Читать книгу Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 14

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Daniela Alberti zitterte am ganzen Körper, als sie Dr. Norden die Haus­tür öffnete.

»Flori hat hohes Fieber«, flüsterte sie, »sonst hätte ich Sie nicht so spät noch gerufen, Herr Doktor.«

Es war fast elf Uhr abends, aber Dr. Norden wußte, daß Daniela ihn nicht wegen einer Bagatelle aufgescheucht hätte. Sie war eine rücksichtsvolle, fast scheue Frau. Dr. Norden wußte allerdings auch, daß Rolf Alberti ein tyrannischer Mann war.

Der war allerdings wieder einmal nicht zu Hause, und als Dr. Norden den Jungen untersucht hatte, wußte er, daß er der ohnehin schon erregten Mutter einen neuen Schrecken einjagen mußte.

»Es ist der Blinddarm, Frau Alberti. Florian muß sofort in die Klinik.«

Daniela preßte die geballte Hand an die trockenen Lippen, aber das Aufstöhnen war dennoch zu vernehmen.

»Helfen Sie ihm, bitte, helfen Sie ihm«, flüsterte sie tonlos. »Er ist doch alles, was ich habe.«

Natürlich war sie erregt und völlig fertig mit den Nerven, aber diese Worte erschreckten Dr. Norden doch, denn tiefste Verzweiflung tönte da mit.

Er rief den Krankenwagen herbei. »Wollen Sie mitfahren, Frau Alberti?« fragte er.

Sie nickte und wischte schnell die Tränen fort, die über ihre Wangen rollten.

»Ich fahre voraus. Flori wird in die Behnisch-Klinik gebracht und dort auch operiert. Sie dürfen sich jetzt nicht so aufregen.«

»Sie wissen ja nicht, wie es bei uns zugeht«, murmelte sie tonlos. Aber da kam schon der Krankenwagen. Florian wurde auf die Trage gebettet. Daniela bot ein Bild, das den Arzt erschütterte. »Wenn ich Sie nicht hätte«, flüsterte sie, dann stieg sie in den Krankenwagen.

Er fuhr voraus. Die Klinik war durch Sprechfunk verständigt worden. Dr. Dieter Behnisch und seine Frau Jenny waren zur Stelle. Ein Notruf ihres Freundes Daniel machte sie hellwach. Und es ging um das Leben eines Kindes, das an einem hauchdünnen Faden hing.

Florian Alberti war ein zartes Kind, das Dr. Norden schon manche Sorgen bereitet hatte. Aber glücklicherweise konnte er über die Blutgruppe genaue Angaben machen, über die Unverträglichkeit mancher Medikamente, und er übernahm auch die Anästhesie, damit Dieter und Jenny Behnisch zu dieser nächtlichen Stunde sofort mit der Opera­tion beginnen konnten, denn trotz des Fiebers mußten sie das Risiko eingehen. Nur allein diese Schnelligkeit konnte Florians Leben retten, denn der Blinddarm war kurz vor dem Durchbruch.

Mit der gerade noch geglückten Operation war jedoch die Gefahr für das Kind noch nicht gebannt. Jetzt kam es darauf an, wie der Kreislauf die Belastung bewältigte.

Daniela Alberti lehnte an der kalten Wand, aber sie spürte die Kälte nicht mehr. Das Blut hämmerte in ihren Schläfen. Mein Kind muß leben, dachte sie nur unentwegt, und kein anderer Gedanke hatte Platz in ihrem schmerzenden Kopf.

Dann trat Dr. Norden aus der Tür, auf die sie ihren Blick gerichtet hatte. Bleich und abgespannt sah er aus. Daniela taumelte auf ihn zu.

»Sie dürfen hoffen, Frau Alberti«, sagte er leise. »Die Operation ist geglückt. Warum haben Sie mich diesmal nicht früher gerufen?«

»Florian hat doch nichts gesagt«, schluchzte sie auf. »Morgen wollten wir zu meiner Mutter fahren, darauf hat er sich so gefreut. Er wollte wohl nicht, daß etwas dazwischenkommt. Und außerdem ist er sehr früh in sein Zimmer gegangen, weil mein Mann ihn mal wieder angefaucht und eine Memme gescholten hat. Ich wollte mit dem Jungen gehen, für immer, Herr Doktor. Es ist wohl nicht die Zeit, das zu sagen, aber ich halte dieses Leben nicht mehr aus, und Flori sollte doch wenigstens eine kummerfreie Schulzeit haben. Er ist nun mal ein Spätentwickler, aber mein Mann… Ach, was soll es. Ich will nur, daß er gesund wird.«

»Ich bringe Sie jetzt heim, Frau Alberti. Sie können sich ja kaum noch auf den Füßen halten. Ich gebe Ihnen ein Beruhigungsmittel, und wenn Sie sich ausgeschlafen haben, sprechen wir mal über Ihre Sorgen.«

»Ich kann doch nicht schlafen. Ich möchte bei Flori bleiben«, flüsterte sie.

»Er wird jetzt schlafen, und Sie können ihm nicht helfen. Das besorgen sehr gute Ärzte. Diese Gewißheit kann ich Ihnen geben.«

Danielas Gedanken irrten ab. Sie dachte an die Koffer, die bereits ­gepackt waren, die Rolf sehen ­würde, wenn er heimkam. Sie hatte den Trennungsstrich ziehen wollen, aber nicht so. Jetzt mußte sie bleiben, um des Kindes willen. Sie mußte bleiben, bis Florian wieder gesund war.

Dr. Norden brachte sie nach Hause. Still und dunkel lag das kleine Einfamilienhaus in dem großen Garten. Daniela sah, daß die Garage noch leer war. Sie atmete insgeheim auf.

Dr. Norden begleitete sie zum Haus. »Ich danke Ihnen«, sagte sie leise. »Ich brauche kein Beruhigungsmittel, Herr Doktor. Ich werde mich zusammenreißen.«

Tabletten hätte er ihr auch nicht gegeben. Ihre Worte »ich wollte mit dem Jungen gehen, für immer«, klangen noch in seinen Ohren, aber sie schienen doch nicht die schreckliche Bedeutung gehabt zu haben, die er vermutete.

Als ahne sie seine Gedanken, sagte sie: »Ich muß morgen früh meine Mutter anrufen, daß wir nicht kommen können. Aber wenn Flori gesund ist, gehen wir. Meine Ehe ist kaputt, restlos.«

»Darüber können wir auch sprechen, wenn Sie wollen, Frau Alberti.«

»Alberti«, wiederholte sie bitter. »Ich hasse diesen Namen!«

*

Fee Norden saß im Wohnzimmer, als ihr Mann heimkam. Ein Glas Milch stand auf dem Tisch.

»Das ist bereits das zweite«, sagte sie. »Du warst lange weg, Daniel. Was war los?«

Er erzählte es ihr. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Sie hatten ja auch drei Kinder, und Fee wußte, wie einer Mutter in solchen Situationen zumute war.

»Wird er durchkommen?« fragte sie bebend.

»Ich kann es nicht sagen, Fee. Trink deine Milch und geh zu Bett.«

»Und sie liegt allein da, während sich der Ehemann amüsiert«, sagte Fee bitter.

»Woher weißt du, daß er sich amüsiert?« fragte Daniel erstaunt.

»Es steht in der Zeitung, mein Schatz. Rolf Alberti wird als der beste Gesellschaftsfotograf geehrt. Der Galerist Tonio Erben und seine Frau Marisa geben für ihn eine Party. Morgen werden wir darüber mehr in den Boulevardzeitungen lesen können.«

»Kauf sie alle«, sagte Daniel.

»Dafür soll ich Geld ausgeben?« staunte Fee.

»Ich möchte wissen, was man über Alberti schreibt.«

»Ob man alles glauben kann, ist eine andere Frage«, sagte Fee wegwerfend.

»Sie ist verzweifelt. Ihre Ehe ist kaputt.«

»Ob sie nicht nur eifersüchtig ist und jetzt durch die Erkrankung des Jungen überreizt?« fragte Fee vernünftig.

»Nein, das sitzt tiefer. Sie ist auch keine hysterische Frau.«

»Nein, das ist sie gewiß nicht, eher eine unterjochte«, sagte Fee. »Gehen wir schlafen. Du mußt wieder früh in der Praxis sein. Ich hoffe nur, daß der Junge am Leben bleibt.«

In dieser Nacht sah es noch nicht so aus, obgleich Florian kurz zu Bewußtsein kam. »Will zu Omi«, flüsterte er, »will nicht krank werden.« Aber man konnte es kaum verstehen, doch Jenny Behnisch, die an seinem Bett saß, fühlte, was dieses Kind bewegte.

*

Rolf Alberti amüsierte sich, wie es Fee Norden gesagt hatte. Er dachte nicht an seinen Sohn, schon gar nicht an seine Frau. Er tanzte mit einer aufregenden Blondine. Es war Marisa Erben, die Frau seines Mäzens und Freundes.

»Gut, daß du Daniela nicht mitgebracht hast«, sagte sie. »Sie hätte uns die Stimmung verdorben mit ihrer Trauermiene. War sie eigentlich schon immer so?«

»Sie war einmal sehr hübsch und charmant, sonst hätte ich sie ja nicht geheiratet, aber du weißt genau, daß es für mich jetzt nur eine Frau gibt, und das bist du.«

Sie lachte leise auf. »Aber das sollte unser lieber, trotteliger Tonio nicht merken, sonst entzieht er dir sein Wohlwollen, und mich wirft er hinaus. Er hat nämlich sehr moralische Ansichten.«

»Er schaut nicht mal zu uns her­über«, sagte Rolf dicht an ihrem wohlgeformten Ohr. Alles an ihr war wohlgeformt und mit den Aufnahmen von ihr hatte er auch die größten Erfolge erzielt.

Nein, Tonio Erben schaute nicht zur Tanzfläche. Er unterhielt sich mit einer sehr gewichtigen Dame, die dennoch außerordentlich imponierend wirkte, denn sie hatte trotz fortgeschrittener Jahre noch ein bildhübsches, glattes Gesicht. Allerdings hatte sie auch eine spitze Zunge, diese Donna Regulin. Sie war eine gefürchtete Klatschkolumnistin. Für jene aber, die sie länger besser kannten, konnte sie auch eine sehr gute Freundin sein, und zu den wenigen gehörte Tonio Erben.

»Ich sage es dir noch einmal, Tonio, daß du eine Schlange an deinem Busen nährst und den Partner dazu«, sagte Donna. »Komm mir nur nicht mal daher und jammere, daß es doch besser gewesen wäre, auf mich zu hören.«

»Ich werde nicht jammern, Donna. Ich weiß Bescheid«, erwiderte Tonio. »Im Augenblick ist Rolf noch ein gu­tes Geschäft für mich.«

»Und deine Ehe?« fragte sie sarkastisch.

»Eine Farce«, erwiderte er. »Überlaß es ruhig mir, diese Angelegenheit zu regeln. Wer zuletzt lacht, lacht am besten.«

»Du hast also etwas ausgeheckt. Nun, an Phantasie hat es dir noch nie gefehlt. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt. Wenn du irgendwie Hilfe brauchst, weißt du, wo du mich finden kannst.«

»Ich verkaufe keine Story«, sagte er lässig.

In ihren Augen blitzte es auf.

»Für Dramen habe ich noch nie etwas übriggehabt, mein Lieber. Aber laß dir eins gesagt sein, wenn man Raubtiere schlecht füttert, beginnen sie auch den Pfleger zu beißen.«

»Du hast einen sonnigen Humor«, sagte Tonio.

»Es ist ein guter Rat«, erwiderte sie ernst. »Würde ich dich gern mal mit einer jungen hochtalentierten Malerin bekannt machen, bei der sich ein wenig Mäzenatentum gut auszahlen würde.«

»Immer bereit, ein Talent zu fördern, Donna, noch dazu, wenn es von dir offeriert wird.«

»Dann besuch mich mal am Wochenende. Das junge Talent wohnt bei mir, aber es würde sofort ausziehen, wenn es wüßte, daß ich die Weichen stelle.«

»Du kannst dich auf meine Diskretion verlassen.«

»Fein, dann sage ich für heute ade. Diese Party ist nicht ergiebig. Und was die Bilder betrifft, es ist zu oft das gleiche Modell. Es langweilt.«

Sie drückte ihm warm die Hand und entschwebte. Trotz ihrer Fülle ging sie mit einer Leichtigkeit, die Tonio nur bestaunen konnte.

*

Daniela wälzte sich in ihrem Bett hin und her. Immer wieder blickte sie auf den Radiowecker, aber sie sah die roten Zahlen nur verschwommen, so sehr brannten ihre Augen. Doch schlafen konnte sie nicht. Oder hatte sie doch kurz geschlafen? Sie hörte den Wagen kommen. Es konnte nur Rolf sein. Niemals kam in dieser Straße jemand erst im Morgengrauen nach Hause, und jetzt sprang die Zahl Fünf auf die Sechs um.

Zorn, Trotz und Angst hatten sie in dieser Nacht bewegt und in vielen zuvor. Jetzt wollte sie es hinter sich bringen, was sie ihm zu sagen hatte, wozu sie bisher nicht den Mut gefunden hatte.

Sie zog ihren Bademantel über und ging in die Diele, und gerade da öffnete er die Tür. In diesem Augenblick verstand sie schon gar nicht mehr, daß sie sich einmal in diesen Mann verliebt, daß sie ihn sogar geheiratet hatte. Rolf Alberti sah mies aus, und er war betrunken.

»Werde ich jetzt schon mit dem Kochlöffel erwartet?« fragte er lallend. »Mach dich doch nicht noch mehr zur Witzfigur, Daniela.«

»Schau du lieber in den Spiegel«, sagte sie mit klirrender Stimme. »Mir ist nur nicht zum Lachen zumute. Florian ist in der Klinik.«

»Was hast du denn mit ihm gemacht?« fragte er.

Sie war in einer Verfassung, daß sie ihm am liebsten in das gemein grinsende Gesicht geschlagen hätte, aber sie beherrschte sich.

»Er mußte am Blinddarm operiert werden«, sagte sie.

»Na und, was ist das schon? Für dich vielleicht ein Grund, Theater zu machen, mir vorwerfen zu können, daß ich nicht zu Hause hocke. Aber das Leben kostet eben Geld, meine Liebe, und ich muß es verdienen.«

Sie blickte ihn wortlos an. Ihre Lippen preßten sich aufeinander.

»Was starrst du mich so an«, schrie er sie an. »Scher dich ins Bett und laß mich in Ruhe!«

Seine Augen flackerten, und seine Lippen zuckten nervös. Er ist nicht nur betrunken, es ist auch noch etwas anderes, ging es Daniela durch den Sinn Sie drehte sich um und ging zur Küche. Er schlug die Tür seines Zimmers mit lautem Knall zu. Gut, daß wir nicht in einer Mietwohnung wohnen, dachte Daniela, wie peinlich dies alles wäre.

Zu lange schon hatte sie gewartet, den Entschluß zu fassen, mit Florian wegzugehen, die Scheidung einzureichen, ein selbständiges Leben zu beginnen. Sie hatte sich geschämt, ihrer Mutter einzugestehen, daß diese Ehe gescheitert war, mit der ihre Eltern von Anfang an nicht einverstanden gewesen waren.

In unserer Familie hat es noch keine Scheidung gegeben, hatte ihr Vater gesagt, als sie schon einmal zu den Eltern geflüchtet war. Vor einem Jahr war er gestorben, und die hohe Lebensversicherung gestattete ihrer Mutter zusätzlich zu der guten Pen­sion ein sorgenfreies Leben. Und sie hatte mehr Verständnis für ihre Tochter gezeigt, da sie selbst in einer nicht immer glücklichen Ehe ausgeharrt hatte.

Daniela blickte auf die Uhr. Es schien ihr noch zu früh, ihre Mutter anzurufen. Sie würde sicher noch schlafen und erschrecken. Aber in der Klinik hatte der Betrieb bestimmt schon begonnen. Daniela griff nach dem Hörer. Sie war nicht angerufen worden, also war keine Verschlechterung in Florians Befinden eingetreten. Mit diesem Gedanken beruhigte sie sich, als sie die Nummer wählte.

*

In der Behnisch-Klinik hatte die Arbeit schon sehr früh und sehr rasant begonnen. Ein Unfallopfer war eingeliefert worden. Glücklicherweise stellten sich die Verletzungen als nicht schwerwiegend heraus. Die Unfallursache war jedoch noch nicht geklärt.

Es handelte sich tun den Rechtsanwalt Dr. Henrik Thomsen, der mit seiner achtjährigen Tochter Henrike eine Urlaubsreise antreten wollte. Weit war er nicht gekommen.

Die kleine Henrike saß angstbebend bei Dr. Jenny Behnisch im Zimmer, während ihr Vater ärztlich versorgt wurde.

»Mein Papi darf nicht sterben«, stammelte sie weinend.

»Beruhige dich, Kleines, er wird nicht sterben«, sagte Jenny tröstend. »Kannst du uns jetzt sagen, wie es passiert ist? Die Polizei will es wissen, und ich denke, du wirst es lieber mir sagen als den Männern.«

»Es ging doch alles so schnell«, flüsterte Henrike. »Ich habe hinten gesessen, wie immer. Wir sind doch gerade erst weggefahren, da kam der Wagen aus dem Waldweg direkt auf uns zu. Es hat gekracht. Es ging alles ganz schnell, und mein Papi hat gar nichts mehr gesagt.«

»Was war das für ein Wagen, Henrike?« fragte Jenny sanft.

»Es war doch noch dunkel«, flüsterte das Kind, »und dann ist er ja auch weggefahren.«

Also wieder mal Fahrerflucht, dachte Jenny Behnisch erbittert, und der Unschuldige muß leiden.

Das Kind war unverletzt, aber es stand wohl noch unter dem Schock, und es hatte maßlose Angst um den Vater.

Jenny legte den Arm um Henrikes Schultern. »Wo ist deine Mutter, Kleines?« fragte sie.

Das Kind zuckte die Schultern. »Weiß ich nicht. Sie ist schon lange weg. Wir wollten zu Opa fahren, und die Ferien über soll ich bei ihm bleiben. Macht meinen Papi wieder gesund, bitte, bitte.«

»Er wird wieder gesund, Henrike«, sagte Jenny. »Du legst dich jetzt dort auf das Sofa und schläfst ein bißchen, und in ein paar Stunden kannst du mit deinem Papi sprechen. Kannst du dich vielleicht erinnern, wie der Wagen aussah?«

»So ähnlich wie unserer, bloß heller, weißlich oder silbern vielleicht.«

»Und es war ein Mann?« fragte Jenny.

»Ich glaube, es waren zwei, vielleicht auch noch eine Frau. Aber Männer haben auch manchmal lange Haare.«

»Und die Haarfarbe hast du nicht erkannt?«

»Hell waren die wohl, blond, so wie meine. Aber es war ja dunkel«, flüsterte Henrike.

»Vielleicht fällt dir noch etwas ein, Kleines«, sagte Jenny mütterlich. »Jetzt beruhige dich erst mal.«

»Aber Opa wird doch warten. Mittags wollten wir bei ihm sein.«

»Wo wohnt der Opa?« fragte Jenny.

»Am Comer See. Im Sommer ist er immer dort.«

»Hat er Telefon?«

»Ja, freilich.«

»Und die Nummer weißt du nicht?«

»Sie ist doch so schrecklich lang. Papi hat sie auch nicht im Kopf. Aber sie steht in seinem Notizbuch. Opa heißt Toto Thomsen.«

»Toto?« staunte Jenny.

»Eigentlich Otto, aber Papi sagt Toto.« Jetzt erhellte sogar ein kleines Lächeln das verweinte Kindergesicht. »Klingt lustig, gell? Opa ist auch lustig, aber jetzt ist er bestimmt auch traurig.«

*

Traurig und zutiefst erschrocken war auch Hannelore Porth, Danielas Mutter, als sie nun von ihrer Tochter über die neuesten Ereignisse informiert wurde.

»Ich komme, Nelchen«, sagte sie. »Wir treffen uns in der Klinik und besprechen dann alles. Du bleibst nicht mit ihm unter einem Dach. Geh einer weiteren Auseinandersetzung aus dem Wege, bevor du nicht mit einem Anwalt gesprochen hast.«

Er war tröstlich für Daniela, daß ihre Mutter Ruhe bewahrte. Sie zog sich nun fertig an. Als sie an Rolfs Zimmer vorbeiging, vernahm sie ein Stöhnen. Jetzt hat er einen Kater, dachte sie, dann ging sie hinaus.

Ihr Wagen stand in der Parkbucht der Seitenstraße. Die Garage beanspruchte Rolf für seinen Wagen. Zu ihrer Überraschung bemerkte Daniela, daß diese verschlossen war, was eigentlich nie der Fall war, wenn er erst morgens heimkam.

Sie hatte ihren Wagen von ihrer Mutter geschenkt bekommen. Er war nicht der Neueste, aber er tat seine Dienste. Sie wohnten doch ziemlich abgelegen.

Es war jetzt acht Uhr. Sie schaltete das Radio an. Es kamen Nachrichten. Natürlich nichts Erfreuliches. Überall in der Welt gärte es. »Und nun eine Durchsage der Kriminalpolizei«, vernahm sie die Stimme des Ansagers, als sie auf dem Parkplatz der Behnisch-Klinik hielt. Sie blieb sitzen und hörte zu.

»Heute morgen gegen fünf Uhr dreißig ereignete sich an der Kreuzung Wiesen- und Waldstraße ein Verkehrsunfall, bei dem der Unfallverursacher Fahrerflucht beging. Es muß sich dabei um einen silbermetallicen Wagen neueren Modells handeln, der beträchtlich beschädigt sein muß. Wer Angaben darüber machen kann, möge sich bitte melden…«

Daniela schaltete aus und starrte vor sich hin. Die Zeit des Unfalls, ein silbermetallicer Wagen… Rolf hatte so einen. Die verschlossene Garage! Das nicht auch noch, dachte sie vol­ler Entsetzen. Wie gelähmt saß sie da. Dann aber begann sie zu zittern, denn ein Funkstreifenwagen hielt vor der Behnisch-Klinik.

Sie stieg aus und ging wie in Trance auch zum Eingang. Sie sah Dr. Jenny Behnisch bei den beiden Beamten stehen und hörte, wie sie sagte: »Das Kind schläft jetzt. Ich glaube nicht, daß es nähere Angaben über den Unfallvorgang machen kann, als ich Ihnen bereits durchgab. Das Kind hat einen Schock erlitten. Bitte, nehmen Sie doch Rücksicht darauf, und Dr. Thomsen ist nicht vernehmungsfähig. Frühestens morgen könnten Sie ihn sprechen.«

»Kinder kennen doch meist die Automarken«, sagte der junge Beamte.

»Es handelt sich um ein Mädchen, und es war dunkel«, sagte Jenny ­energisch. »Es ging alles sehr schnell.«

Wie festgenagelt stand Daniela da. Jedes Wort hatte sie gehört. Und sie begriff, daß es um den Unfall ging.

Ich muß nach Hause, dachte sie. Ich muß nachschauen, ob Rolfs Wagen beschädigt ist. Bevor er aufwacht, muß das geschehen.

Doch da gingen die Beamten, und Jenny kam auf sie zu. »Nur nicht so aufregen, Frau Alberti«, sagte sie. »Florian hat die Nacht ganz gut überstanden.«

Daß sie noch einen anderen Grund zur Aufregung hatte, brachte Daniela nicht über die Lippen. Ihr war es schwindlig. Sie suchte nach einem Halt. Jenny legte den Arm um sie.

»Sie haben wahrscheinlich die ganze Nacht nicht geschlafen«, sagte sie. »Beruhigen Sie sich, bevor Sie zu Flori gehen. Er schläft ja noch.«

»Ich muß noch mal nach Hause, ich habe etwas vergessen«, murmelte Daniela verstört.

»Sie sollten jetzt besser nicht Auto fahren«, sagte Jenny.

»Ja, ich sollte wohl nicht fahren«, flüsterte Daniela. »Es passiert so viel. War da nicht eben auch von einem Unfall die Rede?«

»Ja, ist heute morgen passiert. Fahrerflucht mal wieder. Es ist einfach furchtbar, wie gewissenlos manche Menschen sind.«

»Gibt es Schwerverletzte?« fragte Daniela stockend. »Ich hörte, daß von einem Kind gesprochen wurde.«

»Das Kind ist glücklicherweise nicht verletzt. Der Vater hat eine Gehirnerschütterung und beträchtliche Prellungen. Es hätte aber noch schlimmer kommen können. Jetzt trinken Sie erst mal ein Tasse Tee, Frau Alberti.«

Im Schwesternzimmer saß die kleine Henrike bei Schwester Klara.

»Ich hatte Durst, Frau Doktor«, sagte sie schüchtern.

Daniela sah das Kind an. Zierlich und sehr blaß war es, aber ein bildhübsches kleines Mädchen. Und sie hatte dieses Kind schon mehrmals gesehen. Auch in Henrikes Augen blitzte ein Erkennen auf. »Sie sind doch Florians Mami«, flüsterte sie.

»Ja, die bin ich«, erwiderte Daniela.

»Hatten Sie auch einen Unfall?« fragte Henrike leise, denn etwas anderes wollte gar nicht in ihr Köpfchen.

»Nein, Flori ist am Blinddarm operiert worden«, erwiderte Daniela.

»Oh, ist das schlimm?« fragte Henrike bebend.

»Es war ziemlich schlimm«, sagte Schwester Klara anstelle von Daniela, der jetzt die Worte fehlten.

»Uns ist einer reingefahren«, flüsterte die Kleine. »Und mein Papi muß hierbleiben. Ich weiß gar nicht, was ich machen soll. Bei uns ist doch niemand da, weil Nelly auch Urlaub macht.«

»Wir benachrichtigen deinen Opa, Henrike«, warf Jenny ein. »Du kannst hierbleiben, Kleines.«

»Kann ich Flori besuchen? Ich bin doch mit ihm bekannt von der Musikschule.«

»Wenn es ihm bessergeht, darfst du ihn besuchen«, sagte Daniela leise.

»Ich weiß noch nicht, wie lange mein Papi hierbleiben muß. Wir wollten wegfahren zu Opa. Papi war bestimmt nicht dran schuld.«

»Das wissen wir schon, Henrike.«

»Und warum ist der Mann weggefahren? Ich hatte doch solche Angst, weil Papi geblutet hat.«

Wenn es Rolf war, wird er dafür büßen, dachte Daniela, plötzlich von heißem Zorn erfüllt. Dann strich sie dem Kind über das wirre Haar.

