Читать книгу Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 24

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Eva Trewitz saß vor ihrer Schreibmaschine und starrte ins Leere. »Kommst du jetzt mit zum Essen, Eva?« fragte ihre Kollegin Ingrid Grabo.

»Danke, mir ist schon schlecht«, erwiderte Eva.

»Weil dein Bernd zum Chef gerufen wurde?« fragte Ingrid neckend.

»Blödsinn, mir ist wirklich schlecht.« Sie sprang auf und lief hinaus. Ingrid blickte ihr verblüfft nach und tippte sich an die Stirn.

Da trat Bernd Schönberg ein, seines Zeichens Diplom-Volkswirt, und das, was Ingrid als Strahlemann bezeichnete. Aber sein strahlendes Lächeln erlosch, als er Eva vergeblich suchte.

»Eva war es schlecht«, verkündete Ingrid mit einem hintergründigen Lächeln.

Doch da trat Eva schon wieder ein. Sie war noch ein bißchen blaß, aber sie schenkte Bernd doch ein Lächeln. Dessen Miene blieb nun jedoch ernst.

»Du hast gestern zuviel Eis gegessen«, sagte er.

»Kann möglich sein«, gab Eva zu.

»Gehen wir essen?« fragte auch er.

»Ich kann die Kantine nicht riechen«, murmelte Eva.

»Wir gehen nicht in die Kantine.«

Eva merkte, daß er mit ihr allein sein wollte. »Etwas Leichtes werde ich schon vertragen«, meinte sie.

Lächelnd blickte Ingrid den beiden nach.

Ein hübsches Paar waren sie, das stellte sie neidlos fest, denn sie war bereits seit zwei Jahren glücklich verheiratet, und sie meinte, daß auch Bernd und Eva zusammenbleiben würden, wenngleich von Heirat noch nie die Rede war.

Bernd führte Eva in das kleine Speiserestaurant, das nicht weit von dem Bürogebäude lag, das aber wegen seiner Küche ebenso bekannt war wie auch wegen seiner Preise.

»Muß das sein?« fragte Eva.

»Es gibt einen besonderen Anlaß, mein Schatz«, sagte Bernd verschmitzt. »Setz dich erst mal.«

»Schade, daß ich keinen Appetit habe«, murmelte sie.

»Der kommt beim Essen. Hast ja schon wieder ein bißchen Farbe. Also dann: Ab morgen bin ich dein Chef.«

Eva wurde gleich wieder blaß. »Ist das wahr?« stammelte sie.

»Walchow hält mich für fähig, die Abteilung zu übernehmen, du etwa nicht?« tat er beleidigt.

»Natürlich, das schon, Bernd, aber man weiß doch, daß wir befreundet sind«, sagte sie leise.

»Und meint, daß dadurch die Zusammenarbeit noch besser funktioniert. Wir sind eben in einem modernen Unternehmen beschäftigt, Ev. Walchow war sehr nett. Er hat mich gleich gefragt, ob du auch weiterhin berufstätig bleiben willst, wenn wir verheiratet sind.«

»Und was hast du erwidert?«

»Darüber müßte ich erst mit dir sprechen.«

Sie blickte auf den Teller. »Eigentlich hatte ich nicht die Absicht, aber jetzt werden wir wohl müssen«, sagte sie leise.

»Weil ich Abteilungsleiter geworden bin?«

»Weil ich ein Baby bekomme«, erwiderte sie leise.

Ihm blieb der Mund offenstehen. »Bist du sicher?« stotterte er.

»Ziemlich, aber ich werde nachher noch zu Dr. Norden gehen.«

»Ev, ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber ich würde mich freuen. Ich würde mich wahnsinnig freuen.«

»Tatsächlich?« fragte sie staunend.

»Kannst du zweifeln, Liebes? Natürlich darfst du dann nicht mehr arbeiten. Und das Aufgebot wird auch gleich bestellt.«

Ein heller Schein flog jetzt über ihr Gesicht, und ihre Augen leuchteten auf. »Du freust dich wirklich«, flüsterte sie. »Aber ausposaunt wird es nicht gleich, und außerdem muß ich ja auch noch die ärztliche Bestätigung haben. Zumindest erklärt es meine Gelüste und die darauffolgende Übelkeit.«

»Andere haben Appetit auf saure Gurken, du auf Süßigkeiten«, lachte er. »Es wird bestimmt ein ganz süßes Mädchen.«

Es machte sie sehr glücklich, daß er so reagierte. Insgeheim hatte sie schon ihre Bedenken gehabt, und vielleicht hatten ihr diese die Übelkeit mehr verursacht als die riesigen Eisportionen, die sie während der letzten Tage vertilgt hatte.

»Aber unsere Mütter erfahren noch nichts«, sagte sie.

»Das kann mir nur recht sein«, meinte Bernd mit einem leisen Seufzer.

Er hatte mehr Fragen zu erwarten als Eva. Seine Mutter wollte immer alles bis ins kleinste Detail wissen. Evas Mutter war da anders. Sie war noch berufstätig und führte das Geschäft ihres verstorbenen Mannes weiter, eine gutgehende Drogerie und Parfümerie. Sie hätte es gern gesehen, wenn Eva ihr dabei geholfen hätte, doch dafür war diese nicht zu haben.

Sie hatte erklärt, daß sie es nicht ertragen würde, sich mit geschwätzigen Frauen anzulegen, wenn es um Kosmetika und Düfte ginge. Und außerdem wäre dann ja ihr teures Sprachenstudium umsonst gewesen.

Ansonsten verstand sich Eva mit ihrer Mutter ganz prächtig. Und Annelie Trewitz wußte auch, daß Eva ihren Urlaub mit Bernd Schönberg verbracht hatte, was dieser bisher seiner Mutter verschwiegen hatte, denn diese hatte ihre Eigenheiten. Sie hatte ihren Mann erst vor sieben Monaten verloren und klammerte sich nun doppelt an den einzigen Sohn. Hinzu kam, daß Bernds Vater Landgerichtsdirektor gewesen war und Barbara Schönberg nie für ihren eigenen Lebensunterhalt hatte sorgen müssen. Neben dem frühen Tod ihres Mannes war es ihr größter Kummer, daß Bernd keine Anstalten machte, den Doktortitel zu erwerben. Bernd hatte gute Gründe dafür gehabt, Eva seiner Mutter noch nicht vorzustellen, und sie war auch nicht wild darauf gewesen. Da sie eine moderne junge Frau war, brachte sie Liebe nicht gleich mit Heirat in Einklang. Sie liebte Bernd, ja, das war sicher, und sie hätte auch nie einen dreiwöchigen Urlaub mit ihm verbracht, wenn es nicht so gewesen wäre, aber selbst mit dem Kind hätte sie nie auf eine Heirat gepocht. Doch jetzt war sie glücklich, daß es selbstverständlich für ihn zu sein schien.

Zärtlich streichelte er ihr die Hand und blickte ihr tief in die Augen.

»Auch ohne Baby würde ich dich heiraten, Ev«, sagte er. »Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch, Bernd«, sagte sie innig. »Deiner Mutter wirst du es schonend beibringen müssen.«

»Ich denke, daß der Gedanke, Großmutter zu werden, sie sehr friedlich stimmen wird«, meinte er. »Aber letztendlich ist es unser Kind.«

*

Dr. Daniel Norden hatte schon einen recht anstrengenden Tag hinter sich gebracht, da die plötzliche Hitzewelle vor allem den Herz- und Kreislaufkranken zu schaffen machte. Mehrmals hatte ihn ein Notruf aus der Praxis geholt.

Wieder frisch und munter erschien dann Eva Trewitz in der Praxis. Ein wahrhaft erfreulicher Anblick für den Arzt, der an diesem Tag schon in so viele müde, verzweifelte Gesichter geblickt hatte.

»Ich habe schon von Loni gehört, daß es hoch her geht«, sagte Eva. »Ich will Sie auch gar nicht lange aufhalten. Eigentlich fehlt mir ja gar nichts…«, doch dann geriet sie ins Stocken und errötete. Sie schöpfte tief Atem. »Kann man eigentlich schon im zweiten Monat mit Sicherheit eine Schwangerschaft feststellen, wollte ich fragen.«

»Sogar schon im ersten Monat«, erwiderte Dr. Norden nun doch überrascht.

»Da habe ich es noch nicht zur Kenntnis genommen«, sagte Eva mit einem verlegenen Lächeln, »aber jetzt möchte ich es genau wissen.«

»Wollen Sie nicht lieber gleich zu Dr. Leitner gehen?« fragte Dr. Norden.

»Sie kennen mich doch besser, und Sie kennen auch Mutti. In mancher Hinsicht ist sie doch ziemlich konservativ. Aber immerhin werden gewisse Umstände auch eine Hochzeit nach sich ziehen«, sagte sie mit einem schelmischen Lächeln. »Mein zukünftiger Mann wartet schon voller Ungeduld auf das Untersuchungsergebnis.«

»Und Sie freuen sich«, sagte Dr. Norden lächelnd.

»Und wie, wenn es nur ganz gewiß ist.«

Zehn Minuten später hatte sie die Gewißheit, und sie strahlte noch mehr. Dann hatte sie es eilig, zu Bernd zu kommen, und sie fiel ihm um den Hals.

»Ja, dann werden wir unsere Mütter mal seelisch auf die bevorstehende Hochzeit vorbereiten«, sagte er.

»Aber jeder für sich«, meinte Eva verschmitzt. »Den geeigneten Augenblick abpassend. Es ist drückend, und da muß man auf die Stimmungen Rücksicht nehmen.«

»Gut, daß Freitag ist«, sagte Bernd. »Was unternehmen wir am Wochenende?«

»Ich werde Mutti ein bißchen bei der Buchführung helfen müssen«, sagte Eva.

»Und ich werde Mama zum Einkaufen fahren müssen«, seufzte Bernd. »Aber um vier Uhr hole ich dich ab.«

»Okay, Schatz«, sagte sie.

»Such schon mal deine Papiere zusammen«, sagte Bernd.

»Bei uns herrscht Ordnung«, erwiderte Eva lachend. »Und nun laß mich raus. Das Stück kann ich zu Fuß gehen. Da schau ich mich auch gleich mal in den Auslagen des Kinderladens um, der glücklicherweise ganz in unserer Nähe aufgemacht hat.«

»Aber noch nichts kaufen, Liebes.«

»Da würde ich mich schwer tun. Es ist gleich halb sieben Uhr.«

Noch ein langer Kuß, dann stieg sie aus, und er fuhr weiter. Sie wohnten ein ganzes Stück voneinander entfernt, und das hatte auch dazu beigetragen, daß sich Frau Schönberg und Eva noch nicht zufällig begegnet waren und daß auch Frau Trewitz Bernds Mutter nicht zu ihren Kundinnen zählte, obgleich diese eine ganze Menge Geld für Kosmetik ausgab. Sie war überhaupt sehr modebewußt und besonders stolz, wenn man ihr sagte, daß man ihr einen so erwachsenen Sohn nicht zutrauen würde.

Annelie Trewitz mußte schon aus geschäftlichen Gründen immer sehr gepflegt aussehen. Aber sie zeichnete zusätzlich noch ein ganz persönlicher Charme aus.

Doch beide Mütter empfingen ihre Kinder mit den übereinstimmenden Worten: »Heute bist du aber mal wieder spät dran!«

Barbara Schönberg sagte es leicht gereizt, Annelie Trewitz fügte hinzu: »Warst wohl noch mit deinem Bernd beisammen?«

»Aus gewichtigen Gründen, Mutti«, sagte Eva rasch. »Einmal, weil Bernd Abteilungsleiter geworden ist und zum anderen, weil wir heiraten werden.«

Die zierliche Annelie, man hätte sie für Evas ältere Schwester halten können, hielt den Atem an.

»Und sonst gibt es keinen Grund?« fragte sie dann ganz nebenbei. »Aber wir wollen essen. Es gibt Schnitzel, und vielleicht hast du heute Appetit.«

Sie ahnt es, dachte Eva. »Jedenfalls habe ich heute keinen Appetit auf Eis«, sagte sie. »Es gibt schon noch einen Grund, Mutti. Ich bekomme ein Baby.«

»So was habe ich mir schon gedacht«, sagte Annelie gelassen.

»Man sieht es mir doch nicht an«, sagte Eva kleinlaut.

»Mütter fühlen das, mein Kind. Aber wenn ihr beide euch freut, freue ich mich auch.«

Dafür bekam sie einen stürmischen Kuß. »Hoffentlich freut seine Mutter sich auch«, meinte Annelie dann beiläufig. »Mütter von Söhnen sind schwieriger als Mütter von Töchtern.«

»Ach, sag das nicht. Denk mal an Cilly, wie deren Mutter sich jetzt noch aufführt.«

»Weil sie es nicht verkraftet, daß ihre Tochter keinen Akademiker geheiratet hat, sondern einen Mechaniker. Cilly bekommt übrigens auch ein Baby, und ich stehe bald allein im Geschäft.«

»Du wirst bald wieder jemanden finden, Mutti«, sagte Eva.

»Und du, wie lange bleibst du noch im Büro?«

»Darüber muß ich erst mit Bernd reden. Ich wäre doch schön blöd, wenn ich aufhören würde. Auf den Mutterschaftsurlaub verzichte ich nicht. Das Geld wird mitgenommen.«

Kommt Zeit, kommt Rat, dachte Annelie Trewitz. Sie wollte darüber jetzt keine Diskussion herausfordern. Sie kannte ihre Tochter. Jetzt freute sie sich, daß Eva mit Appetit aß.

»Wie du das bloß schaffst, Mutti, den ganzen Tag im Geschäft und abends steht das Essen dennoch auf dem Tisch, und ausschauen tust du wie höchstens vierzig.«

»Immerhin bin ich ja auch erst vier­undvierzig«, erwiderte Annelie lachend. »Übrigens mußt du während der Schwangerschaft schon daran denken, dich mehr zu pflegen, Eva.«

Fast entsetzt starrte Eva ihre Mutter an. »Willst du damit sagen, daß ich alt aussehe, Mutsch?«

»Quatsch, aber gerade während dieser Zeit sollte sich eine Frau nicht gehen lassen. Du bekommst doch alles umsonst, Kleine. Es kommt wirklich so manches daher, das weiß ich doch aus Erfahrung, aber wenn sich eine werdende Mutter selbst noch gern im Spiegel beguckt, hebt das schon die Stimmung. Und du willst doch deinem Bernd auch in den künftigen acht Monaten gefallen.«

»Sieben Monaten, Mutti«, wurde sie berichtigt.

»Jemine, da müssen wir uns aber dran halten«, sagte Annelie.

*

Barbara Schönberg war auch eine gutaussehende Frau, sehr distinguiert allerdings, sehr gepflegt, sehr damenhaft, und ihr fehlte Annelies liebenswürdiger Charme.

»Du machst einen so freudigen Eindruck, Bernd«, sagte sie nachdenklich.

»Ich bin Abteilungsleiter geworden, Mama«, erwiderte er einleitend.

»Wie gut wäre es, wenn du deinen Doktor gemacht hättest«, bemerkte sie, das konnte sie sich nicht verkneifen.

»Wie es sich erweist, komme ich auch so voran«, sagte er ruhig.

»Aber man genießt doch ein ganz anderes Ansehen mit einem akademischen Grad.«

»Ein Diplom ist auch was wert«, sagte er mit einem breiten Lächeln. »Mamachen, sei doch nicht so altmodisch.«

Er hatte seine Mutter sehr gern, ohne Zweifel, aber er gehörte eben doch einer anderen Generation an.

»Ich will ja nur, daß du später nichts bereust, Bernd«, sagte sie.

»Ich werde nichts bereuen, Mama. Ich möchte gern, daß du mein Mädchen kennenlernst.«

»Dein Mädchen?« fragte sie ganz hektisch.

»Meine zukünftige Frau. Ich möchte heiraten.«

Barbara schnappte nach Luft. »Das kommt aber überraschend!«

»Ich wußte ja bisher nicht, ob Eva ja sagen würde«, bemerkte er.

»Wieso sollte ein Mädchen zu dir nein sagen?« fragte Barbara empört, aber diese Reaktion wirkte durchaus beruhigend auf Bernd.

»Eva ist ein sehr tüchtiges, sehr selbständiges und außerdem auch sehr attraktives Mädchen«, erwiderte er.

»Aus guter Familie?« fragte Barbara.

»Ihr Vater lebt auch nicht mehr. Ihre Mutter führt die Drogerie weiter. Sie ist Sekretärin und Auslandskorrespondentin in unserer Firma.«

»Du kennst sie also schon länger«, sagte Barbara Schönberg leise.

»Ja, sechs Monate, aber ich wollte erst ganz sicher gehen, daß es auch von ihr aus die große Liebe ist«, sagte er.

»Die große Liebe«, wiederholte sie. »Du glaubst an die große Liebe?«

»Ja, ich glaube daran, Mama.«

»Dann möchte ich das Mädchen sehr gern kennenlernen«, sagte sie.

Er war aus der Fassung gebracht. Damit hatte Bernd nun wahrhaftig nicht gerechnet.

Er sprang auf und umarmte seine Mutter. »Ich danke dir, Mama«, rief er aus.

»Ich will doch nur, daß du glücklich wirst«, sagte Barbara. »Weißt du, Bernd, zu unserer Zeit war alles so anders. Da redeten die Eltern mit und hinein. Gut, nein, gut war das nicht immer. Ich hatte Glück. Ernst entsprach so ganz den Wünschen meiner Eltern, und zwischen uns war auch echte Liebe. Es stimmte alles, aber so war es nicht bei allen. Kaum waren wir verlobt, mußte er an die Front. Er war ja zehn Jahre älter als ich. Aber davon willst du ja nichts hören, nichts vom Krieg und von all dem Warten.«

»Doch, jetzt möchte ich davon hören, Mama«, sagte Bernd.

Ihr Blick irrte zum Fenster hinaus.

»Ich war neunzehn, als wir kriegsgetraut wurden, und wenige Monate später war alles zu Ende. Ich hatte wieder Glück, weil Ernst bald aus der Gefangenschaft kam. Dann mußte er sein Studium noch vollenden. Gut ging es uns damals allen nicht, aber meine Eltern hatten ja noch das Gut von den Großeltern, und da ging es uns bald doch besser als anderen. Und als du dann geboren wurdest, da sah die Zukunft schon besser aus.«

Sie versank in Schweigen, und Bernd sagte: »Du hast dich gut gehalten, Mama. Dir sieht man die Jahre nicht an. Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht, daß du auf die sechzig zugehst.«

»Für ein Kompliment bin ich noch immer empfänglich, Bernd«, sagte sie mit einem Lächeln, das sie noch jünger erscheinen ließ. »Es wäre noch schön gewesen, wenn mein Ernstel länger bei uns hätte bleiben können.«

»Eva war achtzehn, als ihr Vater starb«, sagte Bernd.

»Ist sie das einzige Kind?« fragte Barbara.

»Ja. Sie hatte allerdings noch einen Bruder. Er starb leider an einer an sich harmlosen Blinddarmoperation durch eine falsche Anästhesie.«

»Das ist ja schrecklich«, sagte Barbara mitfühlend. »Da hat die Mutter ja auch allerhand mitgemacht. Erzähl mir ein wenig mehr von ihr. Eigentlich hättest du ja schon früher etwas sagen können.« Sie verhielt sich äußerst diplomatisch. Sie war ja auch immer bemüht gewesen, zwischen sich und ihrem Sohn keine Differenzen aufkommen zu lassen. Und sie war auch eine intelligente Frau, die nicht gleich eine Barriere aufrichten wollte. Dazu war dann noch immer Zeit, wenn ihr das Mädchen wirklich nicht gefiel, meinte sie.

Bernd konnte sich über seine Mutter wirklich nicht beklagen. Er hatte die Annehmlichkeiten ihrer Fürsorge genossen. Sie lebten in einer sehr schönen, geräumigen Wohnung. Sie lief ihm nicht auf Schritt und Tritt nach, wenn er ihr zu verstehen gab, daß er allein sein wollte. An diesem Abend blieben sie noch lange beisammen. Er erzählte von Eva, er geriet ins Schwärmen, und seine Mutter merkte, wieviel ihm dieses Mädchen bedeutete.

»Es würde mich sehr freuen, wenn du sie bald mit heimbringen würdest«, sagte sie

»Gleich morgen, Mama, wenn es dir recht ist«, erwiderte Bernd.

»Dann werde ich mir etwas Besonderes für das Abendessen ausdenken, aber wir kaufen ja sowieso gemeinsam ein«, erwiderte sie.

Auch Annelie überlegte, was sie dem zukünftigen Schwiegersohn vorsetzen könnten.

»Für den Abend disponiere bitte nicht, Mutti«, sagte Eva, »und zum Kaffee backen wir Waffeln. Das geht schnell, und Bernd mag sie gern.«

»Ich backe morgen früh noch einen Apfelkuchen, der hat ihm so gut geschmeckt, als er das erste Mal bei uns war«, sagte Annelie. »Habt ihr schon darüber gesprochen, wo ihr wohnen wollt, wenn ihr verheiratet seid?«

»Nein, Mutti, das findet sich schon.«

»Wenn Cilly und ihr Mann ausziehen, könnte ich ja die kleinere Wohnung nehmen, und ihr könntet die hier bekommen«, sagte Annelie.

»Zerbrich dir darüber noch nicht den Kopf, Mutti. Wir wollen das alles in Ruhe überdenken. Keinesfalls soll seine Mutter sich auf den Schlips getreten fühlen.«

»Ich meine nur, wenn das Baby da ist und du wirklich wieder arbeiten willst, dann könnte ich es ja beaufsichtigen, Evi. Wir haben neben dem Geschäft doch den hübschen Raum.«

»Das schlag dir mal aus dem Kopf. Du hast so genug um die Ohren, und wenn Cilly nicht mehr da ist, wird es für dich noch mehr Arbeit geben.«

Annelie wandte sich ab. »Du meinst, daß Bernds Mutter mehr Zeit hätte?« fragte sie leise.

Du lieber Himmel, geht es jetzt schon los, dachte Eva bestürzt.

»Laß das Baby erst mal da sein«, sagte sie. »Ich glaube, daß Bernd diesbezüglich ganz eigene Vorstellungen hat. Und außerdem hatten wir beschlossen, unseren Müttem noch gar nichts zu sagen. Also verrat dich bitte nicht.«

»Du hast ja nichts gesagt. Ich habe es ja selbst gemerkt!«

»Na schön, aber dennoch. Es hat Zeit, Mutti. Gib Bernd bitte nicht das Gefühl, daß du es als selbstverständlich betrachtest, daß er mich unter den gegebenen Umständen heiraten muß.«

»Muß er doch nicht«, sagte Annelie triumphierend. »Wir würden auch ohne Vater zurande kommen.«

Eva seufzte tief auf. »Und gerade mit solchen Gedanken würdest du ihn geradezu beleidigen«, sagte sie.

*

Am nächsten Morgen stand Annelie schon um halb sieben Uhr in der Küche und bereitete den Apfelkuchen zu. Als Eva verschlafen aus ihrem Bett kroch, duftete es in der Wohnung schon verführerisch.

»Du kannst es doch nicht lassen«, sagte sie kopfschüttelnd.

»Ich bin nun mal Frühaufsteherin, das gewöhnt man sich nicht ab«, erwiderte Annelie fröhlich.

»Bist ein Schatz, Mutti«, sagte Eva zärtlich.

Für ein gemeinsames Frühstück hatten sie auch noch Zeit. Da war Eva dann auch putzmunter, nachdem sie geduscht hatte.

»Du suchst dir nachher gleich die Pflegeserie für junge Mütter heraus, Evi«, sagte Annelie. »Vor allem die Beine mußt du pflegen, damit du keine Krampfadern bekommst.«

»Dazu haben wir nicht die geringste Veranlagung«, erwiderte Eva lachend.

»Vorsicht ist immer besser als Nachsicht. Jetzt bin ich aber wirklich froh, daß ich alle Babyartikel hereingenommen habe, obgleich das nicht gerade ein gutes Geschäft ist, weil die jungen Eltern meistens im Großmarkt kaufen. Und ich frage mich manchmal wirklich, wie es da noch billiger abgegeben werden kann.«

»Weil es in viel größeren Mengen eingekauft wird, liebste Mutti«, meinte Eva nachsichtig. »Da kann man anders kalkulieren. Dein zukünftiger Schwiegersohn ist auf diesem Gebiet Fachmann. So, ich mache mich jetzt über die Buchführung her.«

»Wenn ihr vielleicht ein Haus kaufen oder bauen wollt, Evi, für dich ist schon ein Konto vorhanden«, sagte Annelie.

»Hör doch jetzt mal damit auf, Mutti. Präsentiere Bernd bloß nicht eine Mitgift. Diesbezüglich ist er nämlich sehr empfindlich.«

»Ich bin nun mal so erzogen«, sagte Annelie. »Meine Aussteuer habe ich auch mitbekommen.«

»Ist ja alles gut und schön, aber heutzutage ist das nicht mehr die Voraussetzung«, sagte Eva.

Aber auch bei den Schönbergs wurden solche Themen nicht außer acht gelassen.

»Hast du dir schon Gedanken gemacht, wo ihr wohnen werdet, Bernd?« fragte Barbara Schönberg.

»Wir werden schon was finden.«

»Einfach ist das nicht. Schau mal in die Zeitung, wie teuer die Wohnungen sind. Aber ganz mittellos wird Eva ja wohl nicht sein, wenn die Mutter ein Geschäft hat.«

»Müssen wir darüber reden, Mama? Zerbrich dir bitte nicht meinen Kopf.«

»Ich meine es ja nur gut, mein Junge. Du kennst ja meinen Standpunkt. Alt und jung unter einem Dach tut nicht gut.«

»Das käme auch gar nicht in Frage.«

»Nun, für die erste Zeit hätte ich ja nichts dagegen, Bernd, aber wenn dann erst mal Kinder da sind, würde es doch zu eng werden. Natürlich würde es mir Freude machen, wenn ich als Großmutter gebraucht würde, aber nur, wenn es willkommen ist.«

»Es hat ja noch Zeit, Mama«, sagte Bernd. »Können wir bald losfahren? Nachher ist wieder so ein narrischer Betrieb.«

Einkaufen, dann noch an der Kasse anstehen müssen, das bereitete ihm Qualen. Seiner Mutter dagegen bereitete es Vergnügen, von ihrem Sohn begleitet zu werden. Sie hätte während der Woche weiß Gott genügend Zeit dafür gehabt, und sie hatte auch ihren eigenen Wagen, aber sie wollte ihn eben dabei haben.

»Ich weiß schon, daß du nicht begeistert bist«, meinte sie, »aber du mußt mir doch sagen, was deine Eva gern ißt.«

»Zur Zeit am liebsten Eis«, erwiderte er unbedacht.

»Eis?« staunte Barbara.

»Es ist ja ständig so schwül«, erklärte er rasch.

»Nun, dann werde ich als Nachtisch Eis mit heißen Himbeeren einplanen«, sagte sie lächelnd.

»Du brauchst dir doch nicht so viel Mühe zu machen, Mama.«

»Das ist keine Mühe. Sie soll doch gleich das Gefühl haben, daß sie ihrer Schwiegermutter willkommen ist.«

»Du bist sehr lieb, Mama«, sagte Bernd herzlich.

»Man sagt den Müttern von Söhnen so leicht nach, daß sie eifersüchtig werden, weil sie ihren Sohn verlieren. Ich stehe auf dem Standpunkt, daß ich dann eine Tochter hinzugewinnen werde. Ich hätte gern noch eine Tochter gehabt.«

Hoffentlich denkt Evas Mutter auch so, ging es Bernd durch den Sinn. Eigentlich benimmt Mama sich großartig.

