon wegen des Produkts. Man renommiert nicht mit dem Namen Miéral aus der Bresse, sondern bezieht von einem kleinen Lieferanten eine erstklassige Étouffé-Wildtaube. Ebenso geglückt als konzentrierter Teller ohne ein Zuviel ist der confierte Barsch aus der Peene, der mit Kapuzinerkresse, Mirabellencreme, gegrillten Erbsen und einem Dashi, das mit den Erbsenschalen aromatisiert ist, eine leicht erdig-süße Note bekommt.

Nicht ganz ideal fanden wir bei hochsommerlichen 30 °C als einzigen Gemüsegang gegrillten Spitzkohl und das Festhalten am Plan, im einzig angebotenen Menü nach der Taube aus der Holzkohlenhitze sous vide-gegartes Salzwiesenlamm mit Zwiebelgewächsen zu servieren – dass Müller „ein Querdenker mit eigener Handschrift“ ist, könnte er auch anders beweisen. Aber spannungsreich inszeniert und frei von Fehlern waren auch diese Teller.

Auch wenn das Rutz mit seinen 700 Weinen, über die Nancy Großmann wacht, einen Schatz im Keller birgt und man die Weinbegleitung auch mit gereiften Tropfen bestreiten kann, lohnt es sich, den ein oder anderen Gang alkoholfrei begleiten zu lassen. Der Rhabarber-Kombucha mit Eisenkrautinfusion war jedenfalls ein perfekter Kompagnon zum „Gartenbeet“, das Eis mit Granité von der Tagetes und Sonnenblumen-Crumble als knusprige Erdung bot und durch Koji-Kugeln einen letzten Rest Abenteuerlust befriedigte, denn den japanischen Edelschimmelpilz erwartet man ja nicht im Dessert.

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RUTZ-WEINBAR

10115 · Mitte · Chausseestr. 8

(0 30) 24 62 87 60 info@rutz-restaurant.de

www.rutz-restaurant.de

Gastgeber: Falco Mühlichen

Küchenchef: Marco Müller

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

à la carte 24/59 €

res.

Das Gourmetrestaurant oben und die Weinbar unten teilen sich Küche und Keller, und auch die Verwendung bester Produkte hängt nicht davon ab, auf welcher Höhe man isst. Gut so. Die Weinbar bietet ab 16 Uhr einfache Wurstspezialitäten, die jede für sich zu den besten ihrer Art zählt. Immer dabei auch das ausgezeichnete Jungbullentatar und die unverrückbaren Klassiker Landgurke mit Ziegenfeta und Kefirdressing sowie das Blutwurstbrot, serviert als Minilaib. Ab 18 Uhr kommt Bewegung in die Küche, die Speisekarte der Weinbar allerdings scheint in Stein gemeißelt: Die ausgezeichneten Rieslingkutteln möchte man ja nicht missen, auch nicht die gebratene Blutwurst mit butter-süffigem Kartoffelpüree. Der zwischen unzähligen leer getrunkenen Flaschen exklusiver Raritäten herausstechende Reifeschrank liefert auch schon seit einigen Jahren gut abgehangenes Rind aus Irland und vom US-amerikanischen Kultzüchter Dan Morgan, allerdings verzichtet man hier darauf, Filet zu servieren, eine aus aromatischer Sicht nachvollziehbare Haltung.

Haltung zeigt Küchenchef Marco Müller auch, indem er die Kontakte zu Produzenten seines Vertrauens über Jahre pflegt. So ist das Wollschwein immer auf der Karte zu finden, aktuell als superzartes Rippchen imprägniert mit Müllers BBQ-Sauce, die nichts mit dem ketchuprauchigen amerikanischen Pendant zu tun hat, sondern geschmackliche Tiefe in das üppig-fette Fleisch bringt, das sich schon beim scharfen Anschauen vom Knochen löst. Bei den Desserts profitiert man von der Nähe zur Gourmetküche, sodass selbst ein Schokosoufflé wieder eine Daseinsberechtigung erhält.

Selbstverständlich gehört die Weinkarte zu den profiliertesten Berlins – der Weinladen Schmidt zahlt nicht nur die Miete, sondern bestückt hier auch den Keller mit reicher und angenehm kalkulierter Auswahl aus aller Welt. Noch ein lobendes Wort zum Service: Dem steht mit Gastgeber Falco Mühlichen ein erfrischend-lockerer Taktgeber voran, der das ganze Team mit seinem Swing und der richtigen Mischung aus Kompetenz und Lässigkeit ansteckt.

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SAVU

im Hotel Louisa’s Place

10709 · Charlottenburg · Kurfürstendamm 160

(0 30) 88 47 57 88 restaurant@savu.berlin

www.savu.berlin

Gastgeber: Sauli Kemppainen

Küchenchef: Sauli Kemppainen

Mittags, Sonntag

Menü 68 € · à la carte 36 €

Blickt man durch die verglaste Front in die Küche, fragt man sich, was gerade schiefläuft – oder warum schaut Küchenchef Sauli Kemppainen so grimmig? Der Schein trügt, der Filigrantechniker, der schon in der Quadriga ausgefeilte Tellerwerke kreierte, liebt die ironische Pose, die Filmemacher Aki Kaurismäki ikonisch verewigte. So darf man auch nicht vor Schreck erstarren, wenn der Chef sein Reich verlässt und auch mal selbst die Teller abräumt – „hat’s geschmeckt?“ fragt er lakonisch. „Dann darf’s so weitergehen!“, sagt’s und verschwindet wieder in seinem Reich.

Der Mann hat Witz, auch wenn man das nicht gleich vermutet. Als Amuse-bouche serviert er schon mal einen Mini-Rentier-Burger oder verziert seine Elchklopse mit einem wenige Millimeter großen, essbaren Elch. Hier zeigt Kemppainen auch, wie mühelos und gänzlich ohne Schnickschnack er eine einfache Speise auf Gourmetniveau hieven kann: Die Klopse sind von himmlisch zarter Konsistenz, die Sauce dazu ist perfekt auf die Selleriecreme abgestimmt mit gelungenen Kontrasten aus „Preiselbeer-Ketchup“ und Moosbeeren.

In seinem Konzept treffen Elch, Rentier und Lakritz auf Produkte aus dem Berliner Umland, mischen sich nordische und mediterrane Stilelemente und werden aus Respekt vor der Natur Tier und Gemüse weitestgehend ganz verwertet. Beispielhaft die Boquerones aus regionaler Maräne – leider etwas zu süß eingelegt – mit Artischocke, Fenchel, kleinen Kartoffeln, Maränenrogen und feiner Hummerreduktion. Die für diesen spanischen Klassiker obligate Piquillo-Paprika kommt als eingelegte Streifen, ihre Abschnitte werden zu einem Gel-Kubus verarbeitet. Besser gefiel uns der Dreiklang aus Karotte, Wolfsbarsch und Pulpo: Jedes Element erfährt eine eigene Inszenierung, die Karotte als süß-säuerliche Creme, der Fisch kross auf der Haut gebraten, der Pulpo als köstliche Bolognese und dazu als Medley ein Ring aus gestockter Fischfarce, darin Karottencreme und darauf ein knuspriger Pulpoarm.