»Sie werden den Mann schon finden, Henrike«, sagte sie leise.

»Ich will es auch, weil es gemein ist, daß er abgehauen ist«, sagte Henrike. »Aber sie hat es ja gesagt.«

Jenny horchte auf. »Wer hat was gesagt, Henrike?« fragte sie.

»Hau ab, hat sie gesagt, jetzt weiß ich es wieder. Ich habe es gehört.«

»Noch etwas?« fragte Jenny. »Es war eine Frau?«

»Es war die Stimme von einer Frau«, bestätigte das Kind. »So eine hohe Stimme.« Nachdenklich wanderten die Kinderaugen zwischen Jenny und Daniela hin und her. »Es gibt keine Zeugen, oder so was hat sie noch gesagt. Aber es war wirklich dunkel. Gesehen habe ich sie nicht richtig.«

»Und sie hatte helles Haar«, sagte Jenny gedankenvoll.

Henrike nickte. »Sie war blond.«

Danielas Gedanken überstürzten sich. Ein silbergrauer Wagen, eine blonde Frau. Marisa? Daß Rolf ein Faible für blonde Frauen hatte, wußte sie. Aber Marisa war die einzige, die sie kannte. Ich darf mich nicht in diese Gedanken verrennen, nur, weil ich ihm alles zutraue, dachte sie.

»Ich werde jetzt zu Flori gehen«, sagte sie, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend.

»Darf ich dann bloß mal zu ihm hineinschauen?« fragte Henrike schüchtern.

Daniela sah Jenny fragend an. »Warte noch ein bißchen, Henrike«, sagte sie. »Du kannst bald zu deinem Papi.«

Das Kind griff nach Danielas Hand. »Sie bleiben doch noch hier?« fragte sie scheu.

»Ich muß nachher nur schnell mal heimfahren«, sagte Daniela. »Aber ich komme bald wieder. Ich bringe dir dann ein paar Bücher mit.«

Henrike blickte ihr gedankenverloren nach. »Sie ist sehr lieb, nicht wahr, Schwester Klara? Flori ist auch ein lieber Junge, und er kann schon sehr schön Klavier spielen, besser als ich.«

Daniela ging neben Jenny hier. »Ich würde mich gern um das Kind kümmern«, sagte sie leise.

»Dr. Thomsen würde das sicher gern annehmen«, erwiderte Jenny. »Und Sie wären dann auch ein wenig abgelenkt.«

»Wie lange wird Dr. Thomsen in der Klinik bleiben müssen?«

»Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Manchmal treten Komplikationeu auf. Aber ich denke, daß es nicht länger als zehn Tage dauern wird, und da kann Florian dann auch schon ans Heimgehen denken.«

So sicher war sie da zwar nicht, aber sie wollte nicht, daß Daniela sich noch mehr aufregte.

Flori kam Daniela so winzig vor wie ein Baby. Sein kleines Gesicht war so blutleer, daß es sich kaum vom Kissen abhob, und dann die Schläuche, die sie erschreckten! Unwillkürlich wich sie zurück.

»Nicht aufregen, Frau Alberti, in ein paar Stunden ist er davon befreit«, sagte Jenny beruhigend. »Wir mußten doch alles tun, um das Fieber zu senken.«

Florians Hände fühlten sich noch immer heiß an. Zitternd hielt Daniela sie umschlossen.

»Mein Liebling, mein alles«, flüsterte sie.

»Mamichen«, flüsterte das Kind, ohne die Augen zu öffnen, aber dieser bebende Laut war Musik in Da­nielas Ohren.

»Es wird ja alles gut, Flori«, flüsterte sie.

»Will zu Omi«, murmelte er.

»Ja, wir fahren dann zu Omi und bleiben bei ihr.«

»Gut«, war alles, was er noch über die Lippen brachte.

»Wir können sehr zufrieden sein, Frau Alberti«, sagte Jenny. »Er ist ein zartes Kind.«

»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte Daniela mit erstickter Stimme und Tränen in den Augen.

Und dann mußte sie doch wieder an den Unfall denken und an Rolfs Wagen.

»Ich werde jetzt schnell nach Hause fahren«, erklärte sie. »Meine Mutter wird kommen. Sie soll hier auf mich warten.«

Daniela fuhr heim. Plötzlich graute es ihr, das Haus zu betreten, das doch eigentlich ihr gehörte. Rolf hatte immer genörgelt, daß es nicht repräsentativ sei, aber er hatte nichts getan, um sich eines einzurichten, das seinen Vorstellungen entsprochen hätte.

Das Haus hatten Danielas Eltern gebaut, als sie geheiratet hatten. In der kargen Nachkriegszeit hatte man nicht aufwendig bauen können und auch kein Geld dazu gehabt. Als der Vater dann versetzt wurde, hatten sie es Daniela überlassen.

Warum dulde ich ihn eigentlich noch hier, fragte sie sich jetzt, als sie ausstieg.

Die Garagentür war noch immer verschlossen, aber sie atmete zu früh auf.

Rolf stand in der Wohnzimmertür, als sie eintrat. Er sah schrecklich aus, kreidebleich mit tief umschatteten Augen, das Gesicht merkwürdig verzerrt.

»Hast du meinen Wagen genommen?« fragte er.

»Deinen Wagen? Wie komme ich dazu? Ich habe meinen eigenen.«

»Dann ist er gestohlen worden.«

Sie starrte ihn fassungslos an. »Die Garage ist doch verschlossen!« stieß sie hervor, und sie fragte sich, was er sich jetzt wohl ausgedacht hätte, denn nun war sie felsenfest überzeugt, daß er den Unfall verursacht hatte.

»Ich habe gestern abend zugemacht, als ich wegfuhr, weil verschiedentlich Werkzeug gestohlen wurde«,

»Aber sie war offen, als ich aus der Klinik kam, und heute morgen war sie zu«, sagte Daniela.

»Aber der Wagen ist weg.«

Ihre Augen verengten sich. »Hast du die Polizei angerufen?« fragte sie.

»Wieso denn? Ich dachte doch, daß du ihn genommen hättest.«

»Du weißt genau, daß ich das nicht tue«, erklärte sie.

»Wer weiß, was du mir für einen Streich spielen wolltest, in deiner maßlosen Eifersucht«, zischte er.

Er will es mir anhängen, ging es ihr durch den Sinn. Er hat sich das ausgedacht.

»Wenn du die Polizei nicht anrufst, tue ich es«, sagte sie mit erzwungener Ruhe. »Ich habe deinen Wagen nicht genommen.«

Sie merkte, wie unsicher er war. Überhaupt war er sehr verändert, nicht nur nervös und übernächtigt. Er sah aus wie ein schwerkranker Mann, und er konnte sich kaum auf den Beinen halten. Sie sah auch, wie er sich krümmte.

Nicht die leiseste Regung von Mitgefühl war in ihr. Sie griff zum Telefon.

»Laß das jetzt. Warum bist du eigentlich nicht bei Florian?« fragte er stotternd.

»Ich wollte einige Sachen für ihn holen«, redete sie sich heraus. »Ich fahre gleich wieder in die Klinik.«

»Tu das. Ich rufe die Polizei dann selber an.«

»Ich kann mir schlecht vorstellen, daß jemand innerhalb dieser kurzen Zeit den Wagen gestohlen haben soll. Es war doch schon hell, als ich wegfuhr, und du hast geschlafen.«

»Na ja, wenn man erst um fünf Uhr heimkommt«, sagte er.

»Es war sechs Uhr«, sagte Daniela.

»Du irrst dich, es war fünf Uhr«, behauptete er.

Eine innere Stimme warnte sie, zu sagen, was sie über den Unfall wußte. Und obgleich sie so voller Zorn und Verachtung war, schwieg sie.

Sie drehte sich um und ging in Florians Zimmer. »Mach mir wenigstens einen Tee«, sagte er.

»Mach ihn dir selbst«, erwiderte sie.

»Mein Gott, laß uns doch mal miteinander reden, Daniela. So kann es doch nicht weitergehen.«

»Nein, so wird es nicht weitergehen. Ich werde die Scheidung einreichen«, sagte sie.

»Deine hirnverbrannte Eifersucht«, sagte er wütend.

»Ich bin überhaupt nicht eifersüchtig. Mir ist es völlig gleichgültig, was du tust, mit wem du die Nächte verbringst. Ich habe dieses Leben satt. Und ich darf dich daran erinnern, daß das Haus mir gehört. Ich bin nicht gewillt, es weiterhin zu dulden, daß du hier nur deinen Rausch ausschläfst.«

Es sah aus, als wolle er sich auf sie stürzen, aber er schwankte und stolperte und brach stöhnend zusammen.

Sie kümmerte sich nicht darum, sondern packte Sachen für Florian zusammen.

»So hilf mir doch«, stöhnte er, »es geht mir schlecht.«

»Ruf doch Marisa an, daß sie sich um dich kümmert. Ich muß mich um Florian kümmern«, erwiderte Daniela.

Er versuchte sich aufzurichten, aber er brach wieder zusammen, und diesmal stand blutiger Schaum vor seinem Mund. Zu ihrem Ekel vor ihm mischte sich jetzt Entsetzen.

»Hilfe«, röchelte er, »einen Arzt!«

Daniela griff wieder zum Telefon und wählte Dr. Nordens Nummer.

Loni meldete sich. Daniela sagte ihren Namen. »Diesmal ist es mein Mann«, murmelte sie tonlos. »Es ist wohl ein Notfall.«

Dr. Norden war schnell da, und wieder mußte er den Sanitätswagen bestellen.

»Bitte, nicht auch in die Behnisch-Klinik«, flüsterte Daniela.

»Es besteht höchste Lebensgefahr, Frau Alberti. Es ist die nahegelegendste Klinik.«

»Wieso Lebensgefahr? Er war maßlos betrunken«, sagte sie.

»Er hat innere Verletzungen«, sagte Dr. Norden ruhig.

»Der Unfall«, murmelte sie.

»Was meinen Sie?«

»Ich erkläre es Ihnen später. Fahren Sie mit zur Klinik?«

»Ja, aber ich muß dann gleich in die Praxis. Mittags komme ich.«

Daniela war benommen, aber sie nahm sich zusammen. Mir darf jetzt nicht auch noch etwas passieren, dachte sie, aber die Straßen waren ruhig, und es war ja nicht weit.

Ihre Mutter war noch nicht eingetroffen, und darüber war Daniela erleichtert.

Sie mußte erst ihre Fassung zurückgewinnen. Sie überlegte jetzt auch, da sie nun wieder an Florians Bett saß, ob sie von ihren Vermutungen sprechen wollte, oder ob man es ihr letztlich als böswillige Nachrede ankreiden könnte, wenn Rolf nichts nachzuweisen war. Sie mußte jetzt ganz nüchtern denken und sich an die Tatsachen halten. Sie mußte ja alles mögliche in Erwägung ziehen. Vielleicht war sein Wagen wirklich gestohlen worden, nicht vom Haus weg, sondern anderswo.

Vielleicht hatte er die Nacht mit Marisa verbracht, und sie hatte ihn heimgefahren. Es konnte auch möglich sein, daß er in seiner Trunkenheit nicht mehr wußte, wo er seinen Wagen geparkt hatte.

Genau wußte sie nur, daß die Garage in der Nacht offen und am Morgen geschlossen war. Aber sie wußte nicht, ob Rolf mit seinem eigenen Wagen heimgekommen war. Sie überlegte krampfhaft, aber sie konnte nicht sagen, ob dann ein Wagen weitergefahren war. Sie war ja selbst so übermüdet und nervös gewesen.

Und während sie nachdachte und alles zu rekonstruieren versuchte, bemühten sich die Ärzte um Rolf Alberti.

Dr. Norden hatte dringendst in seine Sprechstunde zurück gemußt, denn auch dort warteten Patienten, die nötig Hilfe brauchten.

»Merkwürdige Verletzungen«, sagte Behnisch zu seinem Assistenten. »Zwei Rippen eingedrückt, daher die Lungenstauung. Das findet man, wenn man gegen das Steuerrad prallt oder auf eine harte Kante fällt. Nerven scheinen auch gequetscht zu sein. Die Verzerrung des Gesichtes sieht aus wie nach einem leichten Schlaganfall. Nun, wir werden das noch genau feststellen können. Wir müssen jetzt röntgen und feststellen, ob Knochensplitter in die Lunge eingedrungen sind. Dann sehe ich allerdings schwarz. Der Mann ist organisch krank. Ich bin sehr gespannt, was die Werte aussagen. Ist das Blut schon im Labor?«

Der Assistenzarzt nickte. »Blutgruppe ist festgestellt. Null, die Konserven sind angefordert. Ist das der Vater von dem kleinen Alberti?«

»Ja.«

»Vielleicht hat er sich darüber so aufgeregt, daß er irgendwo hingeknallt ist«, sagte der junge Arzt, der nur aushilfsweise an der Klinik arbeitete.

»Dann im Suff«, sagte Dr. Behnisch sarkastisch. »Der Alkoholspiegel sagt es. Aber wir werden es erfahren.« An einen Zusammenhang mit Dr. Thomsens Unfall dachte er nicht, noch nicht.

*

Tonio Erben saß in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch und blickte grübelnd zum Fenster hinaus. Ganz langsam wandte er seinen Kopf um, als die Tür leise geöffnet wurde. Marisa erschien in einem meergrünen Negligé, sorgfältig frisiert. Die Spuren einer bewegten Nacht hatte sie mit Make-up gekonnt übertüncht.

»Guten Morgen, Schatz, du bist schon auf«, sagte sie mit süßester Stimme.

»Streng dich nicht an«, sagte er unwillig. »Laß dieses Theater.«

»Wenn du wissen willst, wo ich noch gewesen bin, werde ich es dir erklären«, sagte sie.

»Ich will es gar nicht wissen«, erwiderte er. »Es interessiert mich nicht, wo du dich herumtreibst.«

Sie wurde blaß unter dem Make-up, aber sie entschloß sich, die lächelnde Miene beizubehalten.

»Aber, Darling, du bist so früh verschwunden, ich mußte mich doch noch um unsere Gäste kümmern.«

»Das wirst du in Zukunft nicht mehr brauchen. Ich gebe die Galerie auf. Alberti soll mal wieder arbeiten und was auf die Beine bringen. Deine langweiligen Ablichtungen interessieren niemanden mehr. Ich lasse mich doch nicht zum Hanswurst machen. Ich werde verreisen, und du tust gut daran, dir etwas einfallen zu lassen. Du bekommst monatlich tausend Mark, und damit mußt du auskommen. Nach der Scheidung wirst du auch nicht mehr bekommen.«

»Nach der Scheidung?« rief sie schrill. »Du hast keinen Grund, dich scheiden zu lassen!«

»Oh, ich habe mancherlei Gründe. Aber ich brauche mich ja auch nur von dir zu trennen, um eine Scheidung ohne Aufsehen zu erreichen. Da ich nicht die Absicht habe, mich nochmals ins Unglück zu stürzen, ist es mir eh egal. Also, richte dich danach.«

»Ich weiß nicht, was plötzlich in dich gefahren ist, Tonio. Rolf ist unser beider Freund.«

»Er ist dein Liebhaber, aber nicht mein Freund. Er war ein guter Fotograf, aber seit er nur auf dich fixiert ist, hat er gewaltig nachgelassen.« Seine Stimme war eiskalt, und das war man von ihm gar nicht gewohnt. Er war ein eher weicher Mann. Einen unverbesserlichen Romantiker nannten ihn manche, doch gerade damit hatte er beruflichen Erfolg gehabt.

Sie setzte sich auf die Schreibtischkante. »Laß uns diese Mißverständnisse ausräumen«, sagte sie. »Ich habe nur gemeint, Rolf bei der Stange halten zu müssen. Er ist doch verheiratet.«

»Die arme Frau«, sagte Tonio.

»Und Florian ist am Blinddarm operiert worden heute nacht.«

»Woher weißt du das?« fragte er.

»Rolf hat mich angerufen. Er ist völlig deprimiert. Ich war nicht mit ihm zusammen.«

Seine Augen verengten sich. »Dann hat wahrscheinlich ein Geist seinen Wagen gefahren, nachdem du aus diesem ausgestiegen bist«, sagte er höhnisch.

»Rede doch nicht solchen Unsinn«, zischte sie. »Du kannst vom Haus aus überhaupt nicht sehen, welcher Wagen kommt und wer aussteigt.«

»Vom Haus aus nicht, aber ich habe mir einmal die Freiheit genommen, im Garten herumzuspazieren, um endlich zu sehen, wann meine Frau erscheint und wer sie nach Hause bringt. Der alte müde Knochen hatte kein Schlafbedürfnis«, fügte er spöttisch hinzu.

Marisa sah ihre Felle davonschwimmen. Damit hatte sie nicht gerechnet, und dabei hatte sie ohnehin schon genug Sorgen. »Ich möchte es dir erklären«, sagte sie stockend.

»Danke, ich brauche keine Erklärung. Ich habe Augen im Kopf und einen ungetrübten Verstand. Ich habe kein Interesse daran, daß schmutzige Wäsche gewaschen wird. Du kannst dich als Fotomodell oder Mannequin verdingen. Damit wirst du bestimmt genug verdienen. Ich fahre jetzt weg.«

»Wie du willst«, sagte sie, denn jetzt war ihr ein Gedanke gekommen, über den noch nachzudenken sich lohnen würde. »Wo bist du zu erreichen, falls es wichtig sein sollte?«

»Darum brauchst du dich nicht zu kümmern«, erwiderte er. »Die Galerie ist geschlossen. Vorerst für vier Wochen.«

»Du gestattest, daß ich im Hause wohnen bleibe?«

»Ich habe den Mietvertrag gekündigt. Du wirst damit rechnen müssen, daß der Makler neue Mieter bringt. Er hat den Schlüssel. Nicht, daß man dich mit einem Galan im Bett überrascht.«

»Wie kannst du so gemein sein!« schrie sie ihn an.

»Ich war geduldig, Marisa. Jetzt ist Schluß.«

Seine drohende Miene schreckte sie zurück. So hatte sie ihn noch nie gesehen.

»Ich bin deine Frau, Tonio«, sagte sie wütend.

»Ja, leider. Ich muß einen Dachschaden gehabt haben, als ich dich geheiratet habe. Aber drei Jahre sind genug.«

»Vergiß nicht, was du an mir verdient hast.«

»Das ist doch auf dein Konto gewandert«, erwiderte er eisig. »Alles belegt, auf Heller und Pfennig. Die Zugewinntrennung wird keine Schwierigkeiten bereiten. Wenn du über deine Verhältnisse gelebt hast, kann ich nichts dafür.«

»Du hast auf Gütertrennung bestanden«, empörte sie sich.

»Und wie gut war das! Viel Spaß mit Rolf.«

Er ging an ihr vorbei. Sie klammerte sich an seinen Arm. »Aber ich liebe dich doch, Tonio«, schluchzte sie.

»Ja, das habe ich gemerkt«, sagte er verächtlich. »Mich kriegst du nicht mehr herum, auch wenn du jetzt einen Striptease aufführst. Vielleicht macht ihr ein Geschäft mit den Aktfotos, die Rolf von dir gemacht hat. Paß auf, daß er dich am Gewinn beteiligt. Einige sind schon im Umlauf.«

Das war ein Schlag, der sie fast umwarf. Davon hatte sie nichts gewußt. Sie wartete voller Ungeduld, bis er das Haus verlassen hatte. Dann sah sie den silbergrauen Wagen davonfahren und griff zum Telefon. Aber solange sie es auch läuten ließ, Rolf meldete sich nicht. Wut und Angst stritten jetzt in ihr und warfen sie aus dem Gleichgewicht. Sie war keiner klaren Überlegung fähig.

*

Hannelore Porth war in der Behnisch-Klinik eingetroffen, eine schlan­ke blonde Frau von knapp fünf­zig Jahren, sportlich gekleidet und jetzt eine Ruhe vortäuschend, die sie viel Kraft kostete. Sie war eine sympatische Frau, die sofort Sympathien gewann. Man hatte ihr die Zimmernummer gesagt. Die Schwestern waren alle sehr beschäftigt. Vor der Tür zu Florians Zimmer stand Henrike.

»Wer bist du denn?« fragte Hannelore Porth freundlich.

»Die Henrike. Ich kenne Flori und wollte ihn mal sehen. Mein Papi schläft jetzt wieder.«

Wenn es um ein Kind ging, wurde Hannelore immer gleich ganz weich.

»Ist dein Papi krank?« fragte sie.

»Wir hatten einen Unfall.« Das bewegte ihren Verstand immer noch. »Papi konnte nichts dafür. Und dann kam Floris Mutter und sagte, daß er operiert worden ist. Ich mag Flori sehr gern.«

»Woher kennst du ihn?« fragte Hannelore.

»Von der Musikschule. Er spielt so schön Klavier, und er ist noch zwei Jahre jünger als ich. Ich kann noch nicht so schön spielen. Seine Mami hat mir Bücher gebracht, damit ich mich nicht langweile, aber ich darf Flori auch etwas Schönes kaufen, hat Papi gesagt. Bloß ich traue mich nicht allein auf die Straße, sonst kommt wieder so ein Rowdy.«

»Und wo ist deine Mami?« fragte Hannelore.

»Ich habe keine mehr. Aber das macht nichts. Mein Papi ist sehr lieb, und er wird auch wieder gesund. Jetzt bin ich wieder froh, und ich will auch, daß Flori bald wieder gesund wird.«

»Paß auf, Henrike, ich gehe jetzt hinein und schaue, wie es ihm geht. Und dann sage ich dir Bescheid.«

Henrike nickte. »Vielen Dank«, sagte sie. »Wie darf ich zu Ihnen sagen?«

»Ich bin die Omi von Flori«, erwiderte Hannelore.

Die Kinderaugen strahlten sie ab. »Sie sind aber eine hübsche junge Omi«, sagte Henrike.

»Und das war das hübscheste Kompliment, daß ich seit langem hörte«, erwiderte Hannelore mit einem lieben, mütterlichen Lächeln.

*

Leise, auf Zehenspitzen, hatte sie das Krankenzimmer betreten. Daniela hatte sie nicht kommen hören, so sehr war sie ihren Gedanken hingegeben. Und Florian schlief. Von der Nase waren die Schläuche entfernt worden, nur die Infusion tropfte noch durch.

»Ich bin da, Nelchen«, flüsterte Hannelore.

Daniela hob den Kopf, und gleich schossen Tränen aus ihren Augen hervor.

»Ich brauche dich so sehr, Mutsch«, flüsterte sie.

»Deswegen bin ich ja da.«

»Du weißt ja nicht, was alles passiert ist. Rolf liegt auch in der Klinik.«

»Liebe Güte, umbringen wollte er sich wegen Flori doch nicht etwa«, sagte Hannelore drastisch.

»Pst, ich glaube, Flori wacht auf«, flüsterte Daniela.

Und da schlug der Junge auch schon die Augen auf, als hätte die Stimme der geliebten Omi ihn geweckt.

»Omilein«, flüsterte er, »ich will zu dir.«

»Kommst du ja, Schatz«, sagte sie. »Ein paar Tage müssen wir jetzt noch Geduld haben.«

»Ich will ihn nie, nie wieder sehn«, sagte Florian.

»Wirst du nicht«, sagte Hannelore rauh.

»Ehrenwort?«

»Großes Ehrenwort, mein Herzblatt. Jetzt möchte dich auch Henrike sehen.«

»Die Ricky?« fragte Florian staunend. »Woher weiß sie denn schon, daß ich hier bin?«

»Weil ihr Papi auch in der Klinik liegt.«

»Die Ricky ist meine Freundin«, flüsterte er. »Kommt sie?«

»Aber nur ein paar Minuten«, schaltete sich jetzt Daniela ein.

»Ich bin ja auch noch so müde, Mami«, murmelte er.

Daniela holte Henrike herein. Ganz zaghaft trat sie an das Bett. »Hoffentlich können wir bald wieder Klavier spielen, Flori«, sagte sie bebend. »Tut mir so leid, daß du krank bist.«

»Ist auch doof«, wisperte er. Und dann fielen ihm schon wieder die Augen zu.

Dann kam Schwester Klara herein. »Dr. Norden möchte gern mit Ihnen sprechen, Frau Alberti«, sagte sie leise.

»Ja, ich komme.«

»Darf ich bei Floris Omi bleiben? Ich bin auch ganz still«, sagte Henrike.

»Ich bin dafür«, sagte Hannelore.

»Ich sage es dem Chef«, erklärte Schwester Klara.

Henrike schmiegte sich an Hannelores Arm. Sie suchte Wärme und Schutz, und bei dieser Frau fand sie beides. Ganz selbstverständlich nahm Hannelore sie in die Arme.

Daniela folgte Schwester Klara zum Chefarztzimmer. Dort hatten Dr. Behnisch und Dr. Norden miteinander gesprochen.

»Der Zustand Ihres Mannes ist sehr ernst, Frau Alberti«, erklärte Dr. Behnisch ohne Umschweife. Sie zuckte nicht einmal zusammen. »Wissen Sie, wo er sich diese Verletzung zugezogen hat? Doch nicht erst, als Sie Dr. Norden riefen.«

»Sicher nicht«, erwiderte Daniela tonlos. »Aber ich kann alles nur vermuten, und ich will keine falschen Angaben machen.«

»Sie sagten etwas von einem Unfall, Frau Alberti«, sagte Dr. Norden.

»Ich kann diesen Namen nicht mehr hören«, weinte sie auf. »Es tut mir leid, aber meine Nerven spielen nicht mehr mit. Ich vermute, daß er den Unfall mit Dr. Thomsen verursacht hat, aber es ist alles so verworren.« Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht. »Er hat behauptet, daß sein Wagen gestohlen wurde.«

»Können Sie es uns genau erzählen?« fragte Dr Norden. »Nehmen Sie ein paar Beruhigungstropfen. Sie schaden wirklich nicht. Es ist ein rein pflanzliches Mittel. Wir wollen Sie nicht betäuben.«

Daniela nickte nur. Sie trank das Wasserglas leer. Die Tropfen schmeckte sie gar nicht.

Dann begann sie stockend zu erzählen. So, wie sie es immer wieder durchdacht hatte, als sie an Florians Bett saß.