Nun, er kann mir wenigstens nicht nachsagen, daß ich mir keine Mühe gebe, mit dieser Überraschung fertig zu werden, dachte Barbara. Wenn es Unstimmigkeiten gibt, so bin ich nicht schuld daran. Und sie verriet nicht, daß sie von einer fieberhaften Spannung erfüllt war.

*

Annelie Trewitz hatte an diesem Vormittag keine Zeit, sich Gedanken über Evas Zukunft zu machen. In ihrem Geschäft ging es zu wie in einem Taubenschlag.

Eva merkte davon nichts. Sie saß in ihrem Zimmer über der Buchführung. Davon verstand ihre Mutter wirklich nichts.

Wenn sie auf jemand Fremdes angewiesen wäre, könnte man sie schön übers Ohr hauen, dachte Eva. Hoffentlich kommt sie zurecht, wenn Cilly nicht mehr da ist. Ob es nicht überhaupt besser wäre, wenn sie das Geschäft aufgeben würde?

Sie könnte es verpachten, dachte sie weiter, und da ihr das Haus gehörte, konnte sie doch von den Mieteinnahmen recht gut leben.

Die Zeit verging schnell. Ganz erschrocken blickte sie auf die Uhr, denn fast hätte sie vergessen, das Essen auf den Herd zu stellen, das die fürsorgliche Mutter bereits vorbereitet hatte. Es gab Hühnerfrikassee mit Reis.

Kochen müßte ich eigentlich noch lernen, dachte Eva. Auf Salate verstand sie sich zwar, aber immer konnte sie ihrem Mann ja nicht nur Salat vorsetzen.

Ein seltsames Gefühl war das schon, an Heirat und an das Kind zu denken. Eigentlich hatte sie ihr Leben für die nächsten fünf Jahre ganz anders geplant gehabt. Jetzt war sie zweiundzwanzig und hatte es immerhin schon ganz hübsch weit gebracht. Vor dem Urlaub hatte Dr. Walchow ihr zu verstehen gegeben, daß sie in einigen Monaten die Auslandswerbung übernehmen könne, wenn Frau Tiedemann ausschied, die mit ihrem Mann nach Au-stralien auswandern wollte. Du liebe Güte, Dr. Walchow würde Augen machen, wenn er ihre Neuigkeiten erfuhr. Ob er dann sauer auf Bernd sein würde? Unsinn, dachte sie, Walchow doch nicht. Das war wirklich ein Chef, mit dem man reden konnte, der Verständnis und Humor besaß.

Was den Beruf angeht, werde ich mit Bernd noch ernsthaft reden müssen, ging es ihr durch den Sinn, es wäre ja purer Blödsinn, wenn ich nicht weitermachen würde.

Ihre Gedankengänge wurden unterbrochen, da nun Annelie kam. Sie war sichtlich erschöpft. So mitgenommen hatte Eva ihre Mutter noch nie gesehen.

»Heute ging es zu!« stöhnte Annelie. »Man möchte fast meinen, daß die Leute Angst haben, daß über Nacht eine Währungsreform kommt. Meinst du, daß so was noch mal möglich ist, Evi?«

»Nichts ist unmöglich, Mutti«, sagte Eva gedankenlos.

»Du machst mir Spaß. Glücklicherweise bin ich Optimistin. Und jetzt habe ich Hunger.«

»Setz dich, und laß dich bedienen«, sagte Eva fürsorglich. Doch Annelie schien keinen rechten Appetit zu haben.

»Leg dich hin, bis Bernd kommt«, schlug Eva vor.

»Ich muß die Wohnung noch in Ordnung bringen«, sagte Annelie.

»Sie ist in Ordnung, Mutti. Bernd ist nicht so pingelig, daß ihn jedes Stäubchen stört. Er weiß, daß er keine perfekte Hausfrau heiratet«, fügte sie mit einem leisen Lachen hinzu.

Auch darüber machte sich Annelie Gedanken, aber sie wollte jetzt nicht davon anfangen. Sie legte sich tatsächlich eine halbe Stunde hin.

Inzwischen hatte Eva den Kaffeetisch reizend gedeckt. Mit der Buchführung war sie auch fertig geworden. Ja, sie hatte vielerlei Talente, und solche waren von ihrem höchsten Chef, dem Dr. Walchow, schon beizeiten entdeckt worden. Sie hätte das Zeug zu einer Karrierefrau, hatte er gesagt.

Nun, dies hatte Bernd allerdings auch festgestellt, und es war auch der Grund gewesen, daß er sich privat für Eva interessierte.

Sie war nicht kokett, sie stellte ihre äußeren Vorzüge nicht zur Schau, sie hatte andere Qualitäten, die ihn mehr bestochen hatten, bis er in ihr die reizvolle Eva entdeckte, die selbst seinen kühlen Verstand verwirrte.

Und Bernd konnte es sich wundervoll vorstellen, mit ihr verheiratet zu sein, aber auch mit ihr zu arbeiten, denn sie war es eigentlich gewesen, die ihn zu größeren Taten anspornte, die seinen Ehrgeiz anstachelte, ohne daß es dazu von ihr besonderer Worte bedurfte.

*

Dr. Norden konnte sich eines geruhsamen Nachmittags erfreuen. Auch Fee ruhte sich aus, denn sie hatte den Vormittag auch mit Einkäufen verbracht. Ausnahmsweise deshalb, weil Obst und Gemüse samstags dann doch etwas billiger wurden, damit die Händler nicht darauf sitzen blieben. Fee war preisbewußter geworden, als die Preise rapide zu klettern begannen.

Sie hatte ihrem Mann stolz vorgerechnet, daß sie allein beim Spargel und dem Obst zehn Euro gespart hätte, soviel teurer wäre die Menge jedenfalls gestern gewesen.

»Und du bist geschafft«, sagte Daniel anzüglich.

»Was meinst du, wie erst Frau ­Tre­witz geschafft sein muß«, meinte sie. »Da ist es zugegangen, als gäbe es ab Montag keine Seife und keine Waschmittel mehr. In der Zeitung stand nämlich, daß die Artikel teurer werden. Vor allem natürlich alle Kosmetiksachen, in denen Alkohol enthalten ist.«

»Und da hast du natürlich auch tüchtig zugeschlagen«, lachte er.

»I wo, ich nehme doch nicht, was Alkohol enthält. Aber man muß sagen, daß die Medien mit ihren Ankündigungen den Konsum eher ankurbeln als bremsen.«

»Das ist wohl auch der Sinn dieser Kampagnen«, meinte Daniel.

»Und wenn das Benzin auch noch so teuer wird, die Autos vermehren sich wie Katzen«, sagte Fee. »Aber zurück zu Frau Trewitz. Die Drogerie ist eine GoIdgrube. Ich verstehe nicht ganz, daß Eva dafür kein Interesse gezeigt hat. Ein schickes junges Mädchen müßte daran doch eigentlich mehr Spaß haben als an nüchterner Büroarbeit.«

»Wahrscheinlich ist ihre Arbeit nicht so nüchtern«, meinte Daniel hintergründig. »Und manchmal lernt man in solchem Betrieb auch den Mann fürs Leben kennen, während in so einem Geschäft doch meist nur Frauen einkaufen.«

»Aha, du weißt es«, sagte Fee.

»Ja, sie hat den Mann gefunden«, erwiderte er.

»Ist er nett?«

»Keine Ahnung. Ich habe ihn noch nicht kennengelernt.«

»Sie war in der Praxis?«

»Ja, mein Schatz.«

»Deine Wortkargheit läßt darauf schließen, daß ein besonderer Umstand der Anlaß war«, sagte Fee lächelnd.

»Das hast du gesagt.«

»Du hast eine sehr diskrete Art, deiner Schweigepflicht zu genügen«, meinte sie mit einem schelmischen Lächeln.

»Du lockst ja doch alles aus mir heraus, was du wissen willst.«

»Hoffentlich ist es wirklich der richtige Mann. Eine so reizende Schwiegermutter verdient nicht jeder.«

»Man heiratet ja auch nicht die Schwiegermutter.«

»Aber man sagt, man solle sich die Mutter ansehen, bevor man die Tochter zum Traualtar führe.«

»Ich weiß aus jüngster Erfahrung, daß nette Mädchen sich erst die Mutter des Mannes ansehen sollten, bevor sie ja sagen.«

»Du hast wie immer recht, mein Schatz«, sagte sie. »Ich hoffe, daß meine Schwiegertöchter einmal mit mir zufrieden sein werden.«

»Sie können dem Herrgott auf Knien danken«, sagte er. »Gott sei Dank ist bis dahin noch viel Zeit. Ich könnte dich mir zwar auch als ganz bezaubernde Großmama vorstellen, aber mir ist es bedeutend lieber, daß du noch für lange Zeit nur meine bezaubernde Frau bleiben wirst.«

Fee seufzte. »Ich höre so gern solche Komplimente«, meinte sie schelmisch. »Aber wie es scheint, werde ich mich jetzt meinen Mutterpflichten widmen müssen. Anneka ist mit ihren Brüdern uneins.«

»Sie hat schon ganz saftige Ausdrücke«, sagte Daniel, als die Kleine lauthals schrie: »Ihr seid Deppen, alle zwei, ich sag’s dem Papi, daß ihr Dreckschweine seid!«

Daniel erhob sich. »Es scheint, mein Herz, da muß der Papi einschreiten«, sagte er. »Bleib du nur liegen und ruh dich aus. Mal sehen, warum unsere Söhne Dreckschweine tituliert werden.«

Allerdings fand er Danny und Felix tatsächlich in unbeschreiblichem Zustand vor. Sie hatten sich mit feuchtem Sand beworfen und auch Anneka dabei getroffen.

»Ein feines Wochenendvergnügen für euren strapazierten Papi«, sagte Daniel. »Vielen Dank dafür.«

Ganz ruhig sagte er es, und damit hatte er sie zur Räson gebracht. Mit gesenkten Häuptern schlichen sie davon.

»Mich haben sie auch eingesaut«, jammerte Anneka.

»Das ist gleich wieder in Ordnung gebracht, mein Schätzchen«, sagte Daniel.

»Gell, ich bin dein Schätzchen«, zwitscherte sie.

»Natürlich bist du das, aber woher hast du solche Ausdrücke?«

»Von Danny und Felix ’türlich«, sagte sie. »In der Schule sagen sie noch ganz andere. Ich möchte gar nicht in die Schule gehen, Papi.«

»Darüber reden wir in drei Jahren noch mal«, meinte er schmunzelnd. »Jetzt gehen wir zu Lenni.«

»Da sind bestimmt schon Danny und Felix«, sagte Anneka. »Kannst du mich nicht sauber machen, Papilein?«

Und wie könnte er ihr widerstehen! Sie sah ihn mit Fees Augen an. Sie war ein richtiges süßes, kleines Mädchen.

»Meistens sind meine Brüder ja sehr nett«, sagte sie dann schon einlenkend. »Aber manchmal machen sie auch dollen Blödsinn.«

»Sonst wären sie halt keine richtigen Buben, Schätzchen«, sagte Da­niel.

»Mami sagt’s ja auch immer. Hauptsache, sie sind gesund. Ich bin aber auch gesund, und das nächste Mal schmeiße ich auch mit Dreck.«

Jetzt behauptet sie sich auch schon, dachte Daniel. Wie schnell doch die Zeit vergeht, wie irrsinnig schnell wachsen sie heran. Man müßte die Zeit festhalten können. Aber nur die Fotos würden ihnen bleiben. Wie gut, daß Fee so viele machte.

Und deshalb kam sie ja auch so oft zu Frau Trewitz ins Geschäft, weil sie für eine Firma die Filme annahm.

*

Fotos wurden dort auch angeschaut nach dem gemütlichen Kaffeestünd-chen. Bernd hatte sich den Apfelkuchen schmecken lassen. Man konnte sagen, daß er sich wohl fühlte.

Er war mit einem zauberhaften Blumenstrauß für Annelie und drei roten Rosen für Eva gekommen. Er hatte mit seinem jungenhaften, bezwingenden Lächeln, aber richtig feierlich, um Evas Hand angehalten und damit Mutter und Tochter zum Staunen gebracht, aber dann hatte ihm Annelie beide Hände entgegengestreckt, und er hatte diese geküßt, und dann hatten sie du zueinander gesagt.

Der Champagner wurde nach dem Kaffee getrunken, und dabei wurden die Fotos aus Evas Kindheit angeschaut.

»Das war Vatis Lieblingsbeschäftigung«, erklärte Annelie, »und wie du siehst, Bernd, hat er es sehr genau genommen. Ich hatte dann nicht mehr so viel Zeit. Aber es ist auch für euch in späteren Jahren mal eine hübsche Erinnerung, wenn ihr die Fotos mit denen von euren Kindern vergleichen könnt. Von dir existieren ja sicher auch welche.«

»Nicht viele. Vater hatte keine Zeit und Mama kein besonderes Talent zum Fotografieren«, erwiderte Bernd verschmitzt. »Und ich war auch kein so hübsches Kind wie Eva. Ich habe mich zudem immer aus dem Staub gemacht, wenn der Fotoapparat gezückt wurde.«

Es ging vergnügt zu. Annelie fühlte sich wieder wohl, und es tat ihr gut, wenn Bernd so nett und heiter mit ihr sprach, und so herzlich, daß sie sich nicht ins Abseits gedrängt fühlen mußte.

Dann rückte er auch damit heraus, daß seine Mutter Eva kennenlernen wollte und sie zum Abendessen erwartete.

»Und wenn sie Eva beschnuppert hat, wird sie natürlich auch bald mit dir zusammentreffen wollen, Annelie«, sagte er. »Das arrangiere ich dann.«

Daß er sie mit dem Vornamen ansprach, gefiel Annelie auch irgendwie. Sie fühlte sich nicht so matronenhaft. Alles in allem schien sich ein eher freundschaftliches Verhältnis anzubahnen.

Mein Gott, habe ich ein Glück, dachte sie. Hoffentlich geht es zwischen Eva und seiner Mutter auch so gut.

Dieser Begegnung sah Eva allerdings mit einiger Aufregung entgegen. Ein Grund dafür war, daß sie keine Blumen hatte, weil sie ja mit der Einladung nicht gerechnet hatte.

»Beim Kleinschmidt bekommst du bestimmt noch welche«, meinte Annelie. »Der steckt doch immer in seinen Gewächshäusern.«

»Es geht auch ohne Blumen«, meinte Bernd.

»Nein, ich hole noch welche«, erklärte Eva.

»Wenn du unbedingt willst, holen wir welche«, sagte Bernd nachgiebig.

»Da bekommt ihr bestimmt etwas Schönes«, meinte Annelie.

Aber Bernd und Eva sollten etwas erleben, was keineswegs schön war. Sie fanden nämlich den Gärtner bewußtlos und mit einer schlimmen Kopfwunde in einem Gewächshaus vor, nachdem sie ihn erst längere Zeit vergeblich gesucht hatten. Und ihr später Besuch sollte für den noch jungen Mann lebensrettend sein, wie sie später erfuhren, als sie eilends den Notarzt verständigt hatten.

Peter Kleinschmidt wurde in die Behnisch-Klinik gebracht, nachdem die vom Notarzt herbeigerufene Polizei festgestellt hatte, daß es sich um einen Überfall gehandelt haben mußte. Daß niemand in der Nähe war, konnte damit erklärt werden, daß es sich bei Peter Kleinschmidt um einen Eigenbrötler handelte, dessen drei Angestellte Samstagmittag die Gärtnerei verließen und erst am Montagmorgen wieder antraten.

Bernd und Eva hatten gesagt, warum sie zu später Stunde hierher gekommen waren, und als sie den Gärtner dann in der Klinik gut aufgehoben wußten, kamen sie auch noch rechtzeitig zu Bernds Mutter. Allerdings ohne Blumen.

Eva stand noch ganz unter dem Eindruck des eben Erlebten. Bernd erklärte es seiner Mutter.

»Das tut mit schrecklich leid«, sagte Barbara, »aber auf Blumen verzichte ich gern, wenn dadurch ein Leben gerettet werden kann.« Und damit, mit diesen Worten, gewann sie Evas Zuneigung

»Hoffentlich nimmt es euch nicht den Appetit«, sagte Barbara Schönberg. »Es wäre wirklich schade um das Essen. Eva sollte vielleicht einen kleinen Cognac trinken, Bernd.«

»Ich auch, Mama«, sagte er, aber er konnte zufrieden sein, wie mitfühlend sie reagierte, verriet es ihm doch, daß sie Eva aus ehrlichem Herzen willkommen hieß.

»Wir wollen das auch nicht als ein schlechtes Omen für künftige Beziehungen betrachten«, sagte Barbara. »Für diesen armen Menschen war es ja ein Glück, daß ihr gekommen seid.«

»Sie sind sehr lieb, Frau Schönberg«. sagte Eva scheu.

»Ich hoffe, daß du Mama zu mir sagst, wie Bernd«, sagte Barbara. »Wie hat er sich denn mit deiner Mutter geeinigt?«

»Ich sage einfach Annelie zu ihr«, warf Bernd ein. »Eva sagt Mutti, das bringe ich doch nicht fertig.«

»Nun, wenn Eva mich lieber auch mit dem Vornamen anreden will, habe ich nichts dagegen«, erklärte Barbara zum grenzenlosen Erstaunen ihres Sohnes.

»Ich sage gern Mama«, erwiderte Eva spontan. »Barbara weckt Erinnerungen an eine Schulfreundin, die immer neckend Rhabarber gerufen wurde.«

»Wie ich«, lachte Barbara auf. »Denk nur nicht, daß es früher anders war. Ich war wütend, daß ich so getauft worden war.«

»Und dabei ist es doch eigentlich ein hübscher Name«, sagte Eva.

»Kommt ja nicht auf den Gedanken, einmal eine Tochter so zu nennen, wenn ihr eine bekommt«, sagte Barbara heiter.

Bernd konnte wirklich nur noch staunen, aber ganz wohl wurde es ihm, als er seiner Mutter in die Küche folgte und sie ihm zuraunte, daß sie Eva entzückend fände.

»Du hast sehr guten Geschmack bewiesen, Bernd«, sagte sie. »Ich bin sehr froh.«

Und das kam von Herzen. Selbst nach der vorangegangenen Aufregung konnten sie alle froh sein.

Ja, auch Barbara Schönberg war zufrieden. Sie bekam eine Schwiegertochter, die nicht nur sehr hübsch, sondern auch sehr intelligent war, die Bildung und Niveau hatte, wie sie schnell feststellen konnte. Und nach dem Motto, daß der Apfel nicht weit vom Stamm falle, meinte sie auch, daß Evas Mutter ihrem Geschmack entsprechen würde.

»Wie wäre es, wenn wir morgen mit deiner Mutti einen netten kleinen ­Ausflug machen würden?« fragte sie. »Ich würde euch gern zum Essen im Seegarten einladen. Ich habe gehört, daß man da ausgezeichnet bedient wird.«

»Mutti würde wohl erst gern dich einladen, Mama«, sagte Eva.

»Aber wir Mütter werden uns doch nicht streiten wollen«, sagte Barbara. »Schau, Kind, wir sind in der gleichen Situation. Wir haben beide unsere Männer früh verloren, wir haben beide nur ein Kind, und ich bin überzeugt, daß wir unsere Kinder glücklich sehen wollen und schon deshalb einig sind.«

Bernd legte einen Arm um seine Mutter, den anderen um Eva, und dann sagte er: »Ich bin einfach happy!«

*

Es war neun Uhr, als es bei Dr. Norden läutete, Sturm läutete.

»Es war so schön, es war so schön gewesen«, brummte Daniel ahnungsvoll, und als er die Tür öffnete, lag vor ihm ein weibliches Wesen, das er nicht sofort erkennen konnte, ärmlich gekleidet, schmerzlich schluchzend.

Er beugte sich herab, schob seine Hand unter das Kinn, spürte und sah Blut an seinen Fingern und ein schlimm zugerichtetes Gesicht.

»Emi!« sagte er erschrocken.

»Helfen Sie mir, Herr Doktor, sie bringen mich um.«

Daniel Norden stellte keine Fragen. Er half dem armseligen Geschöpf auf die Beine und trug es dann ins Haus.

Fee wich erst einen Schritt zurück, dann sagte auch sie: »Das ist doch Emi.«

Emi Kubelja, eines Tages war sie mit ihren Eltern und zwei Brüdern aus Rumänien gekommen, heim ins Vaterland, wie mancher mit bitterem Unterton sagte. Zwei Jahre mochte es her sein, so genau wußten es die Nordens nicht.

Emi hatte beim Gärtner Kleinschmidt gleich eine Stellung gefunden. Ihre Eltern waren auf einem Bauernhof im Allgäu untergekommen, aber sie hatte nicht mitgehen wollen. Und von den Brüdern hatte man bald auch nichts mehr gehört.

»Wer hat Ihnen das getan, Emi?« fragte Fee, während sie behutsam die Wunden der jungen Frau reinigte.

»Ich darf nichts sagen, dann schlagen sie mich tot«, flüsterte Emi. »Ich möchte nur wissen, wie es dem Peter geht, was sie mit ihm gemacht haben. Sie haben was gemacht, das weiß ich. Er war nicht da, als ich ihm das Essen richten wollte.« Sie schluchzte wieder zum Gotterbarmen.

Was dem Peter Kleinschmidt widerfahren war, wußte Dr. Norden noch nicht. Dr. Behnisch hatte ihm darüber keinen Bescheid gegeben, weil der Gärtner kein Patient von Dr. Norden war. Krank war er ja nie gewesen, der Peter Kleinschmidt.

Emi war zusammengeschlagen worden, darüber konnte es keinen Zweifel geben. Aber herauszubringen war aus ihr jetzt nichts.

Es grenzte schon an ein Wunder, daß sie noch bei Bewußtsein war, so, wie sie zugerichtet worden war.

Als all ihre Wunden verbunden waren, sagte Dr. Norden:

»Wenn Sie nichts sagen, Emi, muß ich die Polizei rufen.«

»Nein, nein!« schrie sie auf. »Der Kolia war es und seine Freunde, aber Sie dürfen es niemandem sagen.«

»Dein Bruder?« fragte Dr. Norden entsetzt.

»Weil er meint, daß der Peter und ich…«, sie sprach nicht weiter, so sehr wurde sie vom Schluchzen geschüttelt. Und es dauerte lange, bis sie sich beruhigte.

»Sie können von Peter doch nicht verlangen, daß er mich heiratet und ihnen dann auch noch Geld gibt«, sagte sie dann bebend. »Er ist gut zu mir. Ich kann arbeiten. Ich geb’ ihnen ja meinen ganzen Lohn. Nun ist alles aus.«

»Nichts ist aus, wenn Sie uns alles erzählen, Emi«, sagte Fee ruhig. »Hier sind Sie sicher, und wir werden schon erfahren, wo Herr Kleinschmidt ist.«

»Sie haben ihm was angetan, ich weiß es. Sie haben darüber geredet, weil sie dachten, daß ich es nicht höre. Dann bin ich zur Gärtnerei, aber Peter war nicht da. Nur in einem Gewächshaus ein Haufen Blut. Und dann bin ich zurück und habe Kolia gefragt, was sie mit Peter gemacht haben. Da haben sie mich verprügelt. Sie waren betrunken, wie immer. Die armen Eltern, der gute Peter, er tut doch niemandem etwas. Er hätte mich doch nie angerührt.« Emi schlug die verarbeiteten Hände vor ihr Gesicht. »Sie wollten ja auch nur einen Grund haben, damit er ihnen Geld gibt.«

»Ruf mal bei der Polizei an, ob sie was über Peter Kleinschmidt wissen, Fee«, sagte Daniel.

»Nicht die Polizei, dann wird doch als noch schlimmer«, flüsterte Emi.

»Sie brauchen keine Angst zu haben, Emi«, sagte Dr. Norden ruhig, »aber Sie wollen doch, daß Peter Kleinschmidt beschützt wird.«

»Ja, das will ich, aber dazu ist es doch zu spät. Ich weiß es. Deshalb haben sie sich doch aus dem Staub gemacht und mich liegenlassen. Und ich habe gedacht, daß Sie der einzige sind, der mir helfen könnte, Herr Doktor. Sie waren immer so gut zu mir.«

»Wir wollen Ihnen ja auch helfen, Emi«, sagte Dr. Norden, »aber das können wir nur, wenn diese Burschen dingfest gemacht werden.«

Die Injektion, die er ihr gegeben hatte, begann zu wirken. Ihre Augen fielen zu, sie war eingeschlafen.

»Ein schönes Wochenende, Fee«, sagte Daniel.

»Das arme Ding. Sie war doch immer so fleißig. Und sie erzählt uns bestimmt keine Märchen.«

»Dann ruf die Polizei an.«

Er konnte hören, was Fee sagte. »Ja, es handelt sich um Emi Kubelja. Sie war bei Gärtner Kleinschmidt angestellt. – Nein, sie ist jetzt nicht vernehmungsfähig. – Was, er ist in der Behnisch-Klinik? – Dann vielen Dank. – Morgen, vielleicht erst übermorgen. Aber es wird am besten sein, wenn sie auch in klinische Behandlung kommt.«

»Na, Dieter wird sich schönstens bedanken«, sagte Daniel.

Doch Dr. Dieter Behnisch äußerte nicht den leisesten Unwillen, als Da­niel und Fee ihm Emi brachten. Er schätzte den Gärtner, der ihm seinen Klinikgarten so schön und preisgünstig gestaltet hatte, und den er als einen so bescheidenen, stillen Mann kannte. Er war sehr interessiert, die möglichen Hintergründe dieses brutalen Überfalls zu erfahren.

Vorerst konnten ihm Daniel und Fee nur erzählen, was sie von Emi wußten, aber auch das ließ Dieter schon aufhorchen.

»Ich habe Kolia mal kennengelernt, als er in eine Rauferei verwickelt war«, sagte er nachdenklich. »Ein schlimmer Bursche, der seinen Eltern schon viel Kummer bereitet hat. Arbeitsscheu, aber haben möchte er alles. Emi hat geschuftet, aber er hat ihr alles aus der Tasche gelockt. Ich werde schon dahinterkommen, was sich abgespielt hat. Emi ist ein ehrliches Mädchen. Sie muß endlich zur Ruhe kommen.«

»Wie geht es Kleinschmidt?« fragte Daniel.

»Leider schlecht genug. Aber er hat eine kräftige Konstitution, so daß man hoffen kann.«

»Und wie geht es mit der Gärtnerei weiter, wenn auch Emi ausfällt? Da hängt auch seine Existenz dran«, meinte Daniel. »Und alles wegen so ein paar üblen Kadetten, die zu einer ehrlichen Arbeit nicht fähig sind.«

»Vielleicht springt der alte Merkel ein«, sagte Dieter Behnisch. »Es war ja mal seine Gärtnerei, und Kleinschmidt hat bei ihm gelernt. Ich kann mich augenblicklich nur nicht um alles kümmern.«

»Das übernehme ich«, sagte Fee spontan. »Ich fahre gleich morgen zu den Merkels. Es wäre ja ein Jammer, wenn die schönen Blumen auch noch eingehen würden. Sie sind doch Kleinschmidts ganze Liebe.«

»Leider seine einzige«, sagte Dieter Behnisch seufzend. »Wenn er nur nicht so ein Einzelgänger wäre.«

*

Als sie sich dann von Dr. Behnisch verabschiedeten, kam Bernd Schönberg. Er hatte Eva heimgebracht und ihr versprochen, sich noch nach Peter Kleinschmidts Befinden zu erkundigen, und so lernten Daniel und Fee Bernd schneller kennen, als zu erwarten war. Und auch Bernd war verblüfft, als er den Namen Dr. Norden hörte.