Neben dem Menü gibt es auch eine Karte von „Savu Klassikern“, auf der ein finnischer Carelian Caviar für knappe 100 € und das geräucherte Rentierpastrami mit Preiselbeeren und geräuchertem Birkenwassertonic unverrückbar erscheinen. Warum sich darauf ein Ragout von knusprigen, aber sehr zarten Schnecken mit Champignons hält, erklärte sich uns nicht, auch nicht, warum das an sich feine Ragout unter einer mächtigen, etwas zu säurebetonten Chorizo-Hollandaise begraben war. Zum (etwas übergarten) Filet und der Brust vom Rind mit Brokkoli-Basilikum-Creme, paniertem Idiazabal-Schafskäse und gepopptem Arroz-Bomba-Reischip faszinierte die Kumquat-Tar-Sauce, die fruchtige Bitterkeit mit dem rauchigen Aroma des finnischen Baumharzschnapses verband und eine erstaunliche Tiefe beisteuerte. Ebenso frappant das Dessert aus geräuchertem Ziegenkäse, Lakritzetupfen und Zitronenschale-Sponge, das ein nicht zu süßer Meringue-Stab bedeckt und intensiv-torfige Whisky-Toffee-Sauce umfließt – ein Beleg für das vielseitige Können des Küchenchefs.

Dessen Leichtigkeit prägt auch das Raumgefühl: offen, mit großer Glasfront zum Ku’damm, entbehrlichen popartigen Bilder vom Essen an den hellen Wänden. Die international ausgerichtete, auf Naturweine verzichtende Weinkarte bietet allerlei preisgünstige Alternativen neben gereiften Positionen der Oberklasse und guter Champagnerauswahl.

SEASIDE

10117 · Mitte · Mohrenstr. 17

(0 30) 20 91 73 54 welcome@seaside-fish.com

www.seaside-fish.com

Gastgeber: Konstantin Kovac

Küchenchef: Philipp Huste

à la carte 19,50 €

Im Trubel der belebten Friedrichstraße dominiert beiläufiges Fast Food, denn hier ist vor allem tagsüber viel Betrieb und wenig Muße. Aber da und dort wird auch etwas anspruchsvollerer Lunch gepflegt, wie ihn die Nachbarschaft großer Anwaltskanzleien und Lobbybüros nahelegt. In diesem Spannungsfeld konnte sich sogar das altmodische Genre des Fischrestaurants neu etablieren.

Das trendige Seaside liegt in einem modernen Glaskasten ohne Deko-Klimbim und bezirzt mittags mit guten und günstigen Lunchgerichten, Austern und anderen Meeresfrüchten sowie ausgezeichneten Fish’n’chips. Abends geht es etwas ruhiger zu, denn dann dominieren (die auch mittags verfügbaren) Fische bester Qualität, die der Gast aus der Vitrine aussucht und nach Gewicht bezahlt – die Zubereitung erfolgt dann routiniert und sorgfältig auf der Grillplatte. Auch Saucen und Beilagen lassen sich nach Wunsch kombinieren, das ist keine kulinarische Raketenwissenschaft, aber solide, unkomplizierte Kost mit guten Produkten wie dem tollen Gurkensalat mit Ingwer und Koriander.

Wer herzhaft bestellt, sollte allerdings bedenken, dass Fisch dieser Qualität in größeren Stücken längst ein Luxusartikel geworden ist, wie sich in Kilopreisen von 180 € für Doradenfilet oder ganze Seezungen zeigt. Gute Weinauswahl, aufmerksamer Service, Straßenterrasse.

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SHIORI

10119 · Mitte · Max-Beer-Str. 13

(0 30) 24 33 77 66 info@shioriberlin.com

www.shioriberlin.com

Gastgeber: Shiori Arai und Flora Choi

Küchenchef: Shiori Arai

Mittags; Sonntag, Feiertag

Menü 70 €

res.

Über einem Nagelstudio im Hochparterre ein minimalistisch eingerichtetes Wohnzimmer, dessen festes Mobiliar aus einem Ast – vermutlich die Garderobe – und einem Tresen besteht. Davor stehen 10 Stühle, dahinter Shiori Arai und jemand, der ihm hilft, den Gästen Speisen und Getränke (tunlichst Sake statt Wein) zu reichen. Das Menü ist für alle Gäste gleich, es kostet 77 €, besteht aus mindestens 8 Gängen, was täglich neu nach Marktlage und Inspiration des Hausherrn entschieden wird. Es startet Punkt 19.30 Uhr und ist einer der seltenen Versuche von Japanern, ihre Küche in Berlin auf gehobenem Niveau zu präsentieren. Was vermutlich daran liegt, dass Japaner so was wie Skrupel haben, ihre Küche mit dem darzustellen, was der Berliner Markt an Produktfrische zu bieten hat.

Shioris Menü folgt dem traditionell japanischen Spannungsbogen, es beginnt mit etwas Gedämpftem wie Chawanmushi, einer Ei-Dashi-Speise, handwerklich gut gemacht mit Okra, Essiggelee und sehr frischem Seeigel, bei der dominante Säure gut den puren Joddruck der fünf senfgelben Seeigel-Eierstöcke harmonisiert. Sehr fein auch die Jakobsmuschel mit Aubergine, in Kochi fermentierter Lachs, getoppt von Kaviar, junger Zwiebel, Miso- und japanischer Senfsauce – ein delikater Happen aus sich gegenseitig bestärkenden Texturen und Aromen.

Geschirr und Ästhetik spielen in der japanischen Hochküche eine immens große Rolle, dass es hier für alle Gäste gleiche, allerdings auch gleich schöne Tellerchen und Schalen gibt, ist ungewöhnlich. Individuelles bleibt hinter dem Tresen, wir Gaijin würden es eh nicht schätzen, immerhin darf man sich seine Sake-Gläser selbst aussuchen.

Suppe darf nicht fehlen, hier ist es eine Brühe mit gezupftem weißem Spargel und einer Dim Sum ähnlichen, zerbrechlich-leichten Tasche aus mit Garnelen gefüllter Kabeljaufarce. Sehr fein in Geschmack und herausgearbeiteter Textur, gutes Handwerk, sinnvoll eingesetzt. Auf gekocht folgt roh, was im traditionellen Menü immer den gleichsam puristischsten als auch hochwertigsten Gang darstellt: Sashimi in zwei Gängen, zuerst mit Kombu marinierte, aus Japan importierte Gelbflossenmakrele, fischig-salzig aromatisiert mit Bottarga und gemildert durch Wasseringwer, Rettich und Ponzusauce. Nicht ganz diese Produktqualität erreicht der fettige Bauch des Blauflossenthunfischs aus Kroatien, dessen leicht faserige Struktur ein warmes Dahinschmelzen des Fettes verhindert. Das Wasabi dazu wird selbstverständlich frisch auf Haifischhaut gerieben, die Pflaumensojasauce ist stimmig.

Als vorgezogene Hauptspeise versteht der Europäer das gegrillte Sukiyaki aus argentinischem Rinderfilet und (etwas zu weit gegartem) Onsen-Ei, dazu Sanchopfeffer und kräftige Sauce mit reichlich geröstetem Trüffel: süffig und handfest, dazu passt junger Nama-Sake. Der optische Höhepunkt folgt auf einem Brett hübsch angerichteter Kleinigkeiten: in winzigen Schälchen gedämpfte, süß marinierte Auster, Entenbrust mit schwarzem Knoblauch und Edamame, Oktopus mit Spargel, rohe Garnele mit intensivem Aroma nach Shiso und Yuzu – das ist alles köstlich und voll spielerischer Vielfalt, aber nicht mehr so subtil herausgearbeitet wie einige vorangegangene Gänge.