»Ich weiß genau, daß die Garage offen stand, als ich von der Klinik zurückkam, und dann, am Morgen, war sie verschlossen. Und er war auch nicht um fünf Uhr heimgekommen, sondern um sechs Uhr, ein paar Minuten früher. Das weiß ich ganz genau. Aber er sagte, daß sein Wagen gestohlen worden sei, und nun weiß ich nicht mehr, was ich denken soll. Ich weiß nur, daß er betrunken war, wie schon oft. Unsere Ehe ist zerrüttet, aber wenn ich meine Vermutungen der Polizei sage, werden sie doch denken, daß ich meinem Mann schaden will. Meinem Mann…«, wiederholte sie sarkastisch. »Ich wollte doch weg. Und er hat mich so oft belogen, zu oft, als daß ich ihm noch ein Wort glauben könnte. Es ist keine Eifersucht, das müssen Sie mir glauben. Mich graust vor ihm und ich habe Angst, daß er es mir in die Schuhe schieben will. Aber ich habe den Wagen nicht gefahren, nie.«

All die quälende Angst brach aus ihr hervor. Sie war jetzt dem Nervenzusammenbruch nahe. Dr. Behnisch und Dr. Norden tauschten einen Blick und nickten einander zu.

»Wir müssen Ihnen jetzt etwas Blut abnehmen, gnädige Frau«, sagte Dr. Behnisch. »Es tut nicht weh.«

Sie fragte nicht warum. Sie merkte auch gar nicht, daß ihr kein Blut abgenommen wurde, sondern daß sie eine Injektion bekam, und die wirkte dann so rasch, daß sie nichts mehr denken konnte.

»Besser so, als wenn sie durchdreht«, sagte Dr. Behnisch. »Mir klingt ihre Geschichte sehr glaubhaft.«

»Mir auch«, sagte Daniel Norden. »Ich weiß, daß es in der Ehe schon lange nicht mehr stimmt. Ich spreche mit Kommissar Kremer. Er ist ein Patient von mir.«

»So wenig Aufsehen wie möglich«, sagte Dr. Behnisch. »Ich werde mit Thomsen sprechen. Mal sehen, woran er sich erinnert.«

Und Daniela schlief. Endlich konnte sie schlafen, wenngleich da auch nachgeholfen worden war. Aber es war allerhöchste Zeit gewesen, daß ihre Nerven sich beruhigten.

*

Hannelore Porth hielt Henrike immer noch im Arm. Das Kind, so übermüdet war es, war eingeschlafen. Hannelore ahnte nicht, was dieses Kind mit ihrer Tochter verband, oder was trennend zwischen sie treten könnte.

Und auch Florian schlief ganz ruhig, während man sich auf der Intensivstation darum bemühte, Rolf Alberti am Leben zu erhalten. Es stand auf des Messers Schneide, aber Dr. Behnisch wußte jetzt, daß die ganze Wahrheit nie bekannt werden würde, wenn dieser Patient sterben würde.

Dr. Norden hatte Kommissar Kremer nicht erreichen können. Man hatte ihm gesagt, daß er dann bei ihm zurückrufen würde. Er konnte heimfahren, denn dort wartete schon lange das Mittagessen, und neben seinem Teller lagen Zeitungsausschnitte.

»Was bedeutet das, Fee?« fragte er geistesabwesend.

»Kritiken über die Party, mein Schatz. Rolf Alberti scheint nicht mehr gefragt zu sein. Deutlich wird es zwar nicht gesagt, aber man mokiert sich. Du wolltest doch, daß ich alle Boulevardblätter kaufe, und dein Wunsch ist mir Befehl.«

»Er ringt in der Behnisch-Klinik mit dem Tode, Fee«, sagte Daniel.

»Alberti?« staunte sie. »Wie das?«

»Ein Unfall. Alles unklar. Aber mir ist seine Frau und der Junge wichtiger. Wir reden nachher darüber.«

Die Kinder kamen angestürmt. Sie brauchten nicht alles zu hören. Danny und Felix waren schon hellwach und hatten auch ein gutes Gedächtnis.

Als Lenni den Tisch abräumte, läutete das Telefon. Fee meldete sich. »Es ist Kommissar Kremer. Er sollte zurückrufen, Daniel.«

»Okay, ich spreche mit ihm. Die Kinder sollen sich von Lenni ein Eis geben lassen.«

Das war die beste Methode, sie schnellstens zu entfernen. Und Lenni wußte auch gleich immer, worum es ging.

Was Fee bisher noch nicht gehört hatte, konnte sie dem entnehmen, was Daniel dem Kommissar erzählte.

Und dann sagte er: »Wenn es Ihnen weiterhilft, können Sie auch mir den Gefallen tun, Frau Alberti nicht ins Gespräch zu bringen. Danke Ihnen, Herr Kremer.«

»Das ist ja mal wieder eine heikle Geschichte, Daniel«, sagte Fee.

»Ich habe es dir ja schon angedeutet, aber sie wird aufgeklärt werden, darauf kannst du dich verlassen. Man wird den Wagen finden. Viel Zeit hatte Alberti nicht, ihn beiseitezuschaffen.«

»Wenn er es gewesen ist«, sagte Fee nachdenklich. »Du mußt daran denken, in welcher Verfassung seine Frau war. Da vermischte sich plötzlich alles ineinander. Jedenfalls könnte man das annehmen.«

»Kremer wird das schon geschickt anfangen. Er hat einen klugen Kopf und ist kein sturer Beamter. Aber in unserem Viertel lebt man auch nicht ungefährlich, wie man sieht. Paß du nur schon auf, wenn du herum­fährst.«

»Worauf du dich verlassen kannst«, erwiderte Fee.

*

Hannelore Porth war schon ganz steif vom Sitzen. Wo bleibt nur Da­niela, dachte sie. Aber dann kam endlich Dr. Behnisch, und gar so viel Zeit war noch gar nicht vergangen.

»Liebe Güte«, sagte er, als er das schlafende Kind in ihrem Arm sah.

»Sie ist völlig erschöpft«, erwiderte Hannelore. »Wo ist meine Tochter?«

»Sie schläft auch. Sie war ebenfalls völlig erschöpft. Ich bringe Henrike ins Ärztezimmer. Dort kann sie schlafen.«

»Sie würde erschrecken, wenn sie allein ist. Man muß sich doch in ein Kind hineinversetzen. Was ist da eigentlich passiert?«

»Das wird Ihnen Ihre Tochter erklären, gnädige Frau.«

»Ich würde jetzt aber gern wissen, was mit diesem Kadetten ist. Daniela hat mir nichts sagen können. Ich meine Rolf Alberti.«

»Er schwebt in Lebensgefahr. Wir wissen nichts Genaues.«

»O Gott, was richtet dieser Bursche nur an! Nur gut, daß mein Mann das nicht mehr erlebt. Ich hätte auch keinen guten Tag mehr. Aber es ist besser, mit einem Pedanten verheiratet zu sein als mit einem Schlawiner. Man braucht zwar auch Nerven, aber es geht korrekt zu.«

»Und wenn man Humor hat wie Sie, übersteht man es auch«, sagte Dr. Behnisch.

»Der Humor hört auf, wenn es um meine Tochter und um meinen Enkel geht«, sagte sie. »Können wir die Kleine vielleicht auf das Sofa legen? Mein Arm stirbt bald ab.«

Henrike wachte nicht auf, als sie auf das Sofa gebettet wurde. Fürsorglich breitete Hannelore eine Decke über das Kind.

»Ich bleibe hier«, sagte sie. »So ein liebes Kerlchen. Sie hat keine Mutter mehr?«

»Die Eltern sind geschieden.«

Hannelores Blick wanderte zu Florian. »Seine werden auch bald geschieden sein«, sagte sie gedankenvoll. »Ich frage mich oft, warum man den falschen Partner findet. Aber anscheinend gibt es auch gute Väter.«

»Das ist Dr. Thomsen bestimmt«, erwiderte Dr. Behnisch.

»Ist er auch Arzt?« fragte Hannelore.

»Er ist Rechtsanwalt.«

»Und jetzt kann sich niemand um das Kind kümmern?«

»Dr. Thomsens Vater ist benachrichtigt. Aber er wohnt am Comer See.«

»Dann werde ich mich um die Kleine kümmern. Wenn Herr Alberti hier in der Klinik ist, wird er sich nicht einmischen können. Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Doktor, aber mir ist es egal, ob er mit dem Leben davonkommt. Erwarten Sie von mir kein Mitleid mit ihm. Wie geht es Henrikes Vater?«

»Zufriedenstellend.«

»Und wie geht es meiner Tochter?«

»Wir mußten ihr ein Beruhigungsmittel geben. Sie war einem Nervenzusammenbruch nahe.«

»Wenn ich eine Tasse Kaffee haben könnte und vielleicht einen Zwieback, wenn das nicht zuviel verlangt ist?«

»Sie werden sofort versorgt werden, gnädige Frau.«

»Ich weiß ja, wie das in einer Klinik zugeht. Ich möchte jetzt nur gern hierbleiben.«

»Ich sage Bescheid.«

Wenige Minuten später wurde Hannelore ein Tablett mit Kaffee, Brötchen, Butter und einer Wurstplatte gebracht. Und sie aß mit gutem Appetit. Einer muß ja die Nerven behalten, dachte sie.

*

Tonio Erben befand sich auf der Fahrt zu Donna. Doch bevor er die Autobahn erreichte, wurde er von einer Polizeistreife angehalten. Er wurde aufgefordert, seine Papiere zu zeigen. Tonio war ohne jedes Schuldbewußtsein. Als die Beamten um den Wagen herumgingen und ihn genau betrachteten, fragte er aber doch, was denn los sei. »Meine Bremslichter funktionieren doch«, bemerkte er. »Oder ist sonst was?«

Er war freundlich, keineswegs verärgert, und er bekam auch eine Antwort.

»Mit einem ähnlichen Wagen wurde heute morgen ein Unfall verursacht. Der Schuldige beging Unfallflucht.«

»Ich war es bestimmt nicht, und für so etwas habe ich kein Verständnis«, sagte Tonio. »War das hier in der Gegend?«

»Ja, an der Waldstraße, gegen halb sechs Uhr. Es wurde schon im Radio bekanntgegeben.«

»Ich höre unterwegs kein Radio«, sagte Tonio. Aber seine Augenbrauen schoben sich zusammen. »Das Modell gibt es öfter.«

»Ja, das wissen wir.«

»Sie werden den Übeltäter hoffentlich finden«, meinte Tonio. »Schlimme Folgen?«

»Der Fahrer ist verletzt. Gute Fahrt!«

Tonio kamen seltsame Gedanken. Halb sechs Uhr morgens an der Waldstraße. Rolf hatte den gleichen Wagen.

Sie hatten ihn zur gleichen Zeit bestellt und geliefert bekommen. Und Marisa war bei ihm im Wagen gewesen, davon war Tonio überzeugt. Ihm erging es jetzt wie Daniela, nur

daß sie inzwischen davon überzeugt war, daß Rolf den Unfall verursacht hatte.

Immerhin hatte er den Wagen anscheinend beiseite geschafft, um einen Diebstahl glaubhaft zu machen. Aber der Wagen mußte doch zu finden sein.

Daniela fiel es ein, daß der angebliche Diebstahl noch gar nicht gemeldet war.

Doch Dr. Norden wollte diesbezüglich etwas unternehmen, und darauf konnte sie sich verlassen.

Sie hatte ein paar Stunden geschlafen. Als sie erwachte, war sie verwirrt und wußte momentan nicht, wo sie sich befand. Aber dann trat ihre Mutter ein. Nun war alles wieder gegenwärtig.

»Geht es besser, Nelchen?« fragte Hannelore.

Daniela nickte. »Ich konnte dir noch nicht erklären, was alles passiert ist«, sagte sie leise.

»Ich habe inzwischen alles erfahren«, erwiderte Hannelore. »Da wartet ein netter Kommissar Kremer darauf, mit dir sprechen zu können.«

»Ich muß mich ein bißchen frisch machen.«

»Tu das, ich gehe wieder zu den Kindern.«

Daniela blickte auf. »Ist Henrike bei Florian?« fragte sie beklommen.

»Sie schläft, und er schläft auch. Mach dir keine Sorgen.«

»Dr. Thomsen wird erfahren, wer den Unfall verursacht hat.«

»Sicher, aber du hast damit nichts zu schaffen.«

»Ich schäme mich für ihn, Mutsch«, flüsterte Daniela.

»Das brauchst du wahrhaftig nicht. Dir hat er auch genug angetan.«

Eine halbe Stunde später hatte Daniela dem Kommissar Kremer alles noch einmal genau erzählt.

»Der Wagen wurde gefunden«, erklärte er ihr. »In einem Waldstück nahe der Waldstraße. Ganz raffiniert gedacht. Haben Sie eine Ahnung, wer die Frau gewesen sein könnte, die dabei war?«

Daniela zögerte.

»Eine blonde Frau soll es gewesen sein«, sagte Kommissar Kremer.

»Es könnte Marisa Erben gewesen sein«, erwiderte Daniela. »Ich möchte aber nicht den Anschein erwecken, daß ich sie aus persönlicher Antipathie verdächtige.«

»Es wird sich feststellen lassen, ob sie auch verletzt ist. Der Wagen wird gründlichst untersucht.«

Daniela sah ihn fragend an. »Ich begreife nur nicht, daß sich bei Rolf die Verletzung erst Stunden später bemerkbar machte.«

»Das ist häufiger der Fall, als man meint. Der augenblickliche Schock bewirkt eine Art Lähmung. Zudem hatte Alberti viel getrunken. Alkohol betäubt. Er ist jetzt jedenfalls nicht vernehmungsfähig und wird es vielleicht auch nie mehr sein.«

Daniela starrte ihn an. »Er könnte daran sterben?« fragte sie heiser.

»Er war schon vorher kein gesunder Mann. Eine solche Lebensweise macht sich natürlich bemerkbar. Nun, er hat es sich selbst zuzuschreiben. Wie Dr. Norden mir sagte, hatten Sie die Absicht, die Scheidung einzureichen.«

»Ja.«

»Ich werde jetzt mit Dr. Thomsen sprechen«, erklärte der Kommissar.

»Dann sagen Sie ihm bitte, daß mir alles sehr leid tut, und wenn er einverstanden ist, werden wir uns Henrikes annehmen.«

»Sie kennen Dr. Thomsen persönlich?«

»Nein, ihn nicht, nur seine Tochter. Sie geht mit Florian in die Musikschule.«

»Dr. Thomsen ist ein bekannter Anwalt. Er könnte Ihre Scheidung übernehmen, falls es dazu noch kommt«, sagte Kommissar Kremer.

»Wäre das nicht ein bißchen makaber?« fragte Daniela beklommen.

»Das finde ich nicht. Aber es ist Ihre Entscheidung. Sie haben uns sehr geholfen, gnädige Frau. Durch Ihre Aufrichtigkeit ist uns viel Arbeit erspart worden.«

»Mir hat diese Nacht viele Erkenntnisse gebracht«, sagte Daniela leise. »Ich war schon so abgestumpft, daß ich nur allem aus dem Wege gehen wollte. Wäre Florian nicht operiert worden, hätte ich mich um nichts gekümmert und wäre mit dem Jungen zu meiner Mutter gefahren.«

»Ihre Mutter ist eine patente Frau. Man kann Sie nur beglückwünschen.«

Sie ist auch erst ein freier Mensch geworden nach Vaters Tod, ging es Daniela durch den Sinn. Seltsam war das. Und unwillkürlich kam ihr jetzt auch der Gedanke, was los sein würde, wenn ihr Vater noch lebte.

*

Dr. Henrik Thomsen war bei Bewußtsein, aber immer noch benommen. In seinem Kopf schien ein Mühlrad zu kreisen. Kommissar Kremers Stimme drang wie aus weiter Ferne an seine Ohren, vor seinen Augen flimmerte es.

»Wir wissen, wer Sie angefahren hat, Herr Doktor«, sagte der Kommissar. »Ein Mann namens Alberti. Er ist auch beträchtlich verletzt. Allerdings hat sich das erst später herausgestellt.«

»Ricky, wie geht es meiner Tochter?« fragte Dr. Thomsen flüsternd.

»Es geht ihr gut. Sie ist unverletzt. Ich soll Ihnen von Frau Alberti ausrichten, daß sie tief bedauert, was ihr Mann angerichtet hat. Sie strebte vorher schon die Scheidung an, und sie bietet Ihnen an, sich um Henrike zu kümmern. Ihre Tochter kennt Florian von der Musikschule her.«

Da lächelte Dr. Thomas flüchtig. »Der kleine Flori«, murmelte er. »Ricky hat von ihm erzählt. Er spielt so gut Klavier.«

Kommissar Kremer atmete erleichtert auf. »Ich will Sie jetzt nicht länger belästigen. Ich hoffe, daß Sie bald gesund werden.«

»Mein Vater – er wartet«, murmelte Henrik Thomsen.

»Er wurde bereits benachrichtigt.« Und da ging auch schon die Tür auf, und ein großer breitschultriger Mann trat ein.

»Toto«, seufzte der Kranke erleichtert.

Kommissar Kremer war konsterniert. Toto war für ihn das Glücksspiel der Nation. Aber er sollte bald erfahren, wie Otto Thomsen zu diesem Spitznamen gekommen war.

Er konnte jetzt wieder seiner Arbeit nachgehen. Es gab ja noch allerlei zu erledigen. Er ahnte nicht, was ihm noch bevorstand. Er machte sich auf den Weg zu Marisa Erben.

Marisa hatte immer wieder versucht, Rolf zu erreichen, auch auf die Gefahr hin, daß Daniela sich melden würde. Aber es hatte sich niemand gemeldet.

Als es dann läutete, dachte sie, daß es Rolf wäre, und schnell eilte sie zur Tür. Doch vor ihr stand ein fremder Mann.

»Ich kaufe nichts«, sagte sie barsch.

»Kremer, Kriminalpolizei«, kam die Antwort, und ein Ausweis wurde ihr vor die Nase gehalten.

Der Plan, den sich Marisa zurechtgelegt hatte, nahm plötzlich Leben an. »Sie kommen wegen meines Mannes?« fragte sie, ohne ihre innere Unruhe mit einem Wimpernzucken zu verraten.

Das wird eine harte Nuß, dachte Kommissar Kremer sogleich, aber er hatte ja auch einige Trümpfe im Hinterhalt.

»Ich möchte Sie um einige Auskünfte bitten«, sagte er höflich.

»Wenn ich dienlich sein kann«, sagte sie spöttisch. »Mein Mann ist nämlich verreist.«

Aber sie gewann an Sicherheit, als sich der Kommissar von seiner freundlichsten Seite zeigte.

Er wußte ja, wie man mit raffinierten Frauen umgehen mußte, und er ließ sich durch betörende Blicke und ein verführerisches Lächeln nicht bestechen.

»Es handelt sich um einen Unfall, der von einem silbergrauen Wagen verursacht wurde. Der Mann beging Fahrerflucht. Es handelt sich um einen gewissen Rolf Alberti.«

»Das ist kaum möglich«, sagte Marisa. Sie zündete sich eine Zigarette an. »Rauchen Sie?« fragte sie.

»Nein, danke.«

»Was kann ich Ihnen anbieten?«

»Eine Tasse Kaffee«, erwiderte er mit einem Blick auf die Kaffeekanne. »Wieso ist das nicht möglich?« fragte er dann.

»Es gibt dafür eine einfache Erklärung. Mein Mann und Rolf Alberti haben die gleichen Wagen. Und… Aber ich muß wohl vorausschicken, daß wir gestern abend eine Party gaben, die sich bis in die Morgenstunde hinzog.«

Jetzt kommt sie schon ins Schwimmen, dachte der Kommissar, aber er hatte sich geirrt.

»Rolf Alberti ist ein enger Freund meines Mannes«, fuhr sie fort. »Leider trinkt er manchmal ein bißchen viel über den Durst. Wir hätten ihn selbstverständlich nicht mehr ans Steuer gelassen, aber als wir auf den Parkplatz kamen, stellten wir fest, daß Rolfs Wagen verschwunden war. Wir bestellten ein Taxi für ihn. Wenn also mit Rolfs Wagen ein Unfall verursacht wurde, so saß er bestimmt nicht am Steuer.«

Eiskalt und skrupellos, so schätzte Kremer jetzt Marisa ein. Nerven wie Kälberstricke, sagte man auf gut Bayerisch.

»Warum haben Sie ihn denn nicht heimgefahren?« fragte er.

»Mein Mann war müde. Er war auch ein wenig gereizt, weil nicht alles so läuft, wie er es sich vorstellt. Er war auch verärgert, weil Rolf wieder getrunken hatte.«

»Sie hatten also Streit, und deswegen ist er heute weggefahren«, klopfte der Kommissar auf den Busch.

»Wir hatten keinen Streit«, widersprach Marisa gereizt. »Wie kommen Sie darauf?«

»Nun, dann will ich Ihnen einmal den Unfallvorgang schildern, wie Zeugen ihn beobachtet haben. In dem Wagen, der den Unfall verursachte, befanden sich ein Mann und eine blonde Frau. Im anderen Wagen war der Rechtsanwalt Dr. Thomsen mit seiner Tochter auf dem Weg in den Urlaub. Dr. Thomsen erlitt beträchtliche Verletzungen, das Kind blieb unverletzt, und es hörte, wie die Frau zu dem Fahrer des Wagens sagte: ›Hau ab, es sind keine Zeugen da‹.«

Marisas Augen wurden schmal, aber ihr Gesicht zeigte keine Regung. »Und was habe ich damit zu tun?« fragte sie. »Nur, weil ich blond bin? Ich habe Ihnen gesagt, daß Herr Alberti mit dem Taxi heimfuhr. Er wird es Ihnen bestätigen.«

»Das kann er augenblicklich nicht«, sagte Kommissar Kremer kühl. »Er liegt in der Behnisch-Klinik und schwebt in Lebensgefahr. Er hat bei dem von ihm verursachten Unfall schwere innere Verletzungen erlitten. Es wäre gut, wenn Sie bei der Wahrheit bleiben würden, Frau Erben. Ihr Mann wird auch befragt werden, wie es sich wirklich verhielt. Es kann Sie teuer zu stehen kommen, wenn Sie eine strafbare Handlung vertuschen wollen.«

Marisas Augen funkelten böse. »Ich habe damit nichts zu tun!« stieß sie hervor. »Ich habe Ihnen gesagt, was ich weiß. Wo sich mein Mann allerdings befindet, weiß ich nicht. Ich kann auch nicht glauben, daß Rolf irgendwie verletzt ist. Sie wollen mich hinters Licht führen!«

»Sie können sich in der Behnisch-Klinik erkundigen.«

»In der Behnisch-Klinik? Dort ist Florian operiert worden«, sagte sie.

»Woher wissen Sie das?«

»Von Rolf natürlich. Wir haben telefoniert.«

»Wann?«

»Gegen Mittag.«

»Das kann kaum stimmen, da war er bereits in der Klinik und lag auf dem Operationstisch.«

Ihr Blick wurde starr. Nun schien sie doch zu begreifen, wieviel auch für sie auf dem Spiel stand.

»Ich habe nichts zu sagen. Ich habe mit dem Unfall nichts zu tun. Ich werde meinen Anwalt fragen, was ich gegen solche Behauptungen unternehmen kann.«

»Ich würde Ihnen abraten, gegebenenfalls einen Meineid zu leisten«, sagte er ruhig, »wir werden auch Ihren Mann befragen.« Dann ging er, und Marisa schenkte sich erst mal einen Whisky ein.

*

Tonio Erben hatte währenddessen mit Donna über diese Angelegenheit gesprochen.

»Zuzutrauen ist es Alberti«, hatte sie gemeint und auch gesagt, daß Marisa lügen würde, um ihre Haut zu retten.

»Ruf doch mal bei Alberti an«, forderte sie ihn auf, was er auch tat, aber es meldete sich niemand.

»Mir würde Daniela noch mehr leid tun«, sagte er bedauernd. »Ich habe mich in dieser Sache ganz falsch verhalten.«

»Das hast du. Es ist aber nicht mehr zu ändem«, meinte Donna. »Jetzt werde ich dich mal mit Franzi Ostmann bekannt machen, damit du auf andere Gedanken kommst. Ich sehe sie gerade kommen.«

Ganz jung mochte Franzi nicht mehr sein, aber sie wirkte so frisch und natürlich, so unverdorben und voller Lebensfreude, daß Tonio sie staunend betrachtete.

»Stell dir vor, Donna, ich habe das Bild verkauft!« rief Franzi voller Freude aus, noch bevor sie Tonio wahrnahm. Doch gleich wurde sie verlegen, als dann ihr Blick auf ihn fiel. »Wir sprechen dann später dar­über«, sagte sie entschuldigend.

»Nun renn nicht gleich davon, Franzi«, sagte Donna. »Das ist Tonio Erben. Ein guter Freund von mir. Er bleibt ein paar Tage bei uns.«

»Ich will nicht stören«, sagte Franzi zurückhaltend.

»Du störst nicht. Wir essen, wie immer, gemeinsam«, erklärte Donna energisch.

»Ich könnte Donnas Gastfreundschaft nicht annehmen, wenn durch mich Unruhe ins Haus käme«, warf Tonio ein.

»So war es nicht gemeint«, sagte Franzi schüchtern.

»Jetzt sag mal, wieviel du für das Bild bekommen hast«, sagte Donna neugierig.

»Dreihundert Mark, ist das nicht wunderbar?«

»Zu billig«, sagte Donna. »Tonio versteht was von Bildern. Er kann dir sagen, was man wirklich dafür bekommen kann.«

»Mich kennt doch niemand«, erklärte Franzi bescheiden.

»Das ist der Jammer, aber man wird dich bald kennenlernen.«

Donna zwinkerte Tonio zu. »Während ich das Essen zubereite, kann Franzi dir mal ihre Bilder zeigen.«

Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch. Franzi errötete.

»Wenn es Donna sagt, muß ich folgen. Bitte, nach oben.«

Tonio folgte ihr. Der Dirndlrock schwang um ihre schlanken gebräunten Beine. Unwillkürlich kam es ihm in den Sinn, wie herausfordernd sich Marisa bewegte, wie geziert andere weibliche Wesen aus seinem Bekanntenkreis. Und es wurde ihm bewußt, in welch einer verlogenen Welt er sich selbst gefangen hatte. Groß und hell war das Atelier, aber Tonios Blick fiel gleich auf ein Bild, das Donna darstellte, und lebendiger konnte man dieses Gesicht wohl nicht wiedergeben.

»Phantastisch«, sagte er leise.

»Ich male sonst keine Porträts«, erklärte Franzi. »Donna hat mich dazu verführt, weil ich dafür hier umsonst arbeiten kann. Konnte, muß ich sagen, denn jetzt werde ich wohl doch Geld verdienen. Der Mann, der das Bild gekauft hat, will noch mehr haben.«

»Was ist das für ein Mann?« fragte Tonio.