»Meine zukünftige Frau ist Ihnen ja bekannt«, sagte er verlegen. »Wir haben Herrn Kleinschmidt gefunden, als wir noch Blumen besorgen wollten. Eva Trewitz ist meine Verlobte«, erklärte er dann rasch, als Daniel Norden ihn konsterniert anschaute.

Na, da hat sie aber einen guten Fang gemacht, dachte Fee, während Daniel nun einen festen Händedruck mit Bernd tauschte.

Donner und Doria, dieser Norden hat aber eine tolle Frau, dachte Bernd. Aber die beiden gingen nun rasch, und Dr. Behnisch erklärte Bernd noch kurz, daß Peter Kleinschmidt eine recht gefährliche Schädelverletzung hatte.

»Er würde jetzt nicht mehr leben, wenn Sie ihn nicht gefunden hätten«, fügte Dieter Behnisch hinzu.

»Weil Eva darauf bestanden hat, meiner Mutter Blumen zu bringen. So seltsam spielt das Leben«, sagte Bernd gedankenvoll. »Hoffentlich werden die Schuldigen bald geschnappt. Was könnte nur das Motiv sein? Wir haben uns darüber den Kopf zerbrochen.«

»Bosheit, Neid, Geldgier, es wird sich wohl herausstellen. Es ist jedenfalls deprimierend.«

»Wir werden ihn besuchen, wenn es ihm bessergeht«, sagte Bernd. »Ich darf mich erkundigen?«

»Gern«, erwiderte Dr. Behnisch

»Gefällt dir dieser Schönberg?« fragte Fee ihren Mann.

»Ein flotter Typ, ein Sonnyboy, aber anscheinend einer mit Charakter.«

»Ich zweifle nicht«, sagte sie.

Er warf ihr einen schrägen Blick zu.

»Sehr beeindruckt?« fragte er anzüglich.

»Es wird ein sehr attraktives Paar sein«, erwiderte Fee lächelnd. »Das freut einen denn auch. Und es freut mich für Frau Trewitz, daß sie solchen sympathischen Schwiegersohn bekommt.«

*

Viel hatte Eva von ihrem Besuch bei Bernds Mutter nicht erzählt, nur, daß sie sehr nett gewesen sei, und morgen würden sie sowieso alle beisammen sein. Dann hatte sie über Peter Kleinschmidt gesprochen.

»Wer kann diesem braven Mann was zuleide tun«, sagte Annelie bestürzt. »Das ist ja eine scheckliche Geschichte. Was soll denn mit seinen kostbaren Pflanzen werden? Hoffentlich weiß die Emi schon genug Bescheid.«

Sie konnten ja nicht ahnen, daß es Emi fast genauso schlecht ging wie Peter Kleinschmidt.

»Ich werde morgen gleich mal zum alten Merkel fahren«, sagte Annelie. »Ich denke schon, daß er sich kümmern wird. Ein bißchen hängt er ja doch noch an der Gärtnerei.«

So ergab es sich, daß Fee Norden und Annelie Trewitz bei Karl Merkel zusammentrafen, der sich zuerst mal seinen Zorn auf die Lumpen von der Seele redete, bevor er dann erklärte, daß er sich selbstverständlich um die Gärtnerei kümmern würde.

»Hoffentlich kann ich die Emi erreichen«, sagte er. »Allein werde ich es kaum schaffen.«

»Emi ist krank«, erklärte Fee.

»Krank?« fragte Annelie schneller als der alte Mann.

»Sie wurde auch zusammengeschlagen. Anscheinend ist da ihr Bruder beteiligt.«

»Dieser Nichtsnutz!« donnerte Karl Merkel los. »Der bringt noch die ganze Familie ins Grab. Eine Schande ist das!«

»Ich trommele ein paar kräftige Buben zusammen«, sagte Annelie. »Damit Sie nicht allein sind, Herr Merkel, und außerdem gibt es auch noch anständige junge Burschen.«

Und sie schaffte es auch. Nur eine Stunde später erschienen drei Siebzehnjährige in der Gärtnerei.

Den Peter würden sie kennen, versicherten sie, und es sei doch ganz selbstverständlich, daß sie dem helfen würden. Der tut doch keiner Fliege was zuleide.

Die Gewächshäuser waren also gerettet, und halbwegs beruhigt konnten Annelie und Fee den Heimweg antreten.

»Sie sind aber auch immer zur Stelle, wenn es darum geht, jemandem zu helfen, Frau Doktor«, sagte Annelie.

»Sie doch auch, Frau Trewitz. Und so freuen wir uns auch sehr, daß Sie so einen netten Schwiegersohn bekommen.«

»Kennen Sie den Bernd denn schon?« fragte Annelie.

»Gestern abend haben wir ihn in der Behnisch-Klinik kennengelernt. Es ist ein hübsches Paar.«

»Und bald wird eine schöne Hochzeit gefeiert«, sagte Annelie. »Hoffentlich ist der Peter Kleinschmidt dann wieder gesund, damit er uns den Blumenschmuck liefern kann. Er kann das ja wunderschön. Wenn der mehr von sich hermachen würde, könnte manch einer einpacken.«

»Das ist nicht jedem gegeben«, sagte Fee, »und gerade deshalb ist es unbegreiflich, daß er so mißhandelt wurde.«

»Es wird auch sehr schlimm für Emi sein«, sagte Annelie.

*

Trotz seiner schweren Verletzungen war Peter Kleinschmidt schon am Vormittag bei Bewußtsein. Er war zwar sehr benommen, aber Dr. Jenny Behnisch war ­hocherfreut, daß er klarer Gedanken fähig war.

Ihr Gesicht war ihm vertraut. Jenny hatte sich oft mit ihm unterhalten, als er den Garten anlegte. Manchmal hatte sie über seine tiefsinnigen Betrachtungen gestaunt, auch darüber, wie gut er über Krankheiten Bescheid wußte.

»Wieso sind Sie hier?« fragte Peter, als Jenny seine Hand ergriff.

»Sie sind bei uns, Peter«, erklärte sie. »Sie sind überfallen worden, können Sie sich erinnern?«

Ein grüblerischer Ausdruck trat in seine Augen. Er nickte. »Was ist mit Emi?« fragte er dann ängstlich.

»Sie ist auch hier. Wir wissen schon einiges. Kolia, Emis Bruder, war dabei, nicht wahr?«

Er nickte wieder. Dann faßte er sich an den schmerzenden Kopf. »Emi hat damit nichts zu tun, sie ist ein gutes Mädchen«, sagte er leise.

»Ja, sie ist ein gutes Mädchen, und sie wurde auch übel zugerichtet. Es wird ein Polizeibeamter kommen und einige Auskünfte von Ihnen haben wollen, Peter.«

»Es wird Emis Mutter das Herz brechen«, sagte er stockend. »Ich will nicht, daß sie es erfährt.«

»Aber Kolia verdient es nicht, geschont zu werden. Er wird seine Schwester nie in Ruhe lassen, Peter. Er nimmt ihr doch alles weg.«

»Das hat Emi mir nie gesagt«, flüsterte Peter. »Wenn sie jetzt auch nicht kann, wer kümmert sich um die Gärtnerei?«

Das war seine nächste Sorge. Aber es rührte Jenny Behnisch, daß er sich zuerst um Emi gesorgt hatte.

»Der alte Merkel springt ein, das ist schon geregelt, Peter. Sie dürfen auf Kolia und seine Kumpane keine Rücksicht nehmen.«

»Ich muß erst mit Emi sprechen«, sagte er leise.

Jenny Behnisch ging zu der jungen Frau, die auch nach langem Schlaf erwacht war.

Ihr Gesicht war so geschwollen, daß man die Augen kaum sehen konnte. Sie bot einen wahrhaft erbarmungswürdigen Anblick.

»Peter Kleinschmidt ist bei Bewußtsein, Emi«, sagte Jenny. »Er möchte mit Ihnen sprechen.«

Emi schluchzte trocken auf. »Ich kann ihm doch nicht in die Augen sehen«, flüsterte sie. »Es war mein Bruder. Er ist genauso schlimm wie seine Freunde.«

»Aber Peter weiß, daß Sie ein gutes Mädchen sind, Emi«, sagte Jenny tröstend. »Er will nichts sagen, damit Ihre Eltern wegen Kolia nicht auch Kummer haben.«

»Aber Nino ist ein guter Junge. Er bekommt sogar ein Stipendium. Wenn sie erfahren, was Kolia für ein Kerl ist, werden sie es ihm nicht genehmigen.«

»Darüber machen Sie sich mal keine Gedanken«, sagte Jenny. »Sprechen Sie mit Peter. Ein schwarzes Schaf gibt es oft in einer Familie.«

»Vater hat immer gesagt, daß es falsch war, ihn aufzunehmen«, schluchzte Emi.

Jenny horchte auf. »Er ist gar nicht Ihr richtiger Bruder?« fragte sie.

»Nein, eine Cousine von Mama ist seine Mutter, aber der Mann hat sie sitzen lassen, und sie ist ins Wasser gegangen. Aber Mama hat ihn wie ein eigenes Kind behandelt. Und nie dankt er es ihr.«

»Dann soll er seine Strafe bekommen«, sagte Jenny. »Warum haben Sie ihm immer Geld gegeben, Emi?«

»Damit er mich in Ruhe läßt«, flüsterte sie. »Damit habe ich ihn mir vom Leibe gehalten.«

Armes Mädchen, dachte Jenny vol­ler Mitgefühl. »Warum haben Sie nicht mit Peter darüber gesprochen?« fragte sie.

»Das kann ich doch nicht. Ich schäme mich so. Er meint doch auch, daß es mein richtiger Bruder ist.«

»Dann wäre es wohl an der Zeit, daß Sie ihm die Wahrheit sagen, Emi. Oder soll ich es tun?«

»Das muß ich ja wohl selbst tun«, sagte Emi leise. »Aber so wie ich aussehe?«

Ein wenig mußte Jenny doch lächeln. Selbst die scheue Emi war nicht ganz frei von weiblicher Eitelkeit.

»Ich habe ihm schon gesagt, wie man Sie zugerichtet hat, und er soll es ruhig sehen, damit er auch der Polizei die Wahrheit sagt. Diese Kerle haben die Strafe verdient.«

»Dann werde ich mich jetzt anziehen«, sagte Emi.

Jenny nickte zustimmend. »Ich bringe Ihnen Kleider von mir. Ihre waren voller Blut.«

»Sie sind so gut, auch Dr. Norden und seine Frau. Sie sind doch so vornehme Menschen, und ich bin nichts.«

»Sie sind ein fleißiges, tüchtiges Mädchen, das überall beliebt ist, Emi. Daran denken Sie jetzt mal. Und es gibt eine ganze Anzahl Menschen, die Ihnen gern helfen. Und Peter Kleinschmidt will auch Sie schützen.«

»Ich muß mich auch um die Gewächshäuser kümmern«, sagte Emi leise. »Er macht sich doch damit so viel Mühe.«

»Heute ist Herr Merkel da, und er wird Ihnen auch helfen, bis Peter wieder gesund ist, aber vor allem müssen Kolia und seine Komplicen geschnappt werden. Dazu können Sie beitragen.«

»Sie haben das Auto von Peter gestohlen. Ich habe es gesehen. Sie sind bestimmt auf und davon.«

»Sie werden alles, was Sie wissen, dem Polizeiinspektor sagen, Emi?«

»Ja, Frau Doktor«, erwiderte Emi bebend.

*

Das hübsche Kleid von Jenny konnte Emis verletztes Gesicht zwar nicht hübscher machen, aber ihr schlanker, mädchenhafter Körper kam darin doch mehr zur Geltung als in den plumpen billigen Sachen, die sie bisher getragen hatte. Und daß sie normalerweise ein nettes, liebes Gesicht hatte, wußte Jenny.

»Ich gebe es Ihnen dann gleich ge­reinigt zurück«, sagte Emi verlegen.

»Sie können das Kleid behalten, Emi, es ist mir zu eng geworden«, erwiderte Jenny. Das stimmte zwar nicht, aber Jenny wollte dem Mädchen wenigstens eine kleine Freude machen. »Ich habe auch noch ein paar andere Sachen von mir herausgesucht, die Ihnen bestimmt passen.«

»Ich bezahle es gern, wenn Herr Kleinschmidt mich nicht entläßt«, murmelte Emi.

»Er wird Sie nicht entlassen. Reißen Sie sich zusammen, Emi. Er braucht jetzt Ihre Hilfe doppelt nötig. Aber er möchte nicht, daß Sie noch mal solchen Gemeinheiten ausgesetzt werden.«

Ein paar Tränen purzelten aus Emis geschwollenen Augen, aber ein wenig mehr konnte man von diesen jetzt doch schon sehen.

Emi machte einen tiefen Knicks vor Jenny, und diese dachte in diesem Augenblick: Jetzt fehlt nur noch, daß sie mir die Hand küßt, da war auch das schon geschehen.

»Lieb gemeint, Emi, aber das gewöhnen Sie sich mal ab«, sagte Jenny. »Sie sind keine Leibeigene. Sie tun Ihre Arbeit, wie ich meine, und ich weiß, daß Sie Ihre Arbeit genauso gewissenhaft tun wie ich auch. Sie werden die Fesseln abwerfen, und dazu müssen Sie auch selbst beitragen. Sie brauchen keine Angst mehr zu haben.«

»Ich habe aber Angst«, sagte Emi.

»Dann machen Sie sich stark, damit Sie diese besiegen. Ich weiß, was Angst bedeutet, Emi. Ich war auch einmal ganz down, ganz am Boden zerstört, obgleich ich da schon eine Ärztin war. Aber ich habe Freunde gefunden und einen Mann, der mich lehrte, wieder an das Gute zu glauben. Und nun glauben Sie auch an den Sieg des Gu­ten über das Böse.«

»Aber ich darf Sie doch verehren«, sagte Emi scheu.

»Sie dürfen mich gern haben, weil ich Sie auch gern habe. Was sind denn schon für Unterschiede zwischen uns? Sie betreuen Pflanzen und Blumen, die auch nur mit Liebe und Fürsorge gedeihen können. Ich betreue Kranke, die ebenso der Liebe und Fürsorge bedürfen.«

»So was hat Peter auch schon mal zu mir gesagt, als wir hier den Garten angelegt haben. Er sagte aber auch, daß wir es eigentlich besser haben, weil Pflanzen nicht reden können, nicht verletzen können. Wenn sie nicht lebensfähig sind, gehen sie still ein, auch wenn sie vom Unkraut erdrückt werden. Deswegen muß man das Unkraut vernichten.«

»Und das können Sie ihm jetzt auch sagen, Emi. Manche Menschen sind eben wie Unkraut, zu nichts nütze und unfähig, Freude zu geben. Aber sie saugen Kraft aus den Besseren wie das Unkraut aus dem Boden.«

»Ich verstehe, was Sie damit sagen wollen«, sagte Emi leise. »Wenn ich doch auch nur so klug denken könnte.«

»Sie können es, Emi.«

Und dann standen sie vor der Tür des Krankenzimmers. »Nur Mut, Emi«, sagte Jenny Behnisch aufmunternd.

Schüchtern trat Emi ein, zögernd setzte sie die Schritte und so leise wie nur möglich, denn Peter lag mit geschlossenen Augen da.

»Ich schlafe nicht, Emi«, sagte er heiser, »ich soll nur die Augen geschlossen halten.«

Er wollte es ihr leichter machen, da er von Jenny Behnisch ja wußte, wie ihr Gesicht zugerichtet war. Er hatte Einfühlungsvermögen, und er kannte Emi weitaus besser, als er meinte.

»Es tut mir alles so schrecklich leid«, flüsterte Emi. »Ich weiß nicht, wie ich das wiedergutmachen soll, Herr Kleinschmidt.«

Nun sah er sie doch an, in ihr verstörtes, verletztes, unglückliches Gesicht hinein, und er vergaß seine eigenen Schmerzen. Er griff nach ihrer Hand.

»Du brauchst deshalb nicht gleich wieder förmlich zu werden, Emi, wir hatten doch endlich Freundschaft geschlossen und du gesagt. Und so soll es auch bleiben. Und wenn ich die Burschen unter die Finger kriege, die dir das angetan haben, werde ich es ihnen heimzahlen.«

»Sie sind doch immer zu dritt«, schluchzte sie leise, »da ist jeder allein zu feige.«

»Nicht weinen, Emi, es kommt schon wieder in Ordnung«, sagte er beruhigend. »Ich war auf so was nur nicht vorbereitet. Ich dachte nur, daß sie herumstänkern wollten.«

»Sie haben deinen Wagen gestohlen und bestimmt auch Geld. Ich konnte doch nur noch nicht nachsehen.«

»Das überlaß den Polizisten. Ich werde nicht sagen, daß dein Bruder dabei war.«

»Doch, das mußt du sagen, und außerdem ist Kolia nicht mein richtiger Bruder. Ich will dir alles erzählen, Peter, wenn du mich nicht wegschickst.«

»Ich bin ja froh, daß du da bist«, sagte er. »Wieso ist Kolia nicht dein richtiger Bruder.«

Sie erzählte ihm die Geschichte. »Er hat Mutter viel Kummer bereitet, aber sie ist nun mal so, daß sie

ihn auch als ihr Kind betrachtet hat. Und sie dachte auch, daß es besser werden würde, wenn er erwachsen wird.«

»Was in einem Menschen drin ist, kann man nicht ändern«, sagte Peter nachdenklich. »Aber für dich bin ich froh, daß er nicht dein Bruder ist. Du hättest es mir längst sagen sollen.«

»Ich konnte es nicht. Er hat mich doch immer belästigt«, flüsterte sie. »Deshalb habe ich ihm dann immer wieder Geld gegeben. Ich hatte solche Angst vor ihm.«

Peters Lippen wurden ganz schmal. »Gerade das hättest du mir sagen müssen, Emi, dann würdest du jetzt nicht so aussehen. Es tröstet mich nur, daß du bald wieder so hübsch wie früher sein wirst.«

»Ich bin nicht hübsch«, stotterte sie.

»Für mich bist du schön«, sagte er leise. »Und ich habe dich sehr lieb. Wir werden heiraten, wenn du willst, und immer zusammenbleiben mit unseren Pflanzen und Blumen, und vielleicht haben wir dann auch mal Kinder, die die Freude mit uns teilen. Wir richten uns unsere Welt ein, Emi, und es ist schön, wenn du sie mit mir teilst. Ich weiß ja, daß du genausoviel Freude an der Natur hast wie ich.«

Emi meinte zu träumen. Aber Peter hatte das wirklich gesagt, und er hielt ihre Hand ganz fest.

»Manchmal muß halt was passieren, daß man den Mut hat zu reden, wie’s einem ums Herz ist«, sagte er gedankenvoll.

»Du willst das wirklich, Peter?« fragte sie bebend.

»Sonst würde ich es doch nicht sagen. Du weißt doch, daß ich nicht viel Worte machen kann. Willst du meine Frau werden, Emi?«

Ein größeres Glück konnte ihr nicht widerfahren. Gleich wurden ihre Augen ganz blank, und ein Lächeln teilte ihre Lippen.

»Es ist wie in einem Märchen«, sagte sie. »Ich habe dich doch auch so lieb, Peter.«

»Dann ist doch alles gut. Nun gib mir einen Kuß. Ich kann mich ja noch nicht aufsetzen.«

Nun, Dr. Jenny Behnisch hatte allen Grund, zufrieden zu sein. Ganz leise machte sie die Tür wieder zu. Gehört hatten es die beiden gar nicht, daß sie hereingeschaut hatte. Und dem Besuch des Polizeiinspektors sah sie nun auch mit aller Gelassenheit entgegen.

Daß aber Kolia und seine Kumpane noch am gleichen Abend verhaftet werden konnten, war wieder einmal einem Zufall zu verdanken.

*

Allen Widrigkeiten zum Trotz hatten Eva und Bernd mit ihren Müttern einen schönen, harmonischen Nachmittag verbracht. Die beiden Frauen verstanden sich so gut, daß das junge Paar restlos glücklich sein konnte.

Nach einem sehr guten Mittagessen waren sie noch weiter in die Berge gefahren und bei herrlichem Wetter lange gewandert. Und schließlich waren sie dann müde und hungrig in einem Gasthof gelandet, um sich vor der Heimfahrt nochmals zu stärken.

»Unsere Mütter haben Farbe bekommen«, sagte Bernd anerkennend. »Blendend schaut ihr beide aus.«

»Das lassen wir uns gefallen, Annelie«, lächelte Barbara. »Untersteht euch nicht, uns als alte Damen zu bezeichnen.«

»Wie könnten wir«, sagte Eva fröhlich. »Ich bin ja so froh, daß ihr euch versteht.«

»Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, daß die Schwiegermütter oft verteufelt werden«, meinte Annelie.

»Alle sind ja auch nicht so wie ihr«, stellte Bernd fest. »Und wenn ich ganz ehrlich sein soll, hätte ich auch nicht gedacht, daß Mama so mitmacht.«

»Da habt ihr es!« sagte Barbara. »Aber ich will auch ehrlich sein. Ich hätte es mir auch nicht so harmonisch vorgestellt. Hoffentlich bekommen wir uns dann als Großmütter nicht doch noch in die Haare.« Sie zwinkerte Annelie zu.

»Das wird sich ja wohl bald herausstellen«, entfuhr es Annelie.

»Alles hübsch der Reihe nach«, sagte Barbara. »Erst Hochzeit, dann der Nachwuchs.«

Darauf herrschte doch betretenes Schweigen; und Bernd zumindest sah die Harmonie schon verflüchtigt. Aber da fuhr Barbara, nachdem sie von einem zum anderen geblickt hatte, fort: »Jetzt soll es ja manchmal üblich sein, daß die Kinder schneller kommen.«

»Früher war das auch öfter so, als man meint. Da wurde es nur vertuscht«, sagte Annelie.

»So war es«, meinte Barbara. »Ich kann mich noch genau an einen Fall aus meiner Jugendzeit erinnern.« Ihr Blick schweifte in die Ferne, und mit einigem Herzklopfen warteten die anderen drei darauf, was sie erzählen würde.

»Reni war das hübscheste Mädchen in unserer Klasse«, begann Barbara. »Ihr Vater war Oberbürgermeister und ihre Mutter schrecklich etepetete, schlimmer als meine. Dein Vater war übrigens ihr Tanzstundenherr und mal schrecklich verliebt in sie, Bernd.«

»Liebe Güte«, seufzte Bernd, »Mama hängt Erinnerungen nach.«

»Das finde ich schön«, sagte Annelie.

»Ich auch«, fügte Eva hinzu. »Erzähl nur weiter, Mama.«

»Und ich muß gestehen, daß ich damals noch keine Augen für meinen Fritz hatte«, fuhr Barbara fort. »Da war ein Achim mein großer Schwarm. Und besagter Achim war dann eines Tages mit Reni zusammen und mein Fritz tröstete sich mit mir. Mein Gott, wir waren siebzehn, und für die damalige Zeit noch Backfische. Aber es war schon Krieg, und gleich nach dem Abitur wurden die Jungen in die Uniform gesteckt. Achim gehörte zu denen, die die ersten Opfer waren. Und Reni bekam ein Kind.

Zuerst war sie von der Schule verschwunden und dann ganz von der Bildfläche, aber als Achim gefallen war, kam sie mit ihrem kleinen Sohn zurück, und beide Großelternpaare rissen sich um das Kind.« Sie machte eine kleine Pause. »Ich wollte damit nur sagen, daß sie damals auch gar nicht so schrecklich verklemmt waren.«

»Und du warst froh, daß dein Fritz dann aus dem Krieg heimkehrte«, sagte Annelie.

»Ja, liebe Annelie, die schweren Jahre, das Warten hatte uns bewußt gemacht, daß wir zusammengehörten. Wir haben eine glückliche Ehe geführt.«

»Wir auch«, sagte Annelie. »Es wäre schön gewesen…«

»Nicht traurig werden, Mutti«, sagte Eva.

Annelie griff nach Barbaras Hand. »Jetzt habe ich ja jemanden, mit dem ich reden kann über damals«, sagte sie.

»Wenn man in der gleichen Situa­tion ist, versteht man sich gleich gut.«

»So ist es, Annelie«, gab Barbara zurück.

Bis dahin war es gemütlich in der Gaststube zugegangen. Doch plötzlich kamen drei junge Burschen johlend herein, schon angetrunken, und die Stimmung war dahin.

Annelie wurde blaß. »Da ist der Bruder von Emi dabei«, flüsterte sie.

»Und draußen steht der Wagen von Peter Kleinschmidt«, murmelte Eva, die am Fenster saß.

»Den sie gestohlen haben«, sagte Annelie aufgeregt.

»Psst. Sie dürfen nicht auf uns aufmerksam werden«, flüsterte Eva. »Der Kolia kennt dich doch, Mutti.«

»Woher denn?« fragte Barbara bestürzt.

»Er hat mal eine Zeit Pakete ausgefahren«, erwiderte Annelie leise. »Man müßte die Polizei benachrichtigen.«

»Das besorge ich«, sagte Bernd, ohne lange zu überlegen. Und schon ging er zur Telefonzelle.

Die drei Burschen legten sich schon mit dem Wirt an, der ihnen keinen Schnaps geben wollte. Einige Gäste zahlten rasch und gingen, als der Lärm größer wurde. Eva hielt ungeduldig nach Bernd Ausschau, aber er kam erst in die Gaststube zurück, als draußen ein Funkstreifenwagen vorfuhr, allerdings ohne Martinshorn.

Und dann ging alles ziemlich rasch. Ehe sich die drei Burschen versahen, waren sie schon mit Handschellen versehen, und sie waren so verblüfft, daß sie vorerst auch den Widerstand vergaßen.

Was sich dann draußen abspielte, bekamen die drei Damen nicht mehr mit. Der Wirt ging auf Bernd zu und bedankte sich. »Ich kam ja nicht ans Telefon«, brummte er. »Betrachten Sie sich bitte als eingeladen.«

So waren sie auch noch zu einem kostenlosen Abendessen gekommen, zu der Genugtuung, daß die drei Übeltäter so schnell gefaßt werden konnten.

»Partout est l’aventure«, sagte Eva nachdenklich.

»Überall ist der Zufall«, wiederholte Annelie auf deutsch.

»Du bist aber noch gut«, staunte Barbara. »Ich habe alle Vokabeln vergessen.«

»Ich mußte ja mit Eva immer pauken«, lächelte Annelie. »Das hat mir wieder auf die Sprünge geholfen. Aber wir haben in der Schule ja kaum etwas gelernt, was man später brauchen kann, zumindest in Sprachen nicht. Da sind sie heute doch schon weiter. Und Eva war ja von Anfang an so ein Sprachtalent«, fuhr sie nicht ohne Stolz fort.

»Sonst wäre sie ja auch im Betrieb nicht so ein As«, warf Bernd ein. »Walchow wird rotieren, wenn sie kündigt.«

Barbara warf Eva einen schrägen Blick zu. »Hast du das schon bald vor?« fragte sie.

»Nicht so bald«, erwiderte Eva mit einem schelmischen Lächeln. »Mal sehen, was der Chef sagt, wenn wir heiraten.«

»Vielleicht hat er selbst ein Auge auf dich geworfen«, bernerkte Barbara hintergründig, aber da lachte Eva hell­auf. »Er würde besser zu dir passen, Mama«, sagte sie. »Er ist wirklich sehr nett.«

»Vielleicht erfahre ich nun mal auch ein bißchen mehr über den Betrieb«, meinte Barbara. »Aus Bernd bekommt man ja nichts heraus.«

»Ich wußte ja nicht, daß du dich dafür interessierst, Mama«, meinte Bernd.