Es folgt der Ausklang mit frittiertem Sesamtofu, grüner Bohnenpaste, eingelegten Pilze, Bonitosud und Garnele mit vollmundig schönen Konsistenzwechseln und einer Doradenbrühe mit Steinpilz, Kräutern, japanischer Zitrone und ultradünnen Nudeln, die für einen üblicherweise nur der finalen Sättigung dienenden Gang überraschend akzentuiert daherkommt. Zuletzt gibt es ein Dessert, das die niedrigen Erwartungen übertraf, aber eigentlich nicht erwähnt werden muss: ein Blätterteigteilchen gefüllt mit Matchacreme, Beeren und anderem, was den Reiz nicht erhöhen konnte.

Die japanische Küchenkultur mag für uns noch Lichtjahre entfernt sein, hier schlägt einer Brücken, ohne sich zu verleugnen und Unmögliches zu wollen.

16

SKYKITCHEN

im Vienna House Andel’s

10369 · Lichtenberg · Landsberger Allee 106

(0 30) 45 30 53 26 20 restaurant@skykitchen.berlin

www.skykitchen.berlin

Gastgeber: Barbara Merll

Küchenchef: Alexander Koppe

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 84/124 €

res.

Für Gute-Aussicht-Gourmets bietet Berlin drei entscheidende Orte: das Hugos (14. Stock), das Golvet (8. Stock) und das Skykitchen (12. Stock) im Ostteil der Stadt mit Cinemascope-Blick Richtung Alexanderplatz. Für das im smarten, farbenfrohen Mid-Century-Style eingerichtete Restaurant im ansonsten ästhetisch eher nicht so ehrgeizigen Andel’s Hotel kocht der gebürtige Berliner Alexander Koppe mit großer Zuverlässigkeit und gelegentlichem Hang zur Kleinteiligkeit. So wird die mit intensivem Kalbslack glasierte feine Scheibe Aal auf einem Gurkenspiegel umringt von einem Himmelsgestirn aus Tupfen einer Gillardeau-Austerncreme und kleinen Röllchen abgeflämmten Lauchs. Harmonie, Proportion und Produkte sind stimmig, aber vor lauter Satelliten fehlt ein bisschen der Fokus.

Konzentrierter dann der forsch abgeflämmte Kaisergranat mit Fenchelstreifen, Zitronenfilet, zwei Tupfen grüner Tomate-Emulsion und einem Krustentierschaum. Oder die Brust von der Imperialtaube, sous vide gegart und gebraten, mit Trüffel, Fingermöhren und einer extralang reduzierten Jus. Das geschmorte Schulterstück vom Ibérico-Schwein steigert dann die Intensität durch Kontraste: Mittels abgeflämmter Polenta, rauchigem BBQ-Gel und ein paar Tupfen Cola-Gel spielt es gar mit der Rustikalität eines Grillabends.

Die vegetarischen Teller sind ähnlich detailreich. Etwa das bei 65 °C gegarte Onsen-Ei, das mit Eiweißkügelchen quasi komplettiert und von Blumenkohl begleitet wird: als Couscous feinst gehobelt sowie sauer eingelegt. Liebstöckelsud und Meerrettichflöckchen geben dem feinen Arrangement eine solide Bodenständigkeit. Über das Acquerello-Risotto gibt es Sommertrüffel satt und einen Parmesanschaum obendrauf und ein paar Wildkräuter untendrunter, das mag nicht der innovativste Gang sein, den die moderne Gemüseküche kennt, aber handwerklich makellos war er allemal.

Zu den Attraktionen des Skykitchen zählt die Weinauswahl, die Jakub Koscielniak verantwortet. Der junge Pole hat sich auf osteuropäische Weine spezialisiert: eigenständige, bisweilen eigensinnige Gewächse aus Ungarn, Slowenien, Tschechien oder Bulgarien, einige aus autochthonen Reben, manche unfiltriert und ungeschwefelt. Alle fair kalkuliert. Man hat also auch die Aussicht auf eine Weinbegleitung, die den Horizont erweitern kann. Ein paar deutsche und österreichische Weine hat er auch.

15

SLATE

10115 · Mitte · Elisabethkirchstr. 2

(0 30) 22 32 75 18 info@slateberlin.com

www.slateberlin.com

Gastgeber: Steffen Kellner

Küchenchef: Lukas Bachl

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 69/109 € · à la carte 41/71 €

Während vielerorts klassische Fine Dining-Konzepte die Rolle rückwärts machen und sich mit hemdsärmeligem Service, schrägen Weinen und Gerichten zum Teilen in legere „Bistronomy“-Welten downgraden, übt das Slate, das eigentlich mit seinen Weinbarwurzeln aus dieser Ecke stammt, den Salto vorwärts: weniger Tische, elegant illuminiertes Ambiente, akkurater Service am Tisch, sehr große und gut sortierte Champagnerauswahl und breit aufgestellte internationale Weinkarte. Ob der Sprung nach vorne zu einem Salto mortale wird, entscheidet sich aber mit der Küche. Für die tat sich mit dem Hype um regio-puristische Konzepte in Berlin eine Nische auf für gepflegt-gehobene Edelproduktküche auf französischem Fundament mit zeitgemäßem Dreh. Und den scheint Lukas Bachl zu meistern.

Die Soljanka bleibt unverrückbar das Aushängeschild seiner Küche, auch sie wurde weiter verfeinert: Eigentlich besteht sie aus einem klassischen Rindertatar, bei dem eine geklärte Brühe von Roter Bete angegossen wird. Obenauf liegen noch Dill, Kräuter und Sphären von Rahm und Gurke, die das Soljanka-Zitat komplettieren. Was neu ist, ist die prägnante Schärfe, die Bachl auch in anderen Gerichten gekonnt einsetzt. Beispielsweise beim Lachs von den Färöer-Inseln: perfekt gegart und tatsächlich heiß serviert – mittlerweile eine Seltenheit. Dazu ein stimmiges Topping aus Avocadocreme, Karamell-Crumble, Koriander als Samen und als „Microgreen“ und einer nach und nach mehr in den Vordergrund drängenden Schärfe – stimmig, unterhaltsam und gerade wegen der Kontraste animierend.

Neben der Schärfe wird während des Menüs ein weiteres Element der neuen Bachl-Handschrift immer deutlicher: Die Hinwendung zu asiatischen, hier im Speziellen zu indischen Aromen. Was sich etwas zu dominant beim auf der Haut gebratenen Wolfsbarsch zeigt: Die eigentlich sehr gute Sake-Beurre blanc wird durch Garam-Masala-Aromen etwas überdreht, Erbsenhälften und grüner Spargel mildern, der Kniff, dazu Duftreis als süffigen Schaum zu servieren, fängt alles dann doch noch harmonisch ein. Bei diesem kraftvollen Gang wurde besonders bewusst, dass die Weinbegleitung sehr gut auf die Gerichte abgestimmt ist. Hier passte der hochmineralische Vernaccia di San Gimignano. Auch einen jungen Barolo zu Kurzgebratenem und sehr zartem Kalbstafelspitz zu servieren, funktionierte danach deshalb so gut, weil eine kräftige, unverhohlen scharfe und mit Bockshornklee parfümierte Jus gleichsam Vollgas gab und Sternfrucht und Paprika stückchenweise Frische beisteuerten. Abgerundet mit fettgebender Cashewkerncreme und einem Mantel aus Amarant-Crunch ergibt das Pairing ein sehr unterhaltsames Duett.