»Ein Ausländer. Er macht hier Urlaub. Ich durfte das Bild bei Xaver ausstellen.«

»Und wer ist Xaver?«

»Er hat ein Geschäft. Schnitzereien und Andenken, auch Bilder, aber keine Originale.«

Tonios Augen wanderten umher. Er sah eine ganze Anzahl Bilder. Ihn bestachen die Farben. Ungewöhnliche Mischungen, wie er sie bisher nicht gesehen hatte.

»Wer hat Ihnen die Farbtechnik beigebracht?« fragte er.

»Ich selbst«, erwiderte sie verlegen. »Sie fand bisher keinen Anklang. Und ich bin wohl auch nicht modern genug, wie man es von jüngeren Malern erwartet. Ich male eben so, wie ich fühle und sehe. Ich kann nicht anders.«

»Und das wird gut sein«, sagte Tonio ernst. »Wir werden in ein paar Wochen eine Vernissage veranstalten. Dazu brauche ich aber wenigstens zwanzig Bilder.«

»Na ja, so viele stehen bestimmt herum, aber man wird Sie auslachen, wenn Sie die ausstellen«, sagte Franzi.

»Das lassen Sie mal meine Sorge sein.«

»Ich will aber nicht, daß Donna Reklame für mich macht. Wenn sie sich einmischt, kommen die Leute doch nur ihretwegen, und wenn sie erwarten, daß Donna über sie schreibt, kaufen sie vielleicht sogar.«

»Sie sind ein komisches Mädchen«, sagte Tonio. »Andere laufen mir die Bude ein, um sich bekannt zu machen. Und Donna würde niemanden protegieren, von dem sie nicht überzeugt ist. Haben Sie noch nicht begriffen, daß sie sich lustig macht über diese Leute, die unbedingt Publicity haben wollen?«

»Ich war noch nie in München. Ich weiß nicht, wie es da zugeht. Ich lese auch nichts über das Gesellschaftsleben«, sagte sie. »Ich möchte malen, aber ich brauche nicht viel Geld. Und ich passe auch nicht in diese Welt. Besser gesagt, ich kann mich nicht anpassen. Mein Vater konnte das auch nicht, und er hat wunderschöne Bilder gemalt.«

»Und wo sind die?«

»Die meisten hat er verschenkt. Er war Bauer. Er hat nur in den Wintermonaten gemalt, zu seinem Vergnügen, und er hat die Bilder guten Freunden gegeben. Er hat immer nur gegeben, und als er dann selbst in Not geriet, hat ihm niemand geholfen. So ist es in der Welt. Donna ist auch so, aber doch anders.«

»Wie meinen Sie das, Franzi?« fragte Tonio etwas sinnend.

»Wenn sie sich unter diesen oberflächlichen Menschen bewegt, ist sie nicht so wie hier. Hier ist sie einfach ein Mensch, keine Klatschtante, wie sie sich selber bezeichnet. Sie ist der liebenswerteste Mensch, den ich kenne, seit Vater nicht mehr lebt.«

»Ich teile diese Meinung«, sagte Tonio. »Auf Donna kann man sich verlassen. Aber Sie sollen malen, und Sie sollen damit auch Ihren Lebensunterhalt verdienen.«

»Aber ich will nicht angeschaut werden wie ein Unikum. Wenn jemandem meine Bilder gefallen, freue ich mich. Man braucht doch nicht zu wissen, wer sie gemalt hat.«

»Sie sind ja wirklich ein Unikum«, sagte Tonio lächelnd. »Ich würde gern auch die Bilder von Ihrem Vater sehen.«

»Die packe ich dann mal aus. Zwei hängen in meinem Zimmer. Aber da muß ich erst aufräumen«, sagte sie verlegen.

»Ach was, ich schaue mich doch nicht um.«

»Ich möchte doch erst aufräumen«, sagte sie eigensinnig. »Morgen können Sie Vaters Bilder sehen.«

»Hallo, ihr beiden, das Essen ist fertig!« rief Donna. Und damit war die Diskussion beendet. Aber sie sahen sich an und lächelten, und plötzlich hatte Tonio das Gefühl, als beginne für ihn ein neues Leben – ein besseres.

*

Bei Marisa war das Gegenteil der Fall. Sie hatte sich aber doch entschlossen, zur Behnisch-Klinik zu fahren, um sich zu überzeugen, ob es Rolf wirklich so schlecht gehe. Sie hatte nur ein dezentes Make-up aufgelegt, denn sie fand es ganz gut, wenn sie angegriffen aussah. Sie mußte auch darauf gefaßt sein, Da­niela zu treffen.

O ja, sie ärgerte sich über so manches, und daß dieser Unfall passiert war, versetzte sie in eine deprimierende Stimmung. Sie war ja überzeugt gewesen, daß niemand dahinterkommen würde, wer diesen Unfall verursacht hatte. Es war ihre Idee gewesen, den Wagen als gestohlen zu melden. Und sie hatte diese Idee ausgezeichnet gefunden.

Jetzt begriff sie, daß es besser gewesen wäre, den Wagen sofort irgendwo abzustellen und zu Fuß nach Hause zu gehen. Was war nun noch zu retten? Einfach die Koffer packen und irgendwohin fahren? Aber sie hatte nicht viel Bargeld, und an das Bankkonto von Tonio konnte sie nicht heran. Es war ja ihr Wunsch gewesen, ein eigenes zu haben, damit Tonio sie nicht kontrollieren konnte. Aber sie hatte munter drauflos gelebt. Ja, auch für sie gab es viel zu überdenken. Ihr war mies zumute, als sie sich in ihr Sportcoupe setzte und zur Behnisch-Klinik fuhr.

Natürlich würde sie sofort als Fotomodell Geld verdienen können, auch als Mannequin, daran zweifelte sie nicht. Aber was würden die Bekannten denken, wenn Tonio Erbens Frau plötzlich wieder auf diese Weise ins Licht der Öffentlichkeit rückte und nicht als die große Dame, die sie so gern gespielt hatte. Als Marisa vor der Behnisch-Klinik aus ihrem Wagen stieg, keimte Zorn in ihr, daß sie so unvorsichtig gewesen war, sich mit Rolf Alberti einzulassen. Und nur zu gern war sie bereit, ihm alle Schuld zuzuschieben. Sie wollte schon umdrehen, aber da sah sie Daniela aus der Tür treten. Sie konnte nicht davonlaufen. So setzte sie eine Trauermiene auf.

Mit einem Wortschwall wurde Daniela überschüttet. »Ich habe eben erst erfahren, was geschehen ist. Das ist ja entsetzlich, Daniela. Wie können wir dir helfen? Leider mußte Tonio ja heute auf eine Geschäftsreise gehen, aber was ich tun kann, tue ich gern. Wir sind doch Freunde, auch wenn du dich leider rar gemacht hast.«

Falsches Biest, dachte Daniela, aber sie hatte nicht die geringste Lust, sich in eine Debatte einzulassen.

»Ich brauche keine Hilfe«, sagte sie kühl. »Ich habe jetzt keine Zeit, ich muß noch einiges erledigen, bevor die Läden schließen.«

»Wie geht es Florian? Ist Rolf wirklich so krank, wie man mir sagte?«

»Rolf interessiert mich nicht im geringsten, nicht mehr«, erwiderte Daniela, »und für Florian brauchst du dich jetzt auch nicht zu interessieren, Marisa. Zieh deine Show ab vor wem du willst, auf mich wirkt sie nicht.«

Und dann eilte sie davon. Gehetzt und voller Wut blickte ihr Marisa nach. Daniela zeigte Krallen, das war ja etwas ganz Neues. »Diese dumme kleine Pute«, murmelte sie, und dann betrat sie entschlossen die Klinik. So ließ sie doch nicht mit sich umspringen! Das war eine Unverschämtheit. Und nicht einen Augenblick dachte sie daran, was sie dazu beigetragen hatte, daß Daniela zu solchen Reaktionen kam.

Zu ihrem Glück und zu seinem Unglück lief ihr der junge Assistenzarzt Dr. Brühl in den Weg, der nur aushilfsweise an der Behnisch-Klinik tätig war. Auf ihn machte Marisa Eindruck und er wußte über die Hintergründe dieses Unfalls kaum Bescheid.

»Mein Name ist Marisa Erben«, sagte sie mit ihrem betörendsten Lächeln, da sie seine bewundernden Blicke aufgefangen hatte. Das gefiel ihr. Das hob wieder ihr Selbstbewußtsein. »Wir sind mit Herrn Alberti befreundet. Ich habe eben seine Frau getroffen, aber sie hatte leider keine Zeit, mir nähere Auskünfte zu erteilen. Das werden Sie sicher gern tun.«

»Herrn Alberti geht es gar nicht gut«, stotterte der junge Arzt. »Sie wenden sich besser an den Chefarzt, gnädige Frau. Ich bedauere sehr, Ihnen keine Auskunft geben zu können, und bis Sie mit Dr. Behnisch sprechen können, müssen Sie sich leider auch gedulden, denn er macht gerade Visite.«

»Aber Sie könnten mir doch wenigstens sagen, in welchem Zimmer Herr Alberti liegt?«

»Auf der Intensivstation, da ist kein Zutritt gestattet ohne Genehmigung des Chefs.«

»Aber in welchem Zimmer der Flori liegt, können Sie mir doch sagen«, meinte sie mit scheinheiliger Vertraulichkeit.

»Zimmer vierzehn«, erwiderte er, »aber…« Doch da wurde nach ihm gerufen, und mit einem leichten Schuldbewußtsein eilte er davon.

Marisa machte sich auf die Suche. Daniela war ja weggegangen. Daß noch jemand bei dem Jungen sein könnte, bedachte sie nicht. Wer denn schon. Rolf lag ja auf der Intensivstation.

Es begegnete ihr niemand, denn die Visite fand jetzt im oberen Stockwerk statt, und die Schwestern waren beschäftigt. Sie fand das Zimmer vierzehn schnell, und sie machte sich gar nicht die Mühe anzuklopfen.

Und dann sah sie sich plötzlich einer Dame und einem Herrn älteren Semesters gegenüber, die sie verwundert anstarrten. Aber da war noch ein kleines Mädchen, das mit schreckensweiten Augen auf ihre rechte Hand starrte, die noch auf der Klinke der offenen Türe lag.

»Der Ring«, stieß Henrike hervor, »das ist die Frau. Ich habe den Ring gesehen, Floris Omi. Und sie hat auch blonde Haare. Was will sie hier?«

Wie von Furien gehetzt, lief Marisa davon, doch Otto Thomsen reagierte geistesgegenwärtig, fragte nichts, sondern lief ihr nach. Und es war Marisas Pech, daß ihr ausgerechnet Kommissar Kremer in den Weg lief und sie gleich am Arm packte.

»So schnell sieht man sich wieder«, sagte er grinsend.

»Ihr seid ja alle verrückt!« schrie sie hysterisch. »Was will man denn von mir? Ich komme mit den besten Absichten und…«

»… rennen davon, weil das Kind den Ring erkannt hat«, fiel ihr Otto Thomsen ins Wort.

»So ein Unsinn, ich habe ihn heute nacht gar nicht getragen.«

»Das wird sich feststellen lassen, Frau Erben«, sagte Kommissar Kremer.

»Was mischen sich denn Fremde ein«, begehrte sie mit einem giftigen Blick zu Otto Thomsen auf.

»Ich bin der Großvater des Kindes, und der Vater von Dr. Thomsen, der bei dem Unfall verletzt wurde.«

»Dr. Thomsen? Der Anwalt? Donna Regulins Anwalt?« Jetzt schien Marisa einem Zusammenbruch nahe. »Ich bin fertig mit den Nerven. Ich kann doch nichts dafür«, schluchzte sie. »Warum glaubt mir denn niemand? Warum hilft mir niemand?«

»Beruhigen Sie sich, Frau Erben, und dann sagen Sie mir die Wahrheit«, sagte Kommissar Kremer.

*

Otto Thomsen kehrte in Florians Zimmer zurück. Henrike klammerte sich an Hannelore. Der Junge schlief zum Glück immer noch.

»Ich denke, wir müssen uns mal allein unterhalten«, sagte der Mann heiser.

»Ich will bei Floris Omi bleiben, Opi. Ich mag jetzt nicht weg von hier«, bat Henrike.

»Du bleibst ja hier, Kleinchen«, sagte er liebevoll. »Ich gehe jetzt noch mal zum Papi. Du bist ja gut aufgehoben.«

»Ich habe aber nicht gelogen, Opi. Den Ring habe ich bestimmt gesehen. Der hat genauso geblitzt wie eben.«

»Schon in Ordnung, Ricky. Ich weiß, daß du nicht lügst. Einstweilen sage ich verbindlichen Dank, Gnädigste«, wandte er sich an Hannelore. »Wir werden uns hoffentlich bald in aller Ruhe unterhalten können.«

Er ging zu Henrik. Dr. Behnisch war gerade bei ihm. »Es geht ja schon wieder aufwärts«, sagte der Arzt zuversichtlich. »Ihr Sohn hat eine gute Konstitution.«

»Er hat ja auch immer solide gelebt«, sagte Otto Thomsen, »und die Thomsens bringt man so schnell nicht um.«

Er selbst wirkte wie eine knorrige Eiche, die jedem Sturm trotzen konnte, und Dr. Behnisch dachte, welch ein Glück es doch sei, daß Daniela auch eine Mutter hatte, die die Nerven nicht verlor.

»Eine Viertelstunde bewillige ich noch, aber dann muß unser Patient wieder Ruhe haben«, sagte Dr. Behnisch.

»Ich wollte ihn nur etwas fragen«, sagte Otto Thomsen. Er fing noch einen warnenden Blick von Dr. Behnisch auf, dann verließ der Arzt das Krankenzimmer.

»Was ist denn, Toto?« fragte Henrik.

»Donna Regulin ist deine Klientin«, begann der Ältere zögernd.

»Das weißt du doch.«

»Kennst du eine Marisa Erben?«

»Ich habe den Namen heute zum erstenmal gehört. Der Mann hat eine Kunstgalerie, die kenne ich. Donna hat mich darauf aufmerksam gemacht.«

»Es scheint so, daß diese Marisa Erben bei dem Alberti im Wagen war. Ricky hat ihren Ring erkannt.«

»Ruhe bewahren, Toto. Es war dunkel. Das Kind konnte doch so wenig sehen wie ich. Er fuhr doch mit abgeblendeten Scheinwerfern. Hätte ich das Licht vorher bemerkt, hätte ich rechtzeitig gebremst. Auf jeden Fall hatte ich Vorfahrt. Mir kann niemand was anhängen, wenn du das fürchten solltest.«

»Ich habe nur gefürchtet, daß hätte mehr passieren können«, sagte der Ältere rauh. »Ihr seid alles, was ich habe. Jedenfalls wollte ich dir auch sagen, daß Daniela Alberti keine Schuld trifft. Du solltest ruhig mal mit ihr sprechen.«

»Wenn dieser verdammte Kopf nicht mehr weh tut«, sagte Henrik.

»Sie hat eine sehr nette Mutter. Ricky hängt schon wie eine Klette an ihr.«

»Sie kennt Flori von der Musikschule. Ich bin nur froh, daß dem Kind nichts passiert ist. Ich werde bald wieder okay sein, dann wird sich alles in Ruhe klären lassen.«

»Alberti hat es schwer erwischt«, sagte sein Vater.

»Und dann konnte er noch fahren?«

»Wahrscheinlich unter der Schockwirkung. Oder die Frau ist gefahren, aber sie wird es leugnen, wenn es ihr nicht widerlegt werden kann.«

»Ich möchte jetzt eine Weile gar nichts mehr hören, Toto. Sieh doch mal in der Kanzlei nach dem Rechten.«

»Wird gemacht, Junge. Schlaf gut.«

*

Daniela war heimgefahren, um schnell ein wenig Ordnung zu schaffen und etwas anderes anzuziehen. Sie fühlte sich unbehaglich in den Sachen, die sie den ganzen Tag getragen hatte.

Kaum hatte sie das Haus betreten, als das Telefon läutete.

»Endlich erreiche ich Sie, Daniela«, tönte Tonios Stimme an ihr Ohr. »Sind Sie allein? Können Sie mir ein paar Auskünfte geben?«

Augenblicklich wurde es ihr bewußt, daß Tonio und sie sich nie geduzt hatten, während Marisa das sofort getan hatte. Tonio hatte wohl darauf gewartet, daß der Vorschlag von ihr kommen solle, aber auf den Gedanken war sie nicht gekommen.

»Ich bin allein«, sagte sie. »Rolf ist in der Klinik.«

»Er besucht Florian? Ich habe gehört, daß der Junge operiert worden ist.«

»Rolf ist verletzt«, sagte Daniela.

»Wieso verletzt? Stimmt es etwa, daß er Fahrerflucht begangen hat?«

»Sie wissen es?« fragte Daniela zurückhaltend.

»Ich wurde heute morgen von der Polizei kontrolliert und erfuhr dabei, daß ein Wagen, der meinem ähnlich ist, den Unfall verursacht hat. Wissen Sie Näheres?«

»Sie können sich bei der Polizei erkundigen, Tonio«, erwiderte Daniela. »Ich möchte mich nicht äußern.«

»Ist Marisa darin verwickelt?« fragte er. »Ich habe so einige Vermutungen.«

»Ich auch, aber bitte informieren Sie sich selbst.«

»Ich bin bei Donna Regulin.«

»Dann können Sie ihr ja sagen, daß Dr. Thomsen, ihr Anwalt, bei dem Unfall verletzt wurde. Es wird sie sicher interessieren.«

»Dr. Thomsen? Ich denke, wir werden nach München kommen«, sagte er rasch. »Danke für die Auskunft, Daniela. Wenn ich etwas für Sie tun kann…«

»Danke, ich komme zurecht«, fiel sie ihm ins Wort. Dann legte sie auf.

Sie hatte nichts gegen Tonio Erben. Sie hielt ihn für einen Gentleman. Es hatte sie nur befremdet, daß er eine Frau wie Marisa geheiratet hatte. Und jetzt blieb sie reserviert, weil er eben Marisas Ehemann war.

Tonio verharrte eine Weile gedankenverloren am Telefon.

»Was ist los, Tonio? Was hast du erfahren?« fragte Donna.

»Daß Dr. Thomsen das Unfallopfer ist.«

Donna wurde blaß. »Schlimm?« fragte sie.

»Ich weiß nicht. Daniela war sehr kurz. Sie scheint mehr zu wissen, als sie sagen wollte. Ich muß nach München zurück.«

»Ich komme mit. Aber es genügt wohl, wenn wir morgen fahren. Franzi kann das Haus hüten.«

Er verharrte in Schweigen. Dann ging er im Zimmer hin und her.

»Ich habe die Nase voll«, sagte er tonlos. »Ich lasse mich scheiden, so schnell wie möglich.«

»Ich habe mich immer gefragt, warum du ausgerechnet sie geheiratet hast. Du hattest doch Auswahl.«

»Unter der gleichen Kategorie Frauen«, sagte er ironisch. »Schöne Hüllen ohne Inhalt, geschaffen für törichte Männer, die Liebe nicht kennenlernen.«

»Wahre Liebe ist auch selten genug«, sagte Donna, »aber man braucht sich nicht unbedingt von einer Schlange verführen zu lassen. Nun hast du dein Fett weg und kannst in dich gehen.«

»Ich habe jede Selbstachtung verloren, Donna.«

»Dann wirst du sie wiederfinden. Ich hoffe, daß Thomsen einigermaßen davongekommen ist. Der war auch mit so einem treulosen Weib verheiratet. Selbst ein Anwalt kann reinfallen. Aber er hat eine reizende kleine Tochter, die ihren Vater braucht.«

»Ich habe mir auch mal Kinder gewünscht«, sagte Tonio gedankenverloren, »jetzt bin ich froh, daß ich keine habe.«

»Na, immerhin bist du erst sechs­unddreißig und kannst noch mal starten«, sagte Donna. »Laß den Kopf nicht hängen, das paßt nicht zu dir, und Marisa ist es nicht wert, daß du ihretwegen resignierst.«

»Mir tut Daniela leid. Sie hat es wahrhaftig nicht verdient, so hintergangen zu werden.«

»Mich hat so ein Kerl auch mal fast geschafft«, sagte Donna sarkastisch. »Damals dachte ich, die Welt geht unter. Aber dann ist man mit einem Schlage klüger geworden, und die Erde dreht sich immer noch. Und die Zeit heilt viele Wunden, auch tiefe.«

»Du bist sehr weise geworden, Donna.«

»Immerhin bin ich jetzt auch schon sechzig und sehe alles aus der Distanz, ein wenig spöttisch, ein wenig fatalistisch.« Sie lächelte. »Du wirst auch noch dahinterkommen, Tonio. Aber jetzt geh hinauf, sonst hat sich Franzi umsonst abgerackert.« Und in ihren Augen war ein unergründliches Lächeln, als er die Treppe zu Franzis Reich emporstieg.

Mustergültig war die Ordnung nicht zu nennen, die in ihrem Zimmer herrschte, aber das hätte ihn auch eher befremdet. Er sah auch nur die beiden Bilder, die an der Wand hingen, die mit Eichenholz verschalt war. Eins stellte eine Frau dar, das andere ein Kind.

»Meine Mutter und ich«, sagte Franzi leise. »Vater hat auch nur dann Menschen gemalt, wenn er sie begriff.«

Tonio war so tief beeindruckt, daß er keine Worte fand. Keines wäre ihm gut genug gewesen, seine Gefühle auszudrücken.

»Die anderen Bilder habe ich ins Atelier gestellt«, sagte Franzi stockend.

Tonio konnte feststellen, daß ein genialer Maler einmal wieder verkannt worden war.

»Schade«, sagte er leise.

»Sie finden die Bilder nicht gut?«

»Zu gut, um sie in der Versenkung verschwinden zu lassen, Franzi. Man kann Kunst natürlich aus verschiedenen Gesichtspunkten betrachten, aber es ist bedauerlich, daß manchmal allein ein Name den Wert ausmacht. Donna hätte bestimmt einige gekauft.«

Franzi errötete. »Ich dachte, sie würde es nur tun, um mir weiterzuhelfen. Mein Vater hatte doch keinen Namen, so wenig wie ich.«

»Er wird bestimmt einmal einen sehr guten Klang haben«, sagte Tonio. »Lassen Sie mir ein paar Wochen Zeit. Ich muß jetzt meine privaten Verhältnisse klären. Morgen fahre ich mit Donna nach München. Aber ich komme bald wieder. Ich war schon drauf und dran, meine Galerie aufzugeben, aber nun weiß ich, daß es sich lohnen wird, auf anderen Wegen weiterzumachen.«

»Ich möchte nicht, daß Sie meinetwegen ein Fiasko erleben«, sagte Franzi leise.

»Alle Bescheidenheit sollte ihre Grenze haben«, sagte er.

*

Dr. Norden war nach der Sprechstunde in die Klinik gefahren. Florian blickte schon etwas munterer.

»Ich finde es richtig schön hier«, sagte er. »Omi ist da, und Rickys Opa ist so lustig. Eigentlich ist es viel schöner als zu Hause.«

Solche Worte hatte Dr. Norden von einem Kind noch nie vernommen. Aber sie drückten aus, was der Junge in sich verschlossen hatte, welche Ängste ihn gequält hatten, durch das Unvermögen seines Vaters, ein harmonisches Familienleben zu gestalten.

»Rickys Opa hat gesagt, daß wir uns alle bei ihm erholen können«, fuhr Florian fort. »Am Comer See. Da muß es schön sein.«

»Ja, da ist es sehr schön«, sagte Dr. Norden.

»Jetzt ist Ricky ganz richtig meine Freundin. Wir brauchen uns nicht mehr bloß in der Musikschule zu sehen. Ist das nicht toll?«

»Wozu doch so ein Blinddarm alles gut sein kann«, sagte Dr. Norden lächelnd. »Aber jetzt darfst du nicht übermütig werden, Flori. Es wird schon noch einige Tage dauern, bis alles wieder in Ordnung ist.«

»Hat Dr. Behnisch auch schon gesagt. Ich halte mich dran«, versicherte der Junge. »Langweilig wird es mir schon nicht werden. Ich kriege ja viel Besuch.«

Und da kam Daniela schon zu­rück. »Sie müssen Mami sagen, daß sie zu Hause schlafen soll, wenn der Papa nicht da ist«, sagte Florian leise. »Omi hat gesagt, daß er weggefahren ist.«

Die Wahrheit hatte er noch nicht erfahren. Er hätte es wohl auch nicht verstehen können.

»Ich werde mal mit deiner Mami reden«, sagte Dr. Norden zu dem Jungen. »Dir fallen die Äuglein ja schon wieder zu.«

»Ich soll ja auch viel schlafen«, sagte Florian.

Dr. Norden schob Daniela sanft auf den Gang zurück.

»Es war ein bißchen viel auf einmal«, sagte er.

»Mir geht es schon wieder recht gut«, erwiderte sie. »Ich sehe alles viel klarer.«

Er war überrascht, daß sie jetzt keinerlei Erregung mehr zeigte.

»Mein Kind lebt«, sagte sie, »dies allein zählt, wie auch, daß Dr. Thomsen nichts Schlimmeres widerfahren ist. Was Rolf Alberti betrifft, es war schon vorher zu Ende. Man kann von mir nicht erwarten, daß ich Mitgefühl mit ihm habe.«

Und doch hatte man wohl einmal von Liebe gesprochen, ging es Dr. Norden durch den Sinn, aber er wußte ja, was Daniela in dieser Ehe dann hatte durchmachen müssen.

Ein Stockwerk höher lag Rolf Alberti, und sein Zustand hatte sich nicht gebessert, obgleich auch bei ihm nichts versäumt wurde.

Als Dr. Norden mit Dr. Behnisch über ihn sprach, zuckte der nur die Schultern. »Die Laborwerte sind katastrophal, Daniel. Ein langes Leben hätte er ohnehin nicht zu erwarten gehabt. Nur ein Wunder könnte ihn retten, aber gerade in diesem Fall braucht man darum nicht zu beten.«

*

Daniela blieb bis zehn Uhr in der Klinik. Otto Thomsen war inzwischen schon bei Hannelore. Sie hatte Henrike zu Bett gebracht, und das Kind war schnell eingeschlafen.

Hannelore war doch ein wenig befangen, als Otto Thomsen das Haus betrat.