»Nun, ich denke, daß du mir eher Eva vorenthalten wolltest«, sagte sie neckend.

»lch mußte schließlich erst mal genau wissen, ob sie mir nicht doch einen Korb gibt«, erklärte Bernd. »Karrierestreben und Ehe lassen sich nicht miteinander vereinbaren.«

»Warum eigentlich nicht?« fragte Eva. »Du bist doch nicht versessen, ein Hausmütterchen um dich zu haben. Ich behalte die Karriere jedenfalls im Auge, soweit sie im Bereich des Möglichen liegt.«

Diese Bemerkung gefiel Barbara im Augenblick weitaus besser als Annelie, die dann, als sie allein waren, fragte, ob Eva dies ernst gemeint hätte.

»Warum eigentlich nicht, Mutti?« fragte Eva. »Die Zeiten haben sich geändert. Und wir haben schließlich zwei liebe Großmütter, die sich zudem noch gut verstehen. Das ist eine feine Sache, finde ich. Bernd verdient gut, ich verdiene gut, und zu zweit schafft man leichter.«

»Denk auch an die Steuern, Kind«, sagte Annelie warnend.

»Na, wenn schon, Bernd holt schon das Beste heraus. Es gibt ja genügend Abschreibungen. Auf dem Gebiet ist er ein As. Dem Kind wird bestimmt nichts abgehen. Du könntest das Geschäft dann ja verpachten.«

Annelie riß die Augen auf. »Nein, das tue ich nicht. Ich mache mich nicht von meinen Kindern abhängig.«

»Liebe Güte, das brauchst du doch nicht. Du hast doch ein hübsches Polster.«

»Man weiß nie, was kommt, und außerdem liebe ich auch meine Unabhängigkeit, Eva. Ich fühle mich nicht rentenreif.«

»Mama ist bestimmt selig, wenn sie das Baby betreuen kann«, sagte Eva. Es war ihr so herausgerutscht, und es gab Annelie einen Stich. Aber sie gab kein Contra. Sie dachte: Warten wir es mal ab.

»Es kommt nicht darauf an, daß ein Kind nur eine Bezugsperson hat«, fuhr Eva gedämpft fort. »Nur darauf, daß es sich bei weiteren Bezugspersonen auch wohl fühlt. Und außerdem wird unser Kind ja in eine Familie hineingeboren, in der es harmonisch zugeht. Ich bin wirkich sehr froh, daß du dich mit Barbara so gut verstehst, Mutti.«

»Darüber bin ich auch froh«, sagte Annelie. Und worüber sie nicht ganz so froh war, behielt sie lieber für sich, denn, wenn sie auch fortschrittlich war, so meinte sie doch, daß die Mutter zum Kind gehöre und gerade die ersten Lebensmonate ganz entscheidend für beide sein konnten.

*

Peter und Emi hatten währenddessen schon von der Verhaftung der drei Rowdys erfahren und auch davon, daß wieder Bernd und Eva dazu beigetragen hatten.

Peters Wagen hatte schon ein paar Beulen davongetragen, aber das tangierte ihn nicht weiter, obgleich er sonst so eigen mit seinen Sachen war. Ihm war wichtig, daß Emi bei ihm saß und daß es zwischen ihnen keine Mißverständnisse und Hindernisse mehr gab.

Er hatte ein paar Stunden geschlafen, und sie hatte in einem Sessel neben seinem Bett vor sich hin geträumt, zwischendurch lindernde Kompressen auf ihr Gesicht gelegt und Beruhigungstees getrunken.

Die Wirkung war erfreulich. Die Schwellungen waren weitgehend zu-rückgegangen. Die blauen Flecken würden allerdings erst langsam vergehen. Jenny Behnisch meinte, daß man die ja mit einer Deckcreme überdecken könnte.

Schlimmer als dies war es für Emi jedoch, daß sie anderntags Kolia und den beiden anderen Übeltätern gegenübergestellt werden sollte.

»Nur Mut, Emi«, sagte Peter, als er wieder erwacht war. »Es muß durchgestanden werden. Die beiden anderen werden abgeschoben, sie haben nicht mal eine Aufenthaltserlaubnis. Vielleicht geht Kolia dann doch ein Licht auf, was er sich da eingebrockt hat.« Er streichelte ihre kalten Hände, die ihre innere Erregung verrieten. »Etwas Gutes ist doch in jedem Menschen«, fügte er leise hinzu.

»Das meinst du«, sagte sie. »Weil du selbst ein guter Mensch bist, glaubst du das, Peter.«

»Du bist auch ein guter Mensch«, sagte er.

»Aber ich weiß, was Haß ist. Ich kann auch hassen. Jetzt kann ich es.«

Und dieses Haßgefühl verstärkte sich ihr noch mehr, als sie am nächsten Vormittag hören mußte, daß ihr Vater an einem Herzschlag gestorben war, nachdem er die Nachricht bekommen hatte, was Kolia angerichtet hatte. Aber dadurch hatte sie auch die Kraft, Kolia so gegenüberzutreten, wie Peter es gewünscht hatte, aufrecht und mutig.

Er konnte ihrem verachtungsvollen Blick nicht standhalten.

»Vater hast du ins Grab gebracht, für alles, was er für dich getan hat«, sagte sie, »zu schweigen von dem, was du Peter Kleinschmidt angetan hast. Und mich brauchst du nur anzuschauen. Aber jetzt wirst du dafür bestraft werden, Kolia. Jetzt kannst du mich nicht mehr erpressen.«

»lch habe dich doch nicht geschlagen, Emi«, stieß er hervor, »und den Kleinschmidt auch nicht. Du kannst mich doch nicht hereinlegen.«

»Ich lege dich nicht herein. Ich sage die Wahrheit. Peter wollte nichts sagen, meinetwegen, aber du hättest früher mal nachdenken sollen. Vater hast du umgebracht, seelisch gemordet, und Mutter wird daran zu tragen haben, weil sie dich wie ein eigenes Kind aufgezogen hat. Wir werden sie zu uns nehmen, wenn Peter und ich verheiratet sind, und wehe, wenn du dich dann noch einmal in ihre Nähe wagst. Das ist eine ernste Warnung, Kolia. Jetzt weiß auch Nino über dich Bescheid, und sein Leben lassen wir nicht zerstören. Wir hatten alle nicht viel, aber jeder hatte seine Chance, aber du wolltest ja nie arbeiten und ehrlich dein Geld verdienen. So, nun ist es genug. Nun schau zu, wie du weiterkommst.«

Kolia schnappte nach Luft. »Bilde dir bloß keine Schwachheiten ein«, sagte er giftig. »Heiraten wird er dich? Daß ich nicht lache!«

»Das wirst du ja erleben«, sagte Emi, und dann ging sie. Ein ganz klein wenig nur zitterte ihre Hand, als sie das Protokoll unterschrieb, das aufgenommen worden war.

Dann fuhr sie zur Gärtnerei, wo Herr Merkel mit den beiden Hilfskräften fleißig an der Arbeit war.

»Macht schon wieder mal Spaß«, sagte er. »Hat ja alles so schön angelegt, der Peter. Erholen Sie sich nur von dem Schrecken. Emi, wir schaffen es schon.«

»Ein paar von den Rosen möchte ich ihm bringen«, sagte Emi. »So ganz ohne Blumen soll er nicht sein.«

Eine neue Züchtung war es, die Peter nach viel Mühen gelungen war. Herrliche Rosen von einem zarten Rot, und Herr Merkel lächelte, als Emi davon drei abschnitt. Er kannte die Sprache der Blumen. Und Peter verstand sie auch.

»Wir werden sie Emi-Rosen nennen«, sagte er, als Emi sie in die mitgebrachte schlanke Vase stellte.

»Das will ich nicht«, wehrte sie ab.

»Dann nennen wir sie Hochzeitsrosen«, sagte er. »Hoffentlich blühen sie in reicher Fülle. Frau Trewitz war schon bei mir und hat gesagt, daß ich gesund sein muß, um den Hochzeitsschmuck und das Brautbukett für ihre Tochter zu richten. Aber du bekommst genauso ein schönes, Emi, ich verspreche es dir.«

Und da küßte ihn Emi innig. »Ich brauche doch keins, Peter«, flüsterte sie, »wir werden doch ein ganzes Leben mit Blumen verbringen.«

*

Vor den Hochzeitsblumen kamen die Blumen auf des Vaters Grab. Peter hatte gewünscht, daß er hier auf dem Waldfriedhof bestattet würde, und er wollte auch für die Überführung aufkommen, damit dann das Grab in der Nähe sei, wenn die Mutter bei ihnen leben würde. Für Emma Kubelja war das Glück im tiefsten Leid. Glück, das sie noch nicht fassen konnte, und als sie dann zwischen Emi und ihrem Sohn Nino vier Tage später an dem schlichten Waldgrab standen, das mit den schönsten Gebinden aus Peters Gärtnerei geschmückt werden konnte, erwachte in ihr die Hoffnung auf ein paar ruhige Jahre.

Und dann begann sie in Peters Haus gleich zu werkeln. Da gab es schon eine Menge zu tun, wozu er keine Zeit gehabt hatte und Emi nur wenig. Nino machte sich auch gleich an die Arbeit, die Fassade und die Fensterläden und -rahmen zu streichen.

Die Vorfreude auf die Überraschung, die sie Peter bereiten konnten, wenn er heimkommen würde aus der Klinik, ließ Emi gleich selbstbewußter werden.

Das Geschäft blühte, und Emi blühte auf. Die Hochzeitsrosen setzten in reicher Fülle Knospen an.

Das Aufgebot hatten Bernd und Eva schon bestellt. Dr. Walchow hatte leicht nervös mit den Augenlidern gezwinkert, als er unterrichtet wurde, aber er hatte sich auch gleich als Trauzeuge angeboten. Eva würde seinem Unternehmen ja wohl erhalten bleiben, hatte er allerdings auch gleich dazu bemerkt, und sie hatte es nicht fertiggebracht, ihm zu sagen, daß dem ein bestimmter Umstand im Wege stünde.

»Ich sage es ihm nach der Hochzeit, Bernd«, versicherte sie. »Man sieht ja noch nichts, und bis sechs Wochen vor der Entbindung bleibe ich sowieso.«

Bernd war es ein wenig ungemütlich dabei. »Er könnte sich ausgeschmiert fühlen, Ev«, meinte er.

»Wieso?«

»Weil Frau Tiedemann früher gehen wird als geplant.«

»Davon weiß ich noch nichts.«

»Walchow wird annehmen, daß ich es dir sage.«

»Jetzt hast du es mir gesagt. Soll ich morgen zu ihm rennen und ihm eröffnen, daß ich ein Baby bekomme? Nach der Hochzeit, so haben wir es verabredet, und dabei bleibt es. Warum geht Frau Tiedemann früher?«

»Weil sie in Australien schon eine Stellung bekommen kann. Sie starten schon im Oktober. Man kann es ihnen nicht verdenken, daß sie solche ­Chance wahrnehmen.«

»Du hast doch nicht etwa die Absicht, auch auszuwandern?« fragte Eva. »Das schlag dir nur gleich aus dem Sinn. Bleibe im Lande und nähre dich redlich. Ich würde anderswo eingehen.«

»Ich möchte es nicht mit Walchow verderben. So einen Chef findet man so schnell nicht wieder.«

»Meinst du etwa, er würde dich entlassen, weil deine Frau ein Kind bekommt? Wenn er auf mich wütend wird, kann ich es nicht ändern. Ich werde ihm schon klarmachen, daß ich entschieden habe, es ihm erst nach der Hochzeit zu sagen. Du brauchst mir nicht die Kastanien aus dem Feuer zu holen, Bernd.«

Daß er eine energische Frau bekommen würde, wußte Bernd. Wie stur sie sein konnte, wußte er auch, aber manchmal wurde es ihm doch bange, wie konsequent sie ihre Entscheidungen traf. Und ein wenig irritierte es ihn doch, daß sie dabei nicht über das Kind sprach.

»Manche Schwangerschaft verläuft nicht ohne Komplikationen, Evi«, sagte er vorsichtig. »Ich möchte nicht, daß du dir selbst schadest, nur weil dein Ehrgeiz dich treibt.«

»So ein Quatsch«, sagte sie. »Ich fühle mich pudelwohl. Mir wird auch nicht mehr schlecht, seit ich weiß, woher es kommt, und nicht mehr so viel Eis esse. Und im übrigen sagt Dr. Leitner, daß er sich freuen würde, wenn jede werdende Mutter so gesund leben würde wie ich.«

Bei Dr. Leitner hatte sie sich gründlichst untersuchen lassen und trug nun auch voller werdendem Mutterstolz den Mutterpaß bei sich. Umstandskleider hatte sie sich auch schon gekauft, obgleich sie immer noch keine brauchte. Aber die meinte, daß dies von heute auf morgen kommen könne, denn das Brautkleid hatte sie auch eine Nummer größer nehmen müssen. Aber es war ein zauberhaftes Kleid. Und ihre Figur konnte sich noch immer sehen lassen. Eva betrachtete sich jeden Tag sehr kritisch.

Annelie betrachtete ihre Tochter auch kritisch. Sie konnte allerdings auch keine Veränderung an ihr feststellen.

»Habt ihr es Barbara jetzt schon gesagt?« fragte sie drei Tage vor der Hochzeit.

»Nach der Hochzeit, Mutti, dann hat das Kind seinen Namen«, erwiderte Eva lachend.

»Du hast gute Nerven«, stellte Annelie fest.

»Sag bloß nicht, daß du gleich was gemerkt hast. Davon habe ich Bernd auch noch nichts gesagt.«

»Ich finde es nicht richtig, aber ihr müßt es wissen«, sagte Annelie. »Übrigens hat Barbara mir gesagt, daß sie mir nach der Hochzeit gern im Geschäft helfen würde.«

Eva war sprachlos. »Das gibt’s doch nicht.«

»Doch, das gibt es, mein Kind«, erwiderte Annelie. »Sie findet ihr Leben nämlich auch stinklangweilig, wenn sie Bernd nicht mehr zu versorgen braucht.«

»Bis jetzt haben wir ja noch keine Wohnung«, sagte Eva.

»Aber ihr habt euch noch nicht geäußert, wo ihr überhaupt wohnen wollt, hier oder bei Barbara. Oder soll alles so bleiben?«

»Du wirst es nicht glauben, Mutti, aber Dr. Walchow hat uns eine Wohnung besorgt. Das sollte eine Überraschung sein.«

»Manche Überraschungen liebe ich gar nicht«, sagte Annelie. »Und so wird Barbara auch denken.«

»In mancher Beziehung seid ihr schon sehr altmodisch«, sagte Eva. »Es ist eine tolle Wohnung. Zur Einweihung findet auch gleich ein Sektfrühstück nach der standesamtlichen Trauung dort statt.«

»Sehr aufmerksam, daß ich das wenigstens jetzt erfahre. Ich hatte nämlich auch eins bei uns geplant.«

Jetzt war Annelie ehrlich gekränkt, und Eva merkte es. »Aber wir wollten euch doch keine Mühe machen, Mutti«, sagte sie. »Du organisierst doch schon die ganze Feier.«

»Du bist meine einzige Tochter, und so war es eben immer üblich in unseren Kreisen. Immerhin stammst du aus einer soliden Familie.«

»Jemine, sei doch nicht beleidigt. Immerhin verdienen Bernd und ich genug, daß wir unser Fest auch mitgestalten können. Und wir lieben eben kleine Überraschungen.«

»Aber die können manchmal ins Auge gehen, Evi«, sagte Annelie. »Okay, ihr bekommt eine schöne Wohnung, ihr macht ein Sektfrühstück, aber hoffentlich sagt es Bernd seiner Mutter auch rechtzeitig.«

»Ich werde es ihm raten«, sagte Eva doch ein wenig kleinlaut.

»Das möchte ich dir sehr raten, mein Kind.«

*

Am nächsten Morgen konnte Eva nicht gleich mit Bernd sprechen, denn er mußte zu einer wichtigen Konferenz, und sie hatte einen Haufen Arbeit zu erledigen. In der Mittagspause trafen sie sich dann.

»Mutti war ganz schön sauer, als ich ihr von der Wohnung und dem Sektfrühstück erzählt habe«, platzte Eva gleich heraus.

»Ich habe noch nichts gesagt. Es sollte doch eine Überraschung sein«, meinte Bernd.

»Unsere alten Damen denken da vielleicht doch anders«, sagte Eva.

»Wir sollen sie nicht als alte Damen bezeichnen, Ev«, lachte er.

»Ein bißchen komisch komme ich mir schon vor«, sagte sie leise. »Wer weiß, wie wir denken, wenn wir mal eine Tochter haben.«

»Oder einen Sohn«, meinte er neckend.

»Oder beides.«

»Erst langt mal eins. Für zwei Kinder wäre dann die Wohnung auch schon wieder zu klein«, sagte Eva. »Bis dahin müssen wir ein Haus mit Garten haben, und dafür dürfen wir schon noch ganz hübsch sparen.«

Manchmal fühlte sich Bernd von seiner zukünftigen Frau einfach überfahren, aber zugleich bewunderte er sie wegen dieser konkreten Vorstellungen. Genau diese Frau hatte er ja haben wollen.

»Ich werde es Mama heute abend sagen«, erklärte er.

»Tu das, mein Schatz. Sie wird es gelassen hinnehmen. Wenn Töchter heiraten, fühlen sich die Eltern halt immer noch verpflichtet, alles selbst auf die Beine zu stellen. Bei Söhnen ist das anders. Vati würde bestimmt eine wunderschöne Rede halten, die alle zu Tränen rührt.« Aber seltsamerweise wurden ihre Augen feucht, als sie das sagte. »Schade, daß unsere Väter nicht auch dabeisein können«, fügte sie leise hinzu.

Ein bißchen sentimental war sie eben doch, wenn sie es auch nicht zugeben wollte. Dauernd Händchen halten und anhimmeln war nichts für Eva, und das hätte Bernd schon gar nicht gemocht, aber in ihren Gefühlen konnte sie leidenschaftlich sein und auch weich und zärtlich.

Bernd dachte nicht daran, ihr seinen Willen aufzuzwingen. Er wußte auch recht gut, daß dies ein sinnloses Unterfangen sein würde.

Seine Mutter war nur wenig überrascht, als er ihr das mit der Wohnung und dem Sektfrühstück sagte.

»Ich habe mir schon so was gedacht«, meinte sie mit einem unergründlichen Lächeln. »Ich bin auch auf noch mehr Überraschungen gefaßt. Aber ihr solltet Annelie nicht immer vor vollendete Tatsachen stellen. Ich bin die von dir ja gewohnt, aber Eva ist ein Mädchen und Annelie ist sehr sensibel.«

»Du ergreifst ganz ihre Partei, Mama?« fragte er verwundert.

»Ich weiß nicht, ob das mal nötig sein wird, aber ich denke, daß ich es tun werde. Übrigens werde ich ihr nach der Hochzeit im Geschäft helfen.«

Er plumpste auf einen Stuhl. »Du?« fragte er verblüfft.

»Warum denn nicht? In der Kosmetikabteilung macht es mir bestimmt Spaß, und ich hocke nicht den ganzen Tag zu Hause herum. Abends brauche ich dann ja auch nicht mehr auf dich zu warten. Wir werden uns schon einig werden, an welchen Abenden oder zu welchen Zeiten unser junges Paar Zeit für die Mütter hat. Wir werden euch keinesfalls auf der Pelle sitzen.«

»Ich könnte mir gut vorstellen, daß dies Annelies Worte sind«, sagte Bernd.

»Warum sollten wir alten Damen uns nicht einig sein«, meinte Barbara anzüglich. »Ich muß sagen, daß ich rundherum mit meiner Schwiegertochter und deren Mutter zufrieden bin. Und wie ich immer wieder sehe, hast du das nicht erwartet, mein lieber Bernd.«

»Wirklich nicht, Mama«, gab er offen zu.

»Siehst du, Kinder werden erwachsen und lernen dann erst ihre Mütter richtig kennen. Solange sie sich nur an den gedeckten Tisch zu setzen brauchen, ist vieles allzu selbstverständlich. Aber Mütter sind oft auch ganz froh, wenn sie sich auf sich selbst besinnen können.«

»Du bist wirklich erstaunlich, Mama, aber es freut mich.«

»Dann ist bei uns ja alles okay«, sagte sie.

*

Peter Kleinschmidt war rechtzeitig aus der Klinik entlassen worden, um das Brautbukett und den Blumenschmuck für die Kirche und die Hochzeitstafel fertigzustellen. Selbstverständlich wurde er dabei von Emi tatkräftig unterstützt.

Ihr Gesicht wies keine Spuren der grausamen Ereignisse mehr auf. Man konnte wohl sagen, daß sie hübscher denn je geworden war. Zauberhafte Gebilde entstanden unter ihren Händen. So wenigstens konnten sie ihren Dank abstatten für die Hilfe, die ihnen von Eva und Bernd zuteil geworden war.

Zutiefst beglückt waren sie, zur Hochzeitsfeier geladen worden zu sein. Freilich hatte Annelie erst Barbara gefragt, ob es ihr recht wäre.

»Warum sollte es mir nicht recht sein?« fragte diese. Am laufenden Band bereitete sie ihren Lieben Überraschungen, doch die größte hatte sie sich für den Hochzeitstag vorbehalten.

Aufgeregt waren sie alle, die Mütter nicht weniger als das Brautpaar. Als Trauzeugen waren Dr. Walchow und

Ingrid Grabo pünktlich zur Stelle.

Für das Standesamt hatte Eva ein dezentes Seidenkostüm gewählt von zartem Blau, eine Farbe, die sie besonders gern mochte.

»Hast du die Trauringe, Bernd?« fragte Barbara.

»Natürlich, Mama.«

»Du mußt sie Dr. Walchow geben.«

»Ist das immer noch üblich?« fragte Bernd.

»Ich weiß nicht, wie es sonst gehandhabt wird, aber bei uns war es so üblich«, sagte sie.

»Ganz recht«, schloß sich Annelie an.

Dr. Walchow lächelte. »Manche tragen ja gar keine Ringe mehr, oder nur die Braut bekommt einen«, sagte er.

Er war ein Mann von Anfang fünfzig, jünger aussehend, humorvoll und auch schlagfertig, wie er gleich bewies.

»Wie war es denn bei Ihnen?« fragte Barbara.

»Ich bin ein alter Junggeselle«, erwiderte er. »Und es ist tatsächlich die erste Hochzeit, die ich mitmache.«

»Na, so was!« staunte Annelie.

Er zwinkerte ihr verschmitzt zu. »Ich habe halt den Anschluß verpaßt«, bemerkte er.

Ob er nicht doch ein Auge auf Eva geworfen hatte, ging es Barbara durch den Sinn.

Aber nun wurde es Zeit zum Aufbruch.

*

»Ich hätte so gern mal geguckt bei der Hochzeit«, sagte Loni zu Dr. Norden.

»Die kirchliche Trauung fällt in die Mittagspause«, sagte er schmunzelnd. »Und meine Frau wird sie sich auch nicht entgehen lassen wollen. Sie können ja mit uns essen und dann gemeinsam mit Fee zur Kirche fahren, Loni.«

»Darf ich das annehmen?« fragte sie.

»Na klar«, erwiderte er.

Da hatten Bernd und Eva schon zum ersten Male die Ringe aufgesteckt. Nett hatte der Standesbeamte gesprochen, aber von diesem jungen Paar ging wohl auch so viel Ausstrahlung aus, daß selbst ein nüchterner Beamter gar nicht anders konnte, als ein bißchen romantisch zu werden.

Vielleicht hatte auch der wunderschöne Blumenschmuck dazu beigetragen, den Peter Kleinschmidt von sich aus ins Rathaus gebracht hatte.

Und ebenso hübsch hatte er Bernds Wagen geschmückt. Dieser hatte dann die Schaulustigen angelockt, und als das junge Paar das Rathaus verließ, wurde ihnen von allen Seiten zugewunken.

Dann ging die Fahrt zur Wohnung. Die Mütter konnten nur staunen. Freilich fehlte noch manches, aber der Tisch war für das Sektfrühstück wohlgedeckt, und Stühle waren auch genügend vorhanden.

Aber auch ein bereits komplettes Schlafzimmer und ein ganz besonders apartes dazu.

»Wie habt ihr das so schnell bekommen?« fragte Barbara, während Annelie es sprachlos betrachtete.

»Dr. Walchow hat seine Beziehungen spielen lassen«, erwiderte Bernd lachend. »Was sagt man zu so einem Chef?«

»Hoch soll er leben«, lachte Eva.

Da wurde Dr. Walchow doch tatsächlich verlegen. »Ich möchte mir meine nettesten Mitarbeiter erhalten«, sagte er.

»Schade, daß ich schon verheiratet war, als ich in die Firma eintrat«, sagte Ingrid Grabo.

»Sie bekommen das Kinderzimmer«, erwiderte Dr. Walchow.

»Dann muß ich aber kündigen«, meinte sie.

»Ach was, heutzutage ist doch alles machbar. Wenn andere ihre Hunde mitbringen, warum sollten junge Mütter nicht auch ihre Kinder mitbringen.«

Eva und Bernd tauschten einen Blick. Er ahnt was, besagte der.

»Mein Enkelkind wird aber nicht in einem Büro aufgezogen«, warf Barbara ein. »Schließlich hat es zwei Großmütter.«

»Heute wird erst einmal Hochzeit gefeiert, über alles andere kann später diskutiert werden«, sagte Bernd.

Und dann wurde es wieder feierlich. Eva im Brautkleid mit Schleier und diesem herrlichen Bukett aus den Hochzeitsrosen, das eines Preises würdig gewesen wäre, bot aber auch einen so hinreißenden Anblick, daß man nur in stummer Bewunderung versinken konnte.

Die Hochzeitsgäste waren schon in der Kirche versammelt, als sie eintrafen.

Emi, in einem schlichten grünweiß gemusterten Seidenkleid konnte durchaus mit den anderen Damen Schritt halten.

Und Peter Kleinschmidt im flotten dunkelblauen Anzug mit feinen Nadelstreifen machte auch eine gute Figur.

»Ist Eva nicht entzückend?« raunte Loni Fee Norden zu.

Fee nickte. »Ein attraktives Paar«, sagte sie leise. »Da können sich manche Fürstlichkeiten eine Scheibe abschneiden.«

Es war eine wunderschöne Hochzeit, daran gab es keinen Zweifel, und es blieb manches Auge nicht trocken.

Annelie riskierte einen schnellen Seitenblick auf Dr. Walchow, der neben ihr saß, aber auch er war ganz in Andacht versunken. So ein netter, gutaussehender Mann, warum hat er nur keine Frau gekriegt, dachte sie flüchtig, aber dann brausten die Orgeltöne auf, und der Choral wurde gesungen. Zu Annelies Erstaunen sang auch Dr. Walchow mit voller dunkler Stimme mit.

Und danach nahm er ihre Hand und zog sie an seine Lippen. »Auch Ihnen herzliche Glückwünsche, gnädige Frau«, sagte er. »Sie haben nicht nur eine bezaubernde Tochter, Sie haben auch einen guten, zuverlässigen Schwiegersohn bekommen. Manchmal habe ich mir gewünscht, solche Tochter zu haben.«

Annelie errötete. »So zufrieden sind Sie mit Eva?« fragte sie stockend.

»Mehr als das. Sie wird auch mit Ehemann eine große Karriere machen.«

Ob das so wichtig ist, dachte Annelie. Aber in Wal­chows Augen blitzte es fast übermütig, als er ihren forschenden Blick erwiderte.

Barbara war ganz auf das junge Paar konzentriert. Innig schloß sie Eva in die Arme.