Die Rückbesinnung auf französische Wurzeln wird am deutlichsten bei einem Taubengang, bei dem die Brust klassisch in der Pfanne gebraten wurde. Der kräftigen Liebstöckel-Thymianjus gibt die Ing-wer-Chutney-beseelte Möhre asiatisch kontra. Wie ein Ausrufezeichen wird à part ein Ragout der Taube serviert, das sich unter extrem gebuttertem Kartoffelpüree versteckt – eine Erinnerung an Joël Robuchon und die gemeinsamen Adlon-Zeiten des Teams.

Bei den Desserts blickt Bachl wieder mehr nach Indien, hübscht einen Bananenkuchen mit einem Bananen-Sour-Schaum, Litschis, Kokoschips und mildem Koriandereis auf und verzichtet auch nicht auf Pikanterie, indem er die ansprechende Kreation mit eingelegten grünen Pfefferkörnern akzentuiert. Der Salto in anspruchsvollere Gefilde funktioniert für das Slate also. Mehr noch, Küche und Service scheinen sich gefunden zu haben, liegen doch die Wurzeln des Teams um Patron Nicolas Schmidt alle in der klassischen Hochgastronomie. Warum sich also nach unten verbiegen?

15

SRA BUA

im Hotel Adlon

10117 · Mitte · Behrenstr. 72

(0 30) 22 61 19 59 srabua.berlin@kempinski.com

www.srabua.de

Küchenchef: Kai Weigand

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 49/74 € · à la carte 23/44 €

res.

Man durfte gespannt sein, wie das vom Hotel Adlon betriebene Restaurant, in dem Tim Raue sechs Jahre lang als kulinarischer und strategischer Konzeptgeber wirkte, ohne Berlins besten Koch weitermachen würde. Raue ist seit Anfang 2019 raus, ein neuer großer Name als Berater folgte nicht. Kai Weigand, langjähriger Raue-Mitarbeiter, steht nach wie vor am Herd, setzt das Casual Dining fort und nimmt sich ein paar Freiheiten.

Das zuvor prägende Asien blitzt im Signature Menu nur noch dann und wann auf. Etwa beim perfekt frittierten Ei mit Wasserspinat (cremig wie früher plus ein paar frittierte Blätter als Crunch), gebratenen Judasohren, die in dunkler Farbe und glibberiger Textur an die chinesischen Mu Err-Pilze erinnern, einem Klecks Fischsaucen-Gel und etwas Sojasauce. Sonst dominiert eine weltläufige, kontrastreiche Küche mit mancher Inspiration wie dem in eine Rinderzunge gewickelten Tatar mit Knoblauch und Basilikumcreme, ein bisschen Haselnuss für den Crunch und eingelegte rote Zwiebel für die Säure. Oder der roten Garnele im Krustentierfond mit Rosenblütenaroma, Krustentiermayo und Cola-Gel, in dem der großzügige Schuss Cognac an klassische Cocktailsauce erinnert – gleichwohl ein feiner Teller.

An den rohen, abgeflämmten Jakobsmuscheln mit Karottenpüree und Kumquat oder beim Kabeljau mit Sauce vom grünen Curry sowie Edamame, Pak Choi und Zitronengrascreme ist die Raue-Schule unverkennbar. Ein starkes Finale bietet das Rosmarineis mit Brombeere (frisch, als Gel und Baiser), etwas weißer Luftschokolade und weißer Schokomousse.

Die Weinkarte kredenzt viele große Namen aus Italien und Frankreich, die auch mal in höhere Preisregionen schielen. Aus der Bar kommt Originelles für die alkoholfreie Begleitung.


STANDARD SERIOUS PIZZA

10119 · Prenzlauer Berg · Templiner Str. 7

(0 30) 48 62 56 14 hello@standard-berlin.de

www.standard-berlin.de

Gastgeber: Florian Schramm

Mittags außer Samstag und Sonntag; Montag

Wenige sattsam bekannte Gerichte erlebten in den letzten Jahren eine derartige Qualitätsoffensive wie die Pizza. Berlins unumstrittene Hochburg der handwerklichen Qualitätspizza nimmt das neapolitanische Erbe besonders ernst. Schon bei den Zutaten. Das Weichweizenmehl stammt aus Kampanien, die Fior di latte (hier oft statt Mozzarella verwendet) von der Amalfiküste und in die Sauce kommt nur die berühmte San Marzano-Tomate vom Fuße des Vesuvs. Ebenso sorgfältig ist man bei der Teigführung. Mindestens 24 Stunden reift der bei Raumtemperatur, das braucht Fingerspitzengefühl und Erfahrung und macht den Teig so aromatisch und elastisch, dass er nach rund 90 Sekunden im infernalisch heißen Kuppelofen schön luftig und fluffig aufgeht – denn die neapolitanische Pizza ist eines nicht: knusprig.

Mit den Belägen, auch das ist typisch Mezzogiorno, hält man sich hier zurück. Es gibt ein paar Tomatensorten zur Auswahl, Varianten beim Käse (Provola, Mozzarella, Pecorino, Ricotta, gereifter Parmensan), ein bisschen Gemüse und ein bisschen Schinken. Denn hier geht es ja um kultivierten Purismus. Und der gefällt: Wer am Wochenende kommen will, sollte ein paar Tage vorher reservieren. Es ist immer voll, oft steht sogar eine Schlange vor der Tür.

Alles andere als Standard ist die Weinauswahl mit Schwerpunkt in Österreich, der Heimat von Inhaber Florian Schramm, der aus Graz stammt und mal Künstler war, bevor er sich den Mysterien der langen Teigführung verschrieb. Besonders prominent vertreten sind die Weine vom Neusiedler See mit Starwinzern wie Gut Oggau oder Christian Tschida.


STICKS’N’SUSHI

10785 · Tiergarten · Potsdamer Str. 85

(0 30) 26 10 36 56 berlin@sticksnsushi.com

www.sticksnsushi.berlin

Menü 25/115 € · à la carte 15/62 €

res.

Das hier ist keine Kapelle für stumme Sushi-Philosophen, sondern ein lebhaftes Großstadtrestaurant mit Sushi und Sashimi in allen bunten Variationen, die die Welt kennt, dazu asiatisch oder auch mal europäisch gewürzte, kräftig gegrillte Spieße, plus ein paar Klassiker der Asia-Moderne und stilistisch passende Salate und Gemüsezubereitungen. Alles wird in einer aufwendig gedruckten Hochglanzkarte gezeigt und genau so sieht es dann auch aus.

Auch nach dem Abgang des ehrgeizigen, hier wohl unterforderten Küchenchefs Song Lee zeigen Klassiker wie die Entenrolle in Reispapier und diverse Inside-Out-Rollen in üppigen Kombinationen weiterhin gutes Handwerk. Dass Puristen sich abwenden, wenn jemand Frischkäse ins Sushi einwickelt, liegt in der Natur der Sache; man kann aber einzeln bestellen und den eigenen Vorlieben folgen.

Das Weinangebot ist gemessen am Genre sehr gut. Der freundliche Service verliert im abendlichen Gewühl manchmal den Überblick; mittags ist es ruhiger, ein spezielles Lunchangebot gibt’s aber nicht.

15

THE NONAME

10117 · Mitte · Oranienburger Str. 32

(0 30) 28 87 77 88 info@the-noname.de

www.the-noname.de

Gastgeber: Alessandro Toscani

Küchenchef: David Kikillus

Mittags; Sonntag, Montag

Menü 85/129 €

res.