»Ich hoffe, es berührt Sie nicht peinlich, daß der Mann, der Ihren Sohn verletzt hat, hier lebt«, sagte sie stockend.

»Es wird mehr als ausgeglichen durch zwei liebenswerte Frauen«, erwiderte er. »Ich bin dankbar, daß Sie mich eingeladen haben, daß Sie sich so lieb um Ricky kümmern. Und ich bin froh, daß ich nicht allein herumhocken muß.«

»Es gibt allerdings nur kalte Küche«, sagte Hannelore.

»Macht doch nichts. Wenn es ruhiger geworden ist, führe ich Sie mal zum Essen aus.«

»Sie bleiben hier?« fragte Hannelore.

»Das ist doch selbstverständlich. Ich habe mich auf den Urlaub mit Henrik und der Kleinen gefreut, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und es würde mich sehr freuen, wenn Sie und Ihre Tochter dann meine Einladung annehmen würden. Tapetenwechsel wird Daniela auch guttun, und wie würde sich Ricky freuen, wenn ihr Florian während der Ferien Gesellschaft leisten würde.«

»Ich habe mir alles auch ein bißchen anders vorgestellt, aber das Ende mit Schrecken ist doch noch besser als der Schrecken ohne Ende. Das war doch keine Ehe mehr.«

»Bei Henrik war es auch so. Aber Gitta hat ja glücklicherweise die Kurve gekratzt. Wenn ich mir alles so recht überlege, kommt es mir fast komisch vor.«

»Was?« fragte Hannelore verblüfft.

»Sie und Ihre Tochter und Florian, ich, mein Sohn und Henrike. In Ihrem Fall war der Mann der Tunichtgut, bei uns die Frau. Gutverteilte Rollen.«

»Sie haben Humor«, meinte Hannelore.

»Wenn ich den nicht hätte, hätte ich längst kapituliert. Henriks Mutter war auch nicht gerade ein Engel, wenigstens später nicht mehr. Anfangs ging ja alles gut, aber dann war alles nur noch Macht der Gewohnheit.«

»Wie bei mir«, sagte Hannelore sinnend. »Schwamm drüber. Wenn ich mir vorstelle, wie mein Mann meckern würde, wenn er das erlebt hätte, aber eitel Sonnenschein ­herrscht wohl in keiner Ehe.«

»Ausnahmen bestätigen immer die Regel. Wir haben wohl das Jawort ernster genommen, als es jetzt so üblich ist. Aber dennoch meine ich, daß es besser ist, wenn man die Konsequenzen zieht, wenn die Chose verfahren ist.«

»Und manchmal wird uns die eigene Entscheidung aus der Hand genommen«, sagte Hannelore gedankenvoll. »Dr. Behnisch hat mir vorhin gesagt, daß die Chancen für Rolf gering sind. Es klingt hart, aber Nele und vor allem dem Jungen würde viel erspart bleiben.«

Sie erzählten sich noch so manches, bis Daniela heimkam. Sie hatten so manche Gemeinsamkeiten entdeckt, und Otto Thomsen hatte es sich auch schmecken lassen, obwohl er erst gesagt hatte, daß er keinen Hunger hätte.

Danielas erste Frage galt Henrike. Und sie ging auch zum Kinderzimmer, um sich zu überzeugen, daß sie schlief.

»Dann werden wir ja wohl heute nacht auch schlafen können«, sagte sie. »Man ist mir doch nicht böse, wenn ich mich bald zu Bett begebe?«

Otto Thomsen wollte sich auch verabschieden. »Allzu weit entfernt ist Henriks Haus ja nicht«, meinte er. »Wenn ich irgendwie gebraucht werden sollte, rufen Sie bitte an. Ich bin sofort zur Stelle.«

»Und morgen sehen wir uns ja sowieso«, sagte Hannelore. Sie begleitete ihn noch zu seinem Wagen. Er küßte ihr die Hand, aber es war so dunkel, daß er nicht sehen konnte, wie sie errötete. Guter Gott, wie lange war es her, daß ihr mal die Hand geküßt worden war. Ein hübsches Gefühl war das schon, um so mehr es ja auch ehrlich gemeint war.

»Ein feiner Mensch, der Herr Thomsen«, sagte sie zu Daniela.

»Professor und mehrfacher Doktor, Mutsch, Rechtswissenschaftler, Wirtschaftsexperte und Schriftsteller.«

»Für mich ist er ein netter Mensch, mit dem man reden kann, wie einem der Schnabel gewachsen ist«, sagte Hannelore. »Alles andere interessiert mich gar nicht.«

»Hast ja recht. Die menschliche Seite ist die wichtigste. Schlaf gut und danke, daß du gleich gekommen bist.«

»Das war ja wohl selbstverständlich. Schlaf auch gut, Nelchen.«

Die Nacht war sternenklar. Otto Thomsen wanderte noch eine lange Zeit im Garten umher, den er einst selbst angelegt hatte. Einen aufregenden Tag konnte er mit guten und zuversichtlichen Gedanken beschlie­ßen. Und ein gutes Gewissen war ein sanftes Ruhekissen.

*

Bei Marisa war das Gegenteil der Fall. Sie mußte sich in einer ausweglosen Situation sehen. Aber was sollte sie tun? Wegfahren? Weit würde sie nicht kommen, lange würde das Geld nicht reichen.

Sollte sie zusammenraffen, was sie zu Geld machen konnte? Aus früheren Erfahrungen, die vor ihrer Ehe mit Tonio lagen, wußte sie, daß auch das nicht sinnvoll war. Man bekam nie, was man erwartete.

So wollte sie darauf hoffen, daß Rolf keine Aussage mehr machen und sie sich aus allem herauslügen konnte. Skrupel kamen ihr diesbezüglich nicht. Die Haut ist einem näher als das Hemd, das war auch Rolfs Devise gewesen, und was sie mit ihm verbunden hatte, gehörte jetzt bereits der Vergangenheit an. Jedenfalls hatte sie noch ein Dach über dem Kopf, und vielleicht konnte sie Tonio doch noch einmal umstimmen.

Zu diesem Entschluß gekommen, nahm sie ein paar Schlaftabletten und begab sich zu Bett. Sie schlief dann auch ein.

Sie erwachte erst, als sie Stimmen vernahm. Wirre Träume hatten sie geplagt, und so meinte sie noch immer zu träumen, aber dann war es doch Tonios Stimme, die sie munter machte. War er auch nicht allein gekommen, er war wieder da, und gleich war Marisas Stimmung um vieles besser.

Sie hastete ins Bad, duschte in Windeseile, sprühte sich mit ihrem Lieblingsparfüm ein, bürstete ihr Haar zurecht und schlüpfte in ein weißes Negligé.

Sie fand sich auch ohne Make-up sehenswert, und vielleicht würde es Tonio gefallen, wenn sie sich so zeigte.

Sie schwebte die Treppe hinunter, bereit, ihm jedwedes Zugeständnis zu machen, aber dann blieb sie wie erstarrt stehen, als sie Donna gewahrte.

Wenn es einen Menschen auf der Welt gab, den Marisa fürchtete, war es Donna, und sie wußte zudem sehr gut, daß Donna ihr nur mit eisiger Abwehr begegnet war.

Tonios Gesicht blieb völlig unbewegt. »Du hättest ruhig weiterschlafen können«, sagte er gleichgültig. »Wir halten uns nicht lange auf. Ich mußte nur einige Papiere holen.«

»Es ist doch alles ganz anders, als du jetzt vielleicht denkst«, stieß Marisa hervor. »Es scheint so, daß Rolf den Unfall verursacht hat, aber davon hatte ich keine Ahnung.«

»Was du sagst, interessiert mich nicht«, erwiderte er kalt. »Wir sind geschiedene Leute, wir haben uns nichts mehr zu sagen. Ich bin zu dem Entschluß gekommen, die Scheidung sofort einzureichen.«

»Ich habe nicht die Absicht, mich scheiden zu lassen«, sagte Marisa schrill. »Es gibt nicht den geringsten Grund.«

»Das wird sich herausstellen. Für mich gibt es vielerlei Gründe. Steter Tropfen höhlt den Stein, falls du dieses Sprichwort kennen solltest.«

Er wirkte wie eine uneinnehmbare Festung. In ihrer Wut ging Marisa nun auf Donna los. »Sie haben ihn beeinflußt!« schrie sie unbeherrscht. »Sie konnten mich nie leiden!«

»Das ist allerdings ein wahres Wort«, sagte Donna gelassen. »Ich habe Sie von Anfang an durchschaut. Aber Tonio kann man nicht beeinflussen, sonst hätte er auf seine ehrlichen Freunde gehört, die ihm von der Heirat abrieten. Tonio ist ein Mann, und er ist ein Gentleman, das haben Sie nur nicht erfaßt. Aber wenn solche Männer mal den Schlußstrich ziehen, ist es endgültig.«

Marisa drehte ihr abrupt den Rücken zu. »Können wir denn nicht mal allein miteinander sprechen, Tonio«, verlegte sie sich aufs Bitten.

»Nein, nur in Gegenwart des Anwalts«, erwiderte er mit eiserner Ruhe. »Und ich nehme einen, der sich von dir bestimmt nicht betören läßt. Ich nehme Dr. Thomsen.«

»Und du sollst ein Gentleman sein«, ereiferte sie sich. »Aber mir wird niemand nachweisen, daß ich in dem Wagen saß, niemand!«

Er sah sie mit kalten Augen an. »Dies allein wäre ja auch nicht der Scheidungsgrund«, sagte er.

Zehn Minuten später verließ er mit Donna wieder das Haus. Marisa ließ sich nicht mehr blicken, aber als der Wagen diesmal ihren Blicken entschwunden war, packte sie ihre Koffer. Ihr war der Gedanke gekommen, sich einen dramatischen Abgang zu verschaffen, der Tonio auch noch Probleme bereiten würde.

*

Daniela war schon startbereit gewesen, als Henrike schüchtern den Kopf durch die Tür steckte.

Da nahm sich Daniela gern noch ein paar Minuten Zeit. »Gut geschlafen, Kleines?« fragte sie weich.

»Sehr gut. Jetzt bin ich wieder richtig munter. Ist Floris Omi auch schon auf?«

»Ja, natürlich. Du kannst mit ihr frühstücken.«

»Und der Opa?«

»Den kannst du anrufen, daß er euch Gesellschaft leistet.«

»Das ist fein«, freute sich das Kind. »Wir haben doch nichts mehr im Kühlschrank, weil wir doch in den Urlaub fahren wollten. Gehst du jetzt schon zu Flori, Daniela?«

Es berührte sie seltsam, daß das Kind sie so zutraulich beim Vornamen nannte.

»Ja, ich wollte gerade gehen.«

»Er wird sicher schon warten, wenn er munter ist. Soll ich nicht lieber gleich mitkommen, damit Papi auch Gesellschaft hat?«

»Zuerst wird gefrühstückt, sonst ist unsere Mutsch traurig.«

»Mutsch klingt lieb. Sagst du immer so?«

»Ja, eigentlich immer.«

»Es ist gut, wenn man eine liebe Mutter hat, aber für mich ist es besser, daß ich einen lieben Papi habe«, sagte Henrike gedankenvoll.

»Kommst du jetzt, Ricky?« rief Hannelore.

»Ich ziehe mich ganz schnell an, Floris Omi«, erwiderte das Kind. Dann sah sie Daniela an. »Sie ist doch so eine liebe Omi, da mag ich sie doch nicht warten lassen.«

»Und ich freue mich, daß Flori so eine liebe Freundin hat wie dich«, sagte Daniela liebevoll.

Wie oft hatte Florian sie gefragt, warum er keine Geschwister hätte. Anfangs unbefangen, kindlich und erwartungsvoll und später doch schon nachdenklich und mit der Bemerkung, daß der Papa ja Kinder wohl nicht möge.

»Er schimpft ja so auch schon genug, wenn er mal zu Hause ist«, hatte Florian auch gesagt, und dann war das Kind auch trotzig geworden, wenn Rolf ihr gereizte Antworten

gab oder dumme Bemerkungen machte.

»So darfst du nicht mit meiner Mami reden«, hatte er dann gesagt, Und an das, was der Junge dann zu hören bekam, wollte Daniela jetzt gar nicht denken. Ja, jetzt wußte sie es genau, daß sie schon um des Kindes willen die Trennung hätte früher vollziehen müssen. Aber man konnte die Zeit nicht zurückdrehen.

Es war ein sonniger Morgen und Sonntag dazu. In der Klinik herrschte auch Sonntagsstimmung. Die ersten Besucher kamen schon. Die Schwestern mußten Vasen für die Blumen herbeischaffen. Für sie fiel am Sonntag fast noch mehr Arbeit an als an Wochentagen, vor allem aber mehr Unruhe, wenn es dann dem Abend zuging.

Schwester Klara traf Daniela auf dem Gang. »Daß ich es ja nicht vergesse, Frau Alberti, Dr. Thomsen bittet um Ihren Besuch. Vielleicht gehen Sie gleich erst zu ihm, denn Flori schläft noch.«

Frohen Mutes machte Daniela diesen Besuch bestimmt nicht, aber sie wollte sich auch nicht davor drücken.

Henrik Thomsen hatte den Kopfteil schon etwas höher stellen lassen und las jetzt Zeitung, die er aber sofort sinken ließ, als Daniela eintrat.

»Guten Morgen«, wünschte sie verlegen

»Herzlich willkommen«, sagte er, und das nahm ihr sofort die Hemmungen.

»Es geht Ihnen besser, Gott sei Dank«, sagte sie erleichtert.

»Der Kopf ist freier«, erwiderte er. »Wie geht es Florian?«

»Er schläft noch, aber es geht auch schon besser. Und Ricky geht es sehr gut. Sie wird jetzt mit ihrem Opa und meiner Mutter frühstücken.«

»Jetzt haben Sie mit meiner Gesellschaft Mühe.«

»Das ist keine Mühe. Es bereitet Freude. Ricky ist lieb und Ihr Vater ist sehr nett.«

Ein nachdenklicher Blick traf sie. »Er kann ein rechter Brummbär sein, wenn er es mit weiblichen Wesen zu tun hat. Es freut mich, daß Sie ihn nett finden.«

»Ich verlasse mich vorerst auf Muttis Urteil. Wir haben uns nur kurz kennengelernt, aber heute holen wir alles nach.«

»Wir auch, Frau Alberti«, sagte Henrik Thomsen.

»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich nicht so ansprechen würden«, sagte sie stockend. »Es macht alles fataler.«

»Wie darf ich dann sagen?«

»Ricky sagt schon Daniela zu mir«, erwiderte sie errötend.

»Das ist ja bestens. Ich heiße Henrik.« Sein Gesicht belebte sich. Der herbe Zug verlor sich. Sein Lächeln war herzerwärmend.

»Schade, daß wir uns nicht schon vorher kennenlernten«, fuhr er fort. »Ricky hat mir schon viel von Florian erzählt. Spielen Sie auch Klavier?«

»So für den Hausgebrauch. Flori kann es schon besser. Ich habe ihn eigentlich nur in die Musikschule geschickt, weil er gern Klavier spielen wollte und damit er mit anderen Kindern zusammenkommt. Er geht noch nicht zur Schule. Und ich wollte seinem Vater auch beweisen, daß er nicht zurückgeblieben ist«, fügte sie fast trotzig hinzu.

»Hat er das gesagt?«

»Noch Schlimmeres. Aber Flori hatte nur Angst vor ihm.«

»Das muß arg für Sie gewesen sein.«

»Es ist die Erklärung dafür, daß ich ihn jetzt nicht im geringsten bedauere, obgleich es ihn sehr erwischt hat. Sie haben erfahren müssen, wie rücksichtslos er ist.«

»Sie brauchen sich dafür nicht zu entschuldigen.« Er lächelte flüchtig. »Die Versicherung wird das allerhand kosten. Hoffentlich ist er persönlich auch gut versichert.«

So spricht der Anwalt, dachte sie. »Das ist mir egal«, erwiderte sie. »Ich hatte schon vorher die Absicht, mich scheiden zu lassen.«

»Nun, das ist nicht ausschlaggebend. Wenn Sie auch geschieden werden, und er ist nicht mehr erwerbsfähig, könnte es durchaus möglich sein, daß Sie für seinen Unterhalt beitragen müssen, wenn Sie Vermögen haben oder Geld verdienen.«

Danielas Augen weiteten sich. »Das ist doch nicht wahr!«

»Ja, leider steht das in gewissen Paragraphen. Aber es wird sich alles finden. Ich wollte Ihnen nur sagen, worauf Sie sich gegebenenfalls einstellen müssen.«

»An so was habe ich überhaupt nicht gedacht«, sagte Daniela leise.

»Ihr Anwalt hätte es Ihnen bestimmt gesagt.«

»Ich habe noch keinen.«

Er blinzelte ihr zu. »Jetzt haben Sie einen. Und ich werde das Bestmögliche für Sie tun.«

»Nein, ich kann nicht erwarten, daß Sie auch noch die Kastanien für mich aus dem Feuer holen!«

»Sie haben mich ja nicht gebeten. Ich habe es Ihnen angeboten. Stellen Sie sich eine Scheidung bitte nicht so einfach vor. Ich habe selbst eine durchgemacht. Sie hat mich einen Haufen Geld gekostet, obgleich sie im gegenseitigen Einvernehmen über die Runden ging. Jetzt, nach dem neuen Gesetz, ist eine Scheidung zwar erleichtert worden, aber gleichzeitig wurde sie auch teurer. Aber wir wollen uns jetzt nicht über diese gräßlichen Probleme unterhalten. Ich wollte Sie nur ein bißchen näher kennenlernen und mich bei Ihnen bedanken, daß Sie sich so lieb um Ricky kümmern. Der Gedanke, daß wir jetzt am Comer See liegen und den lieben Gott einen guten Mann nennen könnten, stimmt schon ein bißchen trübsinnig.«

»Es tut mir wirklich sehr leid«, sagte Daniela leise.

»Aber es hat auch seine guten Seiten«, sagte Henrik Thomsen. »Ich habe Florians Mutter kennengelernt, und Ricky scheint ganz zufrieden zu sein, wie auch der liebe Toto.«

Ein scheues Lächeln legte sich um Danielas Mund. »Haben Sie Ihren Vater immer so genannt?« fragte sie.

»Gott bewahre. Meine Mutter hätte das nie gestattet. Sie legte immensen Wert auf Formen. Darauf kam ich erst, als wir mehr wurden als Vater und Sohn.«

»Mehr? Kann man noch mehr werden?«

»Sie wissen ja aus Erfahrung, daß ein Vater nicht immer der Freund eines Kindes sein muß. Mein Vater ist mein bester Freund. Seit ich Toto zu ihm sagen darf, sind wir noch enger verbunden. Nun wissen Sie schon eine ganze Menge über mich und ich über Sie. Mir kommt da eine Idee. Ich werde mit Herrn Alberti einen Kompromiß schließen.«

»Was für einen Kompromiß?« fragte Daniela.

»Ich werde keine Schadenersatzklage gegen ihn einleiten, wenn er keine Schwierigkeiten bei der Scheidung macht, was einschließt, daß er keine Ansprüche an Sie geltend macht.«

»Das kommt nicht in Frage«, sagte Daniela. »Sie brauchen mich nicht zu schonen. Ich habe ihn mal geheiratet. Diese Suppe hatte ich mir eingebrockt, und jetzt muß ich sie auch auslöffeln.«

»Immer mit der Ruhe. Lassen wir alles an uns herankommen.« Er streckte ihr seine Hand entgegen. »Besuchen Sie mich wieder, Daniela?«

Sie nickte. »Weiterhin recht gute Besserung. Nachher kommt ja Ricky.« Sie zögerte. »Brauchen Sie Lektüre oder sonst etwas?«

»Morgen vielleicht was Aufmunterndes. In der Tageszeitung findet man davon nichts. Was so jeden Tag passiert! Das Grausen kann einem kommen.«

Er hätte sich gern noch länger mit Daniela unterhalten, aber worüber sollten sie sprechen? Noch war das, was sie beide anging, zu frisch und hemmend.

Daniela traf draußen Jenny Behnisch. »Flori hatte eine ganz ruhige Nacht. Er macht gute Fortschritte«, sagte die Ärztin. »Von Herrn Alberti können wir das nicht berichten.«

»Er kann sich also nicht äußern?« fragte Daniela.

»Nein, gar nicht.«

Und da kamen schon Donna und Tonio. Daniela war maßlos überrascht. Tonio kam sofort auf sie zu. Sie machte ihn jedoch erst mit Dr. Jenny Behnisch bekannt.

»Donna möchte Dr. Thomsen besuchen. Er ist ihr Anwalt. Sie kennen sich schon lange, und ich wollte mich nach Florians Befinden erkundigen.«

Man sah es Tonio an, wie unbehaglich er sich fühlte.

»Florian geht es besser«, erwiderte Daniela, dann reichte sie ihm die Hand.

»Dies alles tut mir entsetzlich leid, Daniela«, sagte er gepreßt. »Ich weiß nicht, in welcher Form ich meine Hilfe anbieten kann, aber wenn Sie finanzielle Unterstützung brauchen sollten…«

»Nein, wirklich nicht«, erwiderte sie. »Die bekomme ich von meiner Mutter.«

»Es gäbe noch einiges zu erörtern«, sagte er stokkend.

»Rolf liegt oben«, erwiderte sie. »Aber er ist wohl nicht ansprechbar.«

Ein Zucken lief über Tonios Gesicht. »Ich bin überzeugt, daß Marisa mit ihm fuhr, auch wenn sie es abstreitet. Durch diese Geschichte ist es auch bei uns zum endgültigen Bruch gekommen.«

Daniela sah ihn offen an. »Ich hatte schon vorher die Absicht, mich scheiden zu lassen. Nicht allein wegen Marisa«, fügte sie leise hinzu. »Nun brauchen wir allerdings nicht aneinander vorbeizureden.«

»Ich wollte mich geschäftlich von Rolf trennen«, erklärte er. »Das sagte ich Marisa auch, bevor ich von dieser Geschichte erfuhr. Ich bin zutiefst bestürzt.«

»Nun, Dr. Thomsen befindet sich auch bereits auf dem Wege der Besserung«, sagte Daniela, »und diesmal hat es letztendlich doch den Schuldigen am meisten erwischt. Ab und zu gibt es doch noch Gerechtigkeit. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen, Tonio.«

»Ein trauriges Fazit, Daniela.«

»Ja, das kann man wohl sagen. Ich muß jetzt zu Florian.«

»Ich werde morgen etwas für ihn abgeben. Sie gestatten es doch.«

Er tat ihr leid, ehrlich leid. Er mußte mit einer doppelten Enttäuschung fertig werden. Er hatte Rolf protegiert, ihn zu dem gemacht, was er geworden war. Er hatte ihn seinen Freund genannt und mußte erleben, daß seine Frau ihn mit Rolf betrog. Und er würde mit Marisa wohl noch allerhand mitmachen.

*

Donna saß schon bei Henrik Thomsen und hielt seine Hand.

»Mich hat es fast umgehauen, mein Lieber«, sagte sie.

»Aber nur fast«, erwiderte er lächelnd. »Lieb von Ihnen, daß Sie gleich kommen, Donna. Ihre Angelegenheiten hatte ich schon in Ordnung gebracht.«

»Ist doch nebensächlich«, sagte sie heiser. »Ich bin froh, daß Sie leben. Ausgerechnet Alberti. Ich konnte den Kerl nie leiden.«

»Daran hat er aber sicher nicht gedacht, Donna. Vielleicht hätte er besser aufgepaßt, wenn er gewußt hätte, daß ich im Wagen sitze.«

»Alter Spottvogel. Er wird mal wieder sternhagelvoll gewesen sein. Der wußte doch nie, wann er genug hatte.«

»Sie kennen ihn wohl recht gut?« fragte Henrik forschend.

»Schon ein paar Jahre. Es gibt Leute, die den Erfolg nicht verkraften. Er steigt ihnen in den Kopf, dazu gehört Alberti. Dabei fing er doch so erfolgversprechend an. Eine reizende Frau, solide Verhältnisse, Talent hatte er auch. Bis dann Marisa in sein Leben trat. Sie schafft auch zwei Männer und mehr.«

»Wie Gitta. Scheint das gleiche Kaliber zu sein«, brummte er. »Man macht so seine Erfahrungen.«

»Tonio ist ein feiner Mensch«, sagte sie, »wie Sie auch, Henrik. Ich wollte Sie bitten, seine Scheidung einzuleiten, wenn Sie wieder okay sind.«

»Ich werde schon Frau Alberti vertreten«, wandte er ein.

»Da wird es doch kaum noch zur Scheidung kommen«, sagte Donna.

»Warum nicht?« fragte er betroffen. »Ich habe mit ihr gesprochen. Sie ist nicht bereit, die Ehe fortzuführen.«

»Er wird das nicht überleben. Ich habe schon mit Frau Dr. Behnisch gesprochen. Er war schon vorher kaputt, das hat ihm den Rest gegeben. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er das Zeitliche segnet. Finanziell wird Daniela wenigstens nicht draufzahlen müssen. Tonio hat eine Lebensversicherung für ihn abgeschlossen. Dieses Problem wird sich von selbst lösen. Bei Tonio wird es etwas schwieriger sein.«

»Wir können darüber reden«, sagte Henrik.

Donna starrte vor sich hin. »Wenn ich gewußt hätte, was sich da zusammenbraut, wäre ich länger auf der Party geblieben.«

Er sah sie nachdenklich an. »Sie waren da?«

»Nicht lange.«

»Können Sie sich erinnern, was Marisa Erben trug, Kleidung und Schmuck?«

»Es gehört zu meinem Metier, die Augen offenzuhalten. Ich registriere alles. Und man hat mir schon mehrmals bestätigt, daß ich das absolute Gedächtnis habe. Es gehört zu meinem Beruf. Sie trug ein Kleid von Angele. Muß eine Stange gekostet haben, blauweißer Chiffon, dazu Saphire und Brillanten. Aber wenn es schon interessant ist, wird man es auf den Fotos, die Rolf natürlich machte, genau feststellen können. Sie war doch sein Lieblingsmodell. Es hat gelangweilt. Nicht nur ich habe das festgestellt. Er hätte sich umorientieren müssen, wenn er oben bleiben wollte, aber darüber brauchen wir jetzt nicht mehr zu diskutieren.«

»Und wo sind die Filme?«

»Da muß ich Tonio fragen. Entwickelt sind sie sicher noch nicht.«

»Wir werden sie brauchen. Kümmern Sie sich darum, Donna.«

»Das werde ich.«

*

An die Filme dachte Marisa plötzlich auch. Siedend heiß war es ihr eingefallen, daß Rolf eine ganze Serie für die Zeitungen geschossen hatte. Und seine Apparate hatte er mit nach Hause genommen. Er entwickelte ja selbst. Es waren Fotos dabei, die für andere Augen nicht bestimmt waren.