»Es bleibt kein Wunsch offen, meine liebe Evi«, sagte sie gerührt. »Was könnte ich mir mehr wünschen, als zu meinem Sohn eine so liebenswerte Tochter bekommen zu haben.«

»Danke, Mama«, sagte Eva.

»Aber kein Grund, Tränen zu vergießen«, sagte Bernd rauh.

Und dann wurden sie mit Glückwünschen überschüttet, mußten unzählige Hände drücken und wußten schließlich gar nicht mehr, wo ihnen der Kopf stand.

Der Fotograf, von Annelie bestellt, verknipste einige Filme, bis endlich die Fahrt zum Seegarten angetreten werden konnte, wo das Hochzeitsmahl ihrer harrte. Und auch dort hatten Peter und Emi für wunderschönen Blumenschmuck gesorgt. Auch sie mußten dann viele bewundernde Dankesworte über sich ergehen lassen.

»Wir haben doch zu danken«, sagte Peter.

»Ja, nur wir«, fügte Emi schüchtern hinzu. Aber wie glücklich machte es doch auch die beiden, so ohne jedes Vorurteil in diesem Kreise mitfeiern zu können.

Dr. Walchow hielt eine launige Tischrede, die die Stimmung noch mehr anheizte, und nach der dezenten Tischmusik folgte dann auch der Tanz, der mit dem Brautwalzer eröffnet wurde. Und wie konnte es anders sein, als daß Emi dann den Brautstrauß auffing, allerdings mehr darauf bedacht, daß das herrrliche Gebinde keinen Schaden nahm.

»Zu unserer Zeit wurde dann auch ein Stück aus dem Schleier dazugegeben«, sagte Barbara.

»Mein Schleier bleibt ganz«, sagte Eva. »Aber wir schenken Emi einen für ihre Hochzeit.«

»Wir wollten eigentlich nicht so heiraten«, sagte Emi leise.

»Das wäre ja noch schöner«, sagte Eva. »Was meint der Peter?«

»Überredet«, erwiderte der lakonisch, aber mit freudigem Lächeln.

Endlich konnte dann Barbara ihr Hochzeitsgeschenk und die große Überraschung loswerden. Ganz diskret überreichte sie dem jungen Paar einen großen Umschlag.

»Was ist das, Mama?« fragte Bernd. »Mütterliche Ratschläge, wie man eine gute Ehe führt?«

»Was anderes traust du mir wohl nicht zu«, erwiderte sie anzüglich. »Dann mach du auf, Evi.«

Und dann gingen ihnen die Augen über. Es war die Schenkungsurkunde für ein Grundstück.

»Das Geld für das Haus müßt ihr schon selbst aufbringen. Soviel habe ich ja nicht«, sagte Barbara, »aber das Grundstück hat der Papa noch gekauft. Damals war noch kein Gedanke daran, daß da mal gebaut werden dürfte, aber jetzt ist es nahe an die Stadt herangerückt. Und es hat auch seinen Wert.«

»Du sollst an dich denken, Mama«, sagte Bernd. »Wir kommen schon zurecht.«

»Ich denke an euch und meine Enkelkinder«, erwiderte sie. Eva umarmte und küßte sie.

»Gut gemeint von Mama«, sagte Bernd später, »aber so weit von der Stadt?«

»Ich kann es mir schön vorstellen«, sagte Eva träumerisch. »Ein Häuschen im Grünen, ein Spielplatz für die Kinder.«

»Der Chef bietet uns Babysitting inclusive«, sagte Bernd.

»Das ist doch nur so ein Gag«, sagte Eva.

Aber so war es nicht. Dr. Robert Walchow hatte schon ganz konkrete Vorstellungen. Er hatte keine Familie, aber in seinem Unternehmen wollte er sich einen Ersatz dafür schaffen. Das hatte er Annelie inzwischen erklärt.

Mit ihr schien er sich ausnehmend gut zu verstehen.

»Ist das wirklich ernst von Ihnen gemeint, daß Eva und Ingrid ihre Kinder mitnehmen könnten ins Büro?« fragte Annelie stockend.

»Nicht direkt ins Büro, aber ist das nicht ein faires Angebot?« erwiderte er.

»Sie sind anscheinend sehr fortschrittlich«, meinte sie.

»Sie doch auch. Sie sind eine Frau, die mitten im Leben steht, die ein Geschäft führt und doch sehr gut damit fertig wird.«

»Eva war schon erwachsen, als ich allein weitermachen mußte«, sagte sie.

»Und wie gut war es, daß Sie es taten. Sehen Sie, Frau Trewitz, Bernd und Eva sind ein Paar, wie füreinander geschaffen. Was dem einen fehlt, hat der andere. Ich will Ihnen etwas verraten, was ich Sie bitte, für sich zu behalten. Ich habe mir vorgestellt, daß die beiden, wenn ich mal abtrete, vielleicht abtreten muß, bevor es vorausschaubar ist, meinen Betrieb weiterführen. Ich habe keine Erben, ich muß mir welche suchen.«

»Mein Gott, Sie sind doch noch nicht alt«, sagte Annelie.

»Wie alt war Ihr Mann, als er Ihnen so plötzlich genommen wurde?«

Ihr Gesicht überschattete sich. »Darüber sprechen wir jetzt nicht, nicht hier und heute.«

»Verzeihen Sie, es war taktlos.«

»Nein, so meinte ich es nicht. Wir wollen einfach fröhlich sein.«

»Gut, tanzen wir«, sagte er lächelnd. »Ich bin zwar kein guter Tänzer, aber ich wage mich heute sogar auf glattes Parkett.«

»Unser Boß«, staunte Eva. »Ein flotter Mann, Bernd. Wieso ist er eigentlich nicht verheiratet?«

»Frag ihn doch, Schatz«, sagte Bernd. »Vielleicht geht er jetzt auf Freiersfüßen. Sagt man das nicht so?«

»Doch nicht bei Mutti. Mach nicht solche Witze.«

»Spaß muß sein, Liebling. Er macht doch auch Spaß mit dem Angebot, die Babys mitzubringen.«

»Ich glaube nicht, daß es Spaß ist«, sagte Eva. »Aber heute wird nicht darüber diskutiert. Jetzt packen wir’s. Die Flitterwochen warten.«

»Flittertage«, gab er lachend zu­rück. »Die Wochen haben wir schon vorweggenommen. Mit großem Erfolg«, raunte er ihr ins Ohr.

*

»Es war eine wunderschöne Hochzeit«, sagte Loni mit verklärtem Gesicht, als sie ihren Platz in der Praxis wieder einnahm.

»Schon vernommen«, sagte Dr. Norden. »Dann wollen wir mal wieder an die Arbeit gehen, Loni.«

Der Nachmittag in der Praxis war keineswegs romantisch. Da ging es um Magen- und Halsschmerzen, dann wurde Dr. Norden zwischendurch zu einer alten Dame gerufen, die sich bei einem Sturz einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen hatte, und wieder einmal wurde es sehr spät, bis er endlich heimkam.

Da ließ er sich von Fee allerdings gern von der Hochzeit berichten.

Es freute ihn, als er aus Fees Mund hörte, daß die beiden Mütter anscheinend ein »Ei und ein Kuchen« seien.

»Wirklich zwei ungewöhnlich nette Frauen«, sagte Fee. »Und gar nicht großmütterlich.«

»Dabei kommt’s ja nicht aufs Aussehen an«, sagte Daniel schmunzelnd.

»Und die Emi hat hübsch ausgeschaut«, fuhr Fee fort. »Ich finde es sehr nett, daß man sie zur Hochzeit eingeladen hat.«

»Kleinschmidt hat sicher einen wundervollen Blumenschmuck geliefert für seine Lebensretter.«

»Traumhaft, Daniel. Diese Rosen. Zu gern möchte ich auch solche im Garten haben.«

»Komm mir bittschön nicht noch mit einem Gewächshaus daher, Liebes«, seufzte er. »Ich kaufe dir gern jede Woche solche Rosen.«

Sie warf ihm einen schrägen Blick zu und lachte leise. »Du hast doch nie Zeit.«

Aber sie sollte sich geirrt haben. Am nächsten Vormittag, gleich nachdem er den letzten Patienten abgefertigt hatte, fuhr er zur Gärtnerei. Peter und Emi waren noch eifrig beim Arbeiten.

Als Dr. Norden, der herzlichst begrüßt wurde, seinen Wunsch äußerte, setzte Peter eine betrübte Miene auf.

»Da haben wir leider nur ein paar, die jetzt erst am Erblühen sind. Es dauert wieder ein Weilchen, bis die anderen nachkommen.«

»Aber die fünf werden bald aufgehen«, sagte Emi. »Wenn der Herr Doktor damit zufrieden ist?«

»Für heute schon, aber dann möchte ich, daß Sie meiner Frau jede Woche welche schicken. Ich habe ja nicht immer Zeit herzukommen.«

»Einen Dauerauftrag?« staunte Peter.

»Ja, geht das nicht?«

»Ich kann nur hoffen, daß sie gedeihen«, sagte Peter. »Und in drei Wochen ist ja unsere Hochzeit.«

»Ich brauche doch nicht ausgerechnet die Rosen, Peter«, sagte Emi rasch. »Ich kann sie mir hier anschauen.«

Dr. Norden lächelte. »Nun, zur Abwechslung können Sie meiner Frau auch ruhig mal andere schicken. Es ist aber ganz gut, wenn man ab und zu daran erinnert wird, daß auch nach einigen Ehejahren die Liebe jung bleibt, und nicht nur bestimmter Festtage gedacht wird.«

Und wie sehr freute sich Fee, als er mit den fünf Rosenknospen daherkam.

»Mehr waren nicht da, Liebes«, sagte er, »und sie müssen sich noch entfalten.«

»Aber du hast daran gedacht«, sagte sie zärtlich. »Wie lieb von dir.«

»Wenn ich im Trott vertrottele, sag es mir öfter mal durch die Blume«, scherzte Daniel.

»So hatte ich es wirklich nicht gemeint«, erwiderte Fee. »Aber sind sie nicht besonders schön?«

»In ein – zwei Tagen werde ich das erst richtig feststellen können, aber es war schön, feststellen zu können, wie gut der Peter Kleinschmidt und Emi harmonieren. Dann kannst du ja in drei Wochen schon wieder in die Kirche gehen.«

In diesen drei Wochen sollte allerhand geschehen, wovon Fee und Daniel nicht immer Kenntnis bekamen.

*

Barbara Schönberg hatte ihr Versprechen wahrgemacht und ging Annelie im Geschäft zur Hand. Es machte ihr Spaß. Sie hatte ein ganz besonderes Talent, gerade mit den schwierigen Kundinnen zurecht zu kommen. Vielleicht gerade deshalb, weil sie selbst so perfekt aussah und sich nie aus der Ruhe bringen ließ, während Annelie sich manchmal doch persönlich getroffen fühlte, wenn herumgenörgelt wurde.

Es mochte auch sein, daß Barbara gerade bei den älteren Kundinnen mit dem großen Portemonnaie gewissen Neid wegen ihres so gepflegten Aussehens erregte, daß man unbedingt wissen wollte, welche Präparate sie gebrauchte. Da war Barbara keineswegs kleinlich. Einmal war es das, das andere Mal jenes, was sie anpries, aber wie sie es anpries, machte Annelie oft sprachlos.

»Woher weißt du nur so gut Bescheid, Barbara?« fragte sie.

»Ich habe lange die meiste Zeit des Tages damit verbracht, Illustrierte und besonders solche Anzeigen zu lesen, Annelie«, gestand Barbara unumwunden ein. »Und diese Kundinnen, mit denen ich so besonders gut zurechtkomme, haben wahrscheinlich auch nichts anderes zu tun. Aber so langsam sehe ich ein, daß ich einen Beruf verfehlt habe, zu dem ich wirklich tauglich gewesen wäre. Ich fühle mich zwanzig Jahre jünger. Daß wir zusammengekommen sind, ist ein ausgesprochener Glücksfall.«

»Den wir unseren Kindern zu verdanken haben«, sagte Annelie.

»Und die werden sich wundern.«

»Inwiefern?« fragte Annelie ein bißchen zaghaft.

»Sie denken doch sicher, daß wir uns nur so darum reißen, Babysitting zu machen. Die denken sogar, sie können uns hinters Licht führen. Hast du etwa noch nichts bemerkt?«

»Du meinst, daß Eva ein Baby bekommt?« fragte Annelie beklommen.

Barbara lächelte hintergründig. »Sie halten uns für rückständig, Annelie. So was hat man einfach im Gefühl. Und ich kenne doch meinen Sohn. So rasch wäre die Heirat nicht erfolgt, wenn nicht Druck dahinter gewesen wäre. Da wäre erst mal alles genau geplant worden. Das hat er nämlich von seinem Vater. Und Eva ist doch auch nicht versessen darauf gewesen, das reizvolle Verhältnis zu legalisieren. Ich bin ja sehr froh darüber, denn bestimmt wären sie so zusammengezogen, wie das jetzt so üblich ist. Schon wegen der Steuern hätten sie mit der Heirat noch gewartet.«

»Das meinst du?« fragte Annelie bestürzt.

»Sie sind beide clever, Annelie. Ich habe ja nichts dagegen, aber lieber ist es mir doch so. Sag nur nicht, daß du ahnungslos bist.«

»Ich bin nicht ahnungslos«, erwiderte Annelie.

»Ich denke, daß wir so in sechs Monaten unser erstes Enkelkind bestaunen können«, fuhr Barbara fort. »Und sie werden natürlich dumme Gesichter machen, wenn sie es uns diplomatisch plausibel machen wollen und wir sagen, daß es keine Überraschung für uns ist. Aber der gute Dr. Walchow wird schon ein bißchen konsterniert sein.«

»Ich weiß nicht recht. Ich glaube, der hat es auch im Gefühl«, sagte Annelie.

*

So war es. Dr. Walchow hatte seine Zukunftspläne mit Eva besprochen, als sie von ihren Flitterwochen zurückgekehrt war, und er hatte sie ganz schön in Bedrängnis gebracht.

»Das ist alles gut und schön«, sagte sie, nachdem sie tief Luft geholt hatte, »aber in sechs Monaten werden wir ein Baby haben. Genau gesagt, in sechs Monaten und zwei Wochen, wenn der Termin genau stimmt.«

»Sicher wird der Termin stimmen, Eva«, sagte er. Ihre Augen weiteten sich. »Hat meine Mutter Ihnen das verraten?« fragte sie.

»Aber nein, so vertraut sind wir noch nicht, noch nicht«, wiederholte er, »aber ich hoffe, daß sich auch diese persönliche Beziehung entwickeln wird.«

»Jetzt wird mir gleich schwindlig«, murmelte Eva.

»Bloß nicht, dann bekomme ich Bernd auf den Hals. Verschnaufen Sie sich erst mal, Eva. Ein Glas Wasser?«

»Ja, bitte«, erwiderte sie.

»Was Süßes oder was Saures?« fragte er verschmitzt.

Sie griff in ihre Handtasche. »Ich habe immer was zum Knabbern dabei«, erklärte sie.

»Sehr gut. Ich habe auch vorgesorgt. Also das Baby ist eingeplant, Eva. Die Großmütter auch, und mein Vorschlag gilt, daß ein Zimmer eingerichtet wird, damit Sie und Ingrid Ihre Kinder mitbringen können.«

»Ingrid bekommt doch kein Kind, das war Fehlanzeige.«

»Die Fehlanzeige war Fehlanzeige«, sagte Dr. Walchow gelassen. »Die Firma bekommt doppelten Zuwachs.«

»Sie sind wirklich ein komischer Chef«, sagte Eva. »Andere sind sauer.«

»Ich habe eben keine Kinder und freue mich«, erwiderte er, und seine Stimme klang ganz warm. »Ich möchte zuerst mit Ihnen reden, Eva. Bernd hört mehr auf Sie als auf mich, und er tut nur das, was Sie wollen.«

»Oh, er hat schon seinen eigenen Willen«, sagte Eva.

»Aber Sie sind dynamischer. Das zu Ihnen allein gesagt. Natürlich habe ich ein Interesse daran, daß hier alles seinen Gang geht. Es würde mich aus dem Konzept bringen, wenn ein eingespieltes Team zerrissen würde. Es ist gar nicht einfach, die richtigen Leute zu finden, damit der Laden reibungslos läuft. Wir sind ja kein Riesenkonzern, wo die Mitarbeiter einfach austauschbare Nummern sind.«

»In so einem hätte ich auch nicht arbeiten können«, sagte Eva.

»Und Sie sind auch eine Frau, die ihre Vorstellungen hat. Ich will offen sein, Eva. Mir hat es imponiert, daß Sie Beruf und Privatleben auseinanderhalten konnten. lch hatte lange keine Ahnung, was sich zwischen Ihnen und Bernd angesponnen hatte, und als ich Kenntnis davon erhielt, dachte ich, daß es ein Jammer wäre, dies nicht weiter auszubauen. Ich weiß sehr gut, daß Sie für Bernd in gewisser Weise der Motor sind.«

»Er kann vieles, was ich niemals lernen würde«, warf Eva ein.

»Unbestreitbar, aber Sie haben ihn angespornt, weil er Ihre Vielseitigkeit bewundert hat. Das bleibt unter uns. Mit Ihrer Mutter habe ich schon kurz darüber gesprochen, daß ich ja keinen direkten Nachfolger habe, keine direkten Erben sozusagen. Und ich möchte mein Leben auch nicht auf einem Bürosessel beschließen.« Er hob lauschend den Kopf. »Bernd kommt. Wir sprechen ein andermal darüber«, sagte er rasch. »Ich hoffe, daß wir uns einigen.«

Eva brachte ein Lächeln zustande, als Bernd eintrat. »Du kommst, ich verschwinde«, sagte sie. »Ich habe viel zu tun. Der Boß weiß Bescheid, daß wir Nachwuchs bekommen.«

»Und deshalb bin ich herbefohlen?« fragte Bernd.

»Nein, wir haben über andere Dinge zu sprechen«, erwiderte Dr. Walchow.

*

»Und was hat der Boß mit dir besprochen?« fragte Eva, als sie nach Hause fuhren.

»Zuerst die Frage: Wo essen wir heute?«

»Bei Mutti. Mama hatte schrecklich viel zu tun.«

»Meine Mutter, ich krieg mich nicht mehr ein«, seufzte Bernd.

»Wir können aber noch ein paar Besorgungen machen, Schatz, morgen koche ich nämlich für uns. Wir müssen auch mal wieder in der Wohnung was tun.«

»Es soll mir recht sein«, brummte er, »aber wir können auch essen gehen, damit du keine Arbeit hast.«

»Nein, ich koche«, sagte sie energisch. »Also, was hat der Boß mit dir besprochen?«

»Du fällst bitte nicht in Ohnmacht, Liebes«, sagte Bernd.

»Ich sitze gut, und mich kann kaum noch etwas erschüttern«, erwiderte Eva.

»Er hat mich gebeten, ein Treffen mit Annelie zu arrangieren.«

»Großer Gott«, rief Eva aus. »Er wird doch nicht in den zweiten Frühling geraten.«

»Ich glaube, daß er den ersten versäumt hat, Ev. Annelie hat ihm gewaltig imponiert. Aber ein Schlitzohr ist er in gewisser Weise schon. Vielleicht will er sich auch nur hinter sie stecken, damit er uns beide festnageln kann.«

»Also das«, sagte Eva. »Seine Zukunftspläne. Auch das Ehepaar Schönberg soll der Firma erhalten bleiben.«

»Er ist ein bißchen sentimental, Ev. Er hat uns ins Herz geschlossen. Er mag uns, und wir mögen ihn doch auch.«

»Das ist die eine Seite«, sagte Eva sachlich. »Die andere ist meine Mutterschaft.«

Bernd lachte leise auf. »Nicht böse sein, wenn ich lache«, sagte er aber gleich entschuldigend, »aber es klingt ulkig, wenn du das sagst.«

»Manchmal kommt es mir auch komisch vor, weil ich noch gar nichts davon merke. Ist das immer so?«

»Ich weiß es doch nicht. Frag doch mal Dr. Leitner.«

»Mache ich, aber erzähle weiter.«

»Nun ja, er meint, daß du als Nur­hausfrau und Mutter nicht ausgelastet sein würdest.«

»Was durchaus möglich sein könnte. Ich habe ja noch nie ein Kind gekriegt und weiß nicht, wie sich das entwickelt. Und ich habe das dunkle Gefühl, daß unsere beiden Mütter übereingekommen sind, sich nicht als Babysitter mißbrauchen zu lassen.«

»Das Wort ›mißbrauchen‹ ist nicht angebracht, Ev«, sagte er.

»Hart ausgedrückt«, nickte sie, »aber in etwa doch anzuwenden. Sie wollen vielleicht erproben, ob ich mich als Mutter bewähre. Weißt du, sie sind sich so einig, daß ich nicht weiß, was ich dazu noch sagen soll. Ich hätte mir Mama in dem Laden überhaupt nicht vorstellen können, und es ist so, als gehörte sie dorthin.«

»Sie demonstriert, daß sie endlich ihre persönliche Freiheit gewonnen hat«, sagte Bernd ironisch.

»Nein, so sehe ich es nicht«, sagte Eva, »es macht ihr einfach Spaß, etwas zu tun, was man ihr nicht zugetraut hat. Ich finde es toll, und außerdem sollten wir froh sein, daß unsere Mütter sich so gut verstehen.«

»Mir gefällt das auch, aber ganz so haben wir es uns doch nicht vorgestellt, mein Schatz. Gib es zu. Wir haben auf die beiden Großmütter gesetzt, weil du doch fest entschlossen warst, den Beruf nicht an den Nagel zu hängen.«

»Lassen wir das Baby doch erst mal da sein«, sagte Eva.

»Und wenn unser lieber Boß sich so in Annelie verguckt hat, daß er sie heiraten will?«

»Du gehst zu weit, Bernd«, widersprach Eva heftig.

»Meine Güte, Alter schützt vor Torheit nicht«, brummte er.

»Also, da muß ich doch sagen, daß das Wort Torheit erst recht nicht angebracht ist. Meine Mutti ist keine Torheit. Jeder Mann könnte sich die Finger schlecken, der sie bekommt.« Und nach kurzem Nachdenken fuhr sie fort: »Er ist doch ein sehr netter Mensch. Ich mag ihn, Bernd.«

»Ich mag ihn auch, in erster Linie aber als Boß, und nicht als großzügigen Mäzen, der sich Nachfolger anheiraten möchte.«

»Zum Heiraten gehören immer zwei, und Mutti heiratet nicht ein zweites Mal«, sagte Eva. »Du wirst kein Rendezvous vermitteln, verstanden!«

»Ich hatte nie die Absicht.«

»Ich hatte mal den Gedanken, daß er gut zu Mama passen würde«, sagte Eva.

»Sie ist acht Jahre älter als er, und sie würde auf ihre Pension nie verzichten.«

»Und er könnte eine junge Frau heiraten, die ihm noch Erben schenken kann«, sagte Eva.

»Das erzähl ihm mal. Aber eins steht fest, Ev, Erbschleicher sind wir bestimmt nicht. Andere würden ihm bei solchem Vorschlag um den Bart gehen und Luftsprünge machen.«

»Dazu haben wir ihn doch wirklich zu gern, Bernd. Und wenn ich ihn nicht so gern hätte, könnte ich es mir dufte vorstellen, diesen Betrieb zu übernehmen. Du machst das Kaufmännische und ich das Management.«

»Und zwischen zwei Konferenzen stillst du das Baby!«

»Warum eigentlich nicht?«

»Lieber Vater im Himmel, was für eine Frau habe ich geheiratet«, seufzte Bernd.

»Bereust du es schon?« fragte sie spitzbübisch.

»Nie«, erwiderte er.

»Das möchte ich dir auch geraten haben. Tritt auf die Bremse, wir sind da.«

*

»Schau sie dir nur an, Annelie«, sagte Barbara, die am Fenster stand. »Wie glücklich sie sind. Du ahnst ja nicht, wie froh mich das macht.«

»Man sieht es dir an, Barbi«, sagte Annelie, die beschlossen hatte, den Namen etwas zu kürzen. »Ich bin am meisten froh, daß meine Tochter solche Schwiegermutter bekommen hat. Damit kann eine Ehe stehen und fallen.«

»Was meinst du, was ich Bernd erzählen würde, wenn er Evi auch nur ein Härchen krümmen würde?« sagte Barbara. »Aber jetzt zeigen wir ihnen nicht, was wir miteinander reden. Was hast du heute wieder gekocht? Es duftet ja verlockend. Ich bin nur froh, daß ich soviel auf den Beinen bin, sonst würde ich bei deiner Kochkunst aus allen Fugen geraten.«

Den Tisch hatte sie gedeckt, und sonst ging sie Annelie natürlich auch zur Hand. Aber wie sehr genoß sie es, dieses Familienleben, das ihr bewußt machte, was sie doch immer vermißt hatte. Ihre Tage waren so ausgefüllt. Sie hatte Kontakt zu Mitmenschen, sie verdiente selbst Geld, das natürlich auf das Konto der Kinder gutgeschrieben wurde, sie war nie mehr allein und kam gar nicht auf triste Gedanken.

»Du wirst immer hübscher, Mama«, wurde sie von Bernd begrüßt.

»Wir führen ja auch nur erstklassige Präparate«, lachte sie. »Aber Scherz beiseite, mein Junge. Es muß von innen heraus kommen.«

»Ihr zwei!« sagte Eva zu ihrer Mutter indessen. »Was soll ich sonst noch sagen.«

Dann wurde gewechselt. Eva umarmte ihre Schwiegermutter, Bernd seine. »Du bist eine Zauberin, Annelie«, raunte er ihr ins Ohr.

»Macht es dir immer noch Spaß, Mama?« fragte Eva.

»Und wie. Ich komme jetzt erst richtig in Schwung, Kleines. Da geht man auf die Sechzig zu und entdeckt sich jetzt erst selbst.«

»Zwanzig Jahre kannst du glatt leugnen, Mama«, sagte Eva.

»Ihr Schmeichler. Das will ich doch gar nicht. Ich bin froh und ausgefüllt.«

Und dann saßen sie am runden Tisch und ließen es sich schmecken.

»Ja, jetzt müssen wir wohl mal darüber reden, daß wir ein Baby bekommen«, begann Bernd dann.

»Es wird Zeit«, sagte Barbara, während Eva mit ihrer Mutter einen langen Blick tauschte. »Ihr habt doch sonst keine Komplexe.«

»Jetzt sag nur, daß du es schon weißt«, rief Bernd aus.

»Wir haben es uns gedacht«, warf Annelie rasch ein.

»Wir sind schließlich nicht von gestern, und ich habe Annelie auch schon mitgeteilt, warum ich stutzig wurde«, erklärte Barbara. »Aber was sollen wir viele Worte verlieren. Wir freuen uns ja.«

»Wir auch«, sagte Eva leise.

»Das denke ich mir. Sonst hättet ihr ja auch nicht geheiratet, und du wärest nach Holland oder irgendwohin gefahren«, sagte Barbara.

»Mama ist auf dem laufenden«, stellte Bernd fest.

»Meinst du, ich hätte hinter dem Mond gelebt? Bei einem Sohn muß man schließlich auf alles gefaßt sein.«

»Bei einer Tochter auch«, warf Annelie ein.