Es gibt hervorragende Köche, die für einen jährlich erscheinenden Restaurantguide schwer fassbar sind, weil sie meist nur wenige Monate bleiben. David Kikillus ist einer von ihnen – die Liste seiner Arbeitsstätten liest sich, als werde er von einem Zeitarbeitsunternehmen weltweit verliehen. Seinen letzten Arbeitsplatz in Dortmund verließ er unter seltsamen Umständen, im Frühjahr 2019 begann er dieses Projekt, dem zum Jahresende ein weiteres folgen soll. Hier bietet er ein handwerklich feingeschliffenes, betont maritimes Menü, das sich in seiner globalen, ein wenig zu sehr auf winzige Basteleien fokussierten Machart deutlich vom aktuellen Berliner Stil abhebt, so was ist in der Stadt fast schon retro.

Der Dreier von Austerntatar, Austerncreme in Kohlrabi-Ravioli und sphärisch-weichem Austernbrot brachte die jodigen Aromen auf den Punkt; die geeisten Sanddornperlen im Sanddornsud konnten dem nichts Wesentliches hinzufügen. Ebenso bemerkenswert gelang der saftig glasig gegarte Carabinero mit Garnelentatar in einer Hülle aus fermentiertem Spargel mit krosser Hühnerhaut und einem Tick von Jalapeño-Schärfe im begleitenden Sud. Das Estragon-Kamillen-Sorbet mit Kräutern schmeckte faszinierend intensiv, fegte aber jeden Wein aus der Spur, bis sich dann bei der Taube die Wogen wieder glätteten. Das sehr aromatische Brustfleisch zeigte eine merkwürdig feste, aber nicht zähe Konsistenz, der gebackene Knödel von Innereien, innen hell, ließ allerdings jede Tiefe und Würze vermissen, und auch die Aubergine, selbstredend in mehreren Texturen, konnte kaum Akzente setzen.

Herausragend schließlich das erste Dessert, ein auch optisch hinreißendes rotes Törtchen von geeister Mandelmilchcreme mit Pistazieneis, Rhabarber und einem Cracker mit Mikroelementen à la mode. Weniger sinnstiftend kam uns die Idee vor, intensiven Fourme d’Ambert-Käse mit Birne und Haselnusssschnee aus der Stickstoffküche zu paaren, denn der Käse machte alles andere platt.

Sommelier Steve Hartzsch ist in Berlin ein guter Bekannter, der seinen Job versteht und eine große, modebewusste Weinkarte mit ziemlich erschreckenden Preisen aufgelegt hat. Das Restaurant, ein langer hoher Raum mit weißen Tüchern rundum und einer spektakulären Kunstinstallation mit einer gefesselten Schönen an der Wand, ist sicher anheimelnder, wenn es voll ist. Ob sich das mit dem Prinzip strenger Vorkasse bei der Reservierung erreichen lässt, scheint uns fraglich. Denn das verlangt einen Vertrauensvorschuss, der erst erarbeitet werden will.


19,5

TIM RAUE

10969 · Kreuzberg · Rudi-Dutschke-Str. 26

(0 30) 25 93 79 30 office@tim-raue.com

www.tim-raue.com

Gastgeber: Marie-Anne Raue und André Macionga

Küchenchef: Tim Raue und Christian Singer

Mittags außer Freitag und Samstag; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 188/218 € · à la carte 97/161 €

res.


Der Schritt vom Koch zum Unternehmer – keinem gelang er in Deutschland auf so hohem kulinarischem Niveau wie dem gebürtigen Kreuzberger Tim Raue. Sein aktuelles Großprojekt: Er eröffnete jüngst ein Restaurant mit Günther Jauch in der Villa Kellermann, einem Haus mit turbulenter Geschichte und illustrer Lage am Heiligen See in Potsdam. Doch trotz seiner vielfältigen gastronomischen Projekte, seines Engagements im Fernsehen und Beratertätigkeiten im In- und Ausland sowie auf hoher See, bleibt das Herz all seiner Aktivitäten dieses Restaurant in der Rudi-Dutschke-Straße.

Hier zündet Raue gleich zu Beginn des Menüs traditionell ein Feuerwerk: Zum Amuse-bouche stellt der Service den ganzen Tisch voll mit hüschen kleinen Schälchen im weißblauen Design. Manches ist süß-sauer, wie der in Ponzu eingelegte Hering oder der Sambal Manis-Marshmallow mit Grapefruit, anderes dezent scharf wie der hauchdünn geschnittene, sanft gepökelte Schweinebauch. Sauscharf ist hingegen der eingelegte Kürbis mit Basilikumcreme, herzhaft und knusprig die mit Thaicurry gerösteten Pekannüsse oder das gepoppte Quinoa auf den Radieschen mit Miso-Creme.

Damit eröffnet sich dem Gast die einzigartige Aromenwelt Tim Raues. Das Zusammenspiel von Süße und Säure, Schärfe und Umami ist sein Leitmotiv, sein kulinarischer Kompass zeigt nach Asien, auch numerologisch: Es sind acht Schälchen, die das Menü von acht Gängen starten – die chinesische Glückszahl schwebt über Raues Schaffen.

Sinnreiche Details und überraschende Ideen prägen auch die Gerichte. Manchmal geht das schon beim Besteck los. Zum Imperial Gold Kaviar gibt es quietschbuntes Kunststoffbesteck, das der soignierten Schwere des edlen Produkts eine augenzwinkernde Note gibt. Ein perfekter Start ist sie sowieso, die gelierte, frisch-scharfe Gurkenkaltschale mit kleinen süßlich-zitronigen Kügelchen und einer jodigen Creme von Gillardeau-Austern, die den Kaviar optimal in Szene setzen: Sie macht den Gaumen frisch und neugierig. Etwa auf den gedämpften Zander, der im Trockennebel mit etwas Budenzauber an den Tisch kommt. Der heimliche Star dieses Tellers ist der Sud. Er besteht aus einer zehn Jahre gereiften Kamebishi-Sojasauce, deren wunderbare geschmackliche Tiefe noch mit etwas Entenbrühe angeschoben wird, die zudem den Sud mit einem feinen Glanz ihres Fetts überzieht. Eingelegter Ingwer und Lauch (fein gehobelt und als Ragout) justieren Süße, Säure und Schärfe ein wenig nach und spenden der Umami-Bombe etwas Frische.

Das beliebte Spiel, aus einem Thema eine Reihe von überraschenden Variationen zu zaubern, zeigt Raue bei der Mazara-Garnele aus Sizilien. Sie wird begleitet von indischem Pondicherry Pfeffer und geringelter Chioggia-Bete. Ersteren gibt’s als Minibaiser und als Finish über der Garnele, Letztere eingelegt und als Sauce, zweiter Schärfelieferant neben dem fruchtigen rosa Pfeffer sind frisch geriebenes Wasabi und Wasabipüree.