Jäh wurde ihr aber auch bewußt, daß Tonio von Aktfotos gesprochen hatte, die im Umlauf waren. Und nun stieg eine wahnsinnige Wut in ihr empor, daß Rolf mit diesen unter der Hand Geschäfte machte.

Jetzt befand sie sich in einer Panik, in der sie nicht mehr vernünftig denken konnte. Ihr Verstand war ausgeschaltet, sie war nur noch von Zorn und Furcht getrieben.

Donna hatte indessen schon gehandelt. Sie hatte Daniela aus Florians Zimmer rufen lassen.

»Entschuldigen Sie die Störung, Daniela, aber es ist wichtig«, sagte sie. »Wissen Sie, wo sich die Fotoapparate von Rolf befinden?«

Daniela war bestürzt. »Ist das wirklich so wichtig?«

»Es könnte Beweismaterial sein«, erklärte Donna.

Daniela überlegte. »Im Wagen wird er sie kaum gelassen haben. Ich habe nicht darauf geachtet, was er bei sich hatte, als er heimkam. Aber wenn er sie mitgebracht hat, müßten sie im Hause sein. Wieso Beweismaterial?«

»Er hat Aufnahmen gemacht, auch von Marisa. Und die Aufnahmen könnten beweisen, daß sie den Ring getragen hat, den Henrike erkannte.«

Danielas Augen weiteten sich. »Ich rufe meine Mutter an. Sie ist noch zu Hause. Wenn Sie hinfahren wollen? Ich kann jetzt nicht weg, Flori ist gerade munter.«

Daniela konnte ihre Mutter gerade noch erreichen, und sie kündigte ihr Donnas Besuch an.

»Es wird immer krimineller«, sagte Hannelore zu Otto Thomsen. »Fahren Sie mit Ricky schon voraus, ich komme dann nach.«

»Um was geht’s denn?« fragte er.

»Um die Kameras.«

Seine Augenbrauen schoben sich zusammen. »Und wer interessiert sich dafür?«

»Donna Regulin.«

Er atmete auf. »Dann bin ich beruhigt. Sie hat zwar eine spitze Zunge, aber ein großes, gutes Herz. Und sie ist unheimlich schlau.«

Ricky wurde ungeduldig. Sie wollte ihren Papi und Flori besuchen.

»Du kommst aber bald, Omi«, sagte sie, »Floris Omi«, berichtigte sie sich rasch.

»Kannst ruhig nur Omi sagen, Kleines«, erwiderte Hannelore. »Ja, ich komme bald.«

Sie wollte sich durch nichts mehr aus der Ruhe bringen lassen. Sie wußte jetzt, daß ihnen zwei kluge Männer zur Seite stehen würden.

*

Sie hatte schon mit der Suche nach den Apparaten begonnen, als Donna kam. Sie waren sich noch nie begegnet. Hannelore stellte fest, daß Donna ganz anders war, als sie sich die »Klatschtante« vorgestellt hatte. Und sie bewunderte Donna, wie logisch diese zu überlegen vermochte.

»Rekonstruieren wir mal«, sagte Donna. »Er kam betrunken nach Hause, zusätzlich geschockt durch den Unfall. Wahrscheinlich hat er da an seine Kameras gar nicht gedacht. Als Daniela dann nicht mehr im Hause war, faßte er den Plan, den Wagen beiseite zu schaffen. Wo ist seine Dunkelkammer?«

»Gleich hinter der Garage. Das war früher unsere Waschküche«, erklärte Hannelore. »Liebe Güte, das waren noch Zeiten, als wir die Wäsche im Kessel kochten. Entschuldigung, aber manchmal kommen Erinnerungen.«

»Es waren Zeiten, in denen man sich mehr über die kleinen Dinge des Lebens freuen konnte«, sagte Donna sinnend. »Wir haben uns heraufgewurschtelt. Schauen wir mal in der Dunkelkammer nach.«

Auf dem Wege dorthin sagte Hannelore: »Wenn ich so darüber nachdenke, unter welchen Opfern wir dieses Haus gebaut haben, da habe ich mich mit meinem Mann viel besser verstanden als später.«

»Man wollte es noch nicht so recht glauben, daß man es wieder zu etwas gebracht hatte«, sagte Donna sinnend. »Und jetzt haben wir schon wieder Angst, alles verlieren zu können.«

»Ach, ich bin optimistisch«, sagte Hannelore. »So dumm kann die Menschheit doch nicht sein, alles aufs Spiel zu setzen.«

»Es liegt ja nicht an den einfachen Menschen, sondern an den Mächtigen und den Reichen, die den Hals nicht voll kriegen können«, sagte Donna.

Dann aber standen sie vor der verschlossenen Dunkelkammer. Donna seufzte. »Ja, das wär’s dann wohl, die Tür bekommen wir nicht auf.«

»Das wollen wir doch mal sehen«, sagte Hannelore. »Warten Sie einen Augenblick.«

Schnell lief sie zum Haus zurück, und wenige Minuten später erschien sie mit einem rostigen Schlüssel. »Im Keller hat Daniela zum Glück nie aufgeräumt. Wenn wir Glück haben, schließt der noch. Ich hatte immer ein paar Schlüssel in Reserve. Die Tür ist ja nicht ausgewechselt worden.«

Der rostige Schlüssel ließ sich zwar schwer drehen, und es krachte und knirschte im Schloß, aber mit gemeinsamer Anstrengung bekamen sie die Tür dann doch auf.

Der Raum war auf das Modernste eingerichtet. Jetzt wurde er durch das Tageslicht erhellt. Und sie brauchten nicht lange nach den Kameras zu suchen. Sie lagen auf einem niederen Schränkchen.

»Ich vergreife mich sicherlich nicht daran«, sagte Hannelore.

»Ich auch nicht«, meinte Donna. »Ich bringe sie Dr. Thomsen.«

»Das wirst du nicht tun, Donna«, ertönte da eine schrille Stimme. »Die Kameras gehören mir.« Marisa stand da und starrte die beiden Damen mit haßsprühenden Augen an.

Hannelore wurde nun doch unruhig, aber Donna blieb gelassen.

»Das mußt du erst beweisen«, erklärte sie ironisch. »Jetzt sitzt dir wohl die Angst im Nacken, Marisa. Wenn diese Kameras nicht Rolf gehören sollten, dann bestimmt Tonio. Du verstehst vom Fotografieren doch gerade soviel, daß du dich in Positur setzen kannst.«

Marisa warf ihr einen tückischen Blick zu. »Aber ich will die Aufnahmen von mir selber verwerten«, sagte sie wütend. »Ich lasse es mir nicht bieten, daß sie unter der Hand verkauft werden.«

»Das werden sie bestimmt nicht«, sagte Donna. »Tonio hat daran nicht das geringste Interesse.«

»Aber du anscheinend«, sagte Marisa außer sich vor Zorn.

»In gewisser Weise schon«, gab Donna gelassen zu. »Rufen wir doch mal diesen netten Kommissar, von dem Henrik mir erzählt hat. Ich habe nichts dagegen, wenn er die Kameras an sich nimmt.«

»Wenn du meinst, daß ich die Polizei fürchte, dann irrst du dich«, sagte Marisa herablassend, aber sie trat doch den Rückzug an.

»Nun wird sie doch endlich die Nase voll haben«, erklärte Donna sarkastisch.

»Sie versucht es immer wieder«, meinte Hannelore.

»Für mich ist das nur ein Beweis, daß sie Dreck am Stecken hat. Jetzt wird sie aufgeben«, meinte Donna. »Die Filme müssen schnellstens entwickelt werden, am besten gleich von Polizeileuten, damit sie nicht verlorengehen.«

»Hoffentlich kommt etwas dabei raus«, sagte Hannelore.

»Sie werden sicher ihr Vergnügen haben, denn ein paar Aktfotos von Marisa werden schon dabei sein. Rolf hat scheinbar ein ganz gutes Geschäft damit gemacht.«

»Ist so was denn möglich?« staunte Hannelore.

»In dem Geschäft ist alles möglich. Er hätte sich dabei nur nicht erwischen lassen dürfen. Aber der Herrgott sorgt schon dafür, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.«

Donna verstaute die Kameras in ihrer Tasche, und dann schlossen sie das Haus ab und fuhren zur Behnisch-Klinik.

*

Henrike hatte ihrem Papi freudestrahlend berichtet, wie gut es ihr gehe. »Und stell dir vor, der Opa durfte auch wieder zum Frühstück kommen. Er versteht sich prima mit der Omi. Wenn ich nachher zu Flori gehe, dann schicke ich sie zu dir, damit du sie auch kennenlernst.«

»Das ist eine gute Idee, Schätzchen, dann kommt keiner zu kurz.«

»Bist doch nicht böse, wenn ich auch bei Flori sein will, Papi? Er freut sich doch so, daß wir uns jetzt oft ­sehen. Das bleibt doch auch so, gell?«

»Ich habe nichts dagegen«, erwiderte er.

»Wenn du schnell gesund wirst, können wir alle zusammen lange am Comer See sein. Opa rangiert das schon.«

»Arrangiert heißt das, Ricky.«

»Ist doch egal, du weißt ja, was ich meine.« Ihre Augen strahlten, wie er es schon lange nicht mehr gesehen hatte.

»Ich bin ja so froh, daß du den Schrecken überwunden hast, Kleines«, freute er sich.

»Aber den Ring habe ich gesehen, das weiß ich ganz bestimmt. Und die Frau mag ich überhaupt nicht. Flori kann sie auch nicht leiden. Aber die brauchen wir ja nicht sehen, gell?«

»Wir werden sie nicht sehen, Ricky.«

Sie schmiegte ihre Wange an seine Hand. »Und nächstes Mal fahren wir erst, wenn es hell ist«, sagte sie mit einem tiefen Seufzer.

»Genau, das machen wir.«

»Bist du bald ganz gesund, Papi?« schmeichelte sie.

»Das will ich sehr hoffen. Mir macht es keinen Spaß, im Bett zu liegen, wenn ihr alle gemütlich beisammensitzt.«

»Dann denken wir aber immer an Flori und dich«, versicherte sie, und er bekam einen herzhaften Kuß.

Winkend verschwand sie, und zehn Minuten später kam sein Vater. Henrik warf ihm einen schrägen Blick zu.

»Ich denke, die Omi kommt?« fragte er neckend.

»Sie ist immer noch nicht da.« Dann berichtete er, daß Donna zu ihr gefahren sei.

»Donna schaltet schnell, das muß man ihr lassen«, sagte Henrik. »Ich bin gespannt, ob uns das weiterbringt.«

*

Tonio hatte sich lange mit Dr. Behnisch unterhalten, und dann war er zu Rolf gegangen, da Jenny Behnisch gesagt hatte, daß es den Anschein habe, er würde zu sich kommen. Das schiefe Gesicht war Tonio fremd. Es rief Beklemmungen in ihm wach. So schnell konnte es mit einem Menschen bergab gehen. Mit dem charmanten Hansdampf war es vorbei.

Trübe Augen blickten ihn dann an. Kein Schein des Erkennens war in diesen zu sehen.

»Hallo, Rolf«, sagte Tonio rauh.

»Alles aus«, lallte Rolf. »Ma-ri-sa, kommen.«

»Ich bin da, Tonio, erkennst du mich, Rolf? Was soll Marisa?«

»Nichts sagen, nichts.«

Er stöhnte und bewegte den Kopf hin und her. Dann hob er die Hand und machte eine abwehrende Bewegung.

Seine Lider sanken herab, sein Atem ging pfeifend. Tonio drückte auf die Glocke. Schwester Klara kam herbeigelaufen. Sie fühlte den Puls. Sie sah Tonio an und schüttelte den Kopf.

»Da nützt alles nichts mehr«, sagte sie. »Ich hole Dr. Behnisch. Gehen Sie jetzt bitte.«

Es war das Ende von Rolf Albertis Leben. Eine halbe Stunde später ließ Dr. Behnisch Daniela zu sich kommen und sagte es ihr. Daniela blickte zum Fenster hinaus. Ihr Gesicht blieb unbewegt.

»Für das Begräbnis werde ich sorgen müssen«, sagte sie tonlos.

»Herr Erben wird Ihnen das abnehmen«, erklärte Dr. Behnisch. »Es ist seltsam, er ist an einem Sonntag geboren und an einem Sonntag gestorben. Er hat sich immer als ein Sonntagskind bezeichnet. Und es bleibt nichts zurück.«

Draußen wartete ihre Mutter. »Es ist vorbei, Mutsch«, sagte Daniela leise. »Es ist ausgestanden.«

Arm in Arm gingen sie über den Korridor. Vor Henrik Thomsens Tür verhielt Hannelore den Schritt. »Ich werde es Herrn Thomsen sagen. Flori braucht es ja nicht gleich zu erfahren.«

»Warum nicht?« fragte Daniela.

»Er würde viele Fragen stellen. Die Kinder sind jetzt so vergnügt. Er fragt doch gar nicht mehr nach ihm.«

Florian fragte auch später nicht. Er vermißte seinen Vater nicht. Er war ein glückliches Kind.

*

Fee und Daniel Norden hatten mit ihren Kindern den schönen, sonnigen Sonntag genossen. Auch sie konnten davon profitieren, daß die Sommerferien begonnen hatten und daß das Wetter sich von freundlicher Seite zeigte. Da gab es viel weniger Kranke. Ihr Urlaub sollte nächste Woche beginnen.

»Hoffentlich haben wir im Tessin auch so schönes Wetter wie hier«, meinte Fee seufzend. »Sonst reut es uns, daß wir weggefahren sind.«

»Wer weiß, wie es nächste Woche hier ausschaut«, sagte Daniel. »Du bist überhaupt nicht unternehmungslustig, Feelein.«

»Ich bin halt so an mein Bett gewöhnt«, erwiderte sie lächelnd.

»Ich bin überzeugt, daß Katja dort auch für gute Betten gesorgt hat«, meinte er. »Ich bin sehr gespannt, was sie sich für ein Chalet zugelegt haben. Gut, daß wir so betuchte Verwandtschaft haben. Da kommen wir zu einem billigen Urlaub.«

»Du Spötter«, meinte sie neckend.

»David muß enorm viel verdienen, daß sie sich das alles leisten können«, sagte Daniel beiläufig.

»Wir investieren halt in der Insel der Hoffnung zum Wohle anderer. Anne sorgt sich ein bißchen, daß Katja zu hoch hinaus will, und David kann ihr keinen Wunsch abschlagen.«

»Sie gehören halt zur Prominenz, und wir profitieren auch ein bißchen davon. Oder gelüstet es dich, wie Katja durch die Welt zu reisen?«

»Liebe Güte, nein, ich würde es nicht aushalten, so lange von den Kindern getrennt zu sein.«

»Und Katja will sich nicht so lange von David trennen.«

»Sie würde vor Eifersucht zerfließen«, lächelte Fee.

Die Familienverhältnisse der Nordens waren für Außenstehende etwas verwirrend. Fees Vater, Dr. Cornelius, hatte in zweiter Ehe Anne, die Mutter von Katja, geheiratet, und Katja wiederum war seit einigen Jahren mit dem berühmten Pianisten und Dirigenten David Delorme verheiratet. So unterschiedlich aber auch Fee und Katja waren, sie fühlten eine schwesterliche Zuneigung füreinander. Einige Zeit hatten sie auch in engster Nachbarschaft in München gewohnt, aber dann hatten David und Katja ihren ständigen Wohnsitz in Zürich gefunden, soweit man von ständig reden konnte. Hatte David gemeint, ein ruhigeres Leben führen zu können, war er dann doch wieder so mit glänzenden Angeboten bombardiert worden, daß er nicht nein sagen konnte. Allerdings hatte Katja auch dazu beigetragen, der es gefiel, die Welt kennenzulernen.

Donna Regulin gehörte zu denen, die sehr genau über die Familien Norden, Cornelius und Delorme informiert war. Und sie gehörte auch zu jenen, die jedes Jahr gern ein paar Wochen auf der Insel der Hoffnung verbrachte, allerdings immer erst dann, wenn es auf den Winter zuging.

Daniel Norden war überrascht, sie in der Behnisch-Klinik anzutreffen, als er dort noch einen kurzen Besuch machte, um sich über den neuesten Stand der Ereignisse zu informieren.

»Hallo, Donna!« rief er erstaunt aus, als sie aus Henrik Thomsens Krankenzimmer kam. »Jetzt sagen Sie bloß nicht, daß Ihnen etwas fehlt.«

»Es wäre gar nicht übel, wenn mir was fehlen würde, zumindest an Pfunden«, gab sie, schon wieder zum Scherzen aufgelegt, zurück. »Dr. Thomsen ist mein Anwalt und ein guter Freund, ich besuche ihn.«

»Die Welt ist klein, man trifft sich immer wieder.«

»Hoffentlich im Herbst auf der Insel«, sagte sie. »Wie geht es der Familie?«

»Wir sind allesamt zufrieden.«

»Das hört man gern. Sie verdienen es ja auch. Wenn es in jeder Familie so sein würde, würde es in der Welt besser ausschauen.«

Dr. Norden blickte auf die Tür des Krankenzimmers. »Wir wollen froh sein, daß Thomsen so davongekommen ist.«

»Und daß die Scherereien mit Alberti erspart bleiben«, sagte sie.

»Ist er gestorben?« fragte Dr. Norden.

»Wußten Sie es noch gar nicht?«

»Ich bin gerade erst gekommen.«

»Heute mittag ist er gestorben. Wenigstens Daniela bleibt die Scheidung erspart.«

»Aber der Unfallvorgang wird wohl nie restlos aufgeklärt werden, und so werden die Versicherungen Scherereien bereiten.«

»Ein Schaden ist gut, der zwei Vorteile gewinnt«, meinte sie mit einem flüchtigen Lächeln.

Er sah sie fragend an, und sie zwinkerte ihm zu. »Eine Mutter und ein Sohn und eine Großmutter, und auf der anderen Seite ein Vater mit Tochter und ein Großvater. Ist das nicht eine hübsche Kombination?«

»Sagen wir mal, es konnte eine sein, aber Sie hören ja die Flöhe husten, Donna«, scherzte er.

»Und ein bißchen diplomatisches Geschick habe ich auch.«

»Eine feine Umschreibung fürs Verkuppeln.«

»Sie müssen nicht immer alles gleich so direkt sagen«, meinte sie verschmitzt. »Wann machen Sie Urlaub?«

»Nächste Woche geht es los.«

»Wohin?«

»Ins Tessin.«

»Dann können Sie ja mal einen Abstecher an den Comer See machen und nachschauen, wie es den Thomsens mit Anhang geht.«

»Mit Anhang?«

»Toto Thomsen hat Daniela mit Sohn und Mutter eingeladen. Es war nicht meine Idee. Es war seine. Und die Kinder werden schon dafür sorgen, daß die Einladung angenommen wird.«

»Dann hoffen wir mal auf eine erfreuliche Entwicklung«, sagte Daniel schmunzelnd. »Und was haben Sie vor?«

»Ich werde dafür sorgen, daß Tonio Erben erfreulicheren Zeiten entgegensehen kann. Und außerdem habe ich die Absicht, mich ins Privatleben zurückzuziehen. Ich habe den Gesellschaftstratsch satt. Vielleicht habe ich zuviel Ärger heruntergeschluckt und bin deshalb so fett geworden.«

Wenn man in ihr Gesicht blickte, vergaß man die Fülle. Sie war umwerfend in ihrer Art. Sie war eine Individualistin.

»Grüßen Sie Fee und die Kinder. Ich freue mich auf ein Wiedersehen, aber jetzt habe ich noch allerhand zu erledigen «

Mit einem festen, warmen Händedruck trennten sie sich. Dr. Norden ging zu Florian, der immer noch Besuch hatte. Um ihn brauchte man sich nicht mehr zu sorgen. Es war kaum zu glauben, wie schnell er sich erholte, aber Freude war eben eine gute Medizin, wie es sich einmal wieder erwies.

Daniela begleitete Dr. Norden dann hinaus. »Sie wissen schon, daß er gestorben ist?« fragte sie leise.

»Ich habe es eben erfahren.«

»Wir wollen es Florian erst sagen, wenn er ganz gesund ist. Er soll jetzt nicht so viel nachdenken.«

»Das ist gut«, nickte Dr. Norden.

»Er wird ihn nicht vermissen. Ich denke, daß sich nun auch seine Hemmungen legen. Meinen Sie, daß er dieses Jahr schulreif sein wird?«

»Ich habe nie daran gezweifelt.«

»Bei dem Test hat er doch völlig versagt, aber nun will er doch unbedingt eingeschult werden. Können Sie mir raten, was ich jetzt noch unternehmen kann?«

»Meine Frau ist im Elternbeirat. Sie wird mit dem Rektor sprechen, wenn es Ihnen recht ist. Ich denke, in sechs Wochen wird Flori mit allen anderen Kindern Schritt halten können. Sie wollen nun doch hier wohnen bleiben?«

Daniela errötete. »Flori und Ricky hängen aneinander wie Kletten. Jetzt gibt es ja auch keine Hindernisse mehr, daß sie oft zusammen sein können.«

Dr. Norden lächelte in sich hinein. Er dachte an Donnas Worte. Der Anfang schien bereits gemacht zu sein. Aber was immer auch die Zukunft bringen mochte, Daniela würde sich ihr jetzt gewachsen zeigen.

*

Am nächsten Tag waren die Filme entwickelt. Tonio und Donna konnten die Bilder zuerst betrachten. Wie sie beide schon vermutet hatten, waren wieder eine ganze Anzahl Aktfotos von Marisa dabei, doch für diese interessierten sie sich nicht. Andere Aufnahmen bewiesen, daß Marisa den Ring getragen hatte, den Ricky erkannt hatte. Die Aufnahmen waren von bester Qualität, eine wie die andere.

»Man muß es ihm lassen, daß er ein guter Fotograf war«, sagte Donna anzüglich. »Aber es gibt auch genügend andere.«

»Ich werde keinen mehr protegieren«, sagte Tonio.

»Du verlegst dich jetzt auf Malerei«, meinte sie hintergründig.

»Mach Franzi nicht kopfscheu, Donna. Laß ihr Zeit. Es wäre schade, wenn sie ihre Unbefangenheit verlieren würde. Man wird sich um ihre Bilder reißen, dessen bin ich schon jetzt sicher. Aber es könnte dann auch viele Neider geben. Sie ist ein Talent, das sich nur im stillen voll enthalten kann.«

»Du hast es erfaßt. Ich freue mich. Ich werde natürlich nichts unternehmen, was ihr schaden könnte. Und außerdem sollte Marisa nichts davon erfahren, daß du einen Schützling unter deine Fittiche nimmst. Diesmal ist es ja ein weibliches Wesen und ein sehr hübsches dazu. Für sie wäre ein gefundenes Fressen, dir diesbezüglich etwas anhängen zu können.«

Doch Marisa schien von der Bildfläche verschwunden zu sein, und zwei Tage später erschien Kommissar Kremer mit einem Brief bei Tonio Erben, den Marisa an ihn geschickt hatte.

Sie könne nicht mehr weiterleben mit diesen Verleumdungen, mit denen sie überhäuft worden sei, hatte sie geschrieben. Man solle nicht nach ihr suchen. Sie wolle in aller Einsamkeit ihrem Leben ein Ende bereiten. Sie hätte von Rolf Albertis Tod erfahren und wüßte nun, daß niemand sie entlasten könne.

Tonio sagte gar nichts. Kommissar Kremer gestattete sich ein ironisches Lächeln. »So kann man es auch machen, aber eines Tages werden wir bestimmt wieder von ihr hören, Herr Erben.«

»Eines Tages?« murmelte Tonio. »Eine raffinierte Taktik, der Scheidung auszuweichen. Allerdings wird ihr bald das Geld ausgehen, und Armut ist ein unerträglicher Zustand für sie. Jedenfalls hält sie mich in Spannung.«

»Kein gutes Gefühl«, sagte der Kommissar. »Wir werden jedenfalls eine Fahndung nach ihr einleiten.«

»Die durch die Fotos gerechtfertigt wäre?«

»Nein, dadurch nicht. Aber die Ankündigung eines Selbstmordes verpflichtet uns dazu. Das hat sie wohl nicht bedacht.«

Nein, das hatte Marisa nicht bedacht. Ein eisiger Schreck fuhr ihr in die Glieder, als sie plötzlich aus dem Autoradio ihren Namen vernahm und die Beschreibung ihres Wagens mit dem genauen Kennzeichen. Und tatsächlich sagte der Sprecher doch, daß die Gesuchte Selbstmordabsichten geäußert hätte.

Ja, das war ein gewaltiger Schock! Was sollte sie nun tun? Sie mußte jeden Augenblick gegenwärtig sein, daß man sie schnappte. Und sie mußte nun auch damit rechnen, schon so nahe dem Ziel, das sie angepeilt hatte, daß derjenige, bei dem sie vorerst Zuflucht suchen wollte, diese Meldung auch hören würde.

Aber was sollte sie jetzt sonst tun? Mit Skrupeln war Hasso Tietjen auch nicht gesegnet. Und hatte er ihr nicht vor ein paar Monaten ziemlich eindeutig zu verstehen gegeben, daß er sich über einen Besuch von ihr sehr freuen würde?

Ein Haus auf Sylt, ja, das war ihr in den Sinn gekommen, und bis dorthin war es höchstens noch eine halbe Stunde Fahrt. Sie mußte es riskieren. Es war ja ein herrlicher Sommertag. Hasso würde sicher am Strand oder mit dem Boot unterwegs sein. Er hatte ihr so viel vorgeschwärmt von dem herrlichen Leben an der See.

Würde man sie hier vermuten? Doch eher irgendwo im Ausland, in der Schweiz oder an der Côte d’Azur.

Tonio würde bestimmt nicht auf den Gedanken kommen, daß sie an die Nordsee gefahren sein könnte. Er hatte ihr ja früher mal den Vorschlag gemacht, dort einen Urlaub zu verbringen. Aber sie hatte gesagt, was sie wohl an der Nordsee solle, da es dort doch immer kalt sei.