»Mein Schatz, du siehst, es herrscht wiederum völlige Übereinstimmung«, sagte Bernd. »Habt ihr auch schon Namen ausgesucht?«

»Noch nicht, aber damit können wir uns auch die Zeit vertreiben, wenn ihr keine habt«, erwiderte Barbara gelassen. »Und was das Baby sonst braucht, werden wir auch beschaffen. Ihr könnt noch ganz in euren beruflichen Aufgaben aufgehen. Der gute Dr. Walchow scheint ja schon mit Hangen und Bangen dem Tag entgegenzusehen, an dem Eva ausscheidet.«

»Wie kommst du darauf, Mama?«

»Er hat mir so ein paar Andeutungen gemacht«, sagte nun Annelie, »und natürlich habe ich mit Barbi darüber gesprochen.«

»Natürlich«, ächzte Bernd. »Aber mit uns braucht ihr darüber wohl nicht zu sprechen.«

»Ihr habt ja noch nichts vom Baby erzählt«, erklärte Barbara. »Wir drängen uns nicht auf, damit das klar ist.«

»Das haben wir schon gemerkt«, brummte Bernd.

»Es wird eben ein Siebenmonatskind«, sagte Eva trotzig.

»Das wollen wir doch nicht hoffen«, meinte Barbara. »So kleinlich sind wir doch gar nicht. Also laßt uns mal in Ruhe überlegen, was wir alles vorbreiten müssen.«

»Es hat wirklich noch Zeit, Mama«, sagte Eva.

»Aber wir können so manches ins Geschäft nehmen, was auf die Dauer doch eine große Ersparnis bedeuten würde«, sagte Barbara.

»Sie blickt durch«, staunte Bernd. »Was sagst du, Annelie?«

»Sie ist perfekt«, kam die rasche Antwort.

»Na, dann plant mal schön«, meinte Bernd.

*

»Was macht ihr eigentlich am Samstagvormittag?« erkundigte sich Dr. Walchow bei Bernd, als das Wochenende nahte

»Bestimmt keine Überstunden«, erwiderte Bernd. »Wir müssen unsere Wohnung noch fertig einrichten.«

»Ist ja schon gut«, brummte der Boß, »es geht nicht um Überstunden. Ich brauche Rasierwasser und Seife und so allerlei.«

»Das können wir ja mitbringen«, erwiderte Bernd.

»Ich schaue mich selber um. Danke. Man braucht es ja nicht auszuposaunen.«

»Ist mir auch lieber so, Boß«, sagte Bernd.

»Ich will nicht, daß Eva arbeitet, wenn sie sich nicht wohl fühlt«, sagte Dr. Walchow.

»Sie fühlt sich blendend. So hatte ich es mir auch nicht vorgestellt«, erklärte Bernd.

»Sie kann sich ihre Arbeitszeit aber einteilen.«

»Sagen Sie ihr das bitte selbst. Eva möchte nicht, daß Frau Grabo sich zurückgesetzt fühlt.«

»Mit Frau Grabo ist alles klar. Sie wird ab nächsten Monat nur noch halbtags arbeiten. Ich stelle noch jemanden ein. Bernd, wir sind doch eigentlich schon Freunde. Ich kehre doch den Boß nicht heraus.«

»Aber wir möchten keine Privile­gien. Eva soll sich frei entscheiden können, wenn das Baby da ist.«

»Ich setze sie nicht unter Druck. Ich will nur alle Türen offenlassen. Ich möchte wenigstens mit Ihnen einen langjährigen Vertrag machen.«

»Darüber läßt sich reden«, erwiderte Bernd.

»Gut, am Montag, zehn Uhr.«

»Dann wünsche ich ein schönes Wochenende«, sagte Bernd hintergründig.

»Danke, gleichfalls.«

»Daß ich es nicht vergesse, am Freitag heiratet der Peter Kleinschmidt. Da hätten wir gern frei.«

»Genehmigt.«

Bernd schüttelte den Kopf, als er Eva abholte. »Vielleicht sind wir wirklich blöd, Ev«, sagte er. »Den Boß können wir um den Finger wickeln.«

»Ihm wird es gefallen, daß wir es nicht versuchen, Bernd«, sagte Eva nachdenklich.

»Wenn er an raffinierte Leute geraten wäre, hätte er sich hübsche Läuse in den Pelz setzen können.«

Eva schüttelte den Kopf. »Dazu besitzt er zuviel Menschenkenntnis. Er ist ein feiner Mensch, ein ausgesprochener Glücksfall für uns, meinst du nicht? In einem anderen Betrieb hätten sie uns schon zu verstehen gegeben, daß es so doch nicht gehe.«

»Nun, manchen gibt das auch unser Boß zu verstehen. Er kann auch knallhart sein. Deshalb verstehe ich immer noch nicht, daß er mit uns direkt familiär umspringt. Wir haben uns doch wahrhaftig nicht bei ihm eingeschmeichelt.«

Eva blinzelte schelmisch. »Es ist ja auch nicht von heute auf morgen gekommen. Er hat uns immerhin ein paar Jahre beobachtet.«

»Dich, mein Schätzchen, ich bin ja noch nicht so lange in der Firma wie du. Wenn er jünger wäre, hätte ich wohl harte Konkurrenz zu fürchten gehabt.«

Damit hatte er die richtige Vermutung. Robert Walchow hatte es sich in vergangenen Jahren oft gewünscht, jung zu sein, doch jetzt hatte sich die doch recht schmerzliche Erkenntnis, daß er für Eva einfach zu alt wäre, verflüchtigt. Er hatte Annelie Trewitz kennengelernt. Sie ahnte allerdings nicht, wie oft und mit welchen Wünschen er an sie dachte.

Bernd hütete sich, eine Andeutung zu machen. Eva dachte sowieso nicht daran. Mit wahrem Feuereifer bereitete sie ihrem Ehemann die erste Mahlzeit im eigenen Heim zu, und dann wunderte sie sich selbst, wie gut sie ihr gelungen war.

»Du bist auf jedem Gebiet Extraklasse«, stellte Bernd lobend fest.

Sie bekam einen zärtlichen Kuß, er auch einen. »Weißt du eigentlich, daß wir uns noch nie gestritten haben?« fragte Eva.

»Kommt auch nie in Frage. Wenn wir mal Meinungsverschiedenheiten haben, wird sachlich diskutiert!«

*

Für Annelie begann der Samstag ärgerlich. Es ging gleich recht turbulent los. Anscheinend war überall der Putzteufel in Aktion, und die dazu nötigen Mittel wurden schon in aller Frühe verkauft. Aber dann kamen zwei junge Mädchen, die sich für Lippenstifte und Lidschatten interessierten und danach noch zwei, die Hautcreme verlangten und Barbara damit beschäftigten. Annelie hatte es so nebenbei erfaßt, daß Barbara von den anderen abgelenkt werden sollte, und sie kam gerade zurecht, als die beiden, die zuerst gekommen waren, einiges in ihren Taschen verschwinden ließen.

Für Annelie war so etwas immer fatal. Sie wollte kein Aufhebens davon machen, aber andererseits konnte man so etwas auch nicht durchgehen lassen.

»Findet ihr das richtig?« fragte sie leise, aber sehr bestimmt.

»Was denn?« fragte die Größere frech. »Haben wir schon mal Brüderschaft getrunken?«

»Wenn ihr so erwachsen seid, werdet ihr euch darüber wohl auch im klaren sein, daß das Diebstahl ist. Aber ich vergesse es, wenn ihr alles wieder auf den Tisch legt.«

»Müssen wir uns so was gefallen lassen, Isa?« fragte die Blonde. »So eine Unverschämtheit.«

»Allerdings«, sagte Annelie, immer noch Ruhe bewahrend. »Eine Unverschämtheit von euch, aber ich kann ja auch die Polizei rufen.«

»Und meine Eltern werden Sie verklagen«, zischte die Blonde.

»Oder entsetzt sein«, sagte Annelie.

»Ist was?« fragte Barbara, sich umwendend.

»Paß du lieber auch auf, Barbi«, sagte Annelie, doch da ergriffen die beiden, die Barbara bedient hatte, die Flucht. Barbara kam Annelie zu Hilfe.

»Ruf bitte die Funkstreife«, sagte Annelie.

Und als Barbara zum Telefon ging, bekam Annelie von der Blonden einen heftigen Stoß versetzt, so daß sie rückwärts taumelte, gegen das Regal mit den Nagellackflaschen.

Die beiden Mädchen rannten zur Tür, doch da stand Robert Walchow, der durch die Tür diesen Zwischenfall beobachtet hatte. Er packte die beiden mit hartem Griff an den Armen. Barbara hastete zu Annelie zurück, Robert bekam Hilfe vom Postboten, der ein kräftiger junger Mann war und eines der Mädchen anscheinend kannte.

»Diebische Elster« nannte er sie, und dann kam auch schon der Funkstreifenwagen.

Annelie, noch benommen, murmelte: »Ich wollte es ja so regeln. Diese dummen Dinger.«

»Bereits polizeibekannt«, sagte der Postbote. »Aber sie versuchen es immer wieder. Sind Sie verletzt, Frau ­Trewitz?«

Da merkte Annelie erst, daß sie in eine zerbrochene Flasche gegriffen und sich geschnitten hatte. Das Blut tropfte zu dem Nagellack auf den Teppichboden.

»Jetzt wird erst mal abgeschlossen«, sagte Robert Walchow mit erzwungener Ruhe.

Barbara war blaß, aber sie bewahrte Haltung. Die Polizeibeamten förderten zutage, was die beiden jungen Diebinnen eingesteckt hatten, und das war allerhand.

Annelie mußte ein paar Fragen beantworten, Barbara gab ihren Kommentar aus ihrer Sicht und beschrieb die beiden anderen so genau, daß man nur staunen konnte.

Nach einer halben Stunde herrschte Ruhe.

Die Tür blieb geschlossen. Robert Walchow hatte das Kommando übernommen.

Noch immer hatte Annelie nicht begriffen, wieso er hier war. Hilflos blickte sie ihn an.

»Der teure Teppichboden«, murmelte sie.

»Reg dich nicht auf, Annelie, das kriegen wir schon wieder hin«, sagte Barbara. »Jetzt kriegst du erst mal ein Schnäpschen, und dann holen wir Dr. Norden, damit er deine Hand anschaut.«

»Ach was, ich brauche keinen Arzt.«

»Es könnten Splitter darin sein«, sagte Robert Walchow, »und dieses Zeug ist für eine offene Wunde wohl auch nicht gerade gut.«

Das Schnäpschen war Melissengeist. Barbara rief Dr. Norden an. Robert sorgte dafür, daß Annelie in dem Drehstuhl sitzenblieb.

»Wir müssen doch wieder aufmachen«, sagte sie. »Kunden kommen, die ihre Fotos haben wollen. Die wenigstens dürfen wir nicht verärgern.«

Barbara zog den Vorhang zu dem kleinen Nebenraum zu. »Du bleibst hier sitzen, Annelie. Dr. Walchow paßt auf dich auf«, sagte sie energisch.

Seltsamerweise schien sie gar nicht überrascht, daß er hier erschienen war. Aber darüber dachte Barbara dann erst später nach. Sie war immer geistesgegenwärtig.

Dr. Norden kam, und das war gut. »Da werde ich Sie mal lieber mit in die Praxis nehmen, Frau Trewitz«, sagte er. »Die Hand muß schon richtig behandelt werden.«

»Ich komme mit«, erklärte Dr. Walchow.

Annelie fühlte jetzt starke Schmerzen. Sie sagte nichts mehr. »Ich mache das schon, Annelie«, wurde sie von Barbara noch beruhigt, die dann gleich Bernd und Eva herbeirief.

»Ich wußte nicht, daß man in einer Drogerie auch gefährlich lebt«, sagte Dr. Walchow auf der Fahrt zu Dr. Norden.

»Gestohlen wird überall«, bemerkte Dr. Norden.

»Hätte ich bloß nichts gesagt«, murmelte Annelie. »Sie ahnen ja nicht, was manche alles so nebenbei mitnehmen.«

»Die verführerische Selbstbedienung«, stellte Dr. Norden fest. »Aber diese Mädchen sind schon kriminell.«

»Sie kennen sie?« fragte Dr. Walchow.

»Der Name Isa ist mir sehr gut bekannt«, erwiderte der Arzt. »Die Eltern werden sich freuen, allerdings in Anführungsstrichen. Ehrbare Leute. Der Vater ist pensionierter Postbeamter. Vorzeitig pensioniert, weil er so viel Kummer mit diesem Gör hat. Übrigens war sie mit Kolia befreundet. Deswegen hat sie wohl Ihr Geschäft ausgesucht, Frau Trewitz. Denken kann sie ja nicht viel mit diesem Spatzenhirn.«

»Es muß doch schrecklich für die Eltern sein«, flüsterte Annelie mit schmerzverzogenem Gesicht. »Ich weiß doch, wie die Mitmenschen sind. Unbarmherzig können sie sein. Wenn ich das nur vorher gewußt hätte.«

»Dann hätte wieder Ihr gutes Herz gesiegt, und damit hätten Sie auch nichts besser gemacht«, sagte Dr. Norden.

Aber dann waren sie in der Praxis, und Annelie bekam erst mal eine Betäubungsspritze. Sie merkte gar nicht, daß Dr. Walchow ihre unverletzte Hand hielt. Dr. Norden sah den Mann an und überlegte, wer es wohl sein könnte. Und Dr. Walchow schien seine Gedanken lesen zu können.

Er stellte sich vor. »Dr. Walchow ist Bernd und Evas Chef«, flüsterte Annelie, aber dann konnte sie gar nichts mehr sagen, denn die Betäubung wirkte und lähmte auch ihr Denkvermögen.

Es dauerte ziemlich lange, bis Dr. Norden die Hand von dem harten Nagellack befreit und die kleinen Glassplitter entfernt hatte. Dann wurde die Wunde geklammert und ein steriler Verband angelegt. Dr. Walchow war immer blasser geworden bei dieser Zeremonie.

»Jetzt soll sich Frau Trewitz erst mal eine halbe Stunde erholen«, sagte Dr. Norden. »Können Sie bei ihr bleiben? Ich muß noch einen dringenden Krankenbesuch machen.«

»Ja, natürlich bleibe ich bei ihr«, sagte Dr. Walchow. Unentwegt streichelte er ihre verletzte Hand. Wenn Bernd und Eva ihn so gesehen hätten, wären sie aus dem Staunen wohl nicht herausgekommen.

Aber die beiden waren jetzt in der Drogerie und ließen sich von Barbara berichten, was geschehen war.

Sie konnte es bildhaft schildern, aber sie schilderte Annelie auch als eine Heldin ohnegleichen, ihre eigenen Verdienste mit keinem Wort erwähnend. Und dann sprach sie davon, daß Dr. Walchow gerade zur rechten Zeit gekommen wäre.

»Der Boß?« staunte Eva.

»Er ist ein sehr netter Mann, und er hat anscheinend sehr viel für Annelie übrig«, erklärte Barbara mit größter Gelassenheit. »Es war rührend, wie besorgt er um sie ist. Kinder, das sollten wir ein bißchen fördern.«

»Mama!« rief Bernd warnend aus.

»Warum denn nicht, Junge? Annelie ist im besten Alter, eine hübsche Frau, und er ist ein sehr sympathischer Mann. Eigentlich ist sie für eine Geschäftsfrau zu sensibel.«

»Und du nicht, Mama?« fragte Eva atemlos.

»Nein, ich nicht. Ich habe meine Fähigkeiten entdeckt. Ich bin nicht so sentimental wie Annelie. Nehmen wir mal an, Walchow hätte die Absicht, Annelie zu heiraten, dann behalte ich das Geschäft.«

»Da legst di nieder und stehst nimmer auf«, murmelte Bernd fassungslos.

»Du denkst zu weit, Mama«, flüsterte Eva.

»Ach was, man muß alles einkalkulieren. Von der Buchführung verstehe ich natürlich nichts, aber davon verstand Annelie auch nichts. Dafür müßte man sich jemanden suchen. Und ein paar nette Verkäuferinnen müßten auch eingestellt werden. Mit Cilly war Annelie ja recht nachsichtig und wie schon gesagt, sentimental. Sie ist ja auch ganz nett, aber viel zu umständlich.«

»Mama, ich will ja nichts sagen, aber denkst du auch daran, daß du auf die Sechzig zugehst?« fragte Bernd.

»Mußt du mich daran immer erinnern? Ich habe viel verpaßt. Du brauchst mich doch nicht mehr. Eigentlich hätte ich das viel früher einsehen sollen. Ich fühle mich jetzt im meinem Element. Was sind schon Jahre! Man ist so jung, wie man sich fühlt. Für etwas fühle ich mich allerdings altersmäßig. An eine neue Heirat denke ich nicht. Schön blöd würde ich ja sein, meine gute Pension in den Wind zu schreiben. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

»Besser geht’s nicht«, seufzte Bernd. »Du überraschst uns am laufenden Band.«

Barbara runzelte leicht die Stirn. »Aber wenn Dr. Walchow es wirklich ernst meint, wäre es doch ein Jammer, wenn Annelie nein sagen würde, nur um ihren Prinzipien treu zu bleiben. Gut, ich verstehe es, daß sie eine zweite Ehe nicht in Betracht zog, solange Eva bei ihr lebte. Aber Eva ist ja nun versorgt.«

»Und kochen kann sie auch«, warf Bernd ein.

Barbara lachte hellauf. »Koch nur nicht zu gut, Evi. Mein lieber Mann hat auch schnell Speck angesetzt.«

Eva wurde ihrer Verwirrung Herr. »Weißt du, was du bist, Mama?« fragte sie.

»Sag nur nicht, daß ich eine verrückte Schwiegermutter bin«, entgegnete Barbara.

»Du bist ein Schatz«, sagte Eva und fiel ihr um den Hals. »Du bist die beste Schwiegermutter der Welt.«

Zärtlich strich ihr Barbara über das Haar. »Mit dir ist mir ja auch das große Glück widerfahren, eine goldige, sonnige Tochter zu bekommen«, sagte sie weich. »Was immer ich an Bernd auszusetzen hatte, er hat alles gutgemacht, indem er dich geheiratet hat.«

»Und was hattest du an mir auszusetzen, Mama?« fragte Bernd beklommen.

»Einmal, daß du immer so schrecklich nüchtern warst, zum andern, daß du nicht den geringsten Ehrgeiz gezeigt hast.«

»Wirf mir bitte nicht wieder vor, daß ich nicht meinen Doktor gemacht habe«, sagte er.

»Ich werfe dir ja nichts vor. Eva ist mehr wert als ein Titel.«

»Hast du es gehört, Liebling«, sagte Bernd.

»Du beschämst mich, Mama«, sagte Eva leise.

»Ach was, er hat doch erst Ehrgeiz entwickelt, als er ein sehr tüchtiges Mädchen kennenlernte. Warum soll das nicht gesagt werden. Und dadurch habe ich mich auch aus meinem Trott befreit, Evi. Hattet ihr nicht ein bißchen Angst davor, daß ich die Oma sein würde, die sich in alles einmischt? Das braucht ihr nicht zu fürchten.«

»Wir werden aber gern einen guten Rat annehmen«, sagte Eva nachdenklich.

Barbara betrachtete sie gedankenvoll. »Weißt du, Kind, als Mutter macht man manches falsch, was man später einsieht, aber das gehört nun mal dazu. Es wird alles ausgeglichen durch die Liebe, die man seinem Kind gibt, und davon habt ihr wohl beide nicht zu wenig bekommen.«

»Und ich dachte anfangs immer, ob Bernd wohl nicht zu sehr an seiner Mutter hängt«, sagte Eva leise. »Es hat mich schon ein bißchen geschreckt, wenn er immer sagte, daß er dich mit dem Essen nicht warten lassen könne.«

»Er hätte dich einfach schon früher mitbringen sollen«, erwiderte Barbara. »Aber jetzt muß ich aufmachen, die Leute wollen ihre Fotos abholen.«

»Ich helfe dir«, sagte Eva.

»Und ich schau mal nach Annelie«, sagte Bernd.

»Das brauchst du nicht«, erklärte Barbara. »Überlaß das deinem Chef. Hol mal den kleinen Läufer aus der Wohnung, damit wir den Flecken überdecken können.«

»Zu Befehl, Mama«, brummte er.

*

Langsam konnte Annelie wieder klar denken. »Geht es ein bißchen besser?« erkundigte sich Dr. Walchow. Sie nickte müde. Dann herrschte wieder ein paar Minuten Schweigen.

»Wieso sind Sie eigentlich da?« fragte Annelie.

»Eigentlich wollte ich bei Ihnen einkaufen und dabei unsere junge Bekanntschaft auffrischen«, erwiderte er lächelnd.

»Daß auch so was Blödes passieren muß«, murmelte sie.

»Immerhin war es doch ganz gut, daß ich es kaum erwarten konnte, Sie wiederzusehen«, sagte er mutig.

Da kehrte die Farbe in Annelies Gesicht zurück. »Was gibt es bei mir schon zu sehen«, flüsterte sie.

»Eine ungemein liebenswerte Frau zum Beispiel. Ich wollte Sie fragen, ob wir den Sonntag zusammen verbringen können, Annelie.«

Er war wirklich mutig, aber allzuviel Überwindung hatte es ihn nicht gekostet.

»Haben Sie schon mit den Kindern gesprochen?« fragte Annelie.

»Ich wollte nur Sie fragen«, sagte Robert Walchow.

»Wieso nur mich?«

»Weil ich mich gern mal länger und ungestört mit Ihnen unterhalten möchte.«

»Über Eva und Bernd?«

Er lachte leise. »Nein, nicht über Eva und Bernd. Wir könnten natürlich auch über die beiden sprechen, über so manches andere aber auch.«

»Ich weiß aber nicht, ob Barbara etwas vorhat«, sagte Annelie.

»Vielleicht hilft sie Eva und Bernd beim Einrichten der Wohnung«, sagte er.

»Ja, das wollte ich eigentlich auch«, erklärte sie sofort.

»Sie müssen Ihre Hand schonen.«

Und dann kam Dr. Norden und sagte ihr das auch. »Und kommen Sie ja nicht auf den Gedanken, den Verband abzunehmen«, erklärte er warnend. »Am Montag kommen Sie zu mir, dann schauen wir nach. Sollten die Schmerzen unerträglich werden, nehmen Sie eine Tablette.«

»Ich nehme grundsätzlich keine Tabletten, und so schlimm wird es ja nicht sein. Was meinen Sie, wie oft ich mich schon geschnitten habe.«

Sie erwachte zu alter Energie, und die beiden Männer tauschten einen langen Blick.

»Ich passe auf, daß Frau Trewitz sich in acht nimmt«, erklärte Dr. Walchow. »Kann ich sie jetzt mitnehmen?«

»Nichts dagegen zu sagen«, erwiderte Dr. Norden lächelnd. »Aber wenn ich gebraucht werde, ein Anruf genügt.«

»Haben Sie eigentlich nie ein ungestörtes Wochenende, Herr Doktor?« fragte Annelie.

»Diesmal habe ich Sonntagsdienst«, erwiderte Dr. Norden.

»Dann sagen Sie Ihrer Frau beste Grüße.«

»Werde ich gern tun. Und Sie gönnen sich mal ein bißchen Ruhe, Frau Trewitz.«

Dr. Walchow führte Annelie zu einem Taxi, denn sie waren ja mit Dr. Nordens Wagen gekommen.

»Die paar Meter kann ich auch zu Fuß gehen«, sagte Annelie. »Die Taxifahrer meckern sowieso, wenn sie nur eine kurze Fahrt kriegen.«

»Fühlen Sie sich auch wohl genug?« fragte Dr. Walchow.

»Meinen Beinen fehlt ja nichts«, erwiderte sie, aber sie duldete es dann doch ganz gern, daß er sie stützte. So ein bißchen schwindelig war es ihr noch immer.

»Da ist ein Café«, erklärte er. »Wir könnten uns ein bißchen stärken.«

»Ein Kaffee wäre nicht schlecht«, gestand sie ein. »Mein Mund ist ganz trocken. Das kommt wahrscheinlich von der Spritze. Aber hoffentlich kommt Barbara zurecht. Wissen Sie, die Kunden werden sauer, wenn sie ihre Bilder nicht bekommen. Das andere Zeug können sie ja auch woanders kaufen.«

»Frau Schönberg wird das schon machen«, sagte Dr. Walchow. »Sie hat gute Nerven.«

»Barbi ist überhaupt eine tolle Frau«, sagte Annelie. »Das müssen Sie doch auch festgestellt haben.«

»Ich habe mich noch nicht so intensiv mit ihr befaßt«, erwiderte Robert hintergründig.

»Das sollten Sie aber. Sie hat Format, wie Sie auch.«

»Oh, herzlichen Dank für das Kompliment, aber ich befasse mich lieber mit Ihnen, Annelie.«

»Wieso?« fragte sie.

»Sie haben auch Format, und außerdem gefallen Sie mir alles in allem.«

»Jetzt bringen Sie mich aber ganz hübsch in Verlegenheit, Herr Doktor.«

»Sagen Sie doch nicht Doktor«, wehrte er ab.

»Soll ich Boß sagen, wie die Kinder?«

»Ich heiße Robert. Ich sage Annelie, und Sie sagen einfach Robert.«

»Und was sollen die Kinder dazu sagen?«

»Müssen wir die fragen?«

»Es ist ein bißchen komisch«, sagte sie leise.

»Ganz im Gegenteil.« Er legte seine Hand auf ihre. »Haben nicht auch wir Älteren ein bißchen Recht auf Glück, Annelie?«

Sie sah aus wie ein verwirrtes junges Mädchen und war Eva so ähnlich, daß er sie am liebsten gleich in die Arme genommen hätte. Und sie ­schien zu ahnen, daß er an Eva dachte.

»Waren Sie verliebt in Eva, Ro­bert?« fragte sie stockend.

»Verliebt nicht«, erwiderte er. »Sie verkörperte das Bild eines Mädchens, von dem ich vergeblich geträumt habe. Es ist manchmal seltsam im Leben, Annelie. Ein Augenblick kann entscheidend sein. Damals war ich auch jung, und ich verbrachte mit meinen Eltern einen Urlaub im Salzkammergut. Es war der erste Urlaub nach dem Krieg. Und es war am Wolfgangsee, als ich ein Mädchen sah, das mir so gefiel, daß ich es kennenlernen wollte. Aber als ich den Mut gefaßt hatte, kam ein anderer Mann, legte den Arm um sie und ging mit ihr davon. Nie wieder bin ich einem solchen Mädchen begegnet, bis ich Eva kennenlernte. Über das Suchen hatte ich die Jahre vergessen, und dann wurde der Beruf mein Lebensinhalt. Und dann lernte ich nun Sie kennen, die etwas ältere Ausgabe von Eva, ein lebendig gewordenes Traumbild. Ist es schlimm, wenn ich es so offen sage, daß ich es festhalten möchte, damit nicht wieder ein anderer kommt?«

Sie schaute ihn mit fragenden Augen an.

»Am Wolfgangsee, sagten Sie. Dort haben wir unsere Flitterwochen verbracht. Es ist fünfundzwanzig Jahre her.«

Ein Zucken lief über sein Gesicht. »Dann waren Sie es, Annelie, vor fünf­undzwanzig Jahren. Ich dachte nur an eine Ähnlichkeit«, fügte er leise hinzu.

»Aber so was gibt es doch gar nicht, höchstens in Romanen«, flüsterte sie.

»Das Leben schreibt die besten und die schönsten Romane«, sagte Robert leise. »Jedenfalls für mich, jetzt, da ein Traum Wirklichkeit werden könnte.«

Annelie schloß die Augen. »Sagen Sie nur nicht, daß es keine anderen Frauen gegeben hat«, murmelte sie.