Wenn es in den hier gebotenen Spitzenmenüs, die ohnehin von Höhepunkt zu Höhepunkt eilen, so etwas wie Favoriten gäbe, dann wäre das Saté-Huhn ein heißer Kandidat. Die Maishuhnkeule (aus Brandenburg) ist in Reiswein mariniert, confiert und dann kurz gegrillt, was sie schön saftig macht. Die Mangotupfen obendrauf bieten ein paar fruchtige Noten, die der buttrige Erdnusssud erdet. À part serviert gibt es – an Thai-Streetfood-Klassiker erinnernd – noch eingelegte rote Zwiebel, geröstete Erdnüsse, eine Mango- und Erdnusscreme sowie Gurkenkügelchen. Das Zeug zum Lieblingsgericht hat aber auch das Berliner Eisbein vom Spanferkel nach einem Rezept von Oma Raue, dessen extrakrosse Kruste eine saftige Delikatesse umhüllt, die mit dem bürgerlichen Original nur noch den Namen gemein hat. Stimmig begleitet wird sie von gesalzenem und gesäuertem Ingwer, Dashi-Gelee, Püree von gelben Erbsen sowie einer Art Senf-Trilogie (japanischer, Bautzner und bayerischer süßer Senf), die jeden Bissen neu und aufregend aromatisiert.

Auffällig ist, dass sich Raue dem Thema Gemüse verstärkt widmet. Zwei von acht Gängen im Menü sind vegetarisch. Bei den Reisteignudeln aus Erbsensaft (toller Biss!) kitzelt peruanische Minze die Schärfe des grünen Currysuds. Und geschmorter Sellerie, umschmeichelt von einem Sud aus geschmolzenen Zwiebeln und geliertem oxidiertem Apfelessig, gerät im Zusammenspiel mit mikrofein, aber in äußerst großzügiger Menge gehobeltem schwarzem Trüffel zur veritablen Umami-Bombe.

Auch bei den Hauptgängen zeigt sich Raue forsch und vielschichtig, kurz: in Höchstform. Geschmorte Backe vom Wagyu-Rind liegt auf einem Beeftea, der mit Orange und Sternanis aromatisiert ist und durch warnend rot leuchtendes Chiu Chow Chili-Öl die passende fruchtige Schärfe erhält, um Papaya, Kumquat, Kürbispüree mit frischem Kurkuma und gepoppten Quinoa als aromatische Satelliten glänzen zu lassen. Auch confierte Taubenbrust begeistert mit ihrem gekonnten Brückenschlag zwischen Fernost und West: Neben Wassermelone, Jalapeño-Perlzwiebel-Tapioka und Liebstöckel-Spinat aus asiatischem Morning Glory begleitet das edle Geflügel eine hinreißende Rotweinsauce mit französischer Seele, die mit Jalapeño angeschärft wurde.

Selbst Desserts liefern hier manchmal eine letzte Prise Schärfe wie beim Madagaskarpfeffer über der knusprigen karamellisierten Rolle mit einer Mousse aus Macadamia-Nougat, die im Zentrum eines Tellers steht – oder besser: liegt. Flankiert wird sie von eingemachter Quitte und Quittensorbet, die Safrangelee ins Elegante erhebt.

Weil ein Großteil von Raues Kunden ja längst aus aller Welt kommt, angelockt durch sein „Chef’s Table“-Porträt auf Netflix und seine Platzierung als einziger deutscher Koch in der „World’s 50 Best Restaurants“-Liste (derzeit Platz 40), sind auch seine Signature Dishes der letzten Jahre als sechsgängiges Menü erhältlich, das man mit der schon legendären Pekingente-Interpretation, serviert in drei Gängen, noch upgraden kann.

Mit rund 1200 Positionen bietet die überwältigende Weinkarte fast abendfüllende Lektüre und begeistert mit nur selten zu bekommenden gereiften Jahrgängen. Stetig wächst auch die Anzahl der spannenden, auf den Küchenstil zugeschnittenen Cuvées, die Sommelier und Restaurantleiter André Macionga mit Winzern wie Horst Sauer, Markus Schneider und Jochen Dreissigacker entwickelt. Der gewandte Service unter der versierten Leitung von Patronne Marie-Anne Raue ist zeitgemäß locker, aber nie kumpelig. Und er weiß auch bis ins letzte Detail über alles Bescheid, was auf dem Teller liegt.

Kurzum: Das Restaurant Tim Raue bleibt eine Klasse für sich – und das nicht nur in Berlin.



TISK SPEISEKNEIPE

12053 · Neukölln · Neckarstr. 12

(0 30) 3 98 20 00 00 buero@tisk-speisekneipe.de

www.tisk-speisekneipe.de

Gastgeber: Martin Müller

Küchenchef: Martin Müller

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 39/59 € · à la carte 15/51 €

Der quirlige Neuköllner Kiez treibt so manch kulinarische Blüte, eine der empfehlenswerten ist das Eckrestaurant Tisk, das sich selbst im noch nicht definierten Segment der „Speisekneipe“ verortet und modernisierte Berliner Klassiker im gänzlich ungeklärten „Kneipen-Dining-Stil“ anbietet. Aber der Reihe nach: „Kneipe“ ist pures Understatement, das sich hier allenfalls auf den sehr jovialen, manchmal auch fahrigen Service bezieht. Für eine Kneipe ist es viel zu schick, es gibt einen Weinkühlschrank und hinter dem lang gezogenen Bartresen werkeln Köche nicht ohne Anspruch.

Geboten werden Berliner Klassiker wie „Broiler“ im Ganzen, knusprig und saftig ab zwei Personen zum Selbsttranchieren, dazu Mischgemüse und Pommes mit Ketchup und Mayo. Das klingt banal, ist handwerklich aber ziemlich ausgetüftelt und wird ansehnlich präsentiert. Alternativ stehen zwei Menüs zwischen drei und fünf Gängen zur Wahl, Überschneidungen nicht ausgeschlossen. Gut gefallen haben uns die frittierten Blutwurstkroketten in Apfelmus und die mit Holunderblüten geimpften Spreewaldgurken. Manch anderer Klassiker leidet an allzu angestrengter Verkünstelung, aber das Spiel mit gesenkten Erwartungen und angenehmer Überraschung funktioniert, ein bisschen Verständnis für den Berliner Humor sollte man aber mitbringen.

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TO THE BONE

10119 · Schöneberg · Torstr. 96

(0 30) 40 75 34 40 tothebone@bonita.berlin

tothebone.bonita.berlin

Gastgeber: Giacomo Mannucci

Küchenchef: Matthew Davies

Mittags; Sonntagabend

à la carte 36/63 €

Gäste, die nach kultigen Steaks suchen, sind selten gleichermaßen aufgeschlossen für raffiniertere Küche. Deshalb scheint das Konzept dieses schlichten Restaurants, neben dem teuren Chianina-Fleisch vom toskanischen Kultmetzger Dario Cecchini auch noch modernisierte Antipasti und Nudelgerichte anzubieten, in dieser Sparte noch nicht richtig aufzugehen. Wir bedauerten auch, dass der über dem Grill angebrannte Fenchel, der als Beilage zum sauber gemachten Flanksteak zusätzlich geordert werden musste, geschmacklich unaufregend blieb, vermutlich, weil die versprochenen Kapern fehlten.

Das hübsch modern aufgewölbte rosige Kalbfleisch zum Vitello tonnato schmeckte, wenngleich die hier anwesenden Kapern, weil frittiert, als säuerliches Gegengewicht ausfielen. Die hausgemachten Tagliatelle mit Pancetta und grünem Spargel zeigten eine Pasta-Kompetenz, die gern für etwas ausgefallenere Gerichte genutzt werden dürfte. Zur Panna cotta gab’s Passionsfruchtsauce und Kokosschaum, zum harten Shortbread ausgezeichnete Erdbeeren und einen viel zu großen Batzen Mascarpone. Der Service bietet alle Schattierungen zwischen herzlich aufgeschlossen und schnöselig verpeilt, typisch Szenegastronomie. Wer gene Bistecca fiorentina nimmt und zu zweit locker 100 € hinlegt, der weiß die Weinkarte auf seiner Seite, die ein für Berlins Italiener stark überdurchschnittliches Angebot bereithält.