An diesem Tag war es jedenfalls sehr warm, und ihr war es heiß. Die Sonne brannte herab, und die Angst kam hinzu. Aber sie wollte nicht aufgeben, und schließlich fand sie auch das Haus, abseits an den Dünen stehend. Ein Häuschen mehr zu nennen, schon ziemlich alt aussehend. Es nahm sich recht bescheiden aus, da sie an so vielen komfortablen Häusern vorbeigefahren war. Und der Mann, der dann aus der Tür trat, war nicht etwa Hasso Tietjen, sondern ein völlig fremder Mann, noch recht jung und ziemlich verwegen aussehend.

Er betrachtete sie staunend, aber dann auch bewundernd, wie sie zu ihrer Genugtuung feststellen konnte, als sie aus dem Wagen stieg.

»Hallo«, sagte er lässig, »was verschafft mir die Ehre?«

»Ich wollte zu Hasso Tietjen«, erwiderte Marisa.

»Liebe Güte, der ist längst drüben.«

»Wo drüben?«

»In Australien.«

»Und wer sind Sie?« fragte Marisa.

»Heiko Hansen.«

»Hat er Ihnen das Haus überlassen?«

Der junge Mann grinste spöttisch. »Das Haus gehört mir. Hat er Ihnen auch Märchen aufgetischt? Der Möchtegernmanager! Mich hat er auch hereingelegt. Sie auch?«

Marisa überlegte blitzschnell. »Das kann man sagen«, erwiderte sie, und das war nicht mal eine Lüge. Angegeben hatte Hasso, als wäre er der König auf der Insel.

»Heiß heute«, sagte Heiko, »bei einem kühlen Drink können wir besser reden.«

Innen sah das Haus ganz manierlich aus. Und der Drink, der Marisa serviert wurde, schmeckte ausgezeichnet.

»Darf ich fragen, wie Sie heißen?« fragte Heiko und verriet damit, daß er über recht gute Umgangsformen verfügte.

Sie überlegte wieder blitzschnell, aber es fiel ihr jetzt nur ein Name ein. »Daniela Alberti«, erwiderte sie.

»Klingt hübsch«, meinte er lässig. »Welche Forderungen haben Sie an Hasso?«

»Eine Menge«, erwiderte sie leichthin.

»Daß er eine so schöne Frau übers Ohr haut, hätte ich nicht gedacht. Wir waren mal Partner in der Agentur.« Er betrachtete sie eingehend. Dann verzogen sich seine Lippen zu einem anzüglichen Lächeln. »Jetzt weiß ich es, Sie sind das Aktmodell. Mit den Bildern hat er ein gutes Geschäft ­gemacht. Der Lieferant hieß doch auch Alberti. Sind Sie etwa seine Frau?«

Nun war Marisa aber ganz hübsch in die Enge gedrängt. Sie legte die Hände vor ihr Gesicht und spielte die Bekümmerte. »Eben darüber wollte ich ja mit ihm reden«, sagte sie dann schleppend. »Ich bin ziemlich erschöpft. Dürfte ich mich ein wenig ausruhen, bevor ich zurückfahre?«

»Aber gern. Erholen Sie sich.«

»Sie haben ihn gut gekannt?« fragte sie.

»Wir waren Partner, ich sagte es schon.«

»Vielleicht können Sie mir helfen«, murmelte sie. »Ich bin in einer schrecklichen Situation.«

»Mit mir können Sie reden wie mit dem lieben Gott«, erwiderte er grinsend.

So kam er ihr gewiß nicht vor, eher wie ein Gauner, aber in ihrer Situa­tion durfte sie nicht wählerisch sein. Da war ihr ein Gauner schon lieber als ein Moralist. Aber dennoch wollte sie überlegen.

»Könnte ich vielleicht duschen und mich umkleiden?« fragte sie.

»Meine bescheidene Hütte steht zu Ihrer Verfügung«, sagte er lässig.

*

Florian durfte zum ersten Mal aufstehen. Ein bißchen schwach war er noch auf den Beinen, aber das Lächeln verging ihm nicht.

»Ich möchte jetzt gern Rickys Papi besuchen«, erklärte er.

»Nicht gleich alles auf einmal«, meinte seine Omi.

»Ist doch nicht weit, nur über den Gang«, sagte er.

»Und er freut sich bestimmt«, wurde er von Ricky unterstützt. »Flori kann sich dann doch in den Sessel setzen.«

»Na, meinetwegen, aber wenn deine Mami mich schimpft…«

»Sie schimpft überhaupt nicht«, fiel ihr Flori ins Wort, »das weißt du genau, Omi. Nur der Papa hat immer geschimpft, und der ist doch weggefahren und kommt nimmer. Mei, bin ich froh.«

Daß sein Vater tot war, wußte er noch immer nicht. Er war weggefahren und würde nicht mehr kommen, so war es ihm gesagt worden, und das genügte ihm.

Und dann trat er an Rickys Hand an Henrik Thomsens Bett.

»Ich bin der Florian, ich möchte jetzt Rickys Papi auch endlich kennenlernen«, sagte er leise.

»Das freut mich aber sehr, daß du schon wieder herumlaufen kannst, Flori«, erwiderte Henrik.

»Es geht noch ein bißchen langsam, und Omi wollte es auch nicht erlauben, aber alle kennen dich jetzt schon, bloß ich noch nicht.«

»Nun kennst du mich auch«, sagte Henrik.

Nachdenklich blickte ihn Florian an. »Von weitem habe ich dich schon mal gesehen, wie du einmal Ricky von der Musikschule abgeholt hast. Darfst du noch nicht aufstehen?«

»Morgen«, erwiderte Henrik.

Treuherzig schaute ihn der Junge an. »Das ist wohl schlimmer als der Blinddarm? Hast du deinen noch, oder haben sie den auch gleich rausgenommen?«

»Meinen habe ich schon lange nicht mehr«, erwiderte Henrik. »Ich glaube, ich war ungefähr so alt wie du, als der raus mußte. Mußt mal den Opa fragen, der weiß das besser.«

»War das auch in der Nacht?« fragte Florian.

»Ich kann mich nicht mehr erinnern.«

»Vielleicht habe ich es auch längst vergessen, wenn ich mal groß bin«, sagte Florian nachdenklich. »Es tut ja nur vorher weh, hinterher nicht mehr. Aber wenn Ricky mal solche Schmerzen kriegt, weiß ich gleich Bescheid, und dann rufen wir Dr. Norden gleich an, gell?«

»Das wird gemacht, Flori. Paß nur immer schön auf Ricky auf.«

»Jetzt paßt sie ja noch auf mich auf, aber wenn ich erst gesund bin, dann passe ich auf sie auf. Ich möchte sehr gern mit euch an den Comer See fahren, aber ich weiß nicht, ob Mami einverstanden ist.«

»Dann müßt ihr der Mami eben noch gut zureden«, sagte Henrik.

»Mami sagt doch, daß es dir vielleicht gar nicht recht ist«, meinte Florian. »Kannst du ihr nicht mal zureden?«

»Wir haben ja noch ein paar Tage Zeit, Flori«, sagte Henrik. »Deine Mami hat jetzt noch allerhand zu erledigen.«

»Ich möchte nur wissen, was sie dauernd zu erledigen hat«, sagte der Junge. »Er hat doch jetzt nichts mehr zu sagen.«

Er konnte ja nicht ahnen, wie viele Formalitäten es nun noch für Daniela zu erledigen galt. Zwar hatte Tonio dafür gesorgt, daß die Beerdigung ohne alles Aufsehen stattgefunden hatte, aber für sie blieben doch noch eine Menge Laufereien.

Die Versicherung, die Tonio abgeschlossen hatte, wurde ihr anstandslos ausgezahlt. Zweihunderttausend Mark, damit hatte sie nun wirklich nicht rechnen können, und es war ihr fast peinlich Tonio gegenüber.

»Die Beiträge haben doch Sie bezahlt, Tonio«, sagte sie. »Und sie waren sicher beträchtlich.«

»Es bestand ein Vertrag zwischen uns, daß ich die Beiträge nur solange zahle, solange wir geschäftliche Beziehungen haben«, erwiderte er. »Es ist wohl an der Zeit, daß wir offen miteinander reden, Daniela. Ich wollte die Trennung vollziehen, nachdem er die Auszeichnung bekommen hatte. Diese Chance wollte ich ihm noch lassen. Dann hätte er die Beiträge selber zahlen müssen.«

»Was er wahrscheinlich vergessen hätte«, sagte Daniela, »und ohne Sie, ich weiß nicht, wie das gelaufen wäre. Aber es ist jetzt müßig, darüber nachzudenken.«

»Sie bekommen die Versicherungssumme, und ich bin froh, wenigstens dies für Sie getan zu haben. Ich hatte zu wenig daran gedacht, was Sie schlucken mußten, Daniela.«

»Sie hatten selbst genug zu schlucken. Was ist nun mit Marisa?«

»Sie ist verschwunden, vorerst wenigstens. Sie wird sich schon wieder einen Gag ausdenken, mit dem sie aus der Versenkung auftaucht.«

Und da hatte er die richtige Ahnung, denn Marisa war schon fest dabei, sich etwas Neues auszudenken. Heiko Hansen schien ihr als Helfer dabei sehr geeignet, nachdem sie ihn nun schon ein wenig näher kennengelernt hatte und ziemlich gewiß sein konnte, daß er ihren Reizen nicht widerstehen würde. Im Grunde war er ein ähnlicher Typ wie Rolf Alberti, auf seinen Vorteil bedacht, ohne Hemmungen, clever und skrupellos. Schnell hatte sie es erfahren.

»Warum haben Sie mich belogen?« fragte er nämlich, als sie aus dem Bad kam. »Sie heißen Marisa Erben, nicht Daniela Alberti.«

Es machte ihr nichts mehr aus, daß er dahintergekommen war. Sie war sich jetzt schon sicher, daß sie sich auf diese Weise schneller näherkommen würden.

»Ich werde es dir erklären«, sagte sie. »Ist dir doch recht, wenn wir uns duzen.«

»Immer bereit«, erwiderte er. »Leg dir keinen Zwang an. Mit mir kannst du reden. Erben, das ist doch der Typ, der in München die Galerie hat.«

»Mein Nochehemann«, sagte sie leichthin.

Er kniff die Augen zusammen. Das roch nach Geld, und dafür war er immer zu haben.

»Wir hatten Differenzen wegen Alberti«, erklärte sie.

»Wegen der Aktfotos?«

»Auch. Alberti ist tot.«

»Hat gute Bilder gemacht«, sagte Heiko. »Woran ist er denn gestorben?«

»Es war ein Unfall. Ich muß da etwas klarbiegen. Kannst du mir dabei helfen? Es würde für dich auch etwas herausspringen.«

»Wieviel?«

»Ein paar Tausender bestimmt.«

»Aber keine Erpressung«, sagte er. »Ich liebe die Freiheit.«

»Es ist schnell erklärt. Ich wollte mich umbringen. Ich habe einen Brief hinterlassen.«

Er grinste unverschämt. »Typen wie du bringen sich nicht um«, erklärte er. »Ich kenne mich aus. Unter Umständen werden solche Frauen umgebracht, aber selber bringen sie das nicht fertig. Also, was hast du dir ausgedacht?«

»Ich muß für eine Zeit verschwunden bleiben. Ich werde schon gesucht.«

»Weswegen?«

»Wegen des Unfalls. AIberti hat Fahrerflucht begangen. Ich war im Wagen. Tonio hat deshalb Wut auf mich.«

»Na und, was kann ich dagegen tun?«

»Du hast meinen Wagen und meine Sachen gefunden. Du gehst zur Polizei und meldest das.«

»Und wo willst du bleiben?«

»Du wirst doch wohl einen Unterschlupf für mich wissen, Heiko. Ich kenne solche Typen wie dich auch.«

»Warum alles komplizieren«, sagte er. »Ich will mit der Polente nichts zu tun haben. Nachher nehmen sie mich noch in die Zange und denken, daß ich dich aus dem Wege geschafft habe. Ich werde nach München fahren und mit deinem Mann reden. Ich habe eine Agentur. Wir haben mit Alberti gearbeitet. Offiziell weiß ich nicht, daß er tot ist. Ich werde die Lage mal sondieren. Gut, er hatte eine Wut auf dich, aber die kann doch längst verraucht sein. So was wie dich hat man doch gern im Bett.«

»Tonio ist mehr für Romantik«, sagte Marisa.

»Vielleicht hat er Angst, daß du dich wirklich umbringen könntest. Das wirft doch auf einen Ehemann immer ein seltsames Licht, wenn es publik wird. Und vielleicht gibt es einen Grund für ihn, dich verschwinden zu lassen. Man muß alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.«

»Was für einen Grund?« meinte sie nachdenklich.

»Eine andere Frau.«

»Unsinn. Davon hätte ich doch was mitbekommen müssen.«

»Du warst doch auch anderweitig engagiert. Was ist denn diese Daniela Alberti für eine Frau?«

»Spießig, prüde, liebende Mutter«, spottete Marisa.

»Was einem romantischen Mann gefallen könnte.«

Sie starrte ihn an. »Darauf wäre ich nie gekommen«, sagte sie. »Das bringt mich auf eine Idee. Er hat für Rolf eine Lebensversicherung abgeschlossen, ziemlich hoch. Das Geld bekommt Daniela.«

»Ist dein Alter denn nicht betucht?« fragte Heiko lauernd.

»Geld kann man immer brauchen. Er hat viel investiert. Bei uns hatte jeder sein eigenes Konto.«

»Und deins?« fragte Heiko.

»Ist in München«, erwiderte sie leichthin. »Man kann doch jetzt nichts abheben, dann kommen sie gleich darauf, wo ich stecke.«

Er runzelte die Stirn. »Ich muß jetzt überlegen«, sagte er. »Ruh dich aus. Ich fahre den Wagen in den Schuppen. Hier sucht dich keiner. Die Sache muß durchdacht werden. Anscheinend hast du schon ein paar Fehler gemacht. Ich muß überlegen, wie wir das hinbiegen.«

Er ging zur Tür, aber dort blieb er stehen. Er schlug sich an die Stirn. »Du sagtest, er hat für Alberti eine Lebensversicherung abgeschlossen. Für dich auch?«

Sie starrte ihn an. »Soweit ich mich erinnere, eine auf Gegenseitigkeit.«

»Gut, da werde ich einhaken. Ich fahre morgen nach München. Die Reisekosten müßtest du mir allerdings vorschießen, Schönheit.«

Ein leises Mißtrauen kroch nun doch in ihr empor. »Und welche Garantie gibst du mir?«

»Fang nicht so an. Du kannst hier wohnen. Du hast doch einen Unterschlupf gesucht. Färb dir die Haare, leg dich in die Sonne. Dann siehst du gleich ganz anders aus. Und an deinem Wagen bringen wir andere Nummernschilder an. Ich habe noch welche von Hassos altem Karren. Wir werden das Ding schon deichseln, Marisa. Vertrauen gegen Vertrauen!«

*

Tonio hatte Donna zu ihrem Haus in den Bergen zurückgebracht. Franzi hatte sie gar nicht kommen hören, so sehr war sie in die Arbeit vertieft. Als Tonio plötzlich im Atelier stand, ließ sie erschrocken den Pinsel fallen.

Sie bückten sich gleichzeitig, und ihre Köpfe stießen zusammen. Heiße Röte überflutete Franzis Gesicht, als Tonio sich aufrichtete und das Bild anstarrte.

»Das bin ja ich«, sagte er heiser.

»Es ist mein erster Versuch, aus dem Gedächtnis zu malen«, sagte sie leise. »Sie sollten es noch gar nicht sehen.« Ihre Stimme bebte. »Ich wußte nicht, daß Sie heute schon zurückkommen.«

»Ich fahre morgen wieder nach München. Ich muß etwas tun, mich auf andere Gedanken bringen, Franzi. Ich werde die Ausstellung vorbereiten.«

»Es ist wieder etwas passiert?« fragte sie leise.

»Meine Frau ist verschwunden. Albertis Tod…«

»Ich weiß doch gar nichts«, unterbrach sie ihn.

»Daran habe ich jetzt gar nicht gedacht. Ich werde es Ihnen erzählen. Donna hat sich gleich hingelegt. Sie war ziemlich erschöpft.«

»Donna erschöpft?« staunte sie.

»Es waren aufregende Tage. Ich werde es Ihnen erzählen, Franzi. Es ist so gut zu wissen, daß es auch noch Menschen gibt, die ohne Falsch sind, die sich eine eigene Welt geschaffen haben. Aber eigentlich ist es unrecht, gerade Ihnen zu erzählen, wie böse es sonst zugehen kann.«

»Ich weiß, daß es keine heile Welt gibt«, sagte Franzi leise.

»Ihre Welt ist heil«, sagte er gedankenvoll. »Verzeihen Sie mir, daß ich darin als Störenfried auftrete.«

»Aber so ist es doch nicht«, sagte sie. »Wollen wir ein Stündchen hinausgehen? In der Natur findet man am ehesten Ruhe.«

Und dann, als sie durch den sinkenden Abend wanderten, wurde es ihm so recht bewußt, wie sehr ihn die Hetze, die Stadt, die ständige Konzentration und die Jagd nach dem Erfolg beansprucht und aufgezehrt hatten. Die Unruhe war nicht erst mit Marisa in sein Leben gekommen. Während er erzählte, kam das Begreifen, daß er diese Bindung nur eingegangen war, weil der Mammon schon eine große Rolle in seinem Leben gespielt hatte. Tonio Erben, es hatte ihn gefangengenommen, daß man über ihn sprach, über ihn schrieb, daß er zu den Erfolgreichen gehörte.

Er beschönigte nichts, als er über sich und seine Ehe sprach, über Rolf Alberti und über die allerjüngsten Ereignisse.

»Und dann haben Sie sich einfach treiben lassen«, sagte Franzi in das folgende Schweigen hinein.

»Plötzlich wurde man Albertis überdrüssig. Immer Marisa, nur ab und zu ein paar andere Aufnahmen. Und dann die anzüglichen Bemerkungen, daß ich Aktaufnahmen von Marisa verkaufen würde. Ich hätte es wohl schon nötig. Da erfuhr ich erst, welche Geschäfte Alberti hinter meinem Rücken machte, aber ich glaubte es erst, als mir einige Fotos dann auf den Tisch gelegt wurden. Es war schlimm, als mir die Augen aufgingen, wie sehr ich selbst vom Wege abgewichen war. Ich würde es Ihnen nicht übelnehmen, wenn Sie sich jetzt mit Grausen von mir wenden würden.«

»Ach was, jeder Mensch macht doch mal eine Krise durch, so oder so. Man ist von einem Wege abgeraten und sucht einen anderen. Es kommt doch nur darauf an, daß man ihn findet und nicht in einem Graben landet. Ich war auch einmal ein schwankendes Rohr im Wind. Vielleicht hilft es Ihnen, wenn ich davon erzähle. Ich habe noch nie mit einem Menschen darüber gesprochen, selbst mit Donna nicht, die wie eine Mutter zu mir ist. Ich hatte auch mal hochfliegende Träume. Nicht, was das Malen anbetrifft. Das gehörte dann nur zur Therapie. Es war ein Mann, ein Märchenprinz in meinen Augen.« Sie waren zu einer Lichtung gekommen, die den Blick aufs Tal und einen Hügel freigab.

»Da unten, da ist unser Hof«, sagte sie. »Er war es. Und das da droben, das ist das Schloß. Der junge Baron war mein Märchenprinz, und er ließ sich herab, der Bauerntochter einen Traum zu erfüllen.«

»Sie haben ihn geliebt, Franzi«, murmelte Tonio.

»Ja, ich habe ihn geliebt, aber für ihn war ich ein Spielzeug, ein Zeitvertreib. Und dann bekam ich ein Kind. Sie sollen sich über mich keine Illusionen machen, Tonio. So heil war meine Welt auch nicht. Deshalb erzähle ich Ihnen das.«

»Und was wurde mit dem Kind und dem Märchenprinzen?«

»Der Märchenprinz heiratete eine Prinzessin und leugnete, daß es sein Kind sei. Und das Kind starb drei Monate nach der Geburt. Es starb in einem Heim, weil Franziska Ostmann nicht den Mut hatte, sich zu ihrem Kind zu bekennen. Und es hat sehr lange gedauert, bis ich aus dem Abgrund einen Weg fand. Ich sollte besser sagen, daß Donna mich emporgezogen hat. Sie hatte das Haus ge kauft. Sie fand mich eines Tages hier an dieser Lichtung, als ich meinem verpfuschten Leben nachtrauerte. Ich malte das Schloß. Sie hat mich mit zu sich genommen und dann zur Insel der Hoffnung. Es ist jetzt fünf Jahre her und seit dieser Zeit ist Malen meine Therapie, über das hinwegzukommen, was mich quält.«

»Sie haben den Mann nicht vergessen«, sagte Tonio.

»Es ist nicht der Mann. Das ist vorbei. Es ist das Kind, das ich verleugnet habe. Ein Kind braucht Liebe. Nun können Sie abwägen, wer mehr Last mit sich herumschleppt, Sie oder ich. Sie haben sich von mir auch ein ganz anderes Bild gemacht, das weiß ich.«

»Sie haben zu sich selbst gefunden, Franzi«, sagte Tonio leise. »Deshalb konnte ich mir kein falsches Bild von Ihnen machen. Und jetzt ist mir klar, woher die Reife kommt, die sich in Ihren Bildern ausdrückt.«

»Vielleicht bin ich auf dem Wege, dem richtigen Weg«, sagte sie sinnend. »Es ist ein beschwerlicher Weg, Tonio.«

»Wer weiß das besser als ich. Ich bin gerade erst bereit, ihn einzuschlagen. Sie sind mir um einiges voraus, aber vielleicht können wir ihn dann einmal gemeinsam gehen.«

Es war ihm fast unbewußt und gedankenverloren über die Lippen gekommen, aber Franzi schien nicht einmal verwundert zu sein.

»Ja, vielleicht«, sagte sie leise. Da griff er nach ihrer Hand, und so gingen sie den Weg zurück, schweigend und doch mit einer keimenden Hoffnung im Herzen.

*

Tonio fuhr am nächsten Morgen zurück. Wohlverpackt ruhten Bilder von Franzi und ihrem Vater im Kofferraum. Unwillkürlich dachte er unterwegs, welch unersetzlicher Verlust entstehen könnte, wenn ihm jemand in den Wagen fahren würde. Noch waren die Bilder ja nicht versichert. Das mußte er sofort in die Wege leiten, und so war er den ganzen Tag über beschäftigt. Mehrmals läutete das Telefon, aber er nahm es nicht ab. Offiziell war die Galerie ja geschlossen. Als er abends heimkam, stand vor dem Haus ein Wagen mit Hamburger Nummer. Nur flüchtig nahm Tonio Notiz davon, als er aber die Gartentür aufschloß, stieg Heiko Hansen aus und kam rasch auf ihn zu.

»Verzeihung, spreche ich mit Herr Erben?« fragte er höflich.

»Ja, worum handelt es sich?« fragte Tonio.

»Hansen von der Agentur Tietjen und Hansen«, stellte sich Heiko vor. »Ich habe versucht, Herrn Alberti zu erreichen, leider vergeblich. Er hatte uns eine Bildserie offeriert, die leider nicht bei uns eingegangen ist. Da ich zufällig in München bin, wollte ich mich einmal erkundigen, warum es diesmal nicht geklappt hat.«

»Alberti ist plötzlich verstorben«, sagte Tonio reserviert.

»Oh, das ist eine böse Überraschung!« Heiko spielte den Betroffenen überzeugend. »Das ist auch fatal für uns. Wir hatten Alberti schon einen beträchtlichen Vorschuß überwiesen.«

»Um was für eine Serie handelte es sich?« fragte Tonio.

»Um Aktaufnahmen, durchaus seriöse«, erwiderte Heiko. »Sie sind sicher informiert.«

»Nicht genau, aber wir können uns darüber unterhalten«, sagte Tonio in einer plötzlichen Eingebung.

»Sehr freundlich, Herr Erben, aber ich will Sie jetzt nicht stören, ich kann morgen wiederkommen.«

»Sie stören nicht«, erwiderte Tonio, der sich noch nicht ganz schlüssig war, was er von diesem jungen Mann halten sollte, aber er sah auch eine Möglichkeit, noch in Erfahrung zu bringen, was Rolf Alberti für Geschäfte mit Marisas Bildern gemacht hatte.

Heiko blickte sich unauffällig im Hause um. »Sie wohnen wunderschön«, stellte er fest, »stadtnah und doch fast ländlich – ein schöner Besitz.«

»Ich habe das Haus nur gemietet«, erklärte Tonio. »Bitte, nehmen Sie doch Platz.« Er war immer darauf bedacht, daß man seine finanziellen Möglichkeiten nicht zu hoch einschätzte, schon gar nicht dann, wenn er es mit Fremden zu tun hatte. Wie gut das in diesem Fall war, ahnte er allerdings nicht.

Heiko hatte Tonio eingehend gemustert und für sich bereits festgestellt, daß er eigentlich überhaupt nicht zu Marisa paßte.

»Was kann ich Ihnen anbieten?« fragte Tonio.

»Vielleicht ein Bier?« Heiko gab sich bescheiden. Er verstand es, einen recht seriösen Eindruck zu machen.

Tonio schenkte zwei Gläser ein. »Herrn Tietjen habe ich mal kennengelernt«, sagte er beiläufig. »Ist die Agentur nur an Aktfotos interessiert?«

»Aber nein. Leider hat uns Alberti keine anderen angeboten. Aber sein Aktmodell war besonders attraktiv. Wäre es jetzt zu haben? Wir haben gute Fotografen, die auch bestens zahlen würden. Tietjen ist zur Zeit in Australien. Ich möchte die Agentur etwas ummodeln. Vielleicht ist einiges aus Albertis Nachlaß verkäuflich.«

»Das könnte sein. Ich stelle meine Galerie ausschließlich auf Malerei um«, erwiderte Tonio.

»Oh, das ist interessant. Da werde ich mich gern einmal umschauen. Aber vorerst zu Alberti. Woran ist er denn gestorben? Er war doch noch ziemlich jung.«

»An Unfallfolgen«, erwiderte Tonio arglos. »Darf ich fragen, wie Sie mit ihm ins Geschäft kamen?«

»Ich kannte ihn nicht persönlich. Tietjen hatte persönlichen Kontakt zu ihm. Er hatte auch die Verbindung zu den ausländischen Kunden, die sich für Albertis Aufnahmen interessierten. Alberti hatte wohl zur Auflage gemacht, daß die Aufnahmen nur ins Ausland verkauft werden dürften. Sie hatten doch nicht etwa einen Exklusivvertrag mit ihm?«

»Nicht für Aktfotos«, erwiderte Tonio.