»Es hat verschiedene gegeben, aber es kam eine Enttäuschung nach der anderen«, gab er zu. »Und als sich Eva bei mir vorstellte, lag eine Generation zwischen uns. Aber ich habe sie gemocht von Anfang an, und wenn sie sich in den Falschen verliebt hätte, wäre ich wie ein Löwe dazwischengesprungen. Und nun habe ich das Mädchen von damals wiedergefunden. Es ist wunderbar.«

»Ich habe eine sehr glückliche Ehe mit Evas Vater geführt«, sagte Annelie leise. »Ich habe nie an einen anderen Mann gedacht.«

»Ich verlange auch nicht, daß Sie ihn aus der Erinnerung streichen, Annelie. Aber schön wäre es schon, wenn ich mir auch einen Platz in Ihrem Herzen erobern könnte. Es wäre wunderschön.«

»Daß es so etwas gibt«, flüsterte sie.

Er nahm ihre gesunde Hand und zog sie an seine Lippen. »Du bist Wirklichkeit, Annelie. Laß mir die Hoffnung, daß auch ein Jugendtraum nach vielen Enttäuschungen Wirklichkeit wird.«

»Aber warum waren es denn nur Enttäuschungen?« fragte sie beklommen.

»Es war einfach nicht das, was ich suchte. Und jetzt habe ich es gefunden.«

Annelie schwieg, aber sie duldete es, daß er ihre Hand festhielt. Ja, es machte sie glücklich.

»Aber das dürfen die jungen Leute nicht erfahren«, sagte sie mit einem träumerischen Lächeln. »So was verstehen sie nicht.«

»Es kann gern unser Geheimnis bleiben«, sagte Robert.

»Aber es wirft ganz hübsche Probleme auf«, sagte sie nachdenklich.

»Wieso?«

»Ich werde Großmutter, Barbara auch, und wir wollten doch das Geschäft gemeinsam führen…«

»Und ich würde sehr gern Großvater werden, da ich es bis zum Vater nicht gebracht habe.«

Seine Stimme klang rauh, und Annelie konnte es nicht verhindern, daß ihre Augen feucht wurden.

»Es ist alles ein bißchen viel auf einmal«, flüsterte sie, »aber wir könnten ja morgen darüber sprechen. Sie brauchen –«, nach kurzem Zögern verbesserte sie sich rasch, »du brauchst ja niemanden zu fragen, Robert, aber bei mir ist es halt doch ein bißchen anders. Ich möchte auch Barbara nicht enttäuschen. Sie hat sich so spontan bei mir im Geschäft engagiert, und wir verstehen uns auch prächtig. Jetzt hast du mich tatsächlich in einen Zwiespalt gebracht«, fügte sie dann mit einem scheuen Lächeln hinzu.

»Ich lasse nicht mehr locker, Annelie. Jetzt weiß ich ja, wo meine Traumfrau wohnt, wo ich sie finden kann.«

*

»Also in der Praxis ist niemand mehr«, sagte Bernd, als er den Hörer auflegte.

»Sie werden Annelie doch nicht in die Klinik gebracht haben«, sagte Barbara besorgt.

»Mutti geht nicht in die Klinik, wegen so etwas nicht«, sagte Eva.

»Dann hat Dr. Walchow sie entführt«, sagte Barbara anzüglich.

»Mach nicht solche Witze, Mama«, sagte Bernd. »Ich wußte nicht, daß du so eine blühende Phantasie hast.«

»Na, wir werden es ja sehen«, meinte Barbara gelassen. »Den Laden können wir jetzt schließen.«

»Da kommen sie ja!« rief Eva aus. »Arm in Arm, der Boß und Mutti. Ich kriege mich nicht mehr ein. Aber jetzt entwindet sie sich.«

»Fangt bloß nicht zu flachsen an«, sagte Barbara warnend.

»Hallo, da bin ich«, sagte Annelie.

»Hallo«, schloß Robert Walchow sich an. »Ich bringe die Mutti wohlbehalten zurück. Es geht wieder.«

Es herrschte kribbelnde Spannung, aber alt und jung waren bereit, dies zu ignorieren, als Barbara sagte: »Dann können wir ja essen gehen. Zum Kochen wird wohl keiner Lust haben.«

»Wohin gehen wir?« fragte Annelie fast zu schnell.

»Zum Bären«, schlug Eva vor. »Da gibt es Pfifferlinge, die mag Mutti besonders gern.«

»Ist es weit?« fragte Robert

»Mit dem Auto zehn Minuten«, erwiderte Eva, seinem Blick ausweichend, denn irgendwie kam er ihr verändert vor, so merkwürdig jung und unsicher.

»Dann fahre ich mit euch, und Annelie kann mit Dr. Walchow fahren«, schlug Barbara forsch vor.

Und dabei blieb es. »Sie hat schon was gemerkt«, sagte Annelie verlegen, als sie sich zu Robert setzte.

»Ist das schlimm?« fragte er.

»Man scheint es uns anzusehen.«

»Um so besser. Hoffentlich hast du Appetit, Annelie.«

»Bitte, vermeide das Du«, flüsterte sie.

»Wir werden das schon hinbiegen«, meinte er.

»Also, damit habe ich wirklich nicht gerechnet«, sagte Eva im anderen Wagen. »Eine komische Situation.«

»Ihr seid doch sonst so clever«, sagte Barbara, »zeigt euch von der nettesten Seite.«

»So souverän wie du bist, ist nicht jeder, Mama«, stellte Eva fest.

»Dann ist es ja gut, daß ich mich der Situation gewachsen zeige. Ich weiß gar nicht, warum es euch irritiert. Meint ihr, die älteren Jahrgänge könnten sich nicht verlieben?«

»Jetzt ist es aber genug«, brummte Bernd. »Der Gedanke, daß sich unser Boß auch zum Großpapa unseres Kindes erheben könnte, ringt mir kein Lachen ab.«

»Und warum denn nicht?« fragte Barbara.

»So übel ist die Idee wirklich nicht«, warf Eva ein. »Lassen wir doch alles an uns herankommen, Bernd. Es braucht doch nicht gleich so ernst zu sein.«

»Wenn Annelie stur ist, könnte er sich grämen, und dann ist unsere schöne Harmonie futsch«, meinte Bernd.

»Man muß doch nicht gleich negativ denken«, sagte Barbara. »Wenn Annelie Komplexe hat, werde ich sie ihr schon austreiben.«

*

Es ging jedoch alles viel besser, als vorauszusehen war. Dafür sollte Barbara und Robert besonderer Dank gebühren, aber den beanspruchten sie freilich nicht.

»Ich habe mir erlaubt, Annelie für morgen zu einem Ausflug einzuladen«, erklärte Robert. »Ich hoffe, daß die übrige Familie nichts dagegen hat. Beim Wohnungseinrichten kann sie ja nicht helfen, und für den heutigen Schrecken soll sie ein bißchen entschädigt werden.«

»Eine sehr gute Idee«, sagte Barbara sofort. »Wer könnte dagegen etwas einzuwenden haben.«

»Kuppelmutter«, raunte ihr Bernd später zu.

»Da braucht keiner zu kuppeln«, gab sie zurück. »Das läuft wie geschmiert.«

»Was du dir für eine Ausdrucksweise angewöhnt hast«, sagte er anzüglich.

»Die Umgangssprache, wenn man unter Menschen ist. Fang jetzt nur nicht damit an, mir Vorschriften machen zu wollen, Bernd.«

»Ich werde mich hüten. Aber wir machen morgen auch einen Ausflug.«

»Gut, dann sagt ihr mir, was in der Wohnung zu tun ist.«

»Das könnte dir so passen. Du kommst natürlich mit. Wir wollen uns endlich mal unser Grundstück ansehen und überlegen, was man da hineinstellen kann.«

»Eine wirklich gute Idee«, sagte Barbara.

*

Robert Walchow hatte sich dann bald verabschiedet. Annelie war doch recht müde.

»Na, wann startet ihr denn morgen, Mutti?« fragte Eva.

»Er holt mich um zehn Uhr ab. Ihr habt doch nichts dagegen?« fragte sie ängstlich.

»Ich glaube nicht, daß die Kinder uns um Erlaubnis gefragt haben, wenn sie Verabredungen trafen«, warf Barbara ein.

»Jetzt gehen wir jedenfalls ins Kino, die Karten haben wir schon reservieren lassen«, erklärte Bernd.

»Na, dann viel Spaß«, sagte Barbara.

»Ja, viel Spaß«, sagte auch Annelie.

»Ich bleibe bei Annelie und gucke in die Röhre. Es kommt ein Quiz«, erklärte Barbara. »Ihr könnt mich dann morgen hier abholen, wenn ihr es euch nicht anders überlegt.«

»Schlaf gut, Muttichen, und gute Besserung«, sagte Eva leise. »Und morgen viel Spaß, Annelie«, fügte Bernd hinzu.

»Sie machen sich wohl über mich lustig«, meinte Annelie bekümmert, als sie die beiden draußen lachen hörte.

»Nun ja, es könnte sein, daß es ihnen erheiternd erscheint, daß du ihre zukünftige Chefin werden könntest«, meinte Barbara verschmitzt, »aber ich fände es toll, Annelie. Ich mache uns jetzt einen Tee, wir können doch noch ein bißchen plaudern. Oder bist du müde?«

»Nein, nur ein bißchen durcheinander.«

»Er ist ja auch ein Mann, der sehr beeindruckt!«

»Dich auch?« fragte Annelie beklommen.

»Ich sehe das schon aus einer anderen Warte. Reden wir doch mal offen darüber, Annelie. Schau, ich war fast dreißig Jahre verheiratet, und mein Mann war nicht so leicht zu nehmen. Er war halt ein richtiger Jurist. Es gab nicht viel zu lachen. Das kann ich jetzt alles nachholen, genauso wie Bernd, der auch erst Humor zeigt, seit er Eva kennt. Jetzt habe ich die Pension. Ich kann sehr gut davon leben. Du hättest dich mit deiner wahrscheinlich mächtig einrichten müssen.«

»Es wäre ziemlich kärglich gewesen«, gab Annelie zu, »deshalb habe ich ja auch das Geschäft weitergeführt.«

»Und immer nur für Eva gespart, ich weiß Bescheid. Du warst erst acht­unddreißig, als dein Mann starb, da starten manche Frauen erst in die Ehe und bekommen noch Kinder. Da habe ich mit meinem Mann herrliche Reisen gemacht, und ich mußte mir nie Sorgen machen, abgesehen von den Nachkriegsjahren. Aber da ging es doch allen gleich. Freilich wäre es mir auch lieber gewesen, wenn Fritz länger gelebt hätte. Aber bei dir liegen die Dinge doch ganz anders. Und nun kommt ein Mann daher, der im Alter zu dir paßt, der gut aussieht, der in gesicherten Verhältnissen lebt und ein sehr sympathischer Mensch ist. Ich habe schon bei der Hochzeit gemerkt, daß er nur Augen für dich hat.«

»Ich habe es nicht bemerkt, und es gibt da noch etwas, was mich tief bewegt, Barbi. Ich erzähle es nur dir. Du darfst es den Kindern auf keinen Fall wiedererzählen. Aber ich muß unentwegt daran denken, wie so was möglich ist. Stell dir vor, er hat mich schon mal gesehen, vor fünfundzwanzig Jahren am Wolfgangsee. Da war ich gerade frisch verheiratet und auf der Hochzeitsreise.«

»Ihr hattet euch kennengelernt?« staunte Barbara.

»Nein, das nicht.« Annelie erzählte, was sie von Robert erfahren hatte. Ganz versunken saß Barbara da, und unwillkürlich hatte sie die Hände gefaltet.

»Das klingt ja wie ein Märchen«, sagte sie gedankenverloren.

»So kommt es mir auch vor.« Annelies Stimme bebte.

»Und da kannst du noch zögern oder gar zweifeln? Mein Gott, Annelie, welcher Frau passiert schon so etwas. Und davon träumt doch insgeheim jede, die ein Herz hat.«

»Aber solch ein Mann verdient es doch auch, sehr geliebt zu werden«, sagte Annelie sinnend. »Und ich habe meinen Mann geliebt.«

»Und warum solltest du ihn nicht auch lieben?« fragte Barbara. »Es ist ein anderer Mann, und es ist eine andere Liebe. Damals warst du zwanzig, jetzt bist du vierundvierzig. Und du hast nach dem Tod deines Mannes dein Leben wieder selbst in die Hand genommen, Annelie.«

»So siehst du das?«

»Wie sollte ich es sonst sehen? Soll ich dir Moral predigen und dir weise Vorträge halten? Ich würde mir lächerlich vorkommen. Du bist vierzehn Jahre jünger als ich, und wir verstehen uns einmalig gut. Wir haben das große Glück, daß unsere Kinder sich ehrlich lieben, und die haben das Glück, daß sie einen Chef haben, der keine Maschine ist, kein Computer, ein Mann, der sich Träume bewahrt hat und deshalb jung geblieben ist. Und dieser Mann hat dir sein Herz geschenkt, das fühlt man doch.«

»Ich mag ihn ja auch«, sagte Annelie leise.

»Dann genieße den morgigen Tag.«

»Und wenn es doch Probleme mit den Kindern gibt?«

»Ich bin schließlich auch noch da, Annelie.«

»Was würde ich jetzt nur machen, wenn du nicht da wärst«, sagte Annelie zaghaft.

»Wenn du noch lange so redest, komme ich mir wie eine Urgroßmutter vor«, lachte Barbara. »Weißt du was, jetzt trinken wir einen Schampus. Um das Geschäft brauchst du dir doch keine Gedanken zu machen. Das übernehme ich.«

»Du bist nicht zu bremsen, Barbi«, staunte Annelie.

»Jeder lebt auf seine Weise.« Und dann knallte der Sektkorken. »Auf deine Zukunft, Annelie«, sagte Barbara herzlich, »den guten Robert eingeschlossen.«

»Und was soll ich dir wünschen? Ich weiß doch, wieviel Ärger der Laden mit sich bringt.«

»Er steht doch nicht unter Denkmalschutz. Wenn es mir zuviel ist, werden wir schon einen Nachfolger finden.«

*

Robert war pünktlich gekommen, sogar vor der Zeit. Barbara hatte Annelie frisiert, weil sie mit der verletzten Hand nicht gut zurechtkam. Sie hatte ihr auch einen Hauch Make-up auf das recht blasse Gesicht gelegt und die Lippen nachgezogen. Sie hatte auch entschieden, daß Annelie das helle Kostüm und die zartgrüne Seidenbluse anziehen sollte. Beinahe wäre Annelie dann in den Hauspantöffelchen losmarschiert, aber auch das merkte Barbara noch rechtzeitig.

Und dann wurde sie auf beide Wangen geküßt. »Ich würde mich auch in dich verlieben, wenn ich ein Mann wäre«, sagte Barbara aufmunternd.

Und dann saß Annnelie wieder neben Robert. Fürsorglich befestigte er den Sicherheitsgurt.

»Hat die Traumfrau Wünsche?« fragte er.

»Nein«, erwiderte sie verlegen.

»Und wie lange hat sie Ausgang?« fragte er.

»Ich habe den Hausschlüssel«, gab sie lächelnd zurück.

»Fein, was machen die Kinder?«

»Einen Ausflug mit der anderen Großmama.«

»Das mußt du jetzt natürlich betonen, Annelie. Aber du bist bestimmt die bezauberndste Großmama, die man sich vorstellen kann.«

»Wenn ich daran denke, bin ich schon ganz aufgeregt«, sagte sie.

»Ich auch. Was meinst du, wird es ein Junge oder ein Mädchen?«

»Mir ist das gleich.«

»Mir auch. Sie bekommen ja bestimmt mehr Kinder.«

»Aber mit Evas Karriere rechnest du auch.«

»Die wird sie auch machen, wenn sie ein Dutzend Kinder bekommt. Sie ist einfach prädestiniert dafür«, erwiderte er.

»Geheimnist du da nicht etwas in sie hinein, Robert?« fragte Annelie, und sie wunderte sich, wie leicht ihr sein Name über die Lippen kam.

»Da kannst du dich auf mich verlassen, Annelie. Dafür habe ich einen Blick. Aber vielleicht macht Bernd die Karriere für sie. Auf jeden Fall wird sie dahinterstehen. Sie ist ein Intelligenzbündel.«

»So habe ich sie nie gesehen«, sagte Annelie gedankenvoll.

»Mütter haben immer eine unbestimmte Angst, daß ihre Kinder irgendwie auf Abwege geraten, willst du das leugnen?«

»Nein. Sie war immer sehr ­hübsch«, sagte Annelie.

»Meine Mutter hatte auch Angst, daß aus mir nichts wird, weil ich zu sehr zum Träumen neigte. Glücklicherweise hat sie es noch erlebt, daß aus ihrem Sohn etwas geworden ist. Wollen wir das Grab deines Mannes besuchen, Annelie? Zufällig ist das Grab meiner Eltern auf dem gleichen Friedhof.«

»Woher weißt du das, Robert?« fragte Annelie leise.

»Ich habe Eva mal getroffen, als sie Blumen brachte. Es ist seltsam, daß wir uns dort nie getroffen haben.«

»Ich hatte immer nur am Sonntag Zeit«, erwiderte sie.

»Dann können wir jetzt gemeinsam hingehen«, sagte er. »Wir werden ihn nicht vergessen, Annelie, das verspreche ich dir. Ich bin ihm dankbar, daß er dich nicht enttäuscht hat.«

Da lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. »Dich muß man ja liebhaben«, sagte sie innig.

*

Barbara war mit dem jungen Paar zu dem Grundstück gefahren. Es lag inmitten von großzügigen Bungalows, durchaus nicht am Ende der Welt, wie Bernd gemeint hatte.

»Das ist ja riesengroß«, staunte er. »Da kann man ja drei Häuser hineinstellen.«

»Ich habe mich schon erkundigt, wie die Preise jetzt liegen«, erklärte Barbara in aller Ruhe. »Ihr könnt die Hälfte verkaufen und damit das Haus bauen.«

»Mutti hat einen Bausparvertrag über hundertfünfzigtausend Euro für mich abgeschlossen«, sagte Eva. »Der ist auch zuteilungsreif.«

»Ihr könnt machen, was ihr wollt«, sagte Barbara.

»Wir dachten, daß ihr dann vielleicht zu uns ziehen würdet, wenn wir mal gebaut haben«, sagte Eva.

»Das schlagt euch mal aus dem Kopf.«

Darauf herrschte ein etwas betretenes Schweigen.

»Wir verstehen uns doch aber so gut, Mama«, sagte Eva.

»Und das soll auch so bleiben. Ich gebe meine Wohnung nicht auf. Daran hänge ich.«

»Und am Geschäft hängst du auch schon«, sagte Bernd mit leisem Vorwurf.

»Ja, es gefällt mir.« Barbara lächelte in sich hinein. »Übrigens wohnt euer Boß gar nicht so weit entfernt von hier«, fuhr sie fort.

»Was du alles weißt«, sagte Bernd.

»Na ja, wenn man die Adresse kennt, ist das leicht festzustellen.«

»Möchtest du dir anschauen, wo er wohnt?« fragte Bernd anzüglich. »Er hat keine Villa. Er bewohnt eine Maisonettewohnung.«

»Was soll ein alleinstehender Mann auch mit einer Villa«, sagte Barbara leichthin. »Ein großer Garten macht Arbeit. Fritz wollte auch keinen Garten haben.«

»Man hängt wirklich viel Zeit daran«, sagte Bernd.

»Nun, ihr könnt das Grundstück auch verkaufen und euch dafür eine schicke Wohnung kaufen«, sagte Barbara gleichmütig.

»Nein, ich möchte einen Garten«, sagte Eva.

»Peter Kleinschmidt kann uns ja beraten, was nicht so viel Arbeit macht und doch hübsch aussieht«, sagte Bernd.

»So ist es, mein Junge«, sagte Barbara. Dann tauschte sie mit Eva einen Blick, und beide lächelten mit leisem Triumph.

*

Robert hielt vor einem Bauernhaus an. Es war alt, aber sehr hübsch eingerichtet.

»Hier bin ich aufgewachsen«, sagte er.

»Dein Vater war Landwirt?« staunte Annelie.

»Schön wäre es gewesen«, sagte Robert. »Er war Ornithologe. Er hat es sogar bis zum Professor gebracht, und hier hat er alles niedergeschrieben, was er erforscht hat. Und während er in der Welt herumreiste, um alle Vogelarten zu erforschen, lebte ich mit meiner Mutter hier bei den Großeltern. Aber es war eine herrliche Kindheit, Annelie, auch wenn ich meinen Vater nur Onkel nannte, weil er so selten kam. Später, als ich erwachsen war, haben wir uns gut verstanden, aber so richtig habe ich nie begriffen, daß meine Mutter ihm treu bleiben konnte. Aber sie hat ihn wohl bewundert.«

»Ich bewundere dich auch«, sagte Annelie leise.

»Nein, das will ich nicht. Bitte nicht, Annelie. Ich brauche einen Menschen, der mich versteht, der mich den nüchternen Alltag vergessen läßt. Wir handeln mit Maschinen.«

»Davon verstehe ich sowieso nichts«, sagte sie.

»Das ist ja das Gute. Ich möchte es jetzt gern den Jungen überlassen. Ein bißchen werde ich noch mitmischen, aber ich habe viel nachzuholen. Mit dir, Annelie!«

»Wie stellst du dir das vor, Robert. Ich weiß doch, was das für ein Unternehmen ist.«

»Ich wollte dir vorschlagen, ein paar Wochen mit mir zu verreisen. Ich habe schon ewig keinen richtigen Urlaub mehr gemacht. In dieser Zeit kann sich Bernd bewähren, und wenn es nicht ganz hinhaut, springe ich wieder ein.«

»Du traust ihm viel zu«, sagte Annelie nachdenklich. »Er ist noch jung.«

»Ein Mann, der eine Frau wie Eva heiratet, dem muß man einiges zutrauen, sonst geht es eines Tages schief in der Ehe. Dann wird sich nämlich Eva überlegen zeigen.«

»Liebe Güte, an was du alles denkst.«

»Ich habe die beiden unter die Lupe genommen. Eva ist die Stärkere.«

»Barbi hat auch schon etwas ähnliches gesagt. Erst Eva hätte Bernd angetrieben.«

»Sagen wir es mal so: Er wollte sich nicht von ihr in den Schatten drängen lassen. Er weiß ungeheuer viel, aber er hatte nicht Evas Ausdauer. Sie ist eine richtige Eva, Annelie. Sie würde es ihm niemals zeigen, daß sie vieles besser weiß, und ich meine, es kommt auch gar nicht darauf an, wer nun eigentlich das Sagen hat. Sie lieben sich. Und ich liebe dich.«

»Ich bin bestimmt nicht die Stärkere«, flüsterte Annelie.

»Du hast den Lebenskampf unter weitaus schwierigeren Bedingungen bestanden als ich. Ich bewundere dich.«

Er legte seine Hände um ihr Gesicht, und sie blickte ihn aus leuchtenden Augen an.

»Dann bewundern wir uns eben gegenseitig«, sagte sie mit dem ihr eigenen Charme. »Und ich habe dich auch sehr lieb, Robert.«

Seine Lippen preßten sich an ihre Schläfe. »Komm, Annelie, ich zeige dir das Haus.«

Sie fand es wunderschön. »Das wäre auch so ein Jugendtraum von mir gewesen«, sagte sie gedankenverloren.

»Dann erfüllen sich all unsere Träume«, sagte er. »Wann verreisen wir?«

»Müssen wir denn verreisen? Hier ist es doch auch schön.«

»Dann verbringen wir eben ein paar Wochen hier, wenn du willst.«

»Ich muß erst mit Barbara sprechen.«

»Sie ist auf unserer Seite, das fühle ich.«

»Ja, du hast recht. Sie hat mir gestern einen langen Vortrag gehalten.«

»Ich werde ihr dafür danken«, sagte Robert lächelnd. »Und nun gehen wir essen und reden über unsere Kinder und Enkel.«

*

»Wollt ihr nicht bleiben?« fragte Barbara, als sie wieder zu Hause waren.

»Und heute abend vielleicht noch Verlobung feiern?« fragte Bernd ironisch. »Ich werde morgen erst mal mit dem Boß einen Vertrag machen. Um zehn Uhr kannst du an mich denken, Mama. Ich lasse mich nicht kaufen.«

Eva drehte sich zu Barbara um und kniff ein Auge zu. Überlaß das mal mir, bedeutete das.

»Du kannst dir ja eine andere Stellung suchen«, sagte Barbara anzüglich. »Fragt sich nur, ob du noch mal solchen Chef findest.«

»Sag Mutti liebe Grüße, falls du sie noch siehst«, sagte Eva.

Barbara blieb nur eine halbe Stunde allein, dann kamen Annelie und Robert.

»Die Kinder sind nicht geblieben?« fragte Annelie enttäuscht.

»Bernd hat morgen eine wichtige Besprechung mit dem Boß, da muß er ausgeschlafen sein«, erwiderte Barbara.

»Dann können wir uns ja noch unterhalten«, sagte Robert. »Ich weiß bereits, daß Sie uns wohlgesinnt sind, gnädige Frau.«

»Du kannst ruhig du zu mir sagen, Robert. Um Annelies Hand brauchst du aber bei mir nicht anzuhalten. Gut, daß wir noch Sekt im Hause haben, Annelie. Wie geht es deiner Hand?«

»Ich merke gar nichts mehr. Du bist ein Schatz, Barbi.«

»Ganz meinerseits«, sagte Robert und küßte Barbara die Wange.

»Was haben die Kinder denn so gesprochen?« fragte Annelie zögernd.

»Sie waren sehr zurückhaltend. Es scheint ihnen so langsam klarzuwerden, daß man auch in fortgeschrittenen Jahren noch gewisse Ansprüche ans Leben stellen kann. Wir waren auf dem Grundstück. Es ist tatsächlich sehr groß. Guter Gott, wenn ich mir vorstelle, was es damals gekostet hat, als Fritz es kaufte, da könnte ich mich ärgern, daß er nicht noch viel mehr gekauft hat.«

Sie legte eine Verschnaufpause ein und erklärte dann dem aufhorchenden Robert, daß das Grundstück nahe seiner Wohnung liegen würde.

»Da muß man jetzt schon eine beträchtliche Summe auf den Tisch legen«, meinte er.

Barbara nickte. »Die Kinder können ja die Hälfte verkaufen und damit den Bau finanzieren. Bernd wird darüber natürlich erst noch Monate brüten. Und inzwischen steigen die Baupreise noch mehr.« Dann wechselte sie rasch das Thema und fragte ganz direkt, was Robert und Annelie sich vorgenommen hätten.

»Wir werden erst mal einen Urlaub einlegen«, erwiderte Robert.

»Sofern du einverstanden bist«, warf Annelie ein. »Aber wir können auch Betriebsferien machen.«

»Die machen wir, wenn das Baby da ist«, erklärte Barbara. »Jetzt werden wir uns mal nach ein paar netten Verkäuferinnen umschauen. lch habe gestern schon mal in der Zeitung geblättert und denke, daß es nicht zu schwierig sein wird. Wann wollt ihr fahren?«

»Ich werde morgen mit Bernd darüber reden«, erklärte Robert. »Und du vergißt nicht, Dr. Norden aufzusuchen, Annelie.«

»Dafür werde ich schon sorgen«, sagte Barbara.

*

Dr. Norden war zufrieden mit der Hand. »Und den Schrecken haben Sie auch überwunden«, stellte er fest, als er Annelie forschend betrachtet hatte.

Sie errötete. »Ich hatte einen schönen Tag«, sagte sie leise. »Was würden Sie sagen, wenn ich doch noch mal heiraten würde, Herr Doktor?«

»Wenn es der passende Mann ist, kann ich nur Glück wünschen«, sagte er lächelnd. »Darf ich annehmen, daß es sich um Dr. Walchow handelt?« Sie nickte.