TORBAR

10115 · Mitte · Torstraße 183,

(0 30) 55 20 25 82 Info@torbar-berlin.de

www.torbarberlin.eatbu.com

Küchenchef: Sébastian Radtke

Mittags; Sonntag, Montag

à la carte 30/49 €

res.

Dieter Meier ist ja nicht nur Popstar (Yello), Konzeptkünstler (Documenta), Golfnationalspieler (ehemals), Winzer (in Argentinien) und Rinderzüchter (dto.), er ist auch Wirt. Und das sogar gleich zweimal in Berlin. Seine beiden Restaurants kreisen im Wesentlichen um seine eigenen Weine (Ojo de Agua, Puro) und um das Fleisch von Black Angus und Hereford, die das ganze Jahr in seiner biologisch betriebenen Estancia draußen grasen dürfen.

Interessanter als das etwas uninspiriert wirkende Steakhaus in Wilmersdorf finden wir seine zweite Eröffnung, die Torbar. Mit ihren unverputzten Wänden, großen Fenstern und der langen Bar ist sie gleichzeitig etwas mondän und abgerockt, fügt sich also nahtlos in ihre nähere Umgebung. Kulinarisch ist man klassisch mit dezent zeitgeistigem Einschlag. Einen animierenden Start bietet der gebeizte Rücken mit säuerlich eingelegten Scheiben von schwarzem Meerrettich, Buttermilchcreme und getrockneten Brombeeren. Der gegrillte Pulpo mit geschmorten Tomaten und gedämpftem Blumenkohl kommt mit einem intensiven, dunklen Sud, der mit Apfelholz aromatisiert ist. Zum Rib eye-Steak (letztens ein bisschen sehnig, aber gut gegrillt) mit leichtem Gratin und recht bissfesten Bohnen lohnt die Malbec-Sauce, für die 3 € extra zu berappen sind.

Am späteren Abend wird die Musik lauter, der Raum voller und das Restaurant zur Bar.

17

TULUS LOTREK

10967 · Kreuzberg · Fichtestr. 24

(0 30) 41 95 66 87 mail@tuluslotrek.de

www.tuluslotrek.de

Gastgeber: Ilona Scholl

Küchenchef: Max Strohe

Mittags; Mittwoch, Donnerstag

Menü 99/145 €

res.

Max Strohe – unveränderliches Kennzeichen: stramm anliegende Strickmütze ohne Bommel – ist so etwas wie die Wundertüte der Berliner Spitzengastronomie. Wer nicht öfter als im Jahresabstand kommt, der erlebt seine Küche stets völlig gewandelt, merklich beeinflusst von den Erfahrungen, die der neugierig Reisende zuletzt gemacht hat. Einen großen Meister hat er nicht in seinem Lebenslauf, nur wenige, brave Stationen, fast alles beruht deshalb auf eigenem Denken und Probieren, das macht vermutlich sogar den hohen Reiz seiner Küche aus. Anfangen hat er in seinem Kreuzberger Restaurant mal als eine Art junger Wilder mit tollem Gespür für unerwartete aromatische Paarungen. Aber zuletzt erlebten wir ihn eher auf puristischem, skandinavisch inspiriertem Kurs, so pointiert und gelassen, dass wir ihn auf dem Weg nach weiter oben sehen. Bewundernswert ist vor allem die Menü-Dramaturgie, die ein ganz schlichtes Bürgermeisterstück vom Rind in Bordelaise-Sauce mit Kräutern und grünem Pfeffer eben nicht als beschwerlichen Pflichtgang, sondern als konzentrierte Konsequenz eines ebenso leichten wie intensiven Menüs inszeniert – Einfachheit, wo Kompliziertes keinen Sinn mehr ergäbe. Überhaupt hat der aktuelle Max Strohe viel mehr Respekt vor dem Grundprodukt als der wilde Vorgänger, das zeigt sich schon beim nur leicht marinierten Eismeersaibling in Tomatenwasser und Shiso-Öl, der von sanfter Kumquat mehr gestützt als konterkariert wurde.

Beim Steinbuttfilet im Sud von gerösteten Karkassen mit Molke-Beurre blanc und Lauchconfit würden wir allenfalls die Frage aufwerfen, ob die sous vide-Garung den guten Biss des Fischs nicht doch eine Idee zu sehr erweicht; das ganze Gericht aber war ein filigraner Geniestreich. Auch der Kaisergranat in perfektem, leicht fruchtigem Bouillabaisse-Sud traf ins Schwarze, nur dezent begleitet von einem Tapioka-Cracker mit dezent asiatisch gewürztem Tatar vom Krustentier. Das Lamm legte gleich einen spektakulären Doppelauftritt hin: als Tatar mit pochierter Auster, tatsächlich ein überraschend tolles Team, und dann als arabisch stilisierte Rippe mit Harissa und Kichererbsenpüree, kraftvoll und konzentriert, aber nicht überwürzt. Puristisch passendes Dessert: Creme von Amalfi-Zitrone mit Milcheis und Olivenöl.

Die kongeniale Interpretin dieser Köstlichkeiten kennt längst jeder aufgeschlossene Gourmet in Berlin: Ilona Strohe wickelt mit ihrer witzigen, heiter- ironischen Aufgeschlossenheit jeden Gast um den Finger, unterhält den Solo-Besucher und bleibt, so gewünscht, auch diskret auf Distanz. Sie wäre garantiert auch mit einem bedeutend uninspirierteren Koch höchst erfolgreich – freuen wir uns, dass es nicht so ist. Viele gute, trendige Weine auch glasweise abgestimmt; lauschige kleine Straßenterrasse.

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VOLT

10999 · Kreuzberg · Paul-Lincke-Ufer 21

(0 30) 33 84 023 20 info@restaurant-volt.de

www.restaurant-volt.de

Gastgeber: Sabrina Lehricke

Küchenchef: Matthias Gleiß

Mittags; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 69/88 € · à la carte 42/74 €

res.

Der Besuch im Volt ist wie eine Auszeit vom freidrehenden Konzeptfieber, das in Berlin einige Köche und Sommeliers erfasst hat, deren Ehrgeiz mehr auf die Überhöhung ihrer Einzigartigkeit als auf das Wohl des Gastes zielt. Für die immer funktionierende Immunabwehr im Volt ist Matthias Gleiß verantwortlich, der seit über einem Jahrzehnt dafür sorgt, dass man hier in der zeitlos angenehm restaurierten Halle des ehemaligen Umspannwerkes nie enttäuscht oder vor den Kopf gestoßen wird. Er hat das seltene Talent, Mitarbeiter lange an sich zu binden – auch im akkuraten Service, der charmant und kompetent zwischen Küche und Keller vermitteln kann und schon den ersten Abend hier als Besuch bei alten Bekannten erscheinen lässt. Zu danken ist das Gastgeberin Sabrina Lehricke.