»Aber Sie kennen das Modell«, sagte Heiko. »Eine sehr schöne Blondine. Da kann mancher Mann schwach werden.«

»Eine Hülle kann trügerisch sein«, meinte Tonio geistesabwesend.

»Ich handle mit Fotografien«, sagte Heiko lässig. »Die Originale interessieren mich nicht. Da zahlt man meist als Mann drauf. Sie nehmen mir diese Bemerkung nicht übel?«

»Durchaus nicht. Sie betrachten dies sehr realistisch. Ich nehme an, daß Alberti mit den Fotos recht gut verdient hat.«

»Das kann man wohl sagen. Allerdings zahlen wir diesmal gewaltig drauf, wenn wir die Serie nicht mehr bekommen.«

»Wieviel Vorschuß haben Sie ihm gezahlt?« fragte Tonio.

»Dreitausend. Mit Scheck. Er wollte keine Überweisung, wahrscheinlich wegen der Steuern. Es war sozusagen ein Geschäft auf Treu und Glauben. Es hat ja auch immer funktioniert. Aber wer hätte daran gedacht, daß er plötzlich stirbt. Die Fotos sind nicht zufällig in Ihrem Besitz?«

Tonio dachte an die letzten Filme. Ja, da war eine ganze Serie dabeigewesen.

»Nein«, erwiderte er. »Aber Sie können morgen in meine Galerie kommen und als Ausgleich für Ihren Verlust andere Fotos von Alberti aussuchen.«

»Sie sind sehr entgegenkommend«, sagte Heiko überrascht, und diese Überraschung brauchte er nicht zu spielen.

Er dachte plötzlich nicht mehr an Marisa, sondern an seine berufliche Zukunft. Wollte er sich alles zerstören, um ihr gefällig zu sein?

»Ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Ich komme gern morgen in die Galerie.« Und für sich dachte er, daß Marisa schön dumm gewesen sei, die Ehe mit diesem Mann aufs Spiel zu setzen. Er mußte jetzt nur überlegen, wie er sich möglichst elegant aus der Affäre ziehen konnte.

*

Marisa dachte nicht daran, sich der Einsamkeit hinzugeben. Sie konnte sich auch nicht entschließen, ihr Haar zu färben, nachdem sie die Gebrauchsanweisung gelesen hatte. Der Gedanke, sich in irgendeiner Weise unvorteilhaft zu verändern, war ihr ein Greuel. Sie war es schließlich gewohnt, immer nur zum besten Coiffeur zu gehen, nur die schicksten Kleider zu tragen, und sie war stets darauf bedacht, ihre Wirkung auf Männer zu erproben. Wer wollte sie in diesem Betrieb, der auf der Insel herrschte, schon suchen und gar finden? Nachdem sie ihr Haar unter einem bunten Kopftuch versteckt und eine große Sonnenbrille aufgesetzt hatte, war sie am Strand herumgewandert. Und sie hatte bald einige sehr interessante Männer gesichtet.

Sie legte ihr Strandkleid ab und ging ein paarmal mit erlernter und gekonnter Anmut durch das seichte Wasser, bevor sie sich dann im Sand niederließ, sich voll bewußt, daß ihr Körper ihr Kapital war. Nur auf Heiko wollte sie sich auch nicht verlassen. Auf diesen Gedanken war sie bereits gekommen.

Lange blieb sie nicht allein.

»Hallo, kennen wir uns nicht?« sagte eine Männerstimme, und ein gebräunter, sehr ansehnlicher Mann ließ sich neben ihr nieder.

»Kann schon sein«, erwiderte sie, »aber ich habe ein schlechtes Gedächtnis. Und an manche Begegnungen erinnere ich mich ungern.« Sie betrachtete ihn durch die dunklen Gläser. Er sah gut aus. »Aber ich kann mich wirklich nicht erinnern«, fuhr sie fort. Das Lächeln, das sich um ihre Lippen legte, war keineswegs abweisend.

»Gibt es einen Hinderungsgrund, daß wir uns kennenlernen?« fragte der Fremde.

»Ich sehe keinen. Ich bin erst angekommen«, erwiderte sie. »Und wenn Sie nette Begegnungsorte bereits erforscht haben, lasse ich mich gern informieren.«

»Fein. Zum besseren Kennenlernen würde ich jetzt eine kleine Segelpartie vorschlagen. Hier am Strand ist ziemlich viel Betrieb.«

»Und sehr heiß ist es auch. Ich dachte immer, an der Nordsee wäre es kalt«, sagte Marisa.

»Mit Ihnen kam die Sonne«, sagte er. »Ich heiße Jobst, genügt das vorerst?«

»Okay, ich heiße Isa.« Sie wußte sehr genau, wann ein Mann sich nicht festlegen wollte, und ihr konnte das nur recht sein. Jedenfalls konnte der Tag noch ganz amüsant verlaufen.

*

So schnell wie Stimmungen wechseln konnten, so schnell wechselte das Wetter oft an der See. Plötzlich tauchten Wolken am Horizont auf und waren viel schneller zu einer dichten, düsteren Decke geworden, als zu ahnen war. Und gerade nach einem so heißen Tag kam rasch ein Gewitter auf. Für Marisa sollte ein amüsantes Abenteuer zum Verhängnis werden. Bevor sie es überhaupt begriff, erfaßten meterhohe Wellen das kleine Segelboot, in dem sie durchglüht von der Sonne und träumend von einem Mann, der so ganz ihren Sehnsüchten entsprach, eingeschlafen war.

Und plötzlich war nur noch Wasser um sie herum. »Halt dich fest, Isa!« schrie der Mann. »Wir sind gleich an Land!« Sie hörte die Stimme noch, aber die Wellen schlugen schon über ihr zusammen. Sie klammerte sich instinktiv am Boot fest, wollte schreien von grauenvoller Angst bewegt und konnte es nicht mehr.

Heiko Hansen rief zu dieser Stunde wieder vergeblich an. Er hatte Marisa sprechen wollen. Er hatte ihr sagen wollen, daß er anderen Sinnes geworden sei.

»Dann eben nicht«, sagte er, als er den Hörer wieder auflegte und fuhr zu Tonio Erben. Der hatte alte Fotoporträts von Rolf Alberti bereits abgenommen und einige Bilder von Franzi aufgehängt. Er sah Heiko vor dem Fenster stehen und öffnete die Tür.

»Da sind Sie ja«, sagte Tonio. »Die Bilder von Alberti stehen im Hinterzimmer.«

Heiko blieb vor Franzis Bildern stehen. »Schön, wunderschön«, sagte er. »Eine Neuentdeckung? Ich habe solche Farben noch nirgendwo gesehen.«

»Ja, es ist eine Entdeckung«, sagte Tonio.

»Sie haben ihren Preis«, sagte Heiko.

»Sie sind unverkäuflich, wenigstens diese«, erwiderte Tonio. Er sah den Jüngeren nachdenklich an und entdeckte andere Züge in dessen Gesicht. »Sie sind sehr nachdenklich, Herr Hansen«, sagte er.

»Ich muß Ihnen ein Geständnis machen, Herr Erben. Ich habe Ihre Frau kennengelernt und wollte auch Sie kennenlernen. Ich weiß, daß Albertis Aktmodell Marisa Erben heißt.«

»Und nun wollen Sie Geld, damit es nicht publik wird«, fragte Tonio bitter.

»Nein, ich möchte Ihnen jetzt nur sagen, daß sie auf Sylt ist und gar nicht daran denkt, sich das Leben zu nehmen. Nachdem ich Sie kennenlernte, habe ich nachgedacht. Sie und diese Frau, das paßt einfach nicht zusammen. Und ich will mir von einer solchen Frau das Leben nicht zerstören lassen. Ich lebe gern und ich arbeite nur, um so leben zu können, wie ich es mir vorstelle.«

»Sie sind noch sehr jung«, sagte Tonio gedankenverloren.

»Fünfundzwanzig.«

»Wie sind Sie an Marisa geraten?«

»Ich werde Ihnen alles erzählen. Sie wollte zu Hasso Tietjen und landete bei mir. So eine Frau hatte ich noch nie kennengelernt. Da kann man schon ins Schleudern kommen. Ich wollte sie heute anrufen und ihr sagen, daß aus unserer Zusammenarbeit nichts wird.«

»Und warum wollten Sie das?« fragte Tonio.

»Weil mir bewußt geworden ist, daß sie einem nur Unglück bringen kann. Sie sind ganz anders, als ich es mir vorstellte.«

»Ja, dann reden wir mal ehrlich miteinander«, sagte Tonio. »Mich kann nichts mehr verletzen.«

Und sie redeten lange, und als sie dann in Schweigen versanken, konnte Tonio das Gefühl haben, einem jungen Menschen, der noch nicht gewußt hatte, was er eigentlich wollte und vom Leben erwartete, einen Weg gewiesen zu haben, ohne daß dies in seiner Absicht lag.

»Sind Sie bereit, mich mitzunehmen?« fragte Tonio. »Ich will nur mit Marisa sprechen und ihr die Möglichkeit geben, für immer aus meinem Leben zu verschwinden. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Ihnen daraus kein Schaden erwächst. Ich habe nur den Wunsch, frei zu sein, und nicht mehr fürchten zu müssen, daß sie auf irgendeine Weise wieder in mein Leben einbricht. Ich schenke Ihnen alle Bilder von Alberti, die ich noch besitze. Und Sie bekommen die dreitausend Mark dazu.«

»Das war eine Täuschung«, sagte Heiko.

»Dann bekommen Sie das Geld für die Vermittlung eines Gespräches mit Marisa.«

»Ich werde sie anrufen. Sie wird kommen.«

»Sie wird nicht kommen. Sie hat Angst vor der Polizei und vor einer Strafe. Fahren wir?«

»Sie trauen mir? Sie haben keine Angst, daß ich Sie umbringen könnte?«

Tonio lächelte. »Dazu hätten Sie schon Gelegenheit gehabt. So schlecht sind Sie doch gar nicht, Heiko. Und was habe ich schon zu verlieren? Nur mein Leben. Davon profitiert Marisa nicht. Ich habe gestern mein Testament gemacht. Alles, was ich besitze, erbt eine junge Malerin, ganz gleich, wann und wie ich sterbe. Aber ich bin bereit, Marisa die Mittel zu geben, einen neuen Anfang zu suchen, wenn sie in die Scheidung einwilligt.«

»Das wird Sie allerhand kosten«, sagte Heiko.

Tonio warf ihm einen schrägen Blick zu. »Sicher, es könnte dann auch für Sie andere Überlegungen geben.«

»Sie meinen, daß ich sie… daß Marisa und ich zusammenbleiben? Nie. Sie ist ein gutes Aktmodell, mehr nicht.«

»Wie wahr«, sagte Tonio. »Wäre ich mit fünfundzwanzig auch nur schon so gescheit gewesen wie Sie.«

»Wir haben eine lange Fahrt vor uns und können noch viel reden. Marisa wird dumm schauen, wenn wir sie aus dem Schlummer wecken.«

*

Sie hatten über sehr vieles gesprochen während dieser langen Fahrt, aber Marisa konnten sie nicht mehr aus dem Schlummer wecken. Sie fanden das Haus leer, und als Heiko sich am nächsten Morgen auf die Suche nach ihr machte, erfuhr er, daß beim gestrigen Gewittersturm eine blonde Frau ertrunken sei und daß auch der Mann, mit dem sie hinausgesegelt war, nicht gerettet werden konnte.

Tonio identifizierte Marisa. Es war eine Formalität, die gefürchtete Probleme schnell aus dem Wege schaffte. Heiko brachte Marisas Paß und ihren Führerschein. Die Kennzeichen ihres Wagens hatte er schnell wieder anmontiert. Aber auch dies gestand er Tonio ein

»Fast wäre ich in einen Abgrund gerutscht«, sagte er einsichtig. »Sie haben mich davor bewahrt, aber ich werde lange daran knabbern. Es wird mir eine Lehre sein.«

Er schien um Jahre gealtert, als er sich von Tonio verabschiedete.

»Den Wagen können Sie behalten und die Sachen auch, Heiko, und falls Sie wieder mal an einem Abgrund stehen sollten, rutschen Sie nicht hinunter, bevor Sie nicht mit mir gesprochen haben«, sagte Tonio.

»Ich hoffe, daß Sie nur Positives von Heiko Hansen hören«, erwiderte Heiko. »Ich habe in Tonio Erben ein Vorbild.«

Damit hatte Marisa gewiß nicht gerechnet, und letztendlich hatte sie doch noch etwas Gutes vollbracht, ohne es gewollt zu haben.

*

Tonios erster Weg nach seiner Rückkehr führte zur Behnisch-Klinik. Dort freuten sich Henrik Thomsen und Florian schon auf den nächsten Tag, an dem sie die Klinik verlassen konnten. Bald wollten sie dann auch die Reise an den Comer See antreten. Auch Daniela hatte dazu nicht lange überredet werden müssen, da Henrik ihr versichert hatte, wie sehr es ihn freuen würde, mit ihnen beisammenzusein.

Es spann sich etwas an, das stellten Hannelore und Otto mit Genugtuung fest. Ganz behutsam entwickelte sich auch zwischen ihnen ein Verstehen, das man schon als Zuneigung bezeichnen konnte, obgleich beide sich hüteten, sich davon etwas anmerken zu lassen. Noch waren die Schatten nicht verbannt, noch wußten sie nicht, daß auch Marisa ihre Kreise nicht mehr stören konnte. Nun erfuhren sie es von Tonio, daß die Vorsehung selbst das Urteil über Marisa gefällt hatte. Kein irdischer Richter mußte noch bemüht werden. Henrik Thomsen atmete auf. Nur ein wenig sorgenvoll schaute er drein, als Tonio und Daniela Arm in Arm durch den Klinikgarten spazierten und sich angeregt unterhielten.

»Ist es nicht seltsam, wie das Schicksal spielt, Daniela?« fragte Tonio.

Sinnend blickte sie in die Ferne. »Ja, es ist seltsam«, sagte sie. »Als ich mich endlich durchgerungen hatte, die Trennung zu vollziehen, griff das Schicksal ein, und es ist wohl so, daß man diesem nicht entfliehen kann. Auch Marisa konnte es nicht.«

»Blicken wir nicht mehr zurück, Daniela. Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit und hoffe, daß wir uns in Zukunft in Freundschaft begegnen können. Wenn Sie aus dem Urlaub zurückkommen, werde ich die Vernissage festlich eröffnen. Ich hoffe, daß Sie diesmal dabeisein werden.«

»Sie haben wieder einen Schützling«, sagte sie gedankenvoll.

»Ich weiß nicht, ob man Franzi so bezeichnen sollte. Ich meine eher, daß ich ihr verpflichtet bin. Sie wies mir einen anderen Weg. Sie hat das Tief ihres Lebens überwunden, und sie wird mir helfen, meines zu überwinden.«

»Ich freue mich darauf, sie kennenzulernen, Tonio. Es ist gut zu wissen, daß es gute, anständige Menschen gibt.«

Dann verabschiedete sich Tonio und fuhr in die Berge, zu Franzi und Donna.

Donna musterte ihn skeptisch.

»Wo hast du gesteckt? Ich dachte schon, du hättest uns vergessen.«

»Wie könnte ich das! Kennst du mich so wenig, Donna?«

Franzi kam die Treppe herunter. »Donna dachte, du würdest versumpfen, Tonio«, sagte sie lächelnd.

»Bei Männern weiß man nie, wie man dran ist«, brummte Donna, aber es klang schon wieder versöhnlich. »Jedenfalls warst du nicht zu erreichen.«

»Ich war auf Sylt«, erwiderte er.

Donna runzelte die Stirn. »Der nächste Weg«, murmelte sie, »aber da fröhnt man dem süßen Leben, wie ich weiß.«

»Du hast dich ja auch immer nur im Jet-Set bewegt«, bemerkte Tonio anzüglich. Und dann erzählte er auch ihnen, warum er dorthin gefahren war.

Franzi wurde blaß, als er von Marisas Ende sprach. Donna riß die Augen auf. Dann drehte sie sich um und ging zur Terrassentür. »Das Meer hat sie verschlungen«, sagte sie heiser.

»Aber sie auch freigegeben, Donna«, erwiderte Tonio, »sonst hätten wir wohl niemals erfahren, was mit ihr geschehen ist. Und ihr Schatten hätte uns noch lange begleitet.« Er streckte Franzi die Hand entgegen, und sie legte ihre hinein. »Jetzt steht sie nicht mehr zwischen uns.« Dann gingen auch sie hinaus, den gleichen Weg wie an jenem Abend, aber nicht bis zur Lichtung, sondern zur anderen Seite, zum Bergsee, der still im abendlichen Frieden lag.

Franzi lehnte ihren Kopf an Tonios Schulter. Schweigend verharrten sie, sich ohne Worte verstehend.

*

Es sollten wundervolle Sommerwochen werden, aber gerade dann vergingen die Tage viel zu schnell.

Die Familie Norden genoß einen wie den anderen in dem wunderschönen Chalet, das Katja mit viel Geschmack und dennoch zweckmäßig eingerichtet hatte. Die Kinder fühlten sich wohl. Sie brauchten nichts zu entbehren, denn auch die gute Lenni war mit ihnen gekommen, und endlich einmal wieder hatten sie auch ihren Papi von früh bis spät.

Nur der Vorschlag von Fee, daß sie doch mal zum Comer See fahren wollten, kam bei ihnen nicht an.

»Könnt ja allein fahren«, meinte Danny.

»Das ist ein großzügiges Angebot«, meinte Daniel lachend. »Wir werden es annehmen, Fee.«

Auf Lenni konnten sie sich verlassen, und die gönnte es ihnen, auch mal die Zweisamkeit genießen zu können. Weit war es ja nicht, und sie hatten auch nicht die Absicht, sich lange dort aufzuhalten. Aber so ein bißchen neugierig waren sie doch, wie sich das Zusammenleben bei den Thomsens und Porths entwickelte. Der Name Alberti sollte nicht mehr erwähnt werden. Man redete sich längst nur noch mit den Vornamen an, und schon beim Begrüßungsumtrunk war in Totos herrlichem Haus das Du eingeführt worden.

Für Ricky und Flori war das einfach himmlisch. Und bald hatten die Kinder auch schon eigene Zukunftsgedanken und Wünsche.

»In München könnten wir doch eigentlich auch in einem Haus wohnen«, meinte Ricky.

»Bei uns oder bei euch?« fragte Flori.

»Ist doch egal. Hauptsache, wir sind immer zusammen«, erwiderte Ricky.

»Euer Haus ist größer«, stellte Flori fest.

»Aber wir werden eine Menge Zimmer brauchen, damit Omi und Opi auch Platz haben. Es wäre sehr schön, wenn Opis Haus von hier nach München gebracht werden könnte.«

»Dann können wir in den Ferien aber nicht mehr herfahren«, überlegte Flori. »Es ist alles ziemlich schwierig, Ricky. Und vielleicht wollen die Großen das gar nicht.«

»Ich glaube schon, daß Opi es will. Er hat die Omi mächtig gern«, sagte Ricky. »Gestern abend hat er sie in den Arm genommen, ich hab’s gesehen.«

»Richtig, so mit Bussi?« fragte Flori staunend.

»Bussi habe ich nicht gesehen, aber ich kann ihn ja mal fragen.«

»Lieber nicht, Ricky, sonst denkt er, daß wir lauschen.«

»Mein Papi und deine Mami gehen abends auch noch allein fort, wenn wir schlafen.«

Floris Augen wurden kugelrund. »Kannst du gucken, wenn du schläfst?« fragte er.

»Da schlafe ich doch noch nicht richtig«, meinte Ricky verschmitzt, »da luge ich noch ein bißchen zum Fenster hinaus.«

»Ich bin abends immer mächtig müde«, sagte Flori bekümmert. »Meine Augen gehen nicht mehr auf.«

»Du warst ja auch krank«, meinte Ricky nachsichtig. »Wäre es nicht toll, wenn wir alle verheiratet wären?«

»Bloß, wenn sie sich nicht streiten«, murmelte er.

»Sie streiten doch nie und wir auch nicht. Mein Papi mag nicht streiten, das weiß ich.«

»Meine Mami auch nicht.«

»Dann hätten wir Eltern und Großeltern, das finde ich toll«, sagte Ricky. »Und dann kriegen wir vielleicht auch noch ein paar Geschwister.«

»Woher denn?« fragte Flori naiv.

»Wenn Eltern verheiratet sind und sich liebhaben, kriegen sie Kinder. Das ist so«, meinte Ricky.

»So ganz kleine?«

»Klar, wir waren doch auch mal klein.«

»Aber ich habe dich immer lieber, weil du schon groß bist«, versicherte Flori.

Sie waren ein Herz und eine Seele zur Freude der Erwachsenen, und deshalb faßte dann Henrik auch bald Mut, zu Daniela über die Zukunft zu sprechen.

»Wir haben unsere Erfahrungen gemacht, Dani«, begann er. »Wir haben beide hübsch eins auf den Deckel bekommen, aber das hat uns doch klüger gemacht. Meinst du nicht, daß wir zwei es gemeinsam versuchen wollten, das Glück dieser Tage festzuhalten für ein ganzes Leben?«

»Hast du Mut, Henrik?« fragte sie.

»Ich schon, und du?«

»Du bist sehr lieb«, sagte sie leise. »Ich bin nun mal so eine altmodische Person, die sich an einen Mann anlehnen möchte.«

Er legte beide Arme um sie. »Tu es doch«, raunte er ihr ins Ohr.

Und als sie die Arme um seinen Hals legte, kamen gerade Daniel und Fee Norden an.

»Na, was sagt man dazu«, lachte Daniel leise. »Die Knoten sind entwirrt.«

»Ein hübsches Paar«, sagte Fee. »Wir haben anscheinend den falschen Tag erwischt.«

Aber da kamen die Kinder schon angesprungen. Und wie sie sich freuten!

»Bin schon ganz gesund, Onkel Doktor!« rief Florian gleich aus. »Und gewachsen bin ich auch schon. Ricky ist gar nicht mehr viel größer als ich.«

Henrik und Daniela nahten Arm in Arm. »Dann ist ja alles in bester Ordnung«, sagte Fee mit einem tiefen Lächeln.

»In allerbester«, sagte Henrik, und Daniela errötete. »Wo haben Sie denn Ihre Kinder gelassen?« fragte sie.

»Die haben gemeint, daß Mami und Papi auch mal einen Tag für sich allein haben sollten«, erwiderte Daniel schmunzelnd.

Florian stieß Ricky in die Seite. »Vielleicht möchten Mami und Papi auch mal einen Tag allein sein wollen«, wisperte er.

»Keine schlechte Idee«, sagte Henrik mit einem unergründlichen Lächeln. »Aber für eine kleine Stärkung werden Sie doch Zeit haben?« fragte er die Gäste.

So waren Fee und Daniel wieder einmal die ersten, die von neuem Glück erfuhren, von einem doppelten und dreifachen, wenn man es genau nehmen wollte.

»Familienplanung muß rationell gestaltet werden«, meinte Toto verschmitzt, als sein Sohn Henrik das Thema anschnitt, wann man denn Hochzeit feiern könnte. »Wir schließen uns gleich an, einverstanden, Hannelore? Eigentlich dachten wir ja, daß wir den Anfang machen würden«, fügte er anzüglich hinzu.

»Siehste, Flori, ich hab ja gesagt, daß Großeltern auch heiraten können, unsere sind nämlich noch gar nicht alt.«

»Ich finde aber, daß wir ruhig ein paarmal heiraten können«, meinte Flori.

»Nein, danke«, sagte Henrik schnell, »das ist das letzte Mal.«

»Wegen dem Feiern meine ich doch«, sagte Flori.

»Ach, zum Feiern gibt es mehrere Anlässe. Stell dir mal vor, wie viele Geburtstage wir feiern müssen, und was sonst noch so kommt.«

Es gab noch so manchen Grund zur Freude und zum Feiern. Nach der Rückkehr fanden sie schon die Einladung zur Vernissage vor, und die wollten sie nicht versäumen.

Sie lernten Franzi kennen und ihre Bilder, von denen sie so begeistert waren, daß gleich ein paar gekauft wurden. Aber von ihren ersten rückte Tonio keines heraus.

Die sollten in dem Haus hängen, das er für sich und Franzi gekauft hatte. In diesem waren auch zwei Räume für Donna reserviert, und glücklicher als sie konnte keine richtige Brautmutter sein, als Tonio und Franzi schon im Oktober vor den Traualtar traten. Ordnung müsse sein, meinte Tonio, denn bei ihnen kündigte sich schon Nachwuchs an, heiß ersehnt von beiden, die noch düstere Erinnerungen verbannen mußten. Und Tonio wußte, daß Franzi erst dann ganz frei von der Vergangenheit sein würde, wenn sie ein Kind in den Armen halten und lieben konnte. Es wurde im Juni des nächsten Jahres geboren. Es war ein Sohn, und er wurde auf den Namen Franz Antonio getauft.

Donna war Taufpatin, nach ihren eigenen Worten überglücklich, weil sie nun wußte, wem sie ihr Hab und Gut vererben könne. Aber eigentlich war sie viel glücklicher, weil sie als Großmama ihrem Lebensabend Inhalt geben könnte, fern all der Hektik ihres bisherigen Lebens.

Andächtig standen auch Ricky und Flori am Taufbecken. »So ein kleines Kind ist schon niedlich«, stellte Ricky fest.

»Man kann aber nicht mit ihm reden«, sagte Flori. »Aber vielleicht wird unser Bruder anders.«

»Wie anders denn?« fragte Ricky flüsternd.

»Daß er wenigstens schreit, wenn er kaltes Wasser über den Kopf kriegt. Ich tät da schon schreien.«

Nun, ein paar Monate später erfüllte sich dieser Wunsch. Allerdings war es eine kleine Schwester, die lauthals schrie, als das Taufwasser über das Köpfchen rann. Aber da gab Flori dann einen anderen Kommentar.

»Eins kann ich dir sagen, Schwester, wenn du nicht so wie Ricky wirst, spiele ich überhaupt nie mit dir.«

Doch die kleine Daniela schien seine Worte falsch zu verstehen, denn jetzt lachte sie, und ihre Eltern blickten sich mit zärtlichem Lächeln an. Henrik hatte sich eine Tochter gewünscht.

Er hatte sie bekommen. Eine Tochter wie Daniela, mit der er das große Glück gefunden hatte, die endlich das sein konnte, wofür sie geschaf­fen war, eine liebende Frau und Mutter.

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