»Dann wünsche ich wirklich von Herzen Glück.«

»Sie finden nicht, daß ich zu alt bin?«

Er lachte auf. »Eine hübsche Frau in den besten Jahren darf so etwas doch gar nicht sagen. Im Seniorenheim findet morgen eine Hochzeit statt. Die Brautleute sind beide fünfundsiebzig und wie die Turteltauben.«

»Du lieber Himmel, da würde ich passen«, sagte Annelie.

»Nun, manchmal ist es einfach die Einsamkeit, die auch alte Menschen verbindet, aber das ist doch bei Ihnen überhaupt nicht drin. Da spielen schon ganz andere Gefühle mit. Es gibt Frauen, die in Ihrem Alter noch Kinder bekommen.«

»Nein, das möchte ich doch nicht«, wehrte sie verlegen ab.

Ob Bernd und Eva auch daran denken, überlegte sie auf dem Heimweg. Ein amüsiertes Lächeln huschte über ihr Gesicht.

Dann blieb sie vor einem Schaufenster stehen und betrachtete ihr Spiegelbild, mit dem sie wirklich zufrieden sein konnte, und dann wurde es ihr erst bewußt, daß es ein Juweliergeschäft war. Wie von ungefähr fiel ihr Blick auf silberne Schlüsselanhänger. Und da lag ausgerechnet einer, der die Buchstaben BS aufwies. Nicht eine Sekunde überlegte Annelie, trat ein und kaufte diesen. Damit konnte sie Barbara bestimmt eine Freude machen.

»Du bist ja narrisch«, sagte Barbara. »Ich weiß, was die Dinger kosten.«

»Darüber reden wir aber nicht«, sagte Annelie.

Währenddessen saßen sich Robert und Bernd schon gegenüber. Für Bernd war es ein komisches Gefühl, denn nun mußte er den Boß auch mit familiären Gedanken betrachten. In dessen Augen saß der Schalk.

»Gehen wir es also formell an, Herr Abteilungsleiter«, begann er. »Sie haben sicher konkrete Vorstellungen über Ihre Laufbahn.«

»Bisher bin ich ganz zufrieden«, erklärte Bernd.

»Nun, ich habe es mir so gedacht, daß wir einen Vertrag für die nächsten zehn Jahre machen. Sind Sie mit zehn Prozent Gehaltserhöhung jährlich zufrieden?«

»Mich würde das sehr freuen, wenn bei Ihnen nicht persönliche Überlegungen mitspielen würden«, erklärte Bernd zurückhaltend.

»Dabei bestimmt nicht. Einem Faulpelz würde ich auch im Hinblick auf das künftige familiäre Verhältnis kein solches Angebot machen. Das soll klar sein, Bernd. Ich erwarte selbstverständlich vollen Einsatz. Nun, ich werde mit Annelie Urlaub machen und erteile dir Prokura. Entschuldige, aber mir fällt es schwer, beim Sie zu bleiben. Mit Barbara duze ich mich auch.«

»Von einer möglicherweise ins Auge gefaßten Hochzeit werden wir ja hoffentlich in Kenntnis gesetzt werden«, sagte Bernd anzüglich.

»Sie ist nicht möglicherweise ins Auge gefaßt, sie wird stattfinden und selbstverständlich im Familienkreise. Lassen wir doch das Drumherumreden. Ich liebe Annelie, wenn es in euren Ohren auch fatal klingen mag. Euch kann ich nur wünschen, daß ihr in zwanzig Jahren auch noch solcher tiefen Gefühle fähig sein werdet. Das aber hat mit dem Geschäftlichen nichts zu tun. Es ist ein Glücksfall, daß unsere Zusammenarbeit bisher so gut klappte, daß sich für mich dadurch erst die Möglichkeit ergab, Annelie kennenzulernen. Bei aller Skepsis, die euch bewegen mag, möchte ich doch darauf hinweisen, daß ihr mich für würdig befandet, euer Trauzeuge zu sein.«

Bernd wurde verlegen. »Wir wußten es als Ehre zu schätzen«, sagte er.

»Nun wollen wir mal nicht zu feierlich werden, Bernd. Ich will euch ja nicht adoptieren. Ich bin auch so sehr zufrieden mit den bestehenden Tatsachen.«

»Was aber werden sie im Betrieb sagen?«

»Guter Gott, das kann uns doch nicht tangieren. Ich könnte mir vorstellen, daß viele Stirnen gerunzelt würden, wenn ich so eine flotte Biene heiraten würde. Aber ich habe mich nun mal für eine Lady entschieden, und man wird sagen, daß der Boß doch keine Tomaten auf den Augen hat. Zur Sache. Wenn ich mit Annelie Urlaub mache, wirst du den Betrieb leiten. Ich hoffe, daß alles klappt.«

»Es ist eine große Verantwortung«, sagte Bernd.

»Eva macht die Auslandsgeschäfte. Jetzt kann sie es doch noch schaffen? Sollte es ihr aber zuviel werden, komme ich selbstverständlich zurück. Nach unserer Heirat werden wir dann einen Gesellschaftervertrag machen.«

»Und was plant der Boß für Eva?« fragte Bernd und umging diplomatisch die direkte Anrede, da es ihm auch plötzlich komisch vorkam, weiterhin Sie zu Robert zu sagen.

»Sie kann selbst entscheiden. Sie kann als stille Teilhaberin in der Firma bleiben, natürlich mit Mitspracherecht in allen Entscheidungen, sie kann aber auch tätig sein, wobei ihr überlassen bleibt, wie lange und wo sie die Tätigkeit ausübt. Ist das formell genug?«

»Du kalkulierst nicht ein, daß sie sich lieber dem Kind widmen wird?« fragte Bernd nachdenklich.

»O doch. Ich beziehe in meine Überlegungen auch ein, daß ihr nicht nur ein Kind haben werdet, aber Kinder wachsen heran, und eine Frau wie Eva ist geistig viel zu rege, um sich ganz auf die Kinder und den Haushalt zu konzentrieren. Und eines Tages sind auch die Kinder erwachsen. Sprich doch darüber mal mit deiner Mutter, Bernd. Sie entdeckt jetzt, daß manche Jahre ihres Lebens an ihr vorübergezogen sind, die sie viel interessanter hätte gestalten können.«

»Sie hatte ja nie einen Beruf. Sie war eine höhere Tochter«, sagte Bernd ironisch.

»Sie ist eine prachtvolle Frau«, sagte Robert. »Wir verstehen uns ausgezeichnet. Und ich habe größten Respekt vor ihr. Davon abgesehen, daß ich dir und Eva ein dauerhaftes Glück wünsche, weiß ich, daß dieses nur von Bestand sein wird, wenn Eva nicht eingeengt wird. Sie ist zur Karrierefrau geboren, das habe ich von Anfang an gewußt. Sie hat sich nie verzettelt. Es ist sehr selten, daß ein junges Mädchen so zielbewußt seinen Weg geht. Und ich meine, daß sie auch Glück gehabt hat, ihre Liebe einem Mann zu schenken, der ihre Qualitäten zu würdigen weiß.«

»Ich bin nicht zum Tyrannen geboren«, sagte Bernd. »Und was den Boß betrifft, waren wir uns immer einig, daß wir verdammtes Glück gehabt haben.«

»Herzlichen Dank. Ich habe durch euch mein Glück gefunden, und mir bedeutet das jetzt mehr als der Betrieb, als der Erfolg. Ich möchte die schönen Jahre noch nutzen.«

Bernd grinste jungenhaft. »Zum Frührentner bist du aber nicht geeignet«, meinte er. »Aber wenn es die wahre Liebe ist, kann man ja alles verstehen.«

Robert legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich bin froh, daß wir uns verstehen«, sagte er herzlich. »Haltet den Mittwochabend frei, damit wir ein bißchen feiern können!«

*

So wurde es eine fröhliche Woche. Am Mittwochabend ging es heiter zu. Annelie und Robert mußten sich manche Neckerei gefallen lassen, aber sie lachten dazu. Barbara war restlos zufrieden. Nun, da sie keinen Ehrgeiz mehr für ihren Sohn hatte, wurde diesem Rechnung getragen. Es blieben keine Wünsche offen.

Natürlich wurde auch über das Haus gesprochen, das gebaut werden sollte. Robert wollte den Architekten beauftragen, von dem er viel hielt. Und dann war auch beschlossen, daß er schon nächste Wochen mit Annelie wegfahren wollte. Wo sie den Urlaub verbringen wollten, verrieten sie noch nicht, denn eine Überraschung wollten sie ihren Lieben noch bereiten.

Am Freitag wurde dann aus Emi Frau Kleinschmidt, und es war auch eine schöne Hochzeit, bei der nun Bernd als Trauzeuge tätig werden konnte. Der zweite war Nino, ein stiller junger Mann, der ihnen keine Sorgen bereitete wie Kolia, der nun seine Strafe abbüßen mußte.

Obgleich Emi einen herrlichen Brautstrauß aus Hochzeitsrosen bekommen hatte, wurde Dr. Nordens Dauerauftrag nicht vergessen.

»Was soll das eigentlich bedeuten, Daniel?« fragte sie. »Das ist jetzt schon der dritte Strauß.«

»Ich hole nach, was ich bisher versäumt habe«, erwiderte er lachend, »aber so schöne Rosen habe ich vorher auch nie gesehen.«

»Du bist doch narrisch«, meinte

sie.

»Die schönsten Rosen der schönsten Frau«, sagte er zärtlich. »Jeden Samstag sollst du dich freuen.«

»Ich freue mich jeden Tag, wenn du heimkommst«, sagte sie leise. »Du mußt nicht so viel Geld ausgeben.«

»Der Peter freut sich, daß es noch aufmerksame Ehemänner gibt«, scherzte Daniel, »und wir freuen uns über diese Pracht.«

»Die aber meistens vierzehn Tage anhält«, sagte Fee.

»Ein gutes Zeichen für die Qualität.«

»Die beiden sind ja auch mit so viel Liebe dabei«, sagte Fee gedankenvoll. »Wie gut, daß Peter solche Frau gefunden hat.«

»Was hattest du eigentlich zur Hochzeit geschickt?« fragte er.

»Ich habe es dir doch gesagt, daß ich ihnen ein Kaffeeservice gekauft habe, Schatz.«

»Da siehst du mal, wie vergeßlich ich schon bin«, seufzte er. »Hoffentlich bekommen sie nicht drei oder gar vier.«

»Viele Geschenke haben sie nicht bekommen. Ich habe mich vorher mit Frau Trewitz und Eva abgesprochen. Die hatten sich schon umgesehen, was noch gebraucht wird. Von ihnen haben sie das passende Speiseservice bekommen.«

»Und wann wird Frau Trewitz Frau Walchow? Dann ist das nächste Hochzeitsgeschenk fällig.«

»Du lieber Himmel, da ist doch alles doppelt und dreifach vorhanden. Da wird es verzwickt.«

»Ein paar Wochen hast du ja noch Zeit zum Überlegen«, meinte Daniel lachend.

Aber dann sollten auch sie überrascht werden.

Eine Woche hörte man von Robert und Annelie nichts. Zweimal war Fee in der Drogerie gewesen und hatte sich natürlich auch mit Barbara unterhalten, die zwei nette junge Verkäuferinnen mit der ihr eigenen Ruhe einarbeitete. Fee hatte sich erkundigt, wo denn Frau Trewitz sei und erfahren, daß sie Urlaub mache. Und Barbara hatte dabei ganz hintergründig gelächelt.

»Anrufen könnten sie ja wenigstens mal, wenn sie schon keine Lust zum Schreiben haben«, äußerte sich Bernd dann unwillig. »Robert hat Nerven. Ich kann doch nicht jede Entscheidung ohne ihn treffen.«

»Frag doch mal Eva«, sagte seine Mutter.

Gar nicht so weit von ihnen entfernt, sagte Robert zu Annelie:

»Ich bin gespannt, wie der Laden läuft.«

»Und wenn was schiefgeht?« fragte sie.

»Meinst du, bei mir ist immer alles glatt gegangen? Man lernt aus Fehlern, Annelie.«

»Und solche hast du auch einkalkuliert«, meinte sie skeptisch.

»Du hast es erraten. Ich bin gespannt, was sie für Gesichter machen, wenn wir sie zu unserer Hochzeit einladen.«

»Wenn sie es uns nun übelnehmen?« fragte sie.

»Warum sollten sie das? Ich mag den Trubel nicht. Wir wollen es ganz gemütlich machen. Hier nimmt sich der Standesbeamte auch samstags Zeit, und der Pfarrer kommt ins Haus.«

»Und wie bringst du es ihnen bei?« fragte Annelie.

»Ich rufe an und sage, daß wir sie am Samstag erwarten.«

»Und wenn sie schon etwas anderes vorhaben?«

»Sie haben nichts anderes vor. Sie sind viel zu neugierig«, erwiderte er lachend. Und so war es.

»Was sagst du zu den beiden?« fragte Eva, die Roberts Anruf entgegengenommen hatte. »Grad fünfzig Kilometer von uns entfernt flittern sie herum. Spätestens zehn Uhr am Samstag erwarten sie uns.«

»Eigentlich müßten wir sie zappeln lassen«, sagte Bernd.

»Das tun wir nicht, dann wird Mama sauer. Sie macht den Laden zu. Ich habe schon mit ihr telefoniert.«

»Ich möchte wissen, was sie wieder ausgeheckt haben.«

»Vielleicht hat Robert ein Haus gekauft, das er einweihen will. Ihm ist ja alles zuzutrauen«, sagte Eva.

Aber dann standen sie bereits zehn Minuten vor zehn Uhr vor dem hübschen Bauernhaus, das mit einer bunten Girlande geschmückt war, auf der »Herzlich willkommen« stand.

»Sie ziehen sich aufs Land zurück«, raunte Bernd Eva zu. »Das ist der Hammer.« Und dann sagten beide nichts mehr, als Robert im dunkelblauen Anzug und Annelie im dunkelblauen Kostüm in der Tür erschienen.

»Pünktlich seid ihr, das muß man euch lassen«, sagte Robert, »aber ihr wißt ja, daß ich Pünktlichkeit liebe. Wenn im Betrieb auch alles so geklappt hat, können wir zufrieden sein, aber vom Geschäft wird nicht geredet. Der Bürgermeister erwartet uns.«

»Für alle Fälle habe ich ein paar Blumen mitgebracht«, sagte Barbara. »Hoffentlich haben sie nicht gelitten.«

»Die Hochzeitsrosen!« rief Eva fassungslos aus, als Barbara den Karton öffnete. »Du hast gesagt, da ist Kuchen drin, Mama.«

»Kuchen werden wir schon hier bekommen«, sagte Barbara mit leisem, aber doch gerührtem Lachen, als Annelie sie umarmte.

»Ihr alten Heimlichtuer«, sagte Bernd rauh.

»Alt haben wir überhört«, sagte Robert. »Aber wir haben es uns einfach schön vorgestellt, nur mit euch zu feiern.«

»Habt ihr eure Ausweise dabei?« fragte Annelie. »Die Trauzeugen brauchen sie.«

»Das wäre doch ein Witz, wenn wir keine hätten«, scherzte Barbara. »Aber so korrekt wie wir sind, passiert keine Panne.«

Und eine Stunde später fielen sie sich dann nach einem sehr feierlichen Zeremoniell glücklich in die Arme.

*

»Solch ein Haus möchte ich haben«, sagte Eva, als das Festmahl, vom Gasthof zu aller Zufriedenheit geliefert, beendet war. Der Pfarrer, der dem Ehebund auch den kirchlichen Segen erteilt hatte, war der einzige Gast. Er war ein alter weißbärtiger Herr. »Hier ist der Robert aufgewachsen«, sagte er. »Und alle haben es gewußt, daß er es mal weit bringen würde. Daß er erst jetzt die richtige Frau gefunden hat, mag der Hergott wohl so bestimmt haben. Und schön ist es, wenn wieder Leben in diesem Hause herrscht, wenn es auch von Kinderlachen erfüllt wird!« Gütig ruhte sein Blick auf Eva.

»Und wir können ja ab und zu unsere Häuser tauschen, wie es uns gerade zumute ist«, sagte Robert.

»Zum Büro ist es ein weiter Weg«, warf Bernd ein.

»Dann komme ich eben später, wenn nichts Wichtiges vorliegt«, meinte Robert schmunzelnd. »Es geht auch ohne mich. Man darf sich nicht zu wichtig nehmen. Und jedes Heim gewinnt durch die, die darin leben.«

»Vielleicht zieht Mama zu uns, wenn unser Haus fertig ist«, meinte Eva.

»Wir werden uns jedenfalls nie streiten«, meinte Annelie, als Barbara ihr einen fragenden Blick zuwarf.

»Lassen wir alles an uns herankommen«, sagte Barbara nachdenklich. »Vor Überraschungen ist man nie sicher, wie der heutige Tag bewiesen hat.«

»Jedenfalls müßt ihr uns nicht so zäh beweisen, daß ihr keine Großmütter sein wollt«, sagte Eva.

»Aber wir wollen ja gerne Großmütter sein«, rief Barbara aus. »Ihr sollt nur nicht denken, daß wir uns in euer Leben einmischen. Darin waren Annelie und ich von vornherein einig. Aber jeder neue Tag bringt auch neue Erkenntnisse, und so wollen wir es auch hinnehmen.«

»Und wir sollten es uns annehmen«, sagte Eva nachdenklich.

»Am Abend wird man klug für den vergangenen Tag, doch niemals klug genug für den, der kommen mag«, warf der greise Pfarrer ein. »Aber ihr, wie ihr hier versammelt seid in Liebe und Verständnis, werdet den rechten Weg gehen.«

»Amen«, murmelte Bernd, aber es war kein Spott in diesem Wort. Eva lehnte sich an ihn. »Wir werden unseren Weg gehen, Bernd«, flüsterte sie.

*

Und sie gingen ihn, diesen Weg, an dem jeder Tag neue Erkenntnisse brachte. Für Eva wurde er dann doch beschwerlicher.

»Wir bekommen einen Wildfang«, sagte sie manchmal seufzend. »Dieser Bengel strampelt derartig, daß mir die Luft wegbleibt.«

Das berichtete Bernd besorgt weiter. Darauf kam Robert wieder jeden Tag ins Geschäft, und er blieb mit Annelie in der Stadtwohnung.

Vor Überraschungen sei man nie sicher, hatte Barbara am Hochzeitstag gesagt, und auch sie erlebte eine, als die nette Verkäuferin Helga, die sich auch sehr schnell unentbehrlich gemacht hatte, erklärte, daß sie das Geschäft gern mit ihrem zukünftigen Mann übernehmen würde, falls an eine Verpachtung gedacht sei.

Darüber sprach Barbara natürlich zuerst mit Annelie. »Man kann es ja im Auge behalten«, meinte Annelie. »Es ist deine Entscheidung.«

»Es geht dann auch um die Wohnung, Annelie.«

»Ich brauche sie doch nicht mehr, Barbi. Ich bin schon so weit weg davon. Und ich meine, man solle etwas nur solange tun, solange es auch Spaß macht.«

»Du hast länger durchgehalten als ich, Annelie«, gestand Barbara ein.

»Da saß die Faust im Nacken, Barbi.«

»Denkst du aber auch bestimmt nicht, daß ich dann doch am liebsten Großmama sein möchte?«

»Ich werde ja die andere sein, Barbi, aber ich habe einen Mann, der mich ganz hübsch in Atem hält.«

»Es geht halt auch in die Beine, wenn man den ganzen Tag in Trab gehalten wird«, sagte Barbara. »Dr. Norden hat schon gesagt, daß ich ein bißchen an Verschleißerscheinungen denken soll. Du bist ja noch soviel jün-

ger.«

»Du hast dich phantastisch gehalten, Barbi, und ich werde es dir immer danken, wie sehr du zu meinem Glück beigetragen hast. Dann verpachten wir den Laden an Helga, und wenn du Lust hast, wird sie froh sein, wenn sie auch mal einen freien Tag nehmen kann.«

»Sie wird sicher auch mal ein Kind haben wollen. Übrigens hat sich bei Kleinschmidt Nachwuchs angekündigt. Emi ist schon ganz hübsch rund.«

Und als wir im Geschäft beisammen waren, war es eben doch anders, dachte Annelie. Es ist immer besser, wenn man sich mit einem Menschen in allem versteht. Barbi wird ihre Beine nicht mehr spüren, wenn sie für das Baby hin und her rennt. Und sie wird nicht mehr so müde sein wie jetzt.

Ja, wie müde war sie manchmal gewesen nach einem langen Arbeitstag. Und jetzt?

Flink und elastisch lief sie ihrem Mann entgegen, wenn er heimkam. Stundenlang konnte sie mit ihm wandern.

»Wirst du wirklich nicht eifersüchtig sein auf Barbi, Annelie?« fragte er eines Tages, als die Geburt nahegerückt war. »Ich kann mir sehr gut vorstellen, daß sie ganz in ihren großmütterlichen Pflichten aufgeht.«

»Das wäre auch anders, wenn sie einen Mann hätte«, sagte Annelie.

»Sollen wir ihr einen suchen?« fragte er lächelnd.

»Gott bewahre. Wir wollen doch froh sein, daß sie so selbständig ist. Sie macht es schon richtig, Berti. Sie hockt den Kindern nicht auf der Pelle. Sie kann doch jederzeit zu uns kommen, wenn es ihr nach einem Plausch zumute ist, dagegen hast du doch nichts.«

»Aber nein. Übrigens habe ich mit dem Architekten gesprochen. Er macht den Anbau so, daß sie ganz für sich sein kann.«

»Und warum habt ihr das Grundstück geteilt?« fragte Annelie so ganz nebenbei.

»Eva hat gemeint, daß da doch noch ein zweites Haus hineingestellt werden könnte«, erwiderte er auch so ganz nebenbei.

»Es wird schon ausgehoben«, sagte Annelie. »Ein bißchen sehr nahe, finde ich, aber ich will mich ja nicht einmischen.«

»Eva meinte, daß wir vielleicht doch manchmal lieber in Stadtnähe sein möchten«, gab er zögernd zu. »Es wird nur ein kleines Haus, Annelie. Vier Zimmer.«

»Du und Eva«, lachte sie, »ihr Heimtücker.«

»Ohne Bernds Einwilligung wäre es doch nicht möglich gewesen. Bist du böse?«

»Wie könnte ich dir böse sein«, meinte sie. »Und den Kindern doch erst recht nicht.«

»Dann hat es Barbi nicht weit, wenn ihr nach einem Plausch zumute ist.«

»Und wir nicht, wenn wir unsere Enkel um uns haben wollen«, lachte Annelie.

»Wenn sie nur erst da wären«, seufzte Robert.

»Erst mal eins«, meinte sie.

»Eva sieht aber aus, als würde sie Zwillinge bekommen.«

»Mach mich nicht schwach, das wüßte sie doch.«

»Vor Überraschungen ist man nie sicher«, sagte er gedankenvoll.

*

Eva hatte es gewußt, aber sie liebte Überraschungen. Und sie hatte auch Dr. Norden und Dr. Leitner zum Schweigen verpflichtet. Bernd unterzeichnete einen lukrativen Auslandsvertrag, als sie sich in die Klinik fahren ließ. Sie hatte dazu Nino herbeigerufen, der sich sein Studiengeld als Taxifahrer verdiente.

Barbara stand vor der verschlossenen Tür, als sie nach Eva sehen wollte. Sie fuhr zu Annelie.

»Ist Evi bei dir?« fragte sie aufgeregt, »zu Hause ist sie nämlich nicht.«

»Vielleicht ist sie im Büro. Ich traue es ihr zu. Berti ist doch heute in Zürich.«

»Sie kann doch nicht allein herumfahren«, regte sich Barbara auf.

»Sie setzt ihren Kopf immer durch, Barbi. Ich bin länger daran gewöhnt.«

»Ich rufe Bernd an.«

»Du kannst ihn jetzt nicht stören. Er ist in einer Konferenz.« Dann wurde Annelie aber auch unruhig, als sie vergeblich bei Eva anriefen.

»Wäre das Haus nur schon fertig«, seufzte Barbara. »Dann wäre ich in der Nähe. Es sind doch nur ein paar Tage bis zur Geburt.«

Nun, es waren keine paar Tage mehr, nicht mal mehr Stunden. Als das Telefon bei Annelie läutete, starrten die beiden Frauen wie hynotisiert auf den Apparat. Dann nahm Annelie den Hörer ab.

»Oh, Bernd, gut, daß du anrufst«, rief sie atemlos. »Ist Eva bei dir?«

»Nein, ich bin bei ihr, in der Klinik.« Seine Stimme zitterte. »Es ist bald soweit«, fügte er hinzu.

»Wir kommen!« rief Annelie.

Es war gut, daß sie Bernd Beistand leisten konnten, denn es war fast so, als spüre er die Wehen. Nun, aufgeregt waren auch die Mütter, da Dr. Norden von Dr. Leitner herbeigerufen worden war. Eva hatte sich natürlich einen besonders turbulenten Tag ausgesucht, und Zwillinge wurden halt nicht jeden Tag in der Leitner-Klinik geboren.

»Nun werden sie aber Augen machen«, lächelte Eva, als ihr das doppelte Glück in die Arme gelegt wurde.

Dr. Norden konnte es seiner Fee berichten, welche Überraschung Eva ihren Lieben bereitet hatte.

Bernd war für die nächste Stunde nicht ansprechbar. Er saß nur bei seiner Frau und ließ keinen Blick von ihr, nachdem er gemeint hatte, doppelt zu sehen, als Dr. Norden das Pärchen präsentiert hatte.

»Welche gehört uns?« stammelte er.

»Ich hoffe doch, daß Sie beide behalten wollen«, lachte Dr. Norden. »Ihre Frau gibt nämlich keins her.«

»Evi bringt doch alles fertig!« stöhnte Bernd.

»Na ja, dazu hast du auch beigetraten«, meinte Barbara mit einem glucksenden Lachen, in das sich Tränen der Freude mischten, und Annelie flüsterte: »Was wird Berti sagen. Sind die wonnig!«

An diesem Tag meinte Eva, daß sie damit wohl bereits den Höhepunkt ihrer Karriere erreicht hätte. Fürs erste war sie vollauf beschäftigt mit Bernd-Robert und Felicitas.

Da Barbara daran festhielt, daß keines ihrer Enkelchen ihren Namen bekommen solle, war auch Annelie dagegen, daß ihr Name weitergegeben würde. Dafür aber waren Bernd und Robert stolz, daß der männliche Zwilling ihre Namen bekommen sollte, und Eva sollte sehr bald sehr froh sein, daß zwei Großmamas ihr zur Hand gingen, und daß da auch noch ein glückstrahlender Großpapa war, der nicht den Überblick verlor, wenn es im neuen Haus hoch herging.

Erst recht froh sollten sie dann sein, so dicht beieinander zu wohnen, als sich zwei Jahre später noch ein zweiter Sohn einstellte, denn da waren die lebhaften Zwillinge kaum noch zu bändigen.

Bei den Kleinschmidts gesellte sich zu dieser Zeit zu einer Eva ein Brüderchen Bernd. Damit dankten diese beiden Glücklichen denen, die ihnen zu einem neuen Leben verholfen hatten.

Die Erinnerung blieb, doch sie hatte für Peter und Emi die Schatten verloren.

In den Gärten blühten die Hochzeitsrosen, die sich auch im Freien bewährten, und hin und wieder konnten die Ehemänner ihre Frauen mit neuen Züchtungen aus Peter Kleinschmidts Gewächshaus erfreuen.

Wie Robert Walchow es aber vorausgesagt hatte, kam Eva ganz ohne Beruf doch nicht aus, und auch diese Karriere wurde nicht unterbrochen. Aber sie wußte ihre Kinder ja dann in allerbester Obhut. Es gab niemals Streit zwischen den Großmüttern. Es herrschte nur Glück und Zufriedenheit.

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