In der Küche hält Gleiß handwerklich hohes Niveau, filtert Trends intelligent, meidet Dogmen und stellt Wohlgeschmack über modisches Gedöns. Früh hob er Gemüse auf ein Niveau mit Fisch und Fleisch, wovon sein vegetarisches Menü sehr profitiert. Brokkoli ist als Couscous eine perfekt ausbalancierte Komposition: die Röschen schroff geröstet, der Strunk als marinierte, hauchdünne Scheiben und als köstlicher Sud mit Mandarinenöl, dazu weiße Zwiebeln, Macadamianüsse und – alles kontrastierend – marinierte Mandarinenfilets. Das Allerlei von der Erbse stellt ohne Texturspielereien allein aus Akzenten von Mandel, Büffelricotta mit Zitronenzesten und Mispel die hohe Qualität der Erbse heraus. Nur selten ähneln sich die Gänge der beiden Menüs. Der gegrillte Topinambur kommt für die Veggies mit Brioche-Algen-Creme, Grünkohl und kräftigem Topinambursud, in der Alternative ist die köstliche Algencreme nur als kleiner Klecks vertreten und ein zur Roulade geformter Waller mit Hechtkaviar im Blickpunkt – bei beiden Tellern beeindruckt der intensive Wurzelsud.

Ein weiteres Kennzeichen der Küche ist ihre Großzügigkeit: Beide Menüs sind vergleichsweise günstig berechnet, alle Gänge werden aber auch à la carte serviert und auch dann von einer Reihe köstlicher Amuse-bouches und selbst gebackenem Brot begleitet. Gern loben wir, ehe die Hauptgänge kommen, noch das Kalbsbries, eine Paradedisziplin von Gleiß, mit Erbsen, Bohnen und köstlicher Kalbsjus, deren ohnehin verdichtetes Aroma dank Bonitoflocken und einem Schaum vom Bohnenkraut noch kräftiger wird – da trifft alte Schule auf moderne Umami-Technik, ohne dass einem Trend nachgehechelt wird.

Bei den Hauptgängen ist der Hang zur Klassik allzu präsent, ob Lammschulter mit einer sehr kräftigen, noch durch Paprikaabschnitte und präsente Süße angereicherten Jus, gegrillter Aubergine, schwarzer Olivencreme und einem Klecks Lammragout oder US-Beef mit scharf gegrilltem schwarzem Rettich, gefällig assistiert von Champignons und sehr süffiger Jus, die die Erkenntnis hinterlässt, dass man auch des Wohlgefallens überdrüssig werden kann. Wenn dann noch nur gefällig zu nennende Desserts wie Kokosvariationen (Eis, Creme und Chip) zu Limette und Ahornsirup-Gelee oder Brownie mit Banane, schwarzem Sesam und Crema catalan kommen, stellt sich die Frage: Reicht das, um in der kulinarischen Spitze mitmischen zu können? Die kreativen Sprünge in Berlin, die Gleiß jedes Jahr mit vollzog, scheinen dieses Jahr zu groß. Verlässlich gut zu bleiben und dabei ein bisschen besser zu werden, ist in einer vorwärts galoppierenden Metropole nicht nach jedermanns Geschmack. Gleichwohl bleibt das Volt eine Bank des guten Geschmacks und seine Terrasse zum Landwehrkanal ein Logensitz.

Ach ja, der Wein. Die Karte ist auf Rieslinge fokussiert, zeigt aber auch internationalen Weitblick und kann alle Preisvorstellungen bedienen.


WAGNER COCKTAIL BISTRO

10999 · Kreuzberg · Paul-Lincke-Ufer 22

(01 76) 22 58 33 42 wagnerbistrobooking@gmail.com

www.wagnercocktailbistro.de

Gastgeber: Jan Hugel

Küchenchef: Danny Benedettini

Samstagmittag; Sonn- und Feiertag, Montag

Menü 25/50 € · à la carte 15/32 €

res.

Berlin ist ja alles andere als verlegen, wenn es darum geht, neue gastronomische Genres zu erfinden. Das Wagner, ein Souterrainlokal mit schöner Terrasse zum Kanal, steuert nun ein neues Sujet bei: ein Bistro, in dem man zum Essen Cocktails trinkt. In legerer Atmosphäre kommt auf kleinen Tellern zusammen, was die kulinarische Szene gerade bewegt: Gesundes wie Rote Bete mit Schafsjoghurt und Estragon oder Katsuobushi, Flocken von getrocknetem Bonito, die auf klassisch italienischen dicken Nudeln (Calamarata) mit Pecorino und Pfeffer durch die aufsteigende Wärme flirrend in den Himmel ragen … Einen Hauch Frankreich bewahren hochwertige Charcuterie und Austern. Zum elaboriert modernisierten Komfortfood gesellen sich noch kleine Ungewöhnlichkeiten wie gegrillte Entenherzen am Spieß und das klassische Tatar kommt auch mal vom Lamm und wird mit Comté und Meerrettich ordentlich befeuert.

Getrunken werden dazu hauskomponierte Cocktails, viele mit japanischen Zutaten, aber nicht ohne Feingefühl gemixt. Es gibt aber auch Weine, selbstredend mehrheitlich aus dem naturnah ausgebauten Fach, wobei man auch hier die mutige Avantgarde dem Gewöhnlichen vorzieht.

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ZENKICHI

10117 · Mitte · Johannisstr. 20

(0 30) 24 3 08 10 contact@zenkichi.de

www.zenkichi.de

Mittags

Menü 70/105 € · à la carte 21 €

res.

Schon architektonisch ist das Zenkichi ein Ereignis – und zwar erstmal ein durchaus verwirrendes. Es geht in den Keller, dann um ein paar Ecken, bis man in einem dezent beleuchteten Labyrinth aus dunklem Holz und lackierten Steinen ankommt, in dem die Tische in Separées und mit Rollos voneinander getrennt sind. Den durchweg asiatischen Service ruft man dann per Knopfdruck mit einem kleinen Beeper, der in den heimeligen Kabuffs installiert ist. Wenn man ihn überhaupt rufen muss, denn beim Omakase Menü kommt er recht häufig angeflitzt, Rollo hoch, stellt immer neue, feine Kleinigkeiten auf den Tisch, Rollo runter. Etwa eine blanchierte, geschälte Tomate in einem Gelee aus dem Saft der japanischen Sudachi-Zitrone, einen gegrillten Süßwasseraal mit Gurkenscheiben und einen in süß-saurer Essigsauce eingelegten, fleischigen Myoga-Ingwer, eine gepökelte in Essig marinierte Makrele auf Sesam-Ingwer-Reis …

Das ist alles gefällig, aus guten Produkten und auch mal überraschend. Zu den besten Tellern gehört der frische hausgemachte Tofu. Es hat einen leicht nussigen Geschmack, eine zarte, an Quark erinnernde Konsistenz und ist mit einem Klecks Paprikagemüse und chinesischem Pfeffer feinsinnig abgeschmeckt. Etwas Besonderes ist auch das Tempura, etwa das mit Jakobsmuscheltatar gefüllte Shisoblatt. Hier zeigt sich auch, wie gut ein Sake-Pairing funktionieren kann. Der Sawanoi Tokyo Kurabito-Sake mit fein strukturierter Säure hält dem Fett des frittierten Teigmantels gut stand. Der Miso-Kabeljau schließlich, dessen Paste eine vollmundige Süße hatte, war mit dem Tenranzan Koten Junmai-Sake mit vollem Körper und Aromen von süßem Zedernholz und Toffee kongenial begleitet.

Gault&Millau Restaurantguide Deutschland 2020